TE OGH 2004/5/18 2Ob177/03y

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Veröffentlicht am 18.05.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Kristin L*****, geboren am 7. Jänner 1995, Schülerin, vertreten durch die Mutter Manuela L*****, vertreten durch Mag. Franz Eschlböck, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagten Parteien 1.) Walter R***** und 2.) A***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Gerald Wildfellner ua Rechtsanwälte in Grieskirchen, wegen EUR 7.192,98 sA infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 12. Mai 2003, GZ 22 R 134/03t-35, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Peuerbach vom 17. Jänner 2003, GZ C 312/02m-25 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 366,43 (darin enthalten EUR 61,07 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO). Entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes liegen Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht vor.Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (Paragraph 510, Absatz 3, letzter Satz ZPO). Entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes liegen Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht vor.

Die zum Unfallszeitpunkt 6 Jahre und 4 Monate alte Klägerin stieß beim Überqueren einer 5,2 m breiten Gemeindestraße (im Ortsgebiet) gegen den vom Erstbeklagten gelenkten und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Golf und verletzte sich. Die Klägerin hatte sich auf einer Wiese zunächst laufend der Straße genähert, ist dann im Bereich der neben der Straße befindlichen, für den PKW-lenker aber keine Sichtbehinderung darstellenden Sträucher gegangen und ohne anzuhalten über die Straße weitergegangen, wobei sie den sich mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h (von linkes) nähernden PKW übersah. Der PKW-lenker hätte die sich auf die Straße zubewegende Klägerin im Bereich der Sträucher wahrnehmen und anhalten können. Der PKW-lenker wurde strafgerichtlich verurteilt.

Beide Vorinstanzen haben dem Klagebegehren im Ausmaß von drei Viertel stattgegeben und der Klägerin eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten angelastet und diese mit einem Viertel bewertet. Die Klägerin habe das erforderliche Maß an körperlicher und geistiger Reife aufgewiesen, weshalb ihr die Nichtbeachtung des herannahenden, schon längst sichtbaren PKWs als nicht zu vernachlässigende Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen sei. Der Erstbeklagte hafte - so das Berufungsgericht - infolge seiner strafgerichtlichen Verurteilung, aber auch weil er auf die wahrnehmbare Klägerin, die sich der Straße genähert habe, nicht reagiert habe. Bei zeitgerechter Reaktion wäre eine Kollision unterblieben.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil "der Frage der Mitverantwortlichkeit eines sechs Jahre und vier Monate alten, an das Verkehrsgeschehen gewöhnten Kindes betreffend die Einhaltung der elementarsten Fußgängernorm, und andererseits der in derartigen nicht seltenen Fällen immer wieder relevierten, nach einer ex-ante-Betrachtung (sohin nicht unter Zugrundelegung von viele Monate später nach diversen Rechenoperationen angestellten Erwägungen) zu veranschlagenden zeitlichen/räumlichen Reaktionsaufforderung erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme".Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil "der Frage der Mitverantwortlichkeit eines sechs Jahre und vier Monate alten, an das Verkehrsgeschehen gewöhnten Kindes betreffend die Einhaltung der elementarsten Fußgängernorm, und andererseits der in derartigen nicht seltenen Fällen immer wieder relevierten, nach einer ex-ante-Betrachtung (sohin nicht unter Zugrundelegung von viele Monate später nach diversen Rechenoperationen angestellten Erwägungen) zu veranschlagenden zeitlichen/räumlichen Reaktionsaufforderung erhebliche Bedeutung im Sinne des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zukomme".

Die Klägerin beantragt in ihrer Revision, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien beantragen die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung zur Revision der Klägerin erstattet und deren Zurückweisung beantragt. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der Klägerin:

Nach ständiger Rechtsprechung sind Unmündige, selbst Kinder unter sieben Jahren, nicht unter allen Umständen deliktsunfähig. Ihre Verantwortlichkeit ist unter Berücksichtigung des Maßes an Einsicht, das bei ihnen zur Zeit des Unfalls vorhanden war und der Art ihres für den Unfall ursächlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen (RIS-Justiz RS027048; [T2 Sechseinhalb Jahre alter Knabe], [T4 Sechseinhalbjähriges Mädchen], [T15 Sechsdreivierteljährige Radfahrerin]; Reischauer in Rummel² § 1310 ABGB Rz 4, 14, 15). Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Einzelfall der Klägerin die Fähigkeit zur Einsicht, die Überquerung der Gemeindestraße wegen des herannahenden PKWs zu unterlassen, trotz ihres Alters als gegeben angenommen haben, ist dies nicht zu beanstanden, betrifft aber wegen der Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage.Nach ständiger Rechtsprechung sind Unmündige, selbst Kinder unter sieben Jahren, nicht unter allen Umständen deliktsunfähig. Ihre Verantwortlichkeit ist unter Berücksichtigung des Maßes an Einsicht, das bei ihnen zur Zeit des Unfalls vorhanden war und der Art ihres für den Unfall ursächlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen (RIS-Justiz RS027048; [T2 Sechseinhalb Jahre alter Knabe], [T4 Sechseinhalbjähriges Mädchen], [T15 Sechsdreivierteljährige Radfahrerin]; Reischauer in Rummel² Paragraph 1310, ABGB Rz 4, 14, 15). Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Einzelfall der Klägerin die Fähigkeit zur Einsicht, die Überquerung der Gemeindestraße wegen des herannahenden PKWs zu unterlassen, trotz ihres Alters als gegeben angenommen haben, ist dies nicht zu beanstanden, betrifft aber wegen der Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage.

Zur Revision der beklagten Parteien:

Auch hier wird keine erhebliche Rechtsfrage dargetan. Vorweg ist allerdings festzuhalten, dass die vom Berufungsgericht angenommene Haftung der beklagten Parteien auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung des Erstbeklagten nicht der Rechtsprechung entspricht.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates besteht nämlich im Bereich der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung im Allgemeinen keine Bindungswirkung des Strafurteils gegen den versicherten Lenker unabhängig davon, wen der Geschädigte klageweise in Anspruch nimmt und wann dies geschieht, es sei denn es kann ausgeschlossen werden, dass es noch zu einem weiteren, das Klagebegehren abweisenden Urteil zu Gunsten des Versicherers kommt. Die Rechtskraftwirkung des abweisenden Haftpflichturteils geht der Bindungswirkung vor (SZ 71/66

= ecolex 1998,759 [zust Oberhammer] = JBl 1998, 584 [zust Klicka] =

RdW 1998, 739 = ZVR 1998/98).

Da aber die Vorinstanzen dem Erstbeklagten ohnehin Verschulden vorgeworfen haben, weil er auf die sich der Straße nähernde Klägerin nicht reagierte, schadet die (auch) auf die strafgerichtliche Verurteilung gestützte Haftung der Beklagten nicht. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung wiedergegeben, wonach der Vertrauensgrundsatz des § 3 Abs 1 StVO gegenüber Kindern nicht gilt. Dass die zum Unfallszeitpunkt sechs Jahre und vier Monate alte Klägerin als Person anzusehen ist, für die der Vertrauensgrundsatz nicht gilt, ist nicht zweifelhaft. Den Feststellungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Erstbeklagte darauf hätte vertrauen können, die Klägerin werde sich verkehrsgerecht verhalten. Er wäre daher infolge Wahrnehmbarkeit der Klägerin und Erkennbarkeit des Umstandes, dass sie sich der Straße - ohne anzuhalten - nähert, gemäß § 3 Abs 2 StVO verpflichtet gewesen, seine Fahrgeschwindigkeit weiter herabzusetzen und bremsbereit zu fahren. Die Unterlassung dieser Verpflichtung begründet daher dessen bereits von den Vorinstanzen festgestelltes Verschulden.Da aber die Vorinstanzen dem Erstbeklagten ohnehin Verschulden vorgeworfen haben, weil er auf die sich der Straße nähernde Klägerin nicht reagierte, schadet die (auch) auf die strafgerichtliche Verurteilung gestützte Haftung der Beklagten nicht. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung wiedergegeben, wonach der Vertrauensgrundsatz des Paragraph 3, Absatz eins, StVO gegenüber Kindern nicht gilt. Dass die zum Unfallszeitpunkt sechs Jahre und vier Monate alte Klägerin als Person anzusehen ist, für die der Vertrauensgrundsatz nicht gilt, ist nicht zweifelhaft. Den Feststellungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Erstbeklagte darauf hätte vertrauen können, die Klägerin werde sich verkehrsgerecht verhalten. Er wäre daher infolge Wahrnehmbarkeit der Klägerin und Erkennbarkeit des Umstandes, dass sie sich der Straße - ohne anzuhalten - nähert, gemäß Paragraph 3, Absatz 2, StVO verpflichtet gewesen, seine Fahrgeschwindigkeit weiter herabzusetzen und bremsbereit zu fahren. Die Unterlassung dieser Verpflichtung begründet daher dessen bereits von den Vorinstanzen festgestelltes Verschulden.

Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage, wann bzw wo der Lenker eines PKWs bei Erkennbarkeit eines Kindes zur Reaktion verpflichtet ist, kann in dieser Allgemeinheit nicht beantwortet werden, weil hier immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Sie ist auch für die Lösung des konkreten Falles nicht von Bedeutung, weil davon auszugehen ist, dass der Erstbeklagte trotz Erkennbarkeit des sich der Straße nähernden Kindes nicht reagierte.

Letztlich stellt auch die Frage der Verschuldensteilung keine erhebliche Rechtsfrage dar.

Da auch sonst erhebliche Rechtsfragen nicht dargetan werden, waren beide Revisionen als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 41 und 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision der klagenden Partei hingewiesen.Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 40,, 41 und 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision der klagenden Partei hingewiesen.

Anmerkung

E73667 2Ob177.03y

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0020OB00177.03Y.0518.000

Dokumentnummer

JJT_20040518_OGH0002_0020OB00177_03Y0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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