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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Vorschreibung eines Ergänzungsbetrages zu Gerichtsgebühren wegen einer Klage auf Zahlung von Mietzinsrückständen und wegen eines Räumungsbegehrens; Begriff des Wertes im Gerichtsgebührengesetz ausreichend bestimmt; keine Begründung einer neuerlichen Gebührenpflicht durch Verzicht auf den RäumungstitelSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer brachte am 4. April 1997 beim Bezirksgericht Favoriten eine Klage wegen Mietzinsrückständen von
S 33.440,- sA und wegen Räumung ein. Dafür entrichtete er eine Pauschalgebühr gemäß Tarifpost (TP) 1 des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. 501/1984 (in der Folge: GGG), von S 1.590,-. In der Tagsatzung vom 20. Juni 1997 schränkte er das Zahlungsbegehren auf S 10.080,- sA ein, hielt aber das Räumungsbegehren aufrecht. Daraufhin schloß er mit dem Beklagten einen Vergleich folgenden Inhalts:
"Der Beklagte verpflichtet sich zu Handen der Klagevertreterin den Betrag von S 10.080,-- samt 8 % Zinsen seit 2.4.1997 sowie die mit S 8.451,76 (darin enthalten S 1.670,-- an Barauslagen und S 1.136,-- an 20 % USt) verglichenen Kosten, sohin insgesamt S 18.531,76 in 3 gleichbleibenden Monatsraten a S 6.178,-- am 5.7., 5.8. und 5.9.1997 bei 5-tägigem Respiro und Terminverlust bei Verzug mit einer Rate, zu bezahlen.
Bei pünktlicher Einhaltung der Ratenvereinbarung entfällt die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen.
Der Beklagte verpflichtet sich weiters, dem Kläger das Bestandobjekt top Nr. 30 in ... geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Wenn die eingeräumten Ratenzahlungen neben dem laufenden monatlichen Mietzins pünktlich bezahlt werden, verpflichtet sich der Kläger vom Räumungstitel keinen Gebrauch zu machen."
Mit Zahlungsauftrag vom 5. März 2001 schrieb der Kostenbeamte dem Beschwerdeführer eine restliche Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG von S 25.450,- und eine Einhebungsgebühr von S 100,- vor. Aufgrund eines Berichtigungsantrages bestätigte der Präsident des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien mit Bescheid vom 20. Juni 2001 diesen Zahlungsauftrag. Begründet wurde dies damit, die Parteien des Zivilrechtsstreites hätten einen Vergleich geschlossen, der auch die Verpflichtung des Beschwerdeführers enthalte, unter bestimmten Bedingungen "auf den Räumungstitel zu verzichten" (gemeint: von ihm keinen Gebrauch zu machen). Der Inhalt des Vergleiches habe den Wert des ursprünglichen Streitgegenstandes erhöht. Der Verwaltungsgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, es genüge für das Erfordernis eines gebührenpflichtigen Vergleiches, daß er eine Verfügung über materielle Rechte enthalte, umso mehr, als bei einem Verzicht eine Verpflichtung festgelegt worden sei (Hinweis auf VwGH 30.5.1994, 92/16/0158). Die Pauschalgebühr sei daher von einer Bemessungsgrundlage von S 1,013.280,- zu berechnen, das sei neben dem Geldbetrag von S 10.080,- das Zehnfache der Jahresleistung an Mietzins (bei einem monatlichen Mietzins von S 8.360,-); daher sei ein Ergänzungsbetrag von S 24.450,- [gemeint offenbar: S 25.450,-] nachzufordern.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §18 Abs2 Z2 GGG, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens und des Zivilrechtsstreites vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10337/1985, 10362/1985, 11470/1987) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. §18 Abs2 Z2 GGG lautet:
"Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen."
Ihren Vorwurf, diese Vorschrift verstoße gegen Art18 B-VG, begründet die Beschwerde damit, es bleibe bei anderen als Geldleistungen völlig im dunkeln, wann eine Leistung anzunehmen sei, die den Wert des Klagebegehrens übersteige, und welche Kriterien anzuwenden seien, um den Wert dieser Leistung zu ermitteln. Bei einem Vergleich, in welchem auf die Räumung eines Bestandobjektes verzichtet werde, scheine es der Willkür der Behörde anheimgestellt zu sein, eine das Klagebegehren übersteigende Leistung anzunehmen und eine Ergänzungsgebühr vorzuschreiben.
Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken nicht. Soweit §18 Abs2 Z2 GGG von einem "Wert" spricht, ist es offenkundig, daß dafür die Vorschriften über die Bewertung des Streitgegenstandes in den §§14 bis 17 GGG heranzuziehen sind, die grundsätzlich auf die Bewertungsbestimmungen der JN verweisen (§14 GGG). Daß diese Bewertungsvorschriften, soweit sie im Beschwerdefall anzuwenden sind, verfassungswidrig wären, behauptet die Beschwerde nicht; auch der Gerichtshof hegt unter dem Aspekt des Beschwerdefalles keine Bedenken gegen diese Bestimmungen. Der Vorwurf der Beschwerde, bei einem Vergleich, in dem auf die Räumung des Bestandobjektes verzichtet wird, sei die Bewertung nicht ausreichend bestimmt, trifft nicht zu, wie im folgenden gezeigt werden wird.
3. Der Beschwerdeführer brachte zunächst eine Klage auf Zahlung eines Geldbetrages und auf Räumung ein und entrichtete die dafür vorgesehene Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG. Strittig zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist nur die Frage, ob der letzte Satz des Vergleiches vom 20. Juni 1997 eine Leistung betrifft, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, sodaß iSd §18 Abs2 Z2 GGG die Pauschalgebühr neu zu berechnen wäre.
Für ihre Ansicht, daß dies der Fall sei, beruft sich die belangte Behörde - teils im angefochtenen Bescheid, teils in der Gegenschrift - auf eine Reihe verwaltungsgerichtlicher Erkenntnisse:
Im Erkenntnis vom 21. Jänner 1985, 84/15/0116 (ÖStZB 1986, 333 = AnwBl. 1985/2235), sprach der Verwaltungsgerichtshof - noch zum Gerichts- und Justizverwaltungsgebührengesetz, dem Vorläufer des GGG - aus, unter dem Wert des Streitgegenstandes, über den der Vergleich geschlossen werde, sei der Wert der Leistung zu verstehen, zu welcher der Vergleich verpflichte (so auch VwGH 9.9.1993, 92/16/0131, ÖStZB 1994, 270 = AnwBl. 1994/4691 und VwGH 13.4.2000, 2000/16/0307, ÖStZB 2000/477). Bei jedem Vergleich, in dem die Verpflichtung zur Leistung eines bestimmten Betrages, aus welchem Rechtsgrund auch immer, übernommen worden sei, sei dieser Betrag als Bemessungsgrundlage der Vergleichsgebühr heranzuziehen. Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 1994, 92/16/0158 (ÖStZB 1995, 197) muß ein gebührenpflichtiger gerichtlicher Vergleich eine Verfügung über materielle Rechte enthalten; dies sei zB dann der Fall, wenn er den Ausdruck "verpflichtet sich" oder "gestattet" enthält. Nach dem Erkenntnis vom 8. Februar 1990, 89/16/0065 (ÖStZB 1991, 349 = AnwBl. 1990/3484), kommt es nicht darauf an, ob ein im Vergleich festgeschriebener Anspruch vom Prozeßgegner bestritten war, sondern nur auf die im Vergleich übernommene Verpflichtung. Schließlich ist es für die Gebührenpflicht nach dem Erkenntnis vom 13. April 2000, 2000/16/0307, unbeachtlich, ob ein exekutionsfähiger Titel entstanden ist.
Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß aus einem dieser Erkenntnisse etwas für die Frage abgeleitet werden kann, die zwischen den Parteien strittig ist. Entscheidend ist vielmehr, daß der Beschwerdeführer durch seinen Verzicht darauf, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über jenen Anspruch disponierte, den auch dieser Exekutionstitel betraf, offenkundig aber über keinen anderen Anspruch. Der Anspruch, den jener Exekutionstitel betraf, ist aber der Anspruch auf Räumung, den der Beschwerdeführer bereits mit seiner Klage geltend gemacht und für den er die Pauschalgebühr entrichtet hatte. Daß mit dem letzten Satz des Vergleiches über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses disponiert worden wäre, wie die belangte Behörde annimmt, ist nicht zu erkennen. Die bloß beiläufige Erwähnung des "laufenden Mietzinses" genügt diesem Erfordernis jedenfalls nicht; eine Verpflichtung des Beklagten, den Mietzins zu zahlen, läßt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr ist die belangte Behörde hier auf das von ihr zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. September 1993, 92/16/0131, zu verweisen, nach welchem die in einem Vergleich vereinbarte Lösungsbefugnis keine Verpflichtung auferlegt und damit für die Berechnung des Streitwertes nicht herangezogen werden kann. Auch der Beklagte im Beschwerdefall konnte sich nämlich durch Leistung des laufenden Mietzinses im Ergebnis von seiner Verpflichtung zur Räumung befreien, ohne zu dieser Zahlung - aufgrund des Vergleiches - verpflichtet zu sein.
Die belangte Behörde hat §18 Abs2 Z2 GGG somit in denkunmöglicher Weise angewandt und daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt.
4. Der Bescheid war daher aufzuheben. Auf das weitere Beschwerdevorbringen brauchte nicht mehr eingegangen zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- sowie der Ersatz der entrichteten Gebühr gemäß §17a VfGG von € 181,68 enthalten.
Schlagworte
Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1176.2001Dokumentnummer
JFT_09978875_01B01176_00