TE OGH 2004/5/27 Bsw46549/99

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Veröffentlicht am 27.05.2004
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Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Yavuz gegen Österreich, Urteil vom 27.5.2004, Bsw. 46549/99.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Yavuz gegen Österreich, Urteil vom 27.5.2004, Bsw. 46549/99.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit d EMRK, § 51f Abs. 2 VStG - Persönliche Teilnahme an Verhandlungen vorArtikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 6, Absatz 3, Litera c, EMRK, Artikel 6, Absatz 3, Litera d, EMRK, Paragraph 51 f, Absatz 2, VStG - Persönliche Teilnahme an Verhandlungen vor

UVS.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz 3, Litera c, EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz 3, Litera d, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: EUR 2.000,- für immateriellen Schaden, EUR 7.981,78 für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: EUR 2.000,- für immateriellen Schaden, EUR 7.981,78 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 31.3.1994 verhängte die BH Bregenz über den Bf. wegen der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 28 (1) Z.1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) eine Geldstrafe in der Höhe von ATS 5.000,-- (EUR 363,--), weil er als Geschäftsführer der B. GmbH einen türkischen Staatsangehörigen beschäftigt habe, obwohl für diesen keine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt worden sei. Der Bf. brachte am 11.5.1994 eine Berufung an den UVS Vorarlberg ein. Vom UVS wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung am 26.5.1995 anberaumt, zu der sowohl der Bf. als auch sein Rechtsbeistand geladen wurden. Die Ladung wurde jedoch nur dem Anwalt zugestellt. Sie enthielt den Hinweis, dass der Bf. persönlich zu erscheinen habe und die Androhung, dass das Strafverfahren ohne Anhörung des Bf. durchgeführt werden könne, sollte dieser der Ladung keine Folge leisten. Der Anwalt wurde auf seine Obliegenheit aufmerksam gemacht, den Bf. von der Ladung zu verständigen. Ein Antrag des Rechtsbeistands des Bf. vom 17.5.1995 auf Vertagung der Verhandlung wurde vom UVS abgelehnt.Am 31.3.1994 verhängte die BH Bregenz über den Bf. wegen der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach Paragraph 28, (1) Ziffer , Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) eine Geldstrafe in der Höhe von ATS 5.000,-- (EUR 363,--), weil er als Geschäftsführer der B. GmbH einen türkischen Staatsangehörigen beschäftigt habe, obwohl für diesen keine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt worden sei. Der Bf. brachte am 11.5.1994 eine Berufung an den UVS Vorarlberg ein. Vom UVS wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung am 26.5.1995 anberaumt, zu der sowohl der Bf. als auch sein Rechtsbeistand geladen wurden. Die Ladung wurde jedoch nur dem Anwalt zugestellt. Sie enthielt den Hinweis, dass der Bf. persönlich zu erscheinen habe und die Androhung, dass das Strafverfahren ohne Anhörung des Bf. durchgeführt werden könne, sollte dieser der Ladung keine Folge leisten. Der Anwalt wurde auf seine Obliegenheit aufmerksam gemacht, den Bf. von der Ladung zu verständigen. Ein Antrag des Rechtsbeistands des Bf. vom 17.5.1995 auf Vertagung der Verhandlung wurde vom UVS abgelehnt.

In der Verhandlung am 26.5.1995, die in Abwesenheit des Bf. und seines Anwalts stattfand, wurden zwei Zeugen vernommen. Einer davon informierte den UVS darüber, dass sich der Bf. in der Türkei aufhalte. Am 7.6. und am 19.6.1995 beantragte der Rechtsbeistand des Bf. eine Vertagung der Verhandlung bis zur Rückkehr des Bf. nach Österreich, um dessen persönliche Anhörung zu ermöglichen. Mit Bescheid vom 22.6.1995 bestätigte der UVS die angefochtene Entscheidung der BH Bregenz. Eine persönliche Ladung des Bf. sei nicht erforderlich gewesen, da der Sachverhalt festgestanden habe und nicht bestritten worden sei. Seine Verteidigungsrechte hätten durch seinen Vertreter wahrgenommen werden können. Dass dieser von der Möglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung keinen Gebrauch gemacht habe, ändere daran nichts.

Der VfGH lehnte am 26.2.1996 die Behandlung der vom Bf. erhobenen Bsw. ab und trat sie dem VwGH zur Entscheidung ab. Dieser wies die Bsw. am 1.7.1998 als unbegründet ab. Die Verteidigungsrechte des Bf. seien nicht verletzt worden, da sein Rechtsvertreter ohne triftigen Grund nicht bei der Verhandlung erschienen sei. Der UVS habe daher in Übereinstimmung mit § 51f (2) VStG die Verhandlung ohne Anhörung des Bf. oder seines Vertreters durchführen können.Der VfGH lehnte am 26.2.1996 die Behandlung der vom Bf. erhobenen Bsw. ab und trat sie dem VwGH zur Entscheidung ab. Dieser wies die Bsw. am 1.7.1998 als unbegründet ab. Die Verteidigungsrechte des Bf. seien nicht verletzt worden, da sein Rechtsvertreter ohne triftigen Grund nicht bei der Verhandlung erschienen sei. Der UVS habe daher in Übereinstimmung mit Paragraph 51 f, (2) VStG die Verhandlung ohne Anhörung des Bf. oder seines Vertreters durchführen können.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer) und von Art. 6 (3) (c) und (d) EMRK (hier: Recht auf persönliche Anhörung und Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen).Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer) und von Artikel 6, (3) (c) und (d) EMRK (hier: Recht auf persönliche Anhörung und Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:

Das Strafverfahren begann am 28.10.1993 mit der Aufforderung an den Bf. zur Rechtfertigung und endete am 29.7.1998 mit der Zustellung des Erkenntnisses des VwGH. Es dauerte somit vier Jahre und neun Monate. Das Verfahren war weder komplex, noch erforderte es eingehende Ermittlungen. Es gab jedoch Zeitspannen der Inaktivität vor dem UVS (ein Jahr) und dem VwGH (eineinhalb Jahre), die alleine den Behörden zuzurechnen sind. Der Bf. hat hingegen keine nennenswerten Verzögerungen verursacht. Das Verfahren hat daher unangemessen lange gedauert. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Das Strafverfahren begann am 28.10.1993 mit der Aufforderung an den Bf. zur Rechtfertigung und endete am 29.7.1998 mit der Zustellung des Erkenntnisses des VwGH. Es dauerte somit vier Jahre und neun Monate. Das Verfahren war weder komplex, noch erforderte es eingehende Ermittlungen. Es gab jedoch Zeitspannen der Inaktivität vor dem UVS (ein Jahr) und dem VwGH (eineinhalb Jahre), die alleine den Behörden zuzurechnen sind. Der Bf. hat hingegen keine nennenswerten Verzögerungen verursacht. Das Verfahren hat daher unangemessen lange gedauert. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (3) (c) und (d) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (3) (c) und (d) EMRK:

Der Bf. bringt vor, er sei nicht persönlich gehört worden und habe keine Möglichkeit gehabt, Fragen an die Zeugen zu stellen. Da die Garantien des Art. 6 (3) EMRK spezifische Aspekte des Rechts auf ein faires Verfahren betreffen, wird der GH die Bsw. nach beiden geltend gemachten Bestimmungen gemeinsam prüfen. Das Recht eines Beschuldigten auf persönliche Teilnahme am Verfahren bildet einen fundamentalen Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren. Auf dieses Recht kann verzichtet werden, doch muss die Entscheidung, nicht persönlich anwesend zu sein und sich persönlich zu verteidigen, unmissverständlich erklärt werden.Der Bf. bringt vor, er sei nicht persönlich gehört worden und habe keine Möglichkeit gehabt, Fragen an die Zeugen zu stellen. Da die Garantien des Artikel 6, (3) EMRK spezifische Aspekte des Rechts auf ein faires Verfahren betreffen, wird der GH die Bsw. nach beiden geltend gemachten Bestimmungen gemeinsam prüfen. Das Recht eines Beschuldigten auf persönliche Teilnahme am Verfahren bildet einen fundamentalen Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren. Auf dieses Recht kann verzichtet werden, doch muss die Entscheidung, nicht persönlich anwesend zu sein und sich persönlich zu verteidigen, unmissverständlich erklärt werden.

Die vorliegende Bsw. betrifft ein Verwaltungsstrafverfahren. Der Bf. wurde vom UVS, dem einzigen Tribunal iSv. Art. 6 EMRK, das volle Entscheidungsbefugnis in Tat- und Rechtsfragen hatte, nicht persönlich angehört. Der GH ist vom Argument der Reg. nicht überzeugt, der UVS hätte von einer persönlichen Vorladung des Bf. absehen können, weil er seine Berufung auf Rechtsfragen beschränkt habe.Die vorliegende Bsw. betrifft ein Verwaltungsstrafverfahren. Der Bf. wurde vom UVS, dem einzigen Tribunal iSv. Artikel 6, EMRK, das volle Entscheidungsbefugnis in Tat- und Rechtsfragen hatte, nicht persönlich angehört. Der GH ist vom Argument der Reg. nicht überzeugt, der UVS hätte von einer persönlichen Vorladung des Bf. absehen können, weil er seine Berufung auf Rechtsfragen beschränkt habe.

Der GH hat daher zu prüfen, ob der Bf. auf sein Recht, persönlich gehört zu werden, verzichtet hat. Die Zustellung einer Ladung an den Rechtsbeistand ist nicht grundsätzlich unvereinbar mit Art. 6 EMRK. Jedoch ist in Fällen, in denen ein Beschuldigter nicht persönlich von einer Verhandlung verständigt wird, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob er auf sein Recht auf persönliche Anwesenheit verzichtet hat.Der GH hat daher zu prüfen, ob der Bf. auf sein Recht, persönlich gehört zu werden, verzichtet hat. Die Zustellung einer Ladung an den Rechtsbeistand ist nicht grundsätzlich unvereinbar mit Artikel 6, EMRK. Jedoch ist in Fällen, in denen ein Beschuldigter nicht persönlich von einer Verhandlung verständigt wird, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob er auf sein Recht auf persönliche Anwesenheit verzichtet hat.

Der Rechtsbeistand des Bf. wurde ordnungsgemäß geladen und war verpflichtet, den Bf. von der Verhandlung in Kenntnis zu setzen. In seinem Antrag auf Vertagung erwähnte er nichts von Schwierigkeiten, den Bf. von der Verhandlung zu informieren. Als weder der Bf. noch sein Rechtsbeistand zur Verhandlung erschienen, hat der UVS sich jedoch nicht vergewissert, ob der Bf. über das Datum der Verhandlung Bescheid wusste. Zudem ergab sich aus der Aussage eines der Zeugen, dass der Bf. sich nicht in Österreich aufhielt. Nachdem dem Rechtsbeistand das Verhandlungsprotokoll übermittelt worden war, beantragte dieser eine persönliche Anhörung des Bf. Unter diesen Umständen kann nicht von einem unmissverständlichen Verzicht des Bf. auf sein Recht auf persönliche Anhörung ausgegangen werden. Die fehlende Anhörung des Bf. durch den UVS begründet daher eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK und Art. 6 (3) (c) EMRK. Die daraus resultierende Unmöglichkeit, Fragen an die Zeugen zu stellen, begründet eine Verletzung von Art. 6 (3) (d) EMRK (einstimmig).Der Rechtsbeistand des Bf. wurde ordnungsgemäß geladen und war verpflichtet, den Bf. von der Verhandlung in Kenntnis zu setzen. In seinem Antrag auf Vertagung erwähnte er nichts von Schwierigkeiten, den Bf. von der Verhandlung zu informieren. Als weder der Bf. noch sein Rechtsbeistand zur Verhandlung erschienen, hat der UVS sich jedoch nicht vergewissert, ob der Bf. über das Datum der Verhandlung Bescheid wusste. Zudem ergab sich aus der Aussage eines der Zeugen, dass der Bf. sich nicht in Österreich aufhielt. Nachdem dem Rechtsbeistand das Verhandlungsprotokoll übermittelt worden war, beantragte dieser eine persönliche Anhörung des Bf. Unter diesen Umständen kann nicht von einem unmissverständlichen Verzicht des Bf. auf sein Recht auf persönliche Anhörung ausgegangen werden. Die fehlende Anhörung des Bf. durch den UVS begründet daher eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK und Artikel 6, (3) (c) EMRK. Die daraus resultierende Unmöglichkeit, Fragen an die Zeugen zu stellen, begründet eine Verletzung von Artikel 6, (3) (d) EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:

EUR 2.000,-- für immateriellen Schaden, EUR 7.981,78 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Colozza/I v. 12.2.1985, A/89 (= EuGRZ 1985, 631).

Artner/A v. 28.8.1992, A/242-A (= NL 1992/5, 22 = EuGRZ 1992, 476 =

ÖJZ 1992, 846).

Baischer/A v. 20.12.2001 (= NL 2002, 9 = ÖJZ 2002, 394).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 27.5.2004, Bsw. 46549/99, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2004, 126) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/04_3/Yavuz_A.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00501 Bsw46549.99-U

Dokumentnummer

JJT_20040527_AUSL000_000BSW46549_9900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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