Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Michaela S*****, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch ihren Vater Günter S*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 21. Jänner 2004, GZ 21 R 10/04a-12, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 1. Dezember 2003, GZ 25 P 170/03t-7, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die am 10. 1. 1989 geborene Michaela ist ebenso wie ihre am 11. 2. 1993 geborene Schwester Bianca eheliche Tochter der geschiedenen Eheleute Günter und Sonja Gerlinde S*****. Anlässlich der Ehescheidung vereinbarten ihre Eltern die gemeinsame Obsorge, wobei der primäre Aufenthalt für Michaela beim Vater und für Bianca bei der Mutter festgelegt wurde. Die Mutter ist auf Grund Vergleichs vom 22. 7. 2003 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für Michaela von 250 EUR ab 1. 8. 2003 verpflichtet.
Am 17. 11. 2003 beantragte der Vater (in Vertretung der mj. Michaela), die Mutter zum Ersatz eines Sonderbedarfs für Internatskosten von 1.305 EUR für Michaela zu verpflichten. Der geforderte Betrag entspreche 50 % der Internatskosten der Tourismusschule Bad L*****. Eine tägliche Hin- und Rückfahrt des Kindes sei nicht zumutbar. Die Mutter sei aufgrund ihres monatlichen Einkommens von rund 1.050 EUR (15 x jährlich) zur Leistung in der Lage.
Die Mutter trat diesem Antrag entgegen. Sie zahle bereits 18 % ihres Einkommens für Michaela, die auch die HBLA in W***** und danach das zweijährige College in Bad L***** besuchen könne.
Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zur Zahlung von 1.305 EUR in sechs gleichen Monatsraten beginnend mit 1. 1. 2004. Es stellte fest, das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Mutter, die noch die Minderjährige Bianca in ihrem Haushalt betreue, betrage 1.355 EUR. Der Regelbedarf für Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren betrage 296 EUR, jener für Kinder in der Altersgruppe 15 bis 19 Jahre 348 EUR. Die Internatskosten seien als Sonderbedarf zu ersetzen. Eine gleichartige Berufsausbildung am Ort der Betreuung sei ebensowenig möglich wie die tägliche Zureise. Eine Ratenzahlung zur Deckung des Sonderbedarfs könne der Mutter zugemutet werden.
Das Rekursgericht wies den Antrag der mj. Michaela ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof einen völlig vergleichbaren Fall noch nicht entschieden habe und es für eine Vielzahl von Fällen von erheblicher Bedeutung sei, bis zu welcher ungefähren Grenze des Einkommens ein geldunterhaltspflichtiger Elternteil allenfalls auch über die Prozentkomponente hinaus mit Ausbildungs- bzw Internatskosten aus dem Titel des Sonderbedarfs zu belasten sei. Auch der Anspruch auf Deckung eines durch Ausbildungskosten hervorgerufenen Sonderbedarfs sei mit der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten begrenzt. Sei der geldunterhaltspflichtige Elternteil - wie hier - bereits in Ansehung des Allgemeinbedarfs mit einem an der Obergrenze der Prozentsatzkomponente ausgemessenen Betrag belastet, komme dessen Überschreitung nur bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen dieses Elternteils, existenznotwendigem Sonderbedarf oder besonderer Förderungswürdigkeit des Minderjährigen in Betracht. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters (als Vertreters der mj. Michaela) ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Erwächst einem unterhaltsberechtigten Kind ein Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf ("Regelbedarf") eines gleichaltrigen Kindes in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht, bilden diese Kosten einen Sonderbedarf (stRsp SZ 63/81; RIS-Justiz RS0109908). Auch Ausbildungskosten wie Kosten einer Internatsunterbringung können Sonderbedarf sein, wenn diese aus Gründen der Berufsausbildung erfolgt, eine gleichwertige Berufsausbildung am Ort der Betreuung nicht möglich ist und eine tägliche Zureise vom Wohnort zum Ort der Ausbildung nicht in Betracht kommt oder dem Kind nicht zumutbar ist (SZ 63/121, RIS-Justiz RS0047562).
Das Rekursgericht hat die Kosten der Internatsunterbringung angesichts einer am Wohnort fehlenden gleichwertigen Ausbildungsmöglichkeit in Verbindung mit der Unzumutbarkeit der täglichen Zureise vom Wohn- zum Ausbildungsort zutreffend als Sonderbedarf beurteilt.
Allerdings hat die gesonderte Abgeltung von Sonderbedarf nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stets Ausnahmecharakter. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass selbst bei Bejahung eines in der Person des Kindes begründeten Sonderbedarfs als weiterer Schritt bei der Unterhaltsbemessung zu beachten ist, dass sich der Unterhalt insgesamt (also unter Berücksichtigung des Sonderbedarfs) im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen halten muss; dem Unterhaltspflichtigen muss stets ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag verbleiben.
Ob nun der Unterhaltspflichtige nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Lage ist, einen bestimmten Unterhaltssonderbedarf des Minderjährigen mitzufinanzieren und ob und gegebenenfalls bis zu welcher Grenze er über die Prozentkomponente hinaus mit Ausbildungs- und Internatskosten belastet werden kann, richtet sich danach, inwieweit nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Falls eine Deckung von Sonderbedarf dem Unterhaltspflichtigen angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern zumutbar ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits erkannt, dass eine Überschreitung der Obergrenze des nach der Prozentsatzmethode ausgemessenen Unterhaltsbetrags dann, wenn der Unterhaltspflichtige bereits in Ansehung des Allgemeinbedarfs mit einem an dieser Obergrenze ausgemessenen Betrag belastet ist, nur bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen, existenznotwendigem Sonderbedarf oder besonderer Förderungswürdigkeit des Unterhaltsberechtigten in Frage kommt (4 Ob 108/98f).
Das Rekursgericht hat den für die Internatsunterbringung erforderlichen Sonderbedarf zwar bejaht, eine weitere Belastung der Mutter angesichts ihrer geringen Leistungsfähigkeit jedoch als unzumutbar abgelehnt. Seine Auffassung ist nicht zu beanstanden. Die Mutter bezieht ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.355 EUR, betreut ein weiteres am 11. 2. 1993 geborenes Kind in ihrem Haushalt und leistet zur Deckung des Allgemeinbedarfs für Michaela Unterhaltszahlungen, die die Prozentsatzkomponente annähernd ausschöpfen. Die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für ein Überschreiten der Obergrenze des nach der Prozentsatzmethode ausgemessenen Betrags (besonders günstige Einkommensverhältnisse, existenznotwendiger Sonderbedarf oder besondere Förderungswürdigkeit der Unterhaltsberechtigten) sind im vorliegenden Fall nicht gegeben: Die Leistungsfähigkeit der Mutter ist gering; eine besonders förderungswürdige Begabung ist nicht Voraussetzung für den Besuch des von der Unterhaltsberechtigten gewählten Schultyps; der erreichbare Schulabschluss ist nicht existenziell notwendig für ein erleichtertes Fortkommen im Berufsleben. Unter diesen konkreten Umständen hat das Rekursgericht die Berechtigung einer zusätzlichen Belastung der Mutter zutreffend verneint.
Unter Bedachtnahme auf die Leistungsfähigkeit beider Elternteile ist es dem Vater auch durchaus zumutbar, für diese Kosten zur Gänze allein aufzukommen, zumal er durch die Internatsunterbringung der Tochter sich sowohl finanzielle Aufwendungen für die Verpflegung während der Schulwochen erspart als auch seinen Pflegeaufwand nicht unerheblich reduziert.
Das erstmals im Revisionsrekurs erstattete Vorbringen, die unterhaltspflichtige Mutter habe im nachehelichen Aufteilungsverfahren Vermögenswerte zugeteilt erhalten, die ihre Leistungsfähigkeit erhöhten, kann - dem Neuerungsverbot unterliegend - nicht mehr Berücksichtigung finden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass im außerstreitigen Verfahren Neuerungen (neue Tatsachen oder neue Beweismittel) im Rekurs nur soweit zulässig sind, als das Tatsachenvorbringen oder die Vorlage der Beweismittel in erster Instanz nicht möglich war (EFSlg 94.986; 4 Ob 185/03i; RIS-Justiz RS0110773). Auch im außerstreitigen Verfahren müssen Tatsachen, auf die ein Antrag gestützt werden soll, bereits im erster Instanz vorgebracht werden (RIS-Justiz RS0006790; RS0006796; RS0006831). Die Unterhaltsberechtigte hat erstmals in ihrem Revisionsrekurs auf die der Mutter im Aufteilungsverfahren zugekommenen Vermögenswerte hingewiesen. Sie hatte dazu aber bereits anlässlich ihrer Äußerung zum Rekurs der Mutter gegen den erstgerichtlichen Beschluss Gelegenheit, hatte damals jedoch die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht bezweifelt, obwohl die Mutter im Rekurs auf ihre geringe Leistungsfähigkeit hingewiesen hatte. Das erstmals im Revisionsrekurs erhobene Vorbringen unterliegt daher dem Neuerungsverbot und kann nicht mehr Berücksichtigung finden.
Textnummer
E73729European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2004:0040OB00097.04Z.0608.000Im RIS seit
08.07.2004Zuletzt aktualisiert am
22.02.2012