TE OGH 2004/6/17 2Ob137/04t

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Veröffentlicht am 17.06.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmtraud M*****, vertreten durch Mag. Nora Huemer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Gabriela M*****, vertreten durch Prunbauer, Themmer & Toth Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2.) DI Erich M*****, wegen Räumung, infolge Rekurses der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 15. April 2004, GZ 21 R 69/04a-16, womit die Berufung der erstbeklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 19. Dezember 2003, GZ 14 C 182/03z-3, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung über das Rechtsmittel der Erstbeklagten aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Räumung einer bestimmten Wohnung mit der Begründung, diese den Beklagten prekaristisch überlassen zu haben. Das Prekarium sei widerrufen worden, doch benützten die Beklagten die Wohnung titellos weiter.

Die Erstbeklagte bestritt und wendete ein, beide Beklagten hätten die Wohnung von der Klägerin gemietet.

Da sich der Zweitbeklagte am Verfahren nicht beteiligte, erging gegen ihn am 19. 12. 2003 ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil.

Die dagegen von der Erstbeklagten erhobene Berufung wies das Berufungsgericht zurück. Es führte aus, dass - ausgehend von den Klagsangaben - die Beklagten die Wohnung titellos benützten. Ausgehend davon liege keine notwendige Streitgenossenschaft vor. Auf Räumung wegen Titellosigkeit geklagte Ehegatten bildeten aber immer dann eine einheitliche Streitgenossenschaft, wenn das Vorliegen eines das Begehren hindernden Titels behauptet werde. Mehrere auf Räumung eines Mietgegenstandes Geklagte bildeten also eine notwendige Streitgenossenschaft. Bildeten aber die Beklagten eine notwendige Streitgenossenschaft, so fehle es der Erstbeklagten an der Beschwer, gegen das von ihr bekämpfte Urteil Berufung zu erheben. Eine einheitliche Streitpartei könne gar nicht säumig werden, wenn auch nur einer der Streitgenossen im Prozess tätig werde. In einem solchen Fall dürfe kein Versäumungsurteil gefällt werden. Das im vorliegenden Fall gefällte Versäumungsurteil sei zwar vom Zweitbeklagten nicht angefochten worden, es sei aber nicht weiter zu beachten, weil die Erstbeklagte mit Wirkung auch für den Zweitbeklagten die Fortsetzung des Prozesses betrieben habe. Nach dem "prozessualen Günstigkeitsprinzip" hätte daher das gesetzwidrige Versäumungsurteil nicht wirksam werden können.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Versäumungsurteil aufgehoben und dessen Nichtigkeit ausgesprochen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und auch berechtigt.Der Rekurs ist gemäß § 519 Absatz eins, Z 1 ZPO zulässig und auch berechtigt.

Die Erstbeklagte macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei richtig, dass die beiden Beklagten eine einheitliche Streitpartei bildeten. Es fehle ihr aber nicht an einer Beschwer, weil das Versäumungsurteil zu Unrecht erlassen worden sei. Sie könne nicht darauf vertrauen, dass das Versäumungsurteil auch tatsächlich unbeachtet bleiben werde. Es fehle an dem formellen Ausspruch der Aufhebung des zu Unrecht erlassenen Versäumungsurteiles, woraus die Beschwer folge. Sie habe ein Recht darauf, dass das Versäumungsurteil formell aufgehoben werde.

Hiezu wurde erwogen:

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, bilden mehrere titellose Benützer einer unbeweglichen Sache gegenüber dem Räumungsbegehren des Eigentümers keine notwendige Streitgenossenschaft. Es besteht ein selbständiger Räumungsanspruch gegen jeden einzelnen rechtsgrundlosen Benützer (RIS-Justiz RS0035616; Schubert in Fasching/Konecny2 II/1 § 14 ZPO Rz 12). Etwas anderes gilt bei Räumungsklagen gegen Ehepartner, wenn ein Ehepartner sein Benützungsrecht vom anderen ableitet; in einem solchen Fall bilden die wegen Titellosigkeit geklagten Ehegatten eine einheitliche Streitgenossenschaft (RIS-Justiz RS0035542; 6 Ob 191/03m; Schubert, aaO, § 14 ZPO Rz 12).

Im vorliegenden Fall leitet zwar die Erstbeklagte ihr Benützungsrecht nicht vom Zweitbeklagten ab, sondern behauptet, selbst Mitmieterin zu sein. Trotzdem bilden aber die Beklagten eine einheitliche Streitpartei, weil sie nach den Behauptungen der Erstbeklagten Mitmieter sind. Mehrere Mitmieter bilden eine Rechtsgemeinschaft bürgerlichen Rechts nach § 825 ABGB und im Kündigungsprozess eine notwendige Streitgenossenschaft iSd § 14 ZPO (RIS-Justiz RS0013160), sie müssen daher gemeinsam gekündigt bzw gemeinsam geklagt werden; dies gilt auch für den Räumungsprozess (Schubert, aaO, § 14 ZPO Rz 12 mwN). Die Wirkung des zu fällenden Urteiles erstreckt sich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses auf sämtliche Mitmieter. Sie können alle nur gemeinsam auf Räumung geklagt werden, weil bei Auflösung des Bestandverhältnisses nur in Ansehung eines der mehreren Mitberechtigten dieser nicht verurteilt werden kann, die Wohnung, an der von einem anderen Mitberechtigten weiterhin das Bestandrecht ausgeübt werden darf, dem Bestandgeber geräumt zu übergeben (SZ 51/149; 4 Ob 171/98w = WoBl 1998, 339 = MietSlg 50.048 = MietSlg 50.125). Sollte sich daher herausstellen, dass beide Beklagte Mitmieter des gegenständlichen Bestandobjektes sind, könnte der Zweitbeklagte nicht dazu verurteilt werden, die Wohnung, an der von der Erstbeklagten weiterhin das Bestandrecht ausgeübt werden darf, dem Bestandgeber geräumt zu übergeben. Zutreffend ist daher das Berufungsgericht von einer einheitlichen Streitpartei der Beklagten ausgegangen.

Die Säumnis des Zweitbeklagten war für den Prozessablauf unbeachtlich, weil die Erstbeklagte rechtzeitig gehandelt hat. Es hätte daher auch kein Versäumungsurteil gegen den Zweitbeklagten gefällt werden dürfen und kann das gegen ihn ergangene Versäumungsurteil nicht in Rechtskraft erwachsen (Schubert, aaO, § 14 Rz 30). Das Versäumungsurteil ist auch nicht weiter zu beachten, weil die Erstbeklagte mit Wirkung auch für den Zweitbeklagten die Fortsetzung des Prozesses betrieben hat. Nach dem "prozessualen Günstigkeitsprinzip" konnte das gesetzwidrige Versäumungsurteil nicht wirksam werden (7 Ob 109/02h mwN).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist dessen ungeachtet eine Beschwer der Erstbeklagten durch das gegen den Zweitbeklagten ergangene Versäumungsurteil zu bejahen. Voraussetzung jeder Rechtsmittelzulässigkeit ist zwar das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Jedes Rechtsmittel setzt eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus, ist es doch nicht Sache der Rechsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen zu entscheiden. Der Rechtsmittelwerber muss nach ganz herrschender Auffassung grundsätzlich formell beschwert sein. Die formelle Beschwer ist gegeben, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrundeliegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht. Materiell beschwert ist hingegen derjenige, dessen materielle oder prozessuale Rechtsstellung durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, für den die Entscheidung somit ungünstig ausfällt. Widerspricht zwar die angefochtene Entscheidung dem in der Vorinstanz gestellten Antrag des Rechtsmittelwerbers, wird damit aber seine Rechtsstellung nicht beeinträchtigt, dann ist sein Rechtsmittel dennoch trotz formeller, jedoch mangels materieller Beschwer zurückzuweisen (2 Ob 320/02a mwN). Eine formelle Beschwer der Erstbeklagten ist im vorliegenden Fall ohne Zweifel gegeben. Wenngleich - wie bereits oben dargelegt - das gegen den Zweitbeklagten ergangene Versäumungsurteil nicht weiter zu beachten und auch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist doch nicht auszuschließen, dass es die Rechtsstellung der Erstbeklagten (etwa im Falle des Versuches einer Exekutionsführung) beeinträchtigt. Vielmehr gebieten Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ein rechtliches Interesse der Erstbeklagten an der Beseitigung des Versäumungsurteiles zu bejahen.

Es war daher dem Rekurs der Erstbeklagten Folge zu geben und der ihr Rechtsmittel zurückweisende Beschluss des Berufungsgerichtes aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E74058

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0020OB00137.04T.0617.000

Im RIS seit

17.07.2004

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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