TE OGH 2004/6/29 3Ob131/04t

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Veröffentlicht am 29.06.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Renáta Z*****, geboren am 11. Oktober 1994, infolge Revisionsrekurses des Vaters Tibor Z*****, vertreten durch Dr. Susanne Fürst, Rechtsanwältin in Wels als Verfahrenshelferin, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 31. März 2004, GZ 21 R 76/04f-17, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 12. Februar 2004, GZ 2 P 156/03i-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist die von einem in Ungarn lebenden Vater begehrte sofortige Rückgabe seines Kindes, das die Mutter im Anschluss an einen Besuch widerrechtlich in Österreich behielt, nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 BGBl 1988/512 (im Folgenden nur HKÜ).

Die am 11. Oktober 1994 geborene Renáta ist die eheliche Tochter ihrer rechtskräftig geschiedenen Eltern, alle drei sind ungarische Staatsangehörige. Nachdem der Vater mit einem Vergleich der Eltern vom 4. Juli 2000 das alleinige Sorgerecht erhalten hatte, trafen sie am 3. Juni 2002 eine außergerichtliche Vereinbarung dahin, dass das Kind in den Sommerferien fünf Wochen bei der wieder verheirateten und in Wels (Österreich) lebenden Mutter verbringen dürfe.

Am 20. Juni 2003 holte die Mutter das Kind zu sich, brachte es aber nicht ihrer Verpflichtung gemäß am 27. Juli 2003 zurück.

Das ungarische Stadtgericht Szolnok trug ihr in einem von ihr eingeleiteten Verfahren auf Abänderung der Obsorge mit Bescheid vom 17. September 2003 auf, das Kind binnen acht Tagen dem Vater zu übergeben. Am 25. September 2003 stellte sie auch beim Erstgericht den Antrag, ihr die alleinige Obsorge über das Mädchen zu übertragen. Dazu behauptete sie, beide Eltern wäre obsorgeberechtigt, der Vater wolle das Kind aber bei sich haben. Dieses habe kundgetan, nicht mehr zum Vater zurück zu wollen, weil es von ihm auf das Gesäß, auf die Hände und auch ins Gesicht geschlagen werde. Der Vater habe Schläge zugestanden, aber als nicht so gravierend bezeichnet. Das Kind wäre beim Vater gefährdet. Es habe auch die zuständige Richterin in Ungarn nicht ausgesprochen, dass das Kind zum Vater zurück müsse; der Aufenthalt in Österreich sei ordnungsgemäß.

Nach Zustellung des Antrags an den Vater, beantragte dieser am 29. Oktober 2003 bei den zuständigen ungarischen Behörden die Veranlassung der sofortigen Rückführung seiner Tochter iSd HKÜ. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Kindes sei bei ihm in Ungarn gewesen, ihm stehe das Sorgerecht allein zu.

Die Mutter sprach sich dagegen aus.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Es traf folgende Feststellungen:

Renáta lebt jetzt in Österreich mit der Mutter, deren Ehemann und einem Halbbruder im gemeinsamen Haushalt, hat hier Freunde und ist integriert. Seit September 2003 besucht Renáta eine öffentliche Volksschule am Wohnsitz der Mutter. Sie spricht sehr gut deutsch, ist voll integriert und arbeitet eifrig und selbständig mit. Sie erscheint pünktlich und sauber gekleidet zum Unterricht und macht ordentlich ihre Aufgaben.

Es besteht der Verdacht, dass der Vater, teilweise auch im Beisein der Stiefmutter, das Kind regelmäßig schlägt und dies als legitimes Erziehungsmittel ansieht.

Das Kind erklärte sowohl gegenüber der zuständigen Sozialarbeiterin als auch bei der Kinderpsychologin des österr. Jugendamts, sie werde vom Vater fast jeden Tag geschlagen, und zwar auf die Hände und das Gesäß. Bei dem Gespräch mit der Psychologin war ihre Stimme leise und zittrig, als die Sprache auf den Vater kam. Die Stiefmutter sei oft daneben gestanden und sei nicht eingeschritten, sondern habe manchmal sogar gelacht. Das Kind will nicht mehr zum Vater zurück, hat Angst. Es lehnt auch Besuchskontakte ab, da es sich vor ihm fürchtet und Angst hat, nach Ungarn mitgenommen zu werden oder anlässlich eines Besuchs in Ungarn nicht mehr nach Österreich zurück zu dürfen.

Das Erstgericht sah das Zurückbehalten des Mädchens durch seine Mutter als widerrechtlich iSd HKÜ an. Die Mutter habe aber nachgewiesen, dass die Rückführung mit einer schwer wiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei. Außerdem sei von der Rückführung abzusehen, wenn wie hier das Kind sich einer solchen Maßnahme widersetze und sein [auch vor Gericht klar und deutlich als eigener geäußerter] Wille nach seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen wäre.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig.

Das HKÜ, zu dessen Vertragsstaaten sowohl Österreich als auch Ungarn gehörten, verpflichte in seinem Art 12 die Vertragsstaaten zur Sicherstellung der sofortigen Rückgabe widerrechtlich verbrachter oder zurückbehaltener Kinder. Die Rückführungsentscheidung solle dem geltenden Sorgerecht in einem "entformalisierten Schnellverfahren" unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen zur faktischen Wirksamkeit verhelfen und die ursprünglich gegebenen tatsächlichen Verhältnisse wiederherstellen. Nach Art 13 Abs 2 HKÜ würde das Widersetzen des Kinds gegen eine Rückgabe ausreichen. Dessen Anwendung sei dem Ermessen der zuständigen Behörden überlassen.Das HKÜ, zu dessen Vertragsstaaten sowohl Österreich als auch Ungarn gehörten, verpflichte in seinem Artikel 12, die Vertragsstaaten zur Sicherstellung der sofortigen Rückgabe widerrechtlich verbrachter oder zurückbehaltener Kinder. Die Rückführungsentscheidung solle dem geltenden Sorgerecht in einem "entformalisierten Schnellverfahren" unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen zur faktischen Wirksamkeit verhelfen und die ursprünglich gegebenen tatsächlichen Verhältnisse wiederherstellen. Nach Artikel 13, Absatz 2, HKÜ würde das Widersetzen des Kinds gegen eine Rückgabe ausreichen. Dessen Anwendung sei dem Ermessen der zuständigen Behörden überlassen.

Die mj. Renáta sei bei ihrer gerichtlichen Vernehmung 9 ½ Jahre alt gewesen. Es sei jedenfalls von einer objektiv schwer belasteten Vater-Kind-Beziehung auszugehen. Unter den gegebenen Voraussetzungen und im Hinblick auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 537/92 bestehe keine Veranlassung, die den Interessen des Kindes entsprechende Widersetzlichkeit als unbedeutsam zu erachten und seine Rückführung gegen seinen erklärten Willen anzuordnen.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil mit Ausnahme der zitierten Entscheidung keine Rsp des Obersten Gerichtshof auffindbar gewesen sei und näheren Ausführungen desselben zur Berücksichtigung des Willens unmündiger Minderjähriger bei Rückführungsentscheidungen über den Einzelfall hinaus eine grundsätzliche rechtserhebliche Bedeutung zukäme.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs der zweiten Instanz nicht zulässig.

Wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, hat das Höchstgericht bereits in der in keiner Weise überholten Entscheidung 2 Ob 537/92 = EFSlg 69.971 = ZfRV 1993/10 zu Art 13 Abs 2 HKÜ Stellung genommen. Darin wird dargelegt, dass wegen des Scheiterns, bei Schaffung des Übereinkommens eine Einigung über ein Mindestalter des Kinds zu erzielen, ab dem dessen Absicht berücksichtigt werden könne, die Anwendung dieser Bestimmung dem Ermessen der zuständigen Behörden zu überlassen sei: Dem im Zeitpunkt seiner Vernehmung bereits über zehn Jahre alten Kind könne nicht allein auf Grund seines Alters die nötige Reife abgesprochen werden. Das Rekursgericht ist von dieser Entscheidung nicht abgewichen. Die Maßgeblichkeit des Ermessens im Einzelfall schließt eine richtunggebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich aus (2 Ob 236/98i; offenbar zust Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, RZ 2001, 54 [56]; gegen die Berücksichtigung des Willens von Kindern unter zwölf, allerdings nur "in der Regel", Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung Rz 148 f), anders wäre es nur bei gravierenden, an die Grenzen des Missbrauchs gehenden Fehlern (RIS-Justiz RS0007104; RS0044088). Solche Fehler zeigt auch der Revisionsrekurs nicht auf. Insbesondere wirft die Berücksichtigung des ernstlichen, auch durchaus sachlich motivierten Willens des Kindes nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG auf, weil es bei seiner Befragung erst in der Mitte des 10. Lebensjahres stand; dieser Umstand allein vermag Bedenken gegen die Beurteilung der Reife, von der sich die Erstrichterin einen persönlichen Eindruck verschaffte, im konkreten Fall nicht zu begründen.Wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, hat das Höchstgericht bereits in der in keiner Weise überholten Entscheidung 2 Ob 537/92 = EFSlg 69.971 = ZfRV 1993/10 zu Artikel 13, Absatz 2, HKÜ Stellung genommen. Darin wird dargelegt, dass wegen des Scheiterns, bei Schaffung des Übereinkommens eine Einigung über ein Mindestalter des Kinds zu erzielen, ab dem dessen Absicht berücksichtigt werden könne, die Anwendung dieser Bestimmung dem Ermessen der zuständigen Behörden zu überlassen sei: Dem im Zeitpunkt seiner Vernehmung bereits über zehn Jahre alten Kind könne nicht allein auf Grund seines Alters die nötige Reife abgesprochen werden. Das Rekursgericht ist von dieser Entscheidung nicht abgewichen. Die Maßgeblichkeit des Ermessens im Einzelfall schließt eine richtunggebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich aus (2 Ob 236/98i; offenbar zust Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, RZ 2001, 54 [56]; gegen die Berücksichtigung des Willens von Kindern unter zwölf, allerdings nur "in der Regel", Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung Rz 148 f), anders wäre es nur bei gravierenden, an die Grenzen des Missbrauchs gehenden Fehlern (RIS-Justiz RS0007104; RS0044088). Solche Fehler zeigt auch der Revisionsrekurs nicht auf. Insbesondere wirft die Berücksichtigung des ernstlichen, auch durchaus sachlich motivierten Willens des Kindes nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage iSd Paragraph 14, Absatz eins, AußStrG auf, weil es bei seiner Befragung erst in der Mitte des 10. Lebensjahres stand; dieser Umstand allein vermag Bedenken gegen die Beurteilung der Reife, von der sich die Erstrichterin einen persönlichen Eindruck verschaffte, im konkreten Fall nicht zu begründen.

Der Revisionsrekurs des Vaters, der auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage darstellen kann, ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E73736

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0030OB00131.04T.0629.000

Im RIS seit

29.07.2004

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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