TE Vwgh Erkenntnis 2007/6/20 2006/19/0018

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Veröffentlicht am 20.06.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Robert Graf Platz 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 29. November 2005, Zl. 263.213/3-XI/38/05, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR  991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 1. Juni 2005 aus der Ukraine kommend in die Slowakei ein, wo er am 10. Juni 2005 einen Asylantrag stellte. In weiterer Folge gelangte er am 5. Juli 2005 in das Bundesgebiet und brachte noch an diesem Tag einen weiteren Asylantrag ein.

Nach einer ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Juli 2005 wurde er im Zulassungsverfahren am 11. Juli 2005 von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie untersucht. Diesem gegenüber gab der Beschwerdeführer (erstmals) an, früher schon zwei Mal verhaftet und insbesondere beim zweiten Mal eine Woche festgehalten und auf verschiedene Arten gefoltert,

z. B. geschlagen, mit Stromstößen gequält und mit kaltem Wasser übergossen worden zu sein. Dabei habe er Rippenbrüche erlitten. Zu seinen "derzeitigen subjektiven Beschwerden" führte er aus, "er wäre bedrückt, könne manchmal nicht einschlafen." Ungeachtet dessen kam der Untersuchende in seinem Bericht zu dem - nicht näher begründeten - Ergebnis, es liege "aus aktueller Sicht eine krankheitswerte psychische Störung" nicht vor und es seien "keine direkten Hinweise auf Traumatisierung" gegeben.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück, erklärte die Slowakei "gemäß

Artikel 13 iVm Artikel 16(1)(c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden kurz: Dublin-Verordnung) für die Prüfung des Asylantrages für zuständig und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung behob die belangte Behörde mit Bescheid vom 31. August 2005 die erstinstanzliche Entscheidung im Wesentlichen mit der Begründung, die Familienangehörigen des Beschwerdeführers (Ehegattin und zwei minderjährige Kinder) seien nach seinen Angaben vor dem Bundesasylamt in Tschechien in einem Flüchtlingslager aufhältig. Aus diesem Grund müsse vorrangig geprüft werden, ob für den Asylantrag des Beschwerdeführers die Zuständigkeit Tschechiens gemäß Art. 7 oder Art. 8 Dublin-Verordnung gegeben sei.

Im fortgesetzten Verfahren wurde der Beschwerdeführer am 2. September 2005 im Beisein einer Rechtsberaterin vor dem Bundesasylamt neuerlich einvernommen. Dabei gab er u.a. an, er benötige noch eine Untersuchung bei einem Psychologen. Über Vorhalt der am 11. Juli 2005 bereits erfolgten Untersuchung meinte er, er sei derzeit in psychologischer Behandlung in Wien und legte dazu ein Schreiben der Diakonie des Evangelischen Hilfswerks in Österreich, Ordination AMBER, vom 26. August 2005 vor, in dem namens der "Ärztlichen Leitung" für den Beschwerdeführer ein spezielles Medikament ("Trittico 150 mg") erbeten wurde. Gegen Ende der Einvernahme beantragte die Rechtsberaterin des Beschwerdeführers ausdrücklich die Einholung eines psychologischen Gutachtens.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, erklärte für dessen Prüfung gemäß Art. 14 lit a Dublin-Verordnung Tschechien für zuständig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tschechien aus.

Begründend hielt die Behörde fest, die Angaben des Beschwerdeführers würden der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Danach halte sich seine Familie in Tschechien auf. Überdies habe der Beschwerdeführer einer Familienzusammenführung zugestimmt, und Tschechien habe im Konsultationsverfahren die Übernahme des Beschwerdeführers akzeptiert, weshalb Tschechien gemäß Art. 14 lit. a Dublin-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Zur Frage, ob der Beschwerdeführer Folteropfer oder traumatisiert sein könnte, fanden sich im erstinstanzlichen Bescheid keine Ausführungen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid - ohne Durchführung einer Verhandlung - "gemäß §§ 5 Abs. 1 und 5a AsylG" ab. Zur Begründung dieser Entscheidung führte sie u.a. aus, die Ehegattin des Beschwerdeführers und die gemeinsamen minderjährigen Kinder seien am 18. September 2005 illegal von Tschechien nach Österreich eingereist und hätten an diesem Tag Asyl beantragt. Sie seien im Besitz (damals) gültiger tschechischer Visa gewesen, weshalb für die Prüfung ihrer Asylanträge gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin-Verordnung nicht Österreich, sondern Tschechien zuständig sei und die Asylbehörden entsprechende Bescheide erlassen hätten. Um eine Trennung der Familie bei Anwendung der in der Dublin-Verordnung genannten Kriterien zu vermeiden, sei in Anwendung von Art. 14 lit a Dublin-Verordnung die Zuständigkeit Tschechiens auch für den Asylantrag des Beschwerdeführers gegeben.

Im Übrigen könne nicht festgestellt werden, dass beim Beschwerdeführer eine Traumatisierung vorläge oder dass er Opfer von Folter geworden sei. Der Beschwerdeführer sei nämlich im erstinstanzlichen Verfahren am 11. Juli 2005 einer fachärztlichen Untersuchung unterzogen worden, die - "trotz eines gegenüber der Ersteinvernahme wesentlich gesteigerten Vorbringens im Hinblick auf Folterbehauptungen" - nicht das Vorliegen einer Traumatisierung ergeben habe. Die Folterbehauptungen stünden in einem - näher begründeten - eklatanten Widerspruch zu den bei der Ersteinvernahme getätigten Angaben des Beschwerdeführers. Es erscheine wahrscheinlich, dass er das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung im Zulassungsverfahren durch die Behauptung von Folter in seinem Sinne - also in Bezug auf das Vorliegen einer Traumatisierung - zu beeinflussen versucht habe. Somit erübrige sich aber auch die Einholung des beantragten psychologischen Gutachtens, da ohnedies ein solches Gutachten eingeholt worden sei, Mängel in diesem nicht erkennbar seien und der Beschwerdeführer bei der Ersteinvernahme Folterungen nicht behauptet habe.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, die Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens gemäß § 24b Abs. 1 AsylG (und damit für die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung durch Österreich) seien im vorliegenden Fall nicht gegeben.

2. Gemäß § 24b Abs. 1 AsylG ist das Asylverfahren zuzulassen, wenn sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Auslegung dieser Gesetzesstelle in jüngster Zeit in mehreren Erkenntnissen Stellung genommen, auf deren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird (zur Interpretation der Vorschrift im Allgemeinen vgl. insbesondere die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zlen. 2006/19/0442 und 2006/19/0919).

3. Gestützt auf diese Rechtsgrundsätze ist fallbezogen festzuhalten, dass der belangten Behörde (entgegen ihrer Ansicht) zwar kein Gutachten, wohl aber ein ärztlicher Befund vom 11. Juli 2005 vorlag, der beim Beschwerdeführer aus damaliger Sicht "keine direkten Hinweise auf Traumatisierung" diagnostizierte. Allerdings hätte das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers am 2. September 2005, er sei derzeit in psychologischer Behandlung in Wien, verbunden mit den von ihm vorgelegten (auch die Verschreibung eines Antidepressivums betreffenden) Unterlagen die Asylbehörden aufgrund ihrer Verpflichtung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts dazu veranlassen müssen, diese neuen Fakten einer fachkundigen Beurteilung unterziehen zu lassen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0433 bis 0436). Da weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde diese notwendigen Ermittlungsschritte setzte, kann der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. Juni 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190018.X00

Im RIS seit

27.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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