TE OGH 2004/7/27 10ObS103/04a

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2004
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Loibl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hannelore P*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Friedl & Holler Rechtsanwalt-Partnerschaft in Gamlitz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. März 2004, GZ 8 Rs 10/04h-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. September 2003, GZ 22 Cgs 141/02v-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.Die Revision wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die war im März 2002 als Sportartikelverkäuferin in Saalbach beschäftigt, wo sie bei freier Station in einem Personalhaus untergebracht war, das sich ca 500 m von der Arbeitsstätte entfernt befindet. Beim Personalhaus befindet sich keine Müllentsorgungsmöglichkeit. Seitens der Arbeitgeberin wurde der Klägerin unter Hinweis auf die für das Diensthaus bestehende Hausordnung untersagt, den Müll beim Personalhaus zu entsorgen. Die Arbeitnehmer werden jeweils am Saisonbeginn darauf hingewiesen, dass der Müll an der Arbeitsstätte im Sporthaus zu entsorgen ist.

Um Unfalltag (26. 3. 2002) hatte die Klägerin eine Mittagspause von 12.00 bis 14.00 Uhr und begab sich vor 14.00 Uhr unter Mitführung ihres im Personalhaus angesammelten Mülls zu ihrer Arbeitsstätte. Um den Müll zu entsorgen, passierte sie zunächst den Haupteingang des Geschäfts (durch den allein sie jeweils das Geschäft zum Arbeitsantritt betrat) und begab sich zu den hinter dem Haus befindlichen Müllcontainern. Auf dem Weg zu den Müllcontainern ist die Klägerin auf einer Stufe ausgerutscht. Der Weg gehört ausschließlich zum Geschäftsbereich und ist kein öffentlicher Weg. Die Müllcontainer werden auch für den Geschäftsmüll verwendet; bei der Entsorgung von Geschäftsmüll wird der gleiche Weg verwendet, den die Klägerin gegangen ist.

Bei dem Sturz erlitt die Klägerin eine bimalleoläre Fraktur (Außen/Innenknöchelfraktur) mit Abbruch eines hinteren Biegungskeils mit Gelenksbeteiligung vom Schienbein. Aus medizinischer Sicht beträgt die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin ab 25. 9. 2002 20 vH für ein Jahr; für den Zeitraum eines stationären Aufenthalts von 18. 12. 2002 bis 23. 12. 2002 liegt die Minderung der Erwerbsfähigkeit aus medizinischer Sicht bei 100 vH.

Mit Bescheid vom 30. 7. 2002 sprach die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall vom 26. 3. 2002 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde, weil er sich bei einer im privaten Interesse unternommenen Tätigkeit ereignet habe. Ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG wurde verneint.Mit Bescheid vom 30. 7. 2002 sprach die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall vom 26. 3. 2002 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde, weil er sich bei einer im privaten Interesse unternommenen Tätigkeit ereignet habe. Ein Anspruch auf Leistungen gemäß Paragraph 173, ASVG wurde verneint.

Das Erstgericht sprach der Klägerin - ohne nähere Angaben zum Unfall selbst - eine Versehrtenrente zu. Die Klägerin habe über ausdrückliche Weisung der Arbeitgeberin ihren Müll hinter dem Geschäftslokal entsorgt. Sie habe sich zudem auf dem für sie kürzestmöglichen Weg zwischen der Dienstwohnung und ihrem Arbeitsplatz befunden und eine im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehende Tätigkeit verrichtet, nämlich die weisungsgemäße Entsorgung ihres Mülls unmittelbar vor Arbeitsantritt. Die Müllentsorgung sei keineswegs der privaten Sphäre zuzurechnen, sondern sei im Hinblick auf die Weisung der Dienstgeberin in einem zeitlichen, örtlichen und kausalen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden. Es liege keine Unterbrechung des Arbeitsweges vor, sondern eine Handlung in Erfüllung einer Dienstpflicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und sah die Rechtsrüge als berechtigt an. Der Unfall habe sich nicht auf dem direkten Weg zwischen dem Wohnhaus und der Arbeitsstätte ereignet, sondern auf einem zum Zweck der Müllentsorgung begangenen Umweg. Somit scheide ein Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG aus. Im Übrigen handle es sich bei der Entsorgung des Privatmülls zweifelsfrei um eine privatwirtschaftliche Tätigkeit, sodass zu überprüfen sei, inwieweit durch eine von der Arbeitgeberin erteilte Weisung eine an sich privatwirtschaftliche Tätigkeit zu einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung werden könne, die unter Unfallversicherungsschutz stehe. Entscheidend dafür sei, ob die vor Dienstantritt erfolgte Müllentsorgung im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden sei. Im vorliegenden Fall habe das betriebliche Interesse höchstens darin bestanden, dass die Arbeitgeberin der Klägerin im Rahmen der freien Station eine Unterkunft zur Verfügung gestellt habe, in der eine private Müllentsorgung nicht möglich gewesen sei, weshalb sie die Weisung erteilt habe, den Müll im Betrieb zu entsorgen. Bei "gemischten Tätigkeiten" bestehe aber Unfallversicherungsschutz nur dann, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt sei, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen. Davon könne jedoch im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden, weil die Entsorgung des Privatmülls immer eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit ohne arbeitsvertragliche Verpflichtung bleibe. Der Arbeitgeber habe es nicht in der Hand, den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz durch Weisungen für die Freizeit des Arbeitnehmers ohne Bestehen einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten. Daraus folge, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit der Klägerin und ihrer Verletzung durch den Sturz nicht angenommen werden könne und ein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bestehe.Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und sah die Rechtsrüge als berechtigt an. Der Unfall habe sich nicht auf dem direkten Weg zwischen dem Wohnhaus und der Arbeitsstätte ereignet, sondern auf einem zum Zweck der Müllentsorgung begangenen Umweg. Somit scheide ein Arbeitsunfall gemäß Paragraph 175, Absatz 2, Ziffer eins, ASVG aus. Im Übrigen handle es sich bei der Entsorgung des Privatmülls zweifelsfrei um eine privatwirtschaftliche Tätigkeit, sodass zu überprüfen sei, inwieweit durch eine von der Arbeitgeberin erteilte Weisung eine an sich privatwirtschaftliche Tätigkeit zu einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung werden könne, die unter Unfallversicherungsschutz stehe. Entscheidend dafür sei, ob die vor Dienstantritt erfolgte Müllentsorgung im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden sei. Im vorliegenden Fall habe das betriebliche Interesse höchstens darin bestanden, dass die Arbeitgeberin der Klägerin im Rahmen der freien Station eine Unterkunft zur Verfügung gestellt habe, in der eine private Müllentsorgung nicht möglich gewesen sei, weshalb sie die Weisung erteilt habe, den Müll im Betrieb zu entsorgen. Bei "gemischten Tätigkeiten" bestehe aber Unfallversicherungsschutz nur dann, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt sei, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen. Davon könne jedoch im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden, weil die Entsorgung des Privatmülls immer eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit ohne arbeitsvertragliche Verpflichtung bleibe. Der Arbeitgeber habe es nicht in der Hand, den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz durch Weisungen für die Freizeit des Arbeitnehmers ohne Bestehen einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten. Daraus folge, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit der Klägerin und ihrer Verletzung durch den Sturz nicht angenommen werden könne und ein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bestehe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Weisung der Dienstgeberin nur wenige Einzelfallentscheidungen des Obersten Gerichtshofs vorlägen, die zu einer klaren Abgrenzung nicht hinreichten.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache zurückzuverweisen. Hilfsweise wird der Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, da eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu ersehen ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur zu dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden "eigenwirtschaftlichen" Verrichtungen. Für Verrichtungen, die sowohl im privaten als auch im betrieblichen Interesse liegen (sogenannte gemischte Tätigkeiten), besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (RIS-Justiz RS0084271). Treten hingegen bei der Tätigkeit die betrieblichen gegenüber den privaten Interessen erheblich in den Hintergrund, dann ist der Unfall kein Arbeitsunfall (SSV-NF 6/94 mwN ua). Grundsätzlich ist die Müllentsorgung als eine im persönlichen Interesse stehende "eigenwirtschaftliche" Betätigung zu werten, die ganz allgemein nicht von der Unfallversicherung geschützt wird. Auch im vorliegenden Fall erfolgte sie nicht im Rahmen der Arbeitstätigkeit der Klägerin im Sportgeschäft, sondern aufgrund des Umstands, dass bei ihr Privatmüll angefallen war. Selbst wenn die Arbeitgeberin angeordnet hatte, dass - aus welchen Motiven immer - die Entsorgung des Privatmülls in die betrieblichen Müllcontainer zu erfolgen hat, ist die Müllentsorgung an dem konkreten Ort letztlich Ausfluss des Umstands, dass die Klägerin in einem Haus Wohnung genommen hatte und dieses nicht über eine adäquate Möglichkeit der Müllentsorgung verfügte; ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht nicht. Es wäre der Klägerin auch freigestanden, den Müll irgendwo anders (natürlich unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften) zu entsorgen, da kein Interesse des Arbeitgebers angenommen werden kann, dass die Entsorgung von Privatmüll gerade im betrieblichen Müllcontainer erfolgt.Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, da eine erhebliche Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO nicht zu ersehen ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur zu dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden "eigenwirtschaftlichen" Verrichtungen. Für Verrichtungen, die sowohl im privaten als auch im betrieblichen Interesse liegen (sogenannte gemischte Tätigkeiten), besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (RIS-Justiz RS0084271). Treten hingegen bei der Tätigkeit die betrieblichen gegenüber den privaten Interessen erheblich in den Hintergrund, dann ist der Unfall kein Arbeitsunfall (SSV-NF 6/94 mwN ua). Grundsätzlich ist die Müllentsorgung als eine im persönlichen Interesse stehende "eigenwirtschaftliche" Betätigung zu werten, die ganz allgemein nicht von der Unfallversicherung geschützt wird. Auch im vorliegenden Fall erfolgte sie nicht im Rahmen der Arbeitstätigkeit der Klägerin im Sportgeschäft, sondern aufgrund des Umstands, dass bei ihr Privatmüll angefallen war. Selbst wenn die Arbeitgeberin angeordnet hatte, dass - aus welchen Motiven immer - die Entsorgung des Privatmülls in die betrieblichen Müllcontainer zu erfolgen hat, ist die Müllentsorgung an dem konkreten Ort letztlich Ausfluss des Umstands, dass die Klägerin in einem Haus Wohnung genommen hatte und dieses nicht über eine adäquate Möglichkeit der Müllentsorgung verfügte; ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht nicht. Es wäre der Klägerin auch freigestanden, den Müll irgendwo anders (natürlich unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften) zu entsorgen, da kein Interesse des Arbeitgebers angenommen werden kann, dass die Entsorgung von Privatmüll gerade im betrieblichen Müllcontainer erfolgt.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E74275

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:010OBS00103.04A.0727.000

Im RIS seit

26.08.2004

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten