Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §16;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger sowie die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der A-GmbH in T, vertreten durch Dr. Martin Eisenberger, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Bahnhofgürtel 59/7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 13. Juni 2006, Zl. FA13A- 38.40-78/06-9, betreffend einen Abfallbehandlungsauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende Alt- und Kunststoffrecycling-Gesellschaft benützte das Grundstück Nr. 1346 (EZ 1443, KG T) aufgrund eines mit dem Eigentümer am 15. August 2001 geschlossenen Mietvertrages als Teil ihres Betriebsgeländes. Auf diesem Grundstück sind im abgesetzten Bereich einer Trockenbaggerung (einer ehemaligen Schottergrube) Altreifen und Altreifenschnitzel (großteils zerkleinerte Reifen) in loser Schüttung auf unbefestigtem Wiesengrund abgelagert.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L (BH) vom 30. Jänner 2006 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 1 Z 1 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 - AWG 2002 aufgetragen, die auf dem genannten Grundstück abgelagerten Altreifen und Altreifenschnitzel in einer Gesamtmenge von rund 640 Tonnen zu entfernen, einem befugten Abfallsammler oder Abfallverwerter (für Abfallcode 16 01 03 - Altreifen gemäß Anlage 2 der Abfallnachweisverordnung (gemeint: Abfallverzeichnisverordnung) BGBl. II Nr. 570/2003) zu übergeben und bis längstens 31. März 2006 die vollständige Übergabe der BH nachzuweisen. Dieser Entscheidung lag die - auf das Gutachten eines Amtssachverständigen für Abfall- und Stoffflusswirtschaft gestützte - Beurteilung zugrunde, bei den gegenständlichen Altreifen und Altreifenschnitzeln handle es sich um "Abfall" im Sinne des § 2 AWG 2002.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Landeshauptmann der Steiermark (die belangte Behörde) mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 13. Juni 2006 als unbegründet ab.
Zu dem - einzigen - Berufungseinwand, im vorliegenden Fall sei nicht das AWG 2002, sondern noch das AWG 1990 anzuwenden und danach wären die gegenständlichen Altreifen und Altreifenschnitzel nicht als "Abfall" zu qualifizieren, stellte die belangte Behörde fest, im Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 27. Dezember 2005 sei auf die Bestimmung des § 73 AWG 2002 hingewiesen und der Beschwerdeführerin vor Erlassung eines allfälligen Behandlungsauftrages eine Stellungnahmefrist eingeräumt worden. Erst mit diesem Verwaltungshandeln sei klar zum Ausdruck gekommen, dass die BH beabsichtige, einen abfallrechtlichen Behandlungsauftrag zu erlassen. Der BH seien die gegenständlichen Ablagerungen zwar schon vor dem 27. Dezember 2005 zur Kenntnis gelangt, doch seien diese nicht Gegenstand eines abfallrechtlichen sondern eines wasserrechtlichen Verwaltungsverfahrens gewesen. Die Einleitung des abfallrechtlichen Verfahrens sei mit dem genannten Schreiben erfolgt und daraus ergebe sich auch der Zeitpunkt der Anhängigkeit des gegenständlichen Verfahrens. Demzufolge sei - unter Bedachtnahme auf die Übergangsbestimmung des § 77 Abs. 3 Z 4 AWG 2002, wonach nur die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AWG 2002 anhängigen Verfahren (u.a.) gemäß § 32 AWG 1990 betreffend Behandlungsaufträge nach den Vorschriften des AWG 1990 abzuschließen seien - im vorliegenden Fall das AWG 2002 anzuwenden.
Die inhaltliche Richtigkeit des Sachverständigengutachtens sei in der Berufung nicht in Frage gestellt worden und stehe auch für die belangte Behörde außer Zweifel. Da das abgelagerte Material (Altreifen und Altreifenschnitzel) als "Abfall" einzustufen und es nicht gemäß § 15 Abs. 3 AWG 2002 in einer hiefür genehmigten Anlage (einem dafür vorgesehenen geeigneten Ort oder einer genehmigten Deponie) abgelagert sei, lägen die Voraussetzungen für die Erlassung eines abfallpolizeilichen Behandlungsauftrages gemäß § 73 AWG 2002 vor, sodass der Beschwerdeführerin die erforderlichen Maßnahmen aufzutragen gewesen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 73 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 hat die Behörde dem Verpflichteten die erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Untersagung des rechtswidrigen Handelns, mit Bescheid aufzutragen, wenn Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen gesammelt, gelagert oder behandelt werden. Abfälle dürfen nach § 15 Abs. 3 AWG 2002 außerhalb von hiefür genehmigten Anlagen oder für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden. Eine Ablagerung von Abfällen darf nur in hiefür genehmigten Deponien erfolgen.
Das AWG 2002 ist am 2. November 2002 in Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung des § 77 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 sind zu diesem Zeitpunkt anhängige Verfahren (u.a.) betreffend Behandlungsaufträge (§ 32 AWG 1990) nach den Vorschriften des AWG 1990 abzuschließen.
Die Beschwerde kritisiert - wie schon die Berufung - die Beurteilung der Voraussetzungen für den gegenständlichen Beseitigungsauftrag nach den Bestimmungen des AWG 2002. Ihrer Ansicht nach sei das gegenständliche Verfahren bereits vor dessen Inkrafttreten anhängig gewesen und nach der Übergangsregelung des § 77 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 in Anwendung der Bestimmungen des AWG 1990 abzuschließen. Ein Verfahren gelte nämlich jedenfalls dann als von Amts wegen eingeleitet, wenn die Behörde dies nach außen gegenüber dem Verpflichteten erkennen lasse. Entgegen der Meinung der belangten Behörde sei nicht erst im Dezember 2005, sondern bereits am 4. Juni 2002, also vor dem Inkrafttreten des AWG 2002, ein Verfahrensschritt zur Einleitung des "Auftragsverfahrens" durch die beim Ortsaugenschein an diesem Tag ausgesprochene Androhung, die Räumung zu verfügen, gesetzt worden. Ein Ortsaugenschein, welcher der Behörde dazu diene, zu erläutern, wie die Altreifen am schnellsten vom Grundstück entfernt werden könnten, und bei dem die Zwangsräumung angedroht werde, gelte als erste Verfahrenshandlung, aus der sich zweifelsfrei erkennen lasse, dass ein bestimmtes Verwaltungsverfahren eingeleitet worden sei.
Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin steht nur zum Teil im Einklang mit der Aktenlage. Im Zuge eines das gegenständliche Grundstück betreffenden wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens wurde von der Berufungsbehörde am 3. April 2002 auf dem Betriebsgelände der Beschwerdeführerin eine Kontrolle hinsichtlich allfälliger wasserpolizeilicher Missstände durchgeführt und deren Ergebnis mit Schreiben vom 5. April 2002 der BH mitgeteilt. Darin finden die gegenständlichen Reifenablagerungen noch keine Erwähnung. In der Folge beraumte die BH unter Bezugnahme auf Bestimmungen des WRG 1959 für den 4. Juni 2002 unter gleichzeitiger Ladung eines wasserbautechnischen Amtssachverständigen eine Verhandlung an Ort und Stelle an. In der Kundmachung des Termines wurde zum Verhandlungsgegenstand ausgeführt, dass die Gewässeraufsicht am Betriebsgelände der Beschwerdeführerin unzulässige Ablagerungen festgestellt habe. Außerdem seien auf dem Grundstück Nr. 1346 ohne wasserrechtliche Bewilligung große Mengen von Reifen gelagert. Die Verhandlungsschrift über den Ortsaugenschein am 4. Juni 2002 wurde mit dem Hinweis auf die erwähnte Feststellung wasserpolizeilicher Missstände eingeleitet und in diesem Zusammenhang auf das genannte Schreiben vom 5. April 2002 verwiesen. Nach dem Protokollsinhalt wurden dann die aufgezeigten unzulässigen Ablagerungen auf dem Betriebsgelände beschrieben und erst danach wurde "im Zuge des durchgeführten Ortsaugenscheines" auch das Grundstück Nr. 1346 besichtigt. Dazu wurde festgestellt, dass dort "nach wie vor ohne wasserrechtliche Bewilligung" große Mengen von Reifen gelagert werden. Der Vertreter der Beschwerdeführerin habe sich bereit erklärt, die Anlieferung weiterer Altreifen zu unterlassen und binnen der nächsten drei bis fünf Monate die "derzeit am Lagerplatz lagernden Reifen abzubauen", das Gelände bis spätestens Jahresende dem Eigentümer zurückzugeben und den Bestandvertrag aufzulösen.
Entgegen der Darstellung in der Beschwerde ist der Verhandlungsschrift nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführerin damals die "Zwangsräumung" angedroht worden sei. Vielmehr war dies von der BH offenbar im Vertrauen auf die Erklärungen des Vertreters der Beschwerdeführerin über die alsbaldige Räumung damals nicht für notwendig erachtet worden. Im Übrigen ergibt sich aus der wiedergegebenen Aktenlage eindeutig, dass die BH in ihrer Eigenschaft als Wasserrechtsbehörde tätig geworden war. Es sind keine Anhaltspunkte dafür zu finden, die bei dieser Verhandlung gesetzten Schritte stünden in einem Zusammenhang mit einem abfallwirtschaftsrechtlichen Verfahren (zur Erlassung eines Behandlungsauftrages).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es noch nicht, dass die Behörde von einem sie zum amtswegigen Einschreiten verpflichtenden Sachverhalt Kenntnis erlangt, damit ein Verfahren "anhängig" ist. Vielmehr ist dafür erforderlich, dass die Behörde aufgrund der ihr zugekommenen Kenntnis Verfahrensschritte setzt, aus denen zweifelsfrei erkennbar ist, ein bestimmtes Verwaltungsverfahren sei von Amts wegen eingeleitet worden. Da hiefür kein bestimmter Verfahrensakt vorgeschrieben ist - von dem in einzelnen Gesetzen vorgesehenen Akt der Einleitung eines Verfahrens in Bescheidform abgesehen -, bedarf es, sofern die Tatsache der amtswegigen Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nicht nach außen bekannt gegeben worden ist, jedenfalls eines von der Behörde intern eindeutig gesetzten Verwaltungshandelns, aus dem sich klar die Einleitung eines bestimmten Verfahrens ergibt (vgl. das Erkenntnis vom 24. März 1998, Zl. 97/05/0258, und mehrere daran anschließende Entscheidungen). Am Maßstab dieser Judikatur kann - entgegen der Beschwerdeansicht - nicht gesagt werden, das gegenständliche Verfahren sei anlässlich des Ortsaugenscheines am 4. Juni 2002 eingeleitet worden. Dass sich aus anderen Verfahrensschritten vor dem Inkrafttreten des AWG 2002 am 2. November 2002 eine solche Verfahrenseinleitung ergeben könnte, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt; auch die Aktenlage liefert dafür keine konkreten Hinweise.
Demzufolge hat die belangte Behörde zu Recht die Anwendung der Übergangsvorschrift des § 77 Abs. 1 Z 4 AWG 2002 nicht in Betracht gezogen und auf die vorliegende Konstellation zutreffend das AWG 2002 angewendet. Angesichts dessen geht der in der Beschwerde neuerlich vorgetragene Einwand, es sei verfehlt, die Qualifikation der abgelagerten Altreifen(teile) als "Abfall" auf Basis der Bestimmungen des AWG 2002 vorzunehmen, ins Leere. Der auf der fachlichen Beurteilung des Amtssachverständigen, deren inhaltliche Richtigkeit im Verwaltungsverfahren nicht bestritten worden war, gegründeten rechtlichen Einschätzung, es handle sich um "Abfall" im Sinne des § 2 AWG 2002, wird in der Beschwerde nicht entgegen getreten. Soweit erstmals die Ausführungen des Amtssachverständigen in Bezug auf die bei längerer Lagerung der Altreifen(teile) befürchteten Beeinträchtigungen der Umwelt (Gefahr für die natürlichen Lebensbedingungen von Tieren oder Pflanzen) für ungenügend erachtet werden, wird damit keine Unschlüssigkeit des Gutachtens dargetan. Vielmehr hat der Sachverständige im Zusammenhang mit der ins Einzelne gehenden Darstellung der stofflichen und chemischen Zusammensetzung der abgelagerten Reifen ausreichend nachvollziehbar begründet, dass die angesprochene Gefahr angesichts der Lagerung auf unbefestigtem Grund (Wiesenfläche) im Freien bestehe, weil vor allem aus den zerkleinerten Altreifen Schadstoffe abgeschwemmt werden und auch ausdünsten können. Dem ist die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht entgegen getreten, sodass für die belangte Behörde kein Anlass bestehen musste, zu dieser Frage eine Gutachtensergänzung in Betracht zu ziehen. Die in diese Richtung gehende Rüge in der Beschwerde kann daher nicht erfolgreich sein.
Schließlich bringt die Beschwerde vor, es handle sich um eine "Zwischenlagerung", bei der es völlig ausgereicht hätte, der Beschwerdeführerin aufzutragen, das "Zwischenlager" so abzusichern, dass es keine direkte Gefahr für spielende Kinder darstelle, und für eine Verwertung innerhalb von drei Jahren ab dem 1. Jänner 2006 zu sorgen.
Dem ist zu entgegnen, dass die Behauptung, die Reifen würden nur zwischengelagert, eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung darstellt. Im gegenständlichen Verwaltungsverfahren hatte die Beschwerdeführerin diesen Standpunkt noch nicht eingenommen, sondern vielmehr nur die Abfalleigenschaft des abgelagerten Materials nach dem (ihrer Ansicht nach anzuwendenden AWG 1990) bestritten. Es bedurfte daher - anders als die Beschwerde meint - auch keiner ergänzenden Feststellungen des Amtssachverständigen, ob das Grundstück als Zwischenlagerfläche für Altreifen geeignet wäre. Im Übrigen hätte die Beschwerdeführerin seit der Erklärung ihres Vertreters Anfang Juni 2002, das gegenständliche Grundstück bis zum Jahresende zu räumen, genügend Zeit gehabt, die "Zwischenlagerung" zu beenden. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der gegenständliche Behandlungsauftrag - wie es in der Beschwerde heißt - "überzogen" und "unnotwendig" wäre.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. Juni 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006070096.X00Im RIS seit
23.07.2007