TE Vwgh Beschluss 2007/6/21 2007/15/0118

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Veröffentlicht am 21.06.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kinsky, über den Antrag der Gemeinde S, vertreten durch die Kommunalconsult Wirtschaftstreuhand und Steuerberatungs GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 34, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Mängelbehebung im hg.  Beschwerdeverfahren Zl. 2006/15/0294 gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 8. August 2006, GZ. RV/0524-G/05, betreffend Umsatzsteuer 2004, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Begründung

Die Urschrift der unter Zl. 2006/15/0294 protokollierten Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 8. August 2006, Zl. RV/0524-G/05, betreffend Umsatzsteuer 2004, wurde der Beschwerdeführerin mit hg. Verfügung vom 21. Dezember 2006 mit dem Auftrag zur Mängelbehebung innerhalb einer Frist von drei Wochen zurückgestellt. Der Beschwerdeführerin wurde aufgetragen, gemäß § 28 Abs. 5 VwGG der Beschwerde eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen.

Innerhalb der gesetzten Frist brachte die Beschwerdeführerin einen Schriftsatz ein, mit welchem sie die Kopie des Bescheides des Finanzamtes vom 18. Juli 2005 betreffend Umsatzsteuer 2004 vorlegte. Damit wurde der Mangel nicht behoben.

Infolge der Unterlassung der Mängelbehebung galt die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG als zurückgezogen. Der Verwaltungsgerichtshof stellte daher das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 29. März 2007 ein.

In der vorliegenden Eingabe beantragt die Einschreiterin (Beschwerdeführerin) gemäß § 46 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie führt aus, dass die Kanzleiorganisation ihrer Parteienvertreterin für Schriftstücke, welche die Kanzlei verlassen, ein "ausgeklügeltes" Überwachungs- und Kontrollsystem vorsehe. Schriftstücke der zuständigen Teammitarbeiter (Berufsanwärter, Buchhalterinnen und Sekretärinnen) würden einer doppelten Qualitätskontrolle unterliegen. Die Schreiben würden vom zuständigen Teamleiter (Steuerberater) auf ihre inhaltliche Richtigkeit geprüft. Etwaige Anlagen würden auf ihre Vollständigkeit überprüft werden. Im Sinne des so genannten Vier-Augen-Prinzips müsse das betreffende Schriftstück inklusive Anlagen nach der Erstkontrolle des zuständigen Steuerberaters auch noch vom hauptverantwortlichen Partner kontrolliert werden. Erst wenn durch diesen eine Freigabe erfolgt sei, werde das Schriftstück mitsamt den Anlagen zum Versand in die Postausgangsstelle weitergeleitet. Dieses Kontroll- und Überwachungssystem habe sich über Jahre als effizient erwiesen.

Die Einschreiterin brachte zum Sachverhalt vor, dass die Nichtübermittlung des im Mängelbehebungsauftrag urgierten letztinstanzlichen Bescheides (angefochtener Bescheid) auf Abstimmungsfehler zweier Sekretärinnen zurückgehe. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände sei das Fehlverhalten auch nicht im Zuge der Qualitätskontrolle entdeckt und rechtzeitig behoben worden.

Die Parteienvertreterin habe nicht nur den mit dem Mängelbehebungsauftrag angeforderten, angefochtenen Bescheid, sondern darüber hinaus auch den zuvor ergangenen erstinstanzlichen Bescheid dem Verwaltungsgerichtshof übermitteln wollen. Die verantwortliche Steuerberaterin habe daher sowohl den erstinstanzlichen als auch den letztinstanzlichen Bescheid kopiert. Die Bescheidkopien seien von der Steuerberaterin einzeln geheftet und zusätzlich mit einer Büroklammer zusammen geheftet worden. Diese Kopien seien der zuständigen Teamsekretärin mit dem Auftrag übergeben worden, dazu ein entsprechendes Vorlageschreiben zu verfassen. Die Sekretärin sei davon ausgegangen, dass es sich bei den Kopien lediglich um einen einzigen Bescheid handle. Sie habe daher beim Verfassen des Begleitschreibens nur den oben liegenden erstinstanzlichen Bescheid als Anlage angeführt und das Schreiben zu den Bescheidkopien geheftet. Das Vorlageschreiben habe aus zwei Seiten bestanden, wobei die erste Seite Angaben hinsichtlich der Beschwerdeführerin, ihres Vertreters, der belangten Behörde, der Art des Begehrens u.dgl. enthalten, während die zweite Seite einen Vermerk bezüglich der übermittelten Anlagen und das Datum enthalten habe.

Nach Fertigstellung des Schreibens sei dieses (obenliegend) zusammen mit den Kopien der Steuerberaterin zur Qualitätskontrolle vorgelegt worden. Bei der inhaltlichen Kontrolle des Begleitschreibens habe das Hauptaugenmerk der Steuerberaterin auf der Kontrolle der Richtigkeit der Angaben auf der ersten Seite des Schriftsatzes gelegen. Die Steuerberaterin habe übersehen, dass im Schreiben auf Seite zwei nur die Übermittlung der Kopie des erstinstanzlichen Bescheides, nicht aber auch jene des letztinstanzlichen Bescheides angeführt war. Der Fehler sei der Steuerberaterin nicht aufgefallen, weil dem Schreiben beide Bescheide in Kopie beigelegt worden seien und sie ihre Unterschrift auf die erste Seite des Begleitschreibens gesetzt habe.

Im Anschluss an die Erstkontrolle sei das Schreiben samt Anlagen dem hauptverantwortlichen Partner Dr. P zur Endkontrolle und Freigabe vorgelegt worden. Auch er habe bei der Überprüfung sein Hauptaugenmerk auf die erste Seite des Schriftsatzes gelegt. Der Schriftsatz sei von ihm auf der ersten Seite unterfertigt worden, weshalb der Mangel auf Seite 2 übersehen worden sei. Nach dessen Freigabe sei das Konvolut bestehend aus dem Schriftsatz und den Anlagen vom zuständigen Partner seiner persönlichen Sekretärin mit dem Auftrag ausgehändigt worden, das Schriftstück mit den Anlagen der Postausgangsstelle zur Versendung zukommen zu lassen. Die betreffende Sekretärin habe fälschlicherweise nur den erstinstanzlichen Bescheid als mitzuversendende Anlage erachtet, da der letztinstanzliche Bescheid nicht im Schreiben angeführt war. Daher habe sie die Büroklammer und die Kopien des letztinstanzlichen Bescheides entfernt. Daher sei der Schriftsatz bloß mit den Kopien des erstinstanzlichen Bescheides versendet worden.

In der Begründung führte die Einschreiterin aus, dass die Mängelbehebungsfrist auf Grund des Fehlverhaltens zweier Kanzleimitarbeiterinnen der Parteienvertreterin verursacht worden sei. Die mit der Qualitätskontrolle beauftragten Steuerberater hätten nicht damit rechnen können, dass die Kopien vor Versendung fälschlicherweise entfernt werden würden. Es liege im gegenständlichen Fall im Übersehen ein entschuldbarer Flüchtigkeitsfehler der Parteienvertreterin vor. Bei den beiden betroffenen Sekretärinnen handle es sich um verlässliche Kanzleimitarbeiterinnen. Auf Grund deren Fehlverhaltens könne nicht auf ein grobes Auswahlverschulden der Parteienvertreterin geschlossen werden.

Mit der doppelten Qualitätskontrolle habe die Parteienvertreterin ihre Überwachungspflicht erfüllt. Es liege daher kein Mangel in der Kanzleiorganisation vor. Die Organisation des Kanzleibetriebes und die internen Kontrollmechanismen würden den verlangten Anforderungen und Kriterien entsprechen.

§ 46 Abs 1 VwGG lautet:

"Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumnis, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne der §§ 1324, 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, dh die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, 90/15/0134). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumnis dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten.

Ein Parteienvertreter hat einen Schriftsatz, den er unterfertigt, zu lesen. Die inhaltliche Kontrolle eines nach Diktat oder auf Grundlage eines Konzeptes verfassten Schriftsatzes gehört zu den zumutbaren und gebotenen Überwachungspflichten des berufsmäßigen Parteienvertreters. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass es ein nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizierendes Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters bedeutet, wenn dieser einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen und dadurch Mängel des Schriftsatzes unbemerkt bleiben (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 8. Dezember 1990, 90/15/0134).

Die inhaltliche Kontrollpflicht vor Unterfertigung hat umso mehr zu gelten, wenn der Parteienvertreter den Schriftsatz nicht selbst diktiert, sondern den Schriftsatz überhaupt von einer Sekretärin formulieren und schreiben lässt. Vorliegend wurden die Schriftstücke von der Parteienvertreterin dem Sekretariat mit dem Auftrag übergeben, "ein entsprechendes Vorlageschreiben" zu verfassen. Es ist ein nicht mehr als leichte Fahrlässigkeit zu qualifizierendes Verschulden gegeben, wenn der Parteienvertreter den vom Sekretariat verfassten Schriftsatz nicht auf inhaltliche Richtigkeit entsprechend kontrolliert. Die Parteienvertreterin führt selbst aus, dass die zweite Seite des Schriftsatzes - und damit inhaltlich das Wesentliche desselben - weder von der bearbeitenden Steuerberaterin noch vom kontrollierenden Partner mit der erforderlichen Aufmerksamkeit gelesen wurde. Die Eingabe wurde jedoch von beiden unterfertigt.

Das Entfernen des letztinstanzlichen Bescheides durch die zweite Sekretärin ist Folge dessen, dass er im "Vorlageschreiben" nicht als Beilage genannt wird und für den gegenständlichen Fall ohne weitere Bedeutung.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war somit - im Hinblick darauf, dass nicht ein minderer Grad des Versehens vorliegt - der Erfolg zu versagen. Dieser war gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 21. Juni 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007150118.X00

Im RIS seit

17.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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