TE Vwgh Erkenntnis 2007/6/21 2006/10/0032

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Veröffentlicht am 21.06.2007
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Index

L92203 Pflegegeld Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;

Norm

PGG NÖ 1993 §1 Abs1;
PGG NÖ 1993 §1;
PGG NÖ 1993 §3 Abs3 Z2;
PGG NÖ 1993 §3 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der BB in G, vertreten durch DDr. Christa Fries, Rechtsanwältin in 2500 Baden, Erzherzog Rainer-Ring 23, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. September 2005, Zl. GS5-SH-7650/001-2005, betreffend Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Gewährung von Pflegegeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. September 2005 wurde dem Antrag der beschwerdeführenden Partei, ihr den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld nachzusehen, keine Folge gegeben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die (am 19. Mai 1920 geborene) beschwerdeführende Partei sei Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Sie sei seit 10. Dezember 2001 in Österreich gemeldet und besitze eine befristete Niederlassungsbewilligung bis Mai 2006. Sie lebe im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tochter R., welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Die beschwerdeführende Partei beziehe eine Witwenpension aus ihrem Heimatland in Höhe von ca. EUR 42,-- monatlich; ihre Tochter R. beziehe ein monatliches Einkommen von ca. EUR 1.156,93. Ihre weitere Tochter P. sei ebenfalls für sie unterhaltspflichtig und zwar mit einer monatlichen Leistung von EUR 200,--. Vom Amtssachverständigen der Bezirkshauptmannschaft Baden sei bei der amtsärztlichen Untersuchung am 8. Juni 2005 ein Pflegebedarf von insgesamt 117 Stunden monatlich, resultierend aus Betreuungsmaßnahmen (bei der Zubereitung von Mahlzeiten, der Einnahme von Medikamenten, und bei Verrichten der Notdurft) und ständiger Hilfe (Herbeischaffung von Nahrungsmitteln etc., Reinigung der Wohnung etc., Pflege der Leib- und Bettwäsche, Beheizung etc. und Mobilitätshilfe im weiteren Sinn), festgestellt worden. Ein Großteil dieser Tätigkeiten sei im Rahmen der Wohngemeinschaft bei der täglichen Haushaltsführung durch die Tochter R. miterledigbar. Diese Tätigkeiten seien zwar mit einem Mehraufwand verbunden, allerdings nicht mit einem Aufwand, der eine soziale Härte begründen würde. So müssten etwa beim Einkauf für die Familie Lebensmittel für eine weitere Person mit berücksichtigt und zubereitet, die Wohnung aber ohnehin gereinigt werden. Unterstützung bei der Pflege und Betreuung durch fachlich qualifiziertes Pflegepersonal sei jedenfalls in keiner Weise notwendig, Pflege- und Betreuungsleistungen müssten daher nicht zugekauft werden. Der notwendige Pflegebedarf, wie er vom medizinischen Amtssachverständigen festgestellt worden sei, erreiche mit Stufe 2 kein Ausmaß, das eine soziale Härte begründen würde. Im Übrigen lebe die beschwerdeführende Partei erst seit Dezember 2001 in Österreich und besitze lediglich eine befristete Aufenthaltsbewilligung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 NÖ Pflegegeldgesetz 1993, LGBl. 9220-7 (NÖ PGG), hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Menschen so weit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 NÖ PGG haben österreichische Staatsbürger Anspruch auf Pflegegeld, sofern dieses Gesetz bestimmt, dass Hilfe zu gewähren ist.

Gemäß § 3 Abs. 4 NÖ PGG kann der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld nachgesehen werden, wenn das auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten ist und der Fremde sich rechtmäßig in Österreich aufhält.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, es liege angesichts des vergleichsweise geringen Pflegebedarfes (Stufe 2) der bei ihrer Tochter R. wohnenden und von dieser betreuten beschwerdeführenden Partei kein Fall sozialer Härte vor, der die Erteilung der Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinn des § 3 Abs. 4 NÖ PGG geboten erscheinen ließe.

Dem hält die beschwerdeführende Partei, die sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Nachsicht vom Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft verletzt erachtet entgegen, es sei dem amtsärztlichen Gutachten in keiner Weise zu entnehmen, dass der notwendige Pflegeaufwand im Rahmen der täglichen Haushaltsführung miterledigt werden könne. Vielmehr ergebe sich aus diesem Gutachten, dass im Einzelnen genannte Maßnahmen nicht im Rahmen der normalen Haushaltsführung durchzuführen seien. Dieser Aufwand sei unbedingt und zwingend notwendig. Da die beschwerdeführende Partei von ihrer Tochter R. betreut werde und diese neben einer Vollzeitbeschäftigung zusätzlich einer Beschäftigung als Hausmeister nachgehe, könne der notwendige Pflege- und Betreuungsaufwand keinesfalls in deren Familienverband miterledigt werden. Eine Unterstützung durch Dritte, vor allem durch fachlich qualifiziertes Personal, sei jedenfalls tagsüber notwendig. Die Annahme der Behörde, dass die erforderlichen Tätigkeiten im Rahmen des Familienverbandes verrichtbar seien, könne auch nicht auf die Ergebnisse des durchgeführten Verfahrens gestützt werden. Die belangte Behörde habe insbesondere nicht festgestellt, in welchem Ausmaß erforderliche Pflegestunden im Familienverband verrichtet werden könnten. Auch die Annahme der belangten Behörde, die Tochter P. sei gegenüber der beschwerdeführenden Partei mit einer monatlichen Leistung von EUR 200,-- unterhaltspflichtig, sei durch den gesamten Akteninhalt nicht gedeckt. Wäre der belangten Behörde diese Aktenwidrigkeit nicht unterlaufen, wäre sie von einem Monatseinkommen der beschwerdeführenden Partei in Höhe von lediglich EUR 42,-- ausgegangen. Aber selbst bei Annahme eines monatlichen Einkommens von EUR 242,-- liege es auf der Hand, dass mit diesem Betrag nicht einmal eine schlichte Lebensführung leistbar sei. Das Vorliegen sozialer Härte sei daher jedenfalls gegeben. Im Übrigen habe es die belangte Behörde entgegen § 3 Abs. 3 Z. 2 NÖ PGG unterlassen, Erhebungen über die tatsächliche Übung der Gegenseitigkeit im Heimatstaat der beschwerdeführenden Partei durchzuführen. Bei Durchführung derartiger Erhebungen wäre sie zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung gegeben seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich auf Grund von Bestimmungen in den Pflegegeldgesetzen anderer Bundesländer, die dem § 3 Abs. 4 NÖ PGG vergleichbar sind, bereits wiederholt mit der Frage des Vorliegens einer sozialen Härte zu beschäftigen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 14. März 2000, Zl. 99/11/0303, und vom 4. Oktober 2000, Zl. 99/11/0336). Die dort getroffenen Erwägungen sind daher auch zur Entscheidung des vorliegenden Falles heranzuziehen und unter Bedachtnahme auf den Zweck des Pflegegeldes (§ 1 NÖ PGG) eine soziale Härte im Sinn des Gesetzes dann anzunehmen, wenn der durch das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft bedingte Mangel eines Pflegegeldanspruches dazu führen würde, dass der Pflegebedürftige mangels finanzieller Deckung des Pflegemehraufwandes die erforderliche Pflege nicht oder nicht im entsprechenden Umfang erhalten könnte. Diese Beurteilung ist an Hand der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des (fremden) Anspruchswerbers vorzunehmen, wobei es entscheidend auf die Gesamtbeurteilung der erwähnten Verhältnisse ankommt.

Was den Pflegebedarf der beschwerdeführenden Partei anlangt, ist dem amtsärztlichen Gutachten vom 8. Juni 2005 ein Aufwand für Betreuungsmaßnahmen im Ausmaß von 67 Stunden monatlich (Zubereiten von Mahlzeiten (Nahrung muss vorgeschnitten werden): 30 Stunden, Verrichten der Notdurft: 30 Stunden, Einnahme von Medikamenten:

3 Stunden und Vollbad: 4 Stunden) sowie ein Aufwand für ständige Hilfe im Ausmaß von 50 Stunden monatlich (Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Bedarfsgütern des täglichen

Lebens: 10 Stunden, Reinigung der Wohnung und der persönlichen

Gebrauchsgegenstände: 10 Stunden, Pflege der Leib- und Bettwäsche:

10 Stunden, Beheizung des Wohnraumes und Herbeischaffung des Heizmaterials: 10 Stunden, Mobilitätshlilfe im weiteren Sinn:

10 Stunden) zu entnehmen. Dieser Bedarf entspricht der Pflegestufe 2 (von insgesamt 7 Pflegestufen) im Sinn des § 4 Abs. 2 NÖ PGG. Weiters heißt es im amtsärztlichen Gutachten, die notwendige Betreuung und Hilfe werde - nach Rücksprache mit der beschwerdeführenden Partei - durch ihre Familie erbracht.

Den vorgelegten Verwaltungsakten (Sozialbericht) ist weiters zu entnehmen, dass die beschwerdeführende Partei im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tochter R. lebt, die ein Einkommen in Höhe von EUR 1.156,93 monatlich bezieht. Die beschwerdeführende Partei selbst bezieht neben ihrer Witwenpension aus Bosnien in Höhe von umgerechnet EUR 42,-- monatliche Unterhaltsleistungen in Höhe von EUR 200,-- von ihrer Tochter P.

Die Beschwerde zieht das amtsärztliche Gutachten nicht in Zweifel. Soweit sie vorbringt, die Annahme einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von EUR 200,-- durch die Tochter P. sei durch die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens nicht gedeckt, ist sie auf den erwähnten Sozialbericht zu verweisen.

Der nach dem amtsärztlichen Gutachten bestehende Pflegebedarf der beschwerdeführenden Partei bewirkt - wie bereits die belangte Behörde festgestellt hat - einen Mehraufwand. Dieser führt allerdings nicht bereits für sich zur Annahme des Vorliegens sozialer Härte im Sinn des § 3 Abs. 4 NÖ PGG. Entscheidend ist in diesem Punkt vielmehr, ob mangels finanzieller Deckung dieses Aufwandes die beschwerdeführende Partei die erforderliche Pflege nicht oder nicht im entsprechenden Ausmaß erhält. Diese Frage konnte die belangte Behörde jedoch zu Recht verneinen. Die beschwerdeführende Partei erhält die erforderliche Pflege und Betreuung nämlich unbestrittenermaßen durch ihre Familie.

Umstände, die die Annahme rechtfertigen, eine ordnungsgemäße Pflege und Betreuung der beschwerdeführenden Partei erfordere eine Heranziehung Dritter, insbesondere fachlich qualifizierten Personals, ergeben sich aus dem amtsärztlichen Gutachten nicht; sie sind auch auf Grund des Beschwerdevorbringens nicht ersichtlich. Weder die Art noch das Ausmaß der notwendigen Betreuungs- und Hilfsmaßnahmen lassen eine Heranziehung Dritter geboten erscheinen. Auch der Hinweis auf die Berufstätigkeit der Tochter R. besagt nicht, dass die von dieser bisher geleistete Pflege und Betreuung in Hinkunft nicht mehr geleistet werden könne. Soweit die beschwerdeführende Partei aber auf ihr geringes monatliches Einkommen verweist, übersieht sie, dass dieses nur dann von Bedeutung wäre, wenn ihr die erforderliche Pflege mangels finanzieller Mittel versagt bliebe. Dies ist - wie dargelegt - aber nicht der Fall.

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der beschwerdeführenden Partei hat die belangte Behörde das Vorliegen eines Falles sozialer Härte im Sinn des § 3 Abs. 4 NÖ PGG somit zu Recht verneint. Soweit die Beschwerde jedoch Erhebungen vermisst, ob im Sinn des § 3 Abs. 3 Z. 2 NÖ PGG im Heimatstaat der beschwerdeführenden Partei Gegenseitigkeit gegeben sei, übersieht sie, dass es darauf im Nachsichtsverfahren nach § 3 Abs. 4 NÖ PGG nicht ankommt. Das Vorliegen von Gegenseitigkeit ist nämlich nicht Tatbestandsmerkmal gemäß § 3 Abs. 4 NÖ PGG. Mit diesem Vorbringen wird daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides behauptet, die die beschwerdeführende Partei im geltend gemachten Recht verletzen könnte.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. Juni 2007

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006100032.X00

Im RIS seit

12.07.2007

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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