TE OGH 2004/9/23 2Ob186/04y

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Veröffentlicht am 23.09.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Merton Carl Sm*****, vertreten durch Dr. Hans Werner Schmidt, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung (Streitwert EUR 10.000,--), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. April 2004, GZ 17 R 62/04v-22, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 12. Jänner 2004, GZ 25 C 1295/02k-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stellte das Feststellungsbegehren, dass der Beklagte ihm für sämtliche unfallskausalen und zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus dem Vorfall vom 15. 2. 2002 hafte. Nach einem Disput zwischen dem Kläger und der Ehefrau des Beklagten habe dieser dem Kläger einen derart kräftigen Stoß gegen die Brust versetzt, dass er rücklings über mehrere Stufen gestolpert bzw gefallen und in weiterer Folge durch eine Glastüre gestürzt sei. Der Kläger habe hierdurch schwere Verletzungen an Armen und Händen erlitten. Der Heilungsverlauf und die daraus resultierenden Schmerzperioden seien derzeit noch nicht abschätzbar. Dauer- und Spätfolgen könnten nicht ausgeschlossen werden.

Der Beklagte wendete ein, der Kläger habe sich, nachdem er ihm bloß leicht auf die Schulter getippt habe, von ihm abgewandt und sei die Treppe hinab gelaufen. Unten angekommen sei er am dort befindlichen Fußabstreifer ausgerutscht und in aufrechter Haltung vorwärts-seitlich durch die Glastüre gefallen.

Das auf Grund des Vorfalles vom 15. 2. 2002 wegen des Verdachtes der schweren Körperverletzung gegen den Beklagten eingeleitete Strafverfahren wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 5. 3. 2002 gemäß § 90c Abs 5 iVm § 90b StPO eingestellt.Das auf Grund des Vorfalles vom 15. 2. 2002 wegen des Verdachtes der schweren Körperverletzung gegen den Beklagten eingeleitete Strafverfahren wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 5. 3. 2002 gemäß § 90c Abs 5 in Verbindung mit § 90b StPO eingestellt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es ging hiebei von folgenden Feststellungen aus:

Am 15. 2. 2002 gegen 22.00 Uhr suchte der Kläger die Wohnung des Beklagten auf, um diesem vorzuwerfen, er habe den Stecker des Tiefkühlgerätes des Klägers aus der Stromsteckdose gezogen. Der Kläger pochte heftig an die Wohnungstür des Beklagten, worauf dessen Frau öffnete und er sie zur Rede stellte. Dabei machte der Kläger der Frau des Beklagten Vorwürfe und drohte ihr, sie werde schon sehen, dass sie den Kürzeren ziehen werde. Diese Drohungen stieß der Kläger mehrmals aus, worauf sich der Beklagte veranlasst sah, bei der Wohnungstür zu erscheinen. Bis dahin bewegte sich der Kläger bereits einige Stufen abwärts. Der Beklagte holte den Kläger ein und stellte ihn zur Rede. Er berührte den Kläger mit seinen Händen geringfügig an der Schulter. Hiedurch kam der Kläger nicht zu Sturz. Er drehte sich vielmehr um und lief geradlinig die Treppe hinunter. Dabei rutschte er aus, kam zu Sturz und zog sich Verletzungen zu. Zum Sturz kam der Kläger nicht durch Fremdeinwirkung, insbesondere nicht durch einen Stoß des Beklagten.

Auf Grund der schweren Verletzung, die der Kläger erlitt, kam es zu einem Strafverfahren, im Zuge dessen die Diversion zur Anwendung kam. Der Beklagte zeigte sich "insoweit" schuldeinsichtig, um ein Strafverfahren zu vermeiden und nicht behördliche Folgen in Kauf nehmen zu müssen. Er ist amerikanischer Staatsbürger und war in Sorge, wegen dieses Vorfalles ausgewiesen zu werden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, das Zivilgericht sei an die Ergebnisse der Diversion nicht gebunden. Nach dem abgeführten Beweisverfahren habe sich der Kläger die Verletzungen aus eigenem Verschulden zugefügt und könne dem Beklagten am Sturzgeschehen kein (für einen Schadenersatzspruch erforderliches) Verschulden angelastet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 4.000,--, nicht jedoch EUR 20.000,-- übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und führte zur Rechtsrüge folgendes aus:

Zu prüfen sei, ob die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens analog zu einem verurteilenden Straferkenntnis den Zivilrichter binde und (bejahendenfalls) wie weit diese Bindung reiche.

Auch nach der Aufhebung des § 268 ZPO (BGBl 1990/706), wonach der Richter an den Inhalt eines einschlägig verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes gebunden gewesen sei, habe ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes (1 Ob 612/95) an der Bindung an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse festgehalten. Hinsichtlich der sachlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft des Strafurteiles habe der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass Gegenstand der Verurteilung nicht nur der Ausspruch über die Strafe sei, sondern auch die Feststellung im Schuldspruch, dass der Angeklagte/Beschuldigte die darin angeführte Tat und damit die dort bezeichnete strafbare Handlung begangen habe. Es sei daher von einer Bindung an die Tatsachenfeststellungen im Spruch des Strafurteiles auszugehen. Insofern könne auf die Judikatur zum aufgehobenen § 268 ZPO verwiesen werden, wonach der Zivilrichter keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihre Folgen treffen dürfe. Es bestehe jedenfalls insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als davon auszugehen sei, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen worden sei und dass dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal gewesen seien.

Im gegenständlichen Fall liege jedoch keine Verurteilung vor. Aus dem Spruch des Einstellungsbeschlusses des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 5. 3. 2003 lasse sich das tatsächliche Begehen einer bestimmten Tat nicht entnehmen. Da letztlich für eine diversionelle Erledigung eine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit ausreiche, könne die Begründung des Einstellungsbeschlusses, wonach der (hier) Beklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe, keinesfalls eine Bindung des Zivilrichters bewirken. Dies bedeute aber, dass das Erstgericht verhalten gewesen sei, ein Beweisverfahren über die widerstreitenden Behauptungen der Streitteile zum Sturzgeschehen abzuführen und entsprechend der erlangten Überzeugung Feststellungen zu treffen.

Soweit der Berufungswerber damit argumentiere, dass das Ersuchen des Beklagten um diversionelle Erledigung des Strafverfahrens ein Schuldeingeständnis voraussetze (darstelle) und er sich nach Annahme und Erfüllung des Diversionsvorschlages im nachfolgenden Rechtsstreit nicht mehr darauf berufen könne, dass er die Tat, die er vor dem Strafgericht eingestanden habe und derentwegen er Bußgeld und Teilschmerzengeld geleistet habe, nicht begangen habe, könne ihm nicht gefolgt werden. Zum einem stelle Schuldeinsicht keine Diversionsvoraussetzung dar und laufe der Beschuldigte bei Erfüllung diversioneller Pflichten nicht Gefahr, dass darin ein zumindest "indirektes Geständnis" gesehen werde. Zum anderen könne die Annahme und Erfüllung des Diversionsvorschlages durch den (hier) Beklagten schon allein deshalb nicht als "Anerkenntnis" ausgelegt werden, da unbekämpft feststehe, dass er eine diversionelle Erledigung deshalb angestrebt habe, um das Risiko einer möglichen Verurteilung und einer daraus resultierenden Ausweisung hintanzuhalten.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen gewesen, weil eine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die diversionelle Erledigung eines Strafverfahrens (die Annahme und Erfüllung eines Diversionsvorschlages, der die Bezahlung eines Teilschmerzengeldes enthalte) Bindungswirkung für einen nachfolgenden zivilen Rechtsstreit entfalte, nicht auffindbar sei.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, die Schuldeinsicht des Beklagten stelle eine Voraussetzung der Diversion dar; der Beklagte, der diese Wohltat für sich in Anspruch genommen habe, könne sich im nachfolgenden Rechtsstreit nicht darauf berufen, dass er die Tat, die er vor dem Strafgericht eingestanden und derentwegen er sowohl eine Buße als auch ein Teilschmerzengeld geleistet habe, nicht begangen habe. Überdies sei in der Zahlung des im Rahmen der diversionellen Erledigung aufgetragenen Teilschmerzengeldes ein schlüssiges konstitutives Anerkenntnis seiner Schuld zu erblicken.

Der erkennende Senat erachtet dem gegenüber das Urteil des Berufungsgerichtes und dessen Begründung für zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Den Rechtsmittelausführungen ist kurz noch Folgendes entgegenzuhalten:

Zu 1 Ob 612/95 = SZ 68/195 (vgl RIS-Justiz RS0074219) hat ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes folgenden Rechtssatz formuliert:Zu 1 Ob 612/95 = SZ 68/195 vergleiche RIS-Justiz RS0074219) hat ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes folgenden Rechtssatz formuliert:

"Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, dass der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muss, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass sie eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleich viel, ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlicher Stellung er dort aufgetreten ist."

In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wurde bereits klargestellt, dass eine Strafverfügung im Schadenersatzprozess keine Bindungswirkung entfaltet, weil es an ausreichenden gerichtlichen Wahrheitsgarantien fehlt (2 Ob 72/97w = SZ 70/49), und dass auch ein freisprechendes Strafurteil den Zivilrichter nicht bindet (7 Ob 2309/96a = SZ 69/259), umso weniger die bloße Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 90 StPO (RIS-Justiz RS0106015 T 1).

Im Diversionsfall kommt es zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung; eine solche soll gerade vermieden werden. Es fehlt schon an einem Schuldspruch, demzufolge der Beschuldigte die darin angeführte Tat begangen hat. Eine "Analogie" zur eingangs angeführten Judikatur, in der ausdrücklich nur von den Wirkungen des verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses die Rede ist, kommt daher nicht in Frage.

Nur am Rande sei erwähnt, dass die Ansicht, Schuldeinsicht sei (generelle) Voraussetzung der Diversion (15 Os 1/02, 11 Os 126/03; Miklau/Schroll, Diversion 33 f; Schroll im Wiener Komm z StGB2 Nachbemerkung zu § 42 Rz 32) nach der jüngsten Rechtsprechung und Lehre (13 Os 16/04; Hochmayr, Schuldeinsicht als Voraussetzung einer Diversion? RZ 2003, 275; Schroll im Wiener Komm z StGB § 90a Rz 4 und 36), die kein Geständnis fordert, wohl überholt ist.

Was das behauptete schlüssige konstitutive Anerkenntnis durch Zahlung eines Teilschmerzengeldes anlangt, ist davon auszugehen, dass aus einer Teilzahlung allein die Anerkennung der Restschuld nicht zu erschließen ist (RIS-Justiz RS0014276, vgl auch RS0032733; Ertl in Rummel II/33 § 1380 ABGB Rz 7 mwN). Maßgeblich ist, welchen Eindruck der Erklärungsempfänger aus dem (schlüssigen) Verhalten des Erklärenden redlicherweise haben musste (RIS-Justiz RS0014279; Ertl aaO).Was das behauptete schlüssige konstitutive Anerkenntnis durch Zahlung eines Teilschmerzengeldes anlangt, ist davon auszugehen, dass aus einer Teilzahlung allein die Anerkennung der Restschuld nicht zu erschließen ist (RIS-Justiz RS0014276, vergleiche auch RS0032733; Ertl in Rummel II/33 § 1380 ABGB Rz 7 mwN). Maßgeblich ist, welchen Eindruck der Erklärungsempfänger aus dem (schlüssigen) Verhalten des Erklärenden redlicherweise haben musste (RIS-Justiz RS0014279; Ertl aaO).

Im vorliegenden Fall durfte der Kläger redlicherweise nur annehmen, der Beklagte, der die ihm vorgeworfene Tat im Strafverfahren immer bestritten hat, zahle im Rahmen der diversionellen Erledigung ein Teilschmerzengeld, um sich nicht dem Risiko einer strafgerichtlichen Verurteilung mit all ihren Nachteilen auszusetzen. Er konnte nicht darauf vertrauen, der Beklagte wolle damit nicht nur die Einstellung des Strafverfahrens erreichen, sondern auch einen weitergehenden Anspruch des Klägers (konstitutiv) anerkennen. Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, läuft der Beschuldigte bei Erfüllung diversioneller Pflichten keine Gefahr, dass darin ein zumindest "indirektes Geständnis" gesehen wird, seine Verteidigungsinteressen bleiben - in strafrechtlicher Hinsicht - gewahrt (Hochmayr aaO 380). Sinngemäß gleiches gilt auch in zivilrechtlicher Sicht: Die Erfüllung diversioneller Pflichten bedeutet für sich allein regelmäßig kein konstitutives Anerkenntnis weitergehender Schadenersatzansprüche des Geschädigten dem Grunde nach. Andernfalls würde die Bereitschaft, sich auf solche Pflichten einzulassen, wohl stark abnehmen, was nicht im Sinne des (Diversions-)Gesetzgebers sein kann.

Die Vorinstanzen haben die Rechtsfrage somit richtig gelöst, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E74769

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0020OB00186.04Y.0923.000

Im RIS seit

23.10.2004

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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