Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Veronika Falkner gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 30.9.2004, Bsw. 6072/02.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Veronika Falkner gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 30.9.2004, Bsw. 6072/02.
Spruch
§ 99 Abs. 6 lit. c StVO, § 30 Abs. 3 VStG, § 88 StGB, Art. 4 7. ZP EMRK - Gerichtliche Verurteilung nach Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.Paragraph 99, Absatz 6, Litera c, StVO, Paragraph 30, Absatz 3, VStG, Paragraph 88, StGB, Artikel 4, 7. ZP EMRK - Gerichtliche Verurteilung nach Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.
Zurückweisung der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Die Bf. verursachte am 27.2.2001 unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, weshalb die BH Innsbruck am 14.3.2001 gemäß § 5 (1) iVm. § 99 (1) (a) StVO wegen Trunkenheit am Steuer eine Geldstrafe in der Höhe von ATS 12.000,-- (ca. EUR 872,--) verhängte. Dieses Straferkenntnis wurde von der Bf. nicht angefochten. Am 28.6.2001 verurteilte das BG Hall in Tirol die Bf. gemäß § 88 (1) und (3) StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen zu einer Geldstrafe von ATS 12.000,-- (ca. EUR 872,--). In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Berufung brachte die Bf. vor, sie sei bereits durch die Bezirksverwaltungsbehörde wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden, weshalb das Urteil des BG Hall in Tirol das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 7.ZP EMRK verletzen würde. Das LG Innsbruck gab der Berufung teilweise statt. Es hob das Urteil im Schuldspruch betreffend die Qualifikation nach § 88 (3) StGB auf. Für den im Übrigen unberührt gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verhängte es eine Geldstrafe von ATS 10.000,-- (ca. EUR 726,--). Nach Ansicht des LG Innsbruck widersprach die Verurteilung der Bf. wegen fahrlässiger Körperverletzung unter Alkoholeinfluss angesichts ihrer bereits erfolgten Bestrafung durch die BH Innsbruck dem Verbot der Doppelbestrafung.Die Bf. verursachte am 27.2.2001 unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, weshalb die BH Innsbruck am 14.3.2001 gemäß Paragraph 5, (1) in Verbindung mit Paragraph 99, (1) (a) StVO wegen Trunkenheit am Steuer eine Geldstrafe in der Höhe von ATS 12.000,-- (ca. EUR 872,--) verhängte. Dieses Straferkenntnis wurde von der Bf. nicht angefochten. Am 28.6.2001 verurteilte das BG Hall in Tirol die Bf. gemäß Paragraph 88, (1) und (3) StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen zu einer Geldstrafe von ATS 12.000,-- (ca. EUR 872,--). In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Berufung brachte die Bf. vor, sie sei bereits durch die Bezirksverwaltungsbehörde wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden, weshalb das Urteil des BG Hall in Tirol das Doppelbestrafungsverbot des Artikel 4, 7.ZP EMRK verletzen würde. Das LG Innsbruck gab der Berufung teilweise statt. Es hob das Urteil im Schuldspruch betreffend die Qualifikation nach Paragraph 88, (3) StGB auf. Für den im Übrigen unberührt gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verhängte es eine Geldstrafe von ATS 10.000,-- (ca. EUR 726,--). Nach Ansicht des LG Innsbruck widersprach die Verurteilung der Bf. wegen fahrlässiger Körperverletzung unter Alkoholeinfluss angesichts ihrer bereits erfolgten Bestrafung durch die BH Innsbruck dem Verbot der Doppelbestrafung.
Der OGH hob am 22.8.2002 aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes die Urteile des LG Innsbruck und des BG Hall in Tirol auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens zurück an das Erstgericht. Der OGH stellte fest, dass das Straferkenntnis der BH Innsbruck denselben Sachverhalt beurteilte wie die Urteile der beiden Gerichte. Das Straferkenntnis der BH Innsbruck sei gesetzwidrig ergangen, da die Tat der Bf. eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildete und daher gemäß § 99 (6) (c) StVO eine Verwaltungsübertretung gar nicht vorlag. Dennoch hätte die Bf. aufgrund des Doppelbestrafungsverbots nicht erneut vor Gericht gestellt werden dürfen, da Art. 4 7.ZP EMRK ein Verfolgungshindernis darstelle. Das Erstgericht habe das Verfahren daher vorerst gemäß § 412 StPO zu unterbrechen und bei der BH Innsbruck anzuregen, gemäß § 68 (2) AVG und § 30 (3) VStG das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.Der OGH hob am 22.8.2002 aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes die Urteile des LG Innsbruck und des BG Hall in Tirol auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens zurück an das Erstgericht. Der OGH stellte fest, dass das Straferkenntnis der BH Innsbruck denselben Sachverhalt beurteilte wie die Urteile der beiden Gerichte. Das Straferkenntnis der BH Innsbruck sei gesetzwidrig ergangen, da die Tat der Bf. eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildete und daher gemäß Paragraph 99, (6) (c) StVO eine Verwaltungsübertretung gar nicht vorlag. Dennoch hätte die Bf. aufgrund des Doppelbestrafungsverbots nicht erneut vor Gericht gestellt werden dürfen, da Artikel 4, 7.ZP EMRK ein Verfolgungshindernis darstelle. Das Erstgericht habe das Verfahren daher vorerst gemäß Paragraph 412, StPO zu unterbrechen und bei der BH Innsbruck anzuregen, gemäß Paragraph 68, (2) AVG und Paragraph 30, (3) VStG das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.
Am 23.9.2002 teilte die BH Innsbruck dem BG Hall in Tirol mit, dass sie das Straferkenntnis außer Kraft gesetzt, das Verfahren gegen die Bf. eingestellt und die bereits bezahlte Geldstrafe rückerstattet habe. Am 15.11.2002 verurteilte das BG Hall in Tirol die Bf. neuerlich gemäß § 88 (1) und (3) StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen und verhängte eine Geldstrafe von EUR 726,--. Die dagegen erhobene Berufung der Bf. wurde vom LG Innsbruck verworfen.Am 23.9.2002 teilte die BH Innsbruck dem BG Hall in Tirol mit, dass sie das Straferkenntnis außer Kraft gesetzt, das Verfahren gegen die Bf. eingestellt und die bereits bezahlte Geldstrafe rückerstattet habe. Am 15.11.2002 verurteilte das BG Hall in Tirol die Bf. neuerlich gemäß Paragraph 88, (1) und (3) StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen und verhängte eine Geldstrafe von EUR 726,--. Die dagegen erhobene Berufung der Bf. wurde vom LG Innsbruck verworfen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRKDie Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK
(Doppelbestrafungsverbot).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 4 7.ZP EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 4, 7.ZP EMRK:
Die Bf. bringt vor, sie wäre wegen des alkoholisierten Lenkens eines Fahrzeugs zweimal verfolgt worden: zuerst durch die Bezirksverwaltungsbehörde wegen Trunkenheit am Steuer und danach durch die Gerichte wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen.
Der GH stellt fest, dass die Bestimmungen der StVO als Folge des Urteils Gradinger/A dahingehend geändert wurden, dass die Verwaltungsübertretung der Trunkenheit am Steuer nunmehr subsidiär zum Vergehen des § 88 (1) und (3) StGB ist. Der Fall der Bf., der eine unter Alkoholeinfluss verursachte fahrlässige Körperverletzung betrifft, fiel daher ausschließlich in die Kompetenz der Gerichte. Die BH Innsbruck leitete aber trotz ihrer fehlenden Zuständigkeit ein Verfahren gegen die Bf. ein. Später anerkannte sie diesen Fehler, stellte das Verfahren ein und zahlte die Geldstrafe zurück. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insofern vom Fall Gradinger/A, als das Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde eindeutig rechtswidrig war.Der GH stellt fest, dass die Bestimmungen der StVO als Folge des Urteils Gradinger/A dahingehend geändert wurden, dass die Verwaltungsübertretung der Trunkenheit am Steuer nunmehr subsidiär zum Vergehen des Paragraph 88, (1) und (3) StGB ist. Der Fall der Bf., der eine unter Alkoholeinfluss verursachte fahrlässige Körperverletzung betrifft, fiel daher ausschließlich in die Kompetenz der Gerichte. Die BH Innsbruck leitete aber trotz ihrer fehlenden Zuständigkeit ein Verfahren gegen die Bf. ein. Später anerkannte sie diesen Fehler, stellte das Verfahren ein und zahlte die Geldstrafe zurück. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insofern vom Fall Gradinger/A, als das Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde eindeutig rechtswidrig war.
Art. 4 7.ZP EMRK bezweckt ein Verbot der Wiederholung rechtskräftig abgeschlossener Strafverfahren. Diese Bestimmung erstreckt sich aber nicht notwendigerweise auf alle wegen einer Straftat eingeleiteten Verfahren. Die innerstaatlichen Instanzen müssen die Möglichkeit haben, Situationen zu berücksichtigen, in denen Behörden – wie im vorliegenden Fall – ihre gesetzliche Kompetenz fälschlicherweise überschreiten.Artikel 4, 7.ZP EMRK bezweckt ein Verbot der Wiederholung rechtskräftig abgeschlossener Strafverfahren. Diese Bestimmung erstreckt sich aber nicht notwendigerweise auf alle wegen einer Straftat eingeleiteten Verfahren. Die innerstaatlichen Instanzen müssen die Möglichkeit haben, Situationen zu berücksichtigen, in denen Behörden – wie im vorliegenden Fall – ihre gesetzliche Kompetenz fälschlicherweise überschreiten.
Die Bf. wurde nur im zweiten gerichtlichen Verfahren von der nach innerstaatlichem Recht zuständigen Stelle verfolgt, während das vorangegangene Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde aufgehoben und die Strafe rückerstattet wurde. Der GH findet daher keine Anzeichen für einen Verstoß gegen das Prinzip des ne bis in idem durch die Verurteilung der Bf. Die Bsw. ist daher wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 (3) und (4) EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).Die Bf. wurde nur im zweiten gerichtlichen Verfahren von der nach innerstaatlichem Recht zuständigen Stelle verfolgt, während das vorangegangene Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde aufgehoben und die Strafe rückerstattet wurde. Der GH findet daher keine Anzeichen für einen Verstoß gegen das Prinzip des ne bis in idem durch die Verurteilung der Bf. Die Bsw. ist daher wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Artikel 35, (3) und (4) EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Gradinger/A v. 23.10.1995, A/328-C (= NL 1995, 195 = ÖJZ 1995, 954).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 30.9.2004, Bsw. 6072/02, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2004, 223) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut
(pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/04_5/Falkner.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Anmerkung
EGM00518 Bsw6072.02-ZEDokumentnummer
JJT_20040930_AUSL000_000BSW06072_0200000_000