TE OGH 2004/10/12 1Ob12/04b

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Veröffentlicht am 12.10.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Gugglberger, Rechtsanwalt in Hopfgarten, wider die beklagte Partei Josef D*****, vertreten durch Dr. Albert Feichtner, Dr. Anneliese Lindorfer und Mag. Dr. Bernhard Feichtner, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert 7.267,28 EUR sA) infolge Revision der beklagten Partei (Revisionsstreitwert 3.633,64 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Juli 2003, GZ 2 R 223/03p-31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 27. Februar 2003, GZ 1 C 516/01g-27, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.657,85 EUR (darin 187,97 EUR USt und 530 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei ist Miteigentümerin einer Liegenschaft, zu deren Gunsten das Dienstbarkeitsrecht der Durchfahrt über ein im Alleineigentum des Beklagten befindliches Grundstück grundbücherlich eingetragen ist. Eine Präzisierung dieses Durchfahrtsrechts ist weder aus dem Grundbuch noch aus den dazu gehörigen Urkunden ersichtlich. Seit längerem verhindert der Beklagte die Ausübung des Durchfahrtsrechts, indem er den Mietern seines Grundstücks gestattet, die Zufahrt zu dem im Miteigentum der klagenden Partei stehenden Grundstück (in der Folge Grundstück der klagenden Partei) zu Parkzwecken zu verwenden. Auf diesem Grundstück befanden sich ursprünglich ein Tennisplatz und ein Grillplatz, die seit jeher zu einem angrenzenden Hotelbetrieb gehörten. Im Jahre 1998 wurde auf dem Grundstück der klagenden Partei ein Gebäude mit Eigentumswohnungen und zum angrenzenden Hotel gehörigen Räumlichkeiten errichtet. Im Zuge dieser Bauführung wurden der Tennisplatz und der Grillplatz entfernt. Eine landwirtschaftliche Nutzung des Grundstücks der klagenden Partei ist seit Errichtung dieses Gebäudes ausgeschlossen. Die Zufahrt über das Grundstück des Beklagten wurde von den vormaligen Eigentümern des Grundstücks der klagenden Partei ursprünglich dazu benutzt, um mit einem Handkarren oder mit einem Pferd Obst zu holen oder um mit einem Traktor samt Anhänger den Rasen zu mähen. Zu diesem Zwecke wurden die an der Grenze befindlichen Gatter geöffnet, um durchgehen bzw durchfahren zu können. Anfangs der 80er Jahre brachte der nunmehrige Beklagte gegen die damaligen Eigentümer des Grundstücks der klagenden Partei eine Klage auf Löschung der im Grundbuch einverleibten Dienstbarkeit der Durchfahrt ein. Dieses Klagebegehren wurde abgewiesen, aber nur deshalb, weil das Bestehen einer Dienstbarkeit zur gelegentlichen Durchfahrt zu landwirtschaftlichen Zwecken bejaht wurde und dieses Recht dem generellen Löschungsbegehren entgegenstand. Nach diesem Urteil wurde die Zufahrt über das Grundstück des Beklagten gelegentlich in Anspruch genommen, um Kompost abzuholen.

Die klagende Partei begehrte die Feststellung, dass ihr als Miteigentümerin des herrschenden Guts gegenüber dem Beklagten als Eigentümer des dienenden Grundstücks die unbeschränkte Dienstbarkeit der Durchfahrt auf dessen Grundstück zustehe und dass der Beklagte jedwede Störung des Zufahrtsrechts der klagenden Partei, insbesondere das Abstellen von Personenkraftwagen und von Containern auf dem Zufahrtsweg, zu unterlassen habe. Der Beklagte verweigere der klagenden Partei die Ausübung des grundbücherlich einverleibten Durchfahrtsrechts dadurch, dass er die Gatter versetzt und durch sonstige Maßnahmen die Durchfahrt durch seinen Hofraum unmöglich gemacht habe. Er habe das Recht der Klägerin bestritten, jedenfalls aber die Einschränkung dieses Rechts auf eine Servitut nur für landwirtschaftliche Zwecke behauptet.

Der Beklagte wendete ein, es sei bereits in einem Vorverfahren festgestellt worden, dass die Dienstbarkeit der klagenden Partei nur für landwirtschaftliche Zwecke bestehe. Dementsprechend sei nur gelegentlich - zwei- bis dreimal jährlich - mit einem Traktor über das Grundstück des Beklagten gefahren und seien die an der Grenze befindlichen Gatter jeweils geöffnet und wieder geschlossen worden. Seit der Errichtung der Baulichkeiten auf dem Grundstück der klagenden Partei sei keine landwirtschaftliche Nutzung mehr möglich und daher die eingeräumte Dienstbarkeit endgültig erloschen.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es stehe fest, dass sich das Durchfahrtsrecht des jeweiligen Eigentümers der herrschenden Liegenschaft auf landwirtschaftliche Zwecke beschränkt habe. Eine solche landwirtschaftliche Nutzung sei nicht mehr möglich, weshalb die Grunddienstbarkeit erloschen sei. Daher sei der Beklagte auch berechtigt, sein Eigentum allumfassend zu nutzen.

Das Berufungsgericht bestätigte - unangefochten - die Abweisung des Feststellungsbegehrens, änderte das Ersturteil aber dahin ab, dass es den Beklagten schuldig erkannte, jedwede Störung des (beschränkten) Zufahrtsrechts der klagenden Partei, insbesondere durch Abstellen von Personenkraftwagen oder Containern auf dem über sein Grundstück verlaufenden Zufahrtsweg, zu unterlassen. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige; letztlich wurde die ordentliche Revision für zulässig erklärt. Es bestehe kein unbeschränktes Fahrrecht über die Liegenschaft des Beklagten. Die von der klagenden Partei vorgenommene Widmungsänderung durch Errichtung der Baulichkeit mache eine landwirtschaftliche Nutzung des herrschenden Grundstücks unmöglich, was aber nicht zum Untergang des Dienstbarkeitsrechts führe, denn die Dienstbarkeit bestehe auch im Falle einer Widmungsänderung fort.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten, die sich gegen die Stattgebung des Unterlassungsbegehrens wendet, ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 484 ABGB kann der Besitzer des herrschenden Guts zwar sein Recht auf die ihm gefällige Art ausüben, doch dürfen Servituten nicht erweitert, sie müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestattet, eingeschränkt werden. Bei ungemessenen Servituten - wie hier - sind im Rahmen der ursprünglichen oder vorhersehbaren Art der Bewirtschaftung die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten maßgeblich. Mehrbelastungen infolge Widmungsänderung muss der Dienstbarkeitsbelastete nicht dulden (vgl MietSlg 44.028; Hofmann in Rummel ABGB3 Rz 1 zu § 484 mwN). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das Durchfahrtsrecht der jeweils Dienstbarkeitsberechtigten zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung ihres Grundstücks bestand; nur in diesem Umfang wurde dieses Recht auch genutzt (S 8 f des Ersturteils, S 14 des Berufungsurteils). Strittig ist lediglich die Frage, ob durch die von der klagenden Partei vorgenommene und von ihr selbst zugestandene, jedenfalls aber nicht dem Beklagten zuzurechnende Widmungsänderung - früher Obstanger, nunmehr geschotterte Fläche vor dem von ihr aufgeführten Bau - die Dienstbarkeit erloschen ist oder nur ruht.Gemäß § 484 ABGB kann der Besitzer des herrschenden Guts zwar sein Recht auf die ihm gefällige Art ausüben, doch dürfen Servituten nicht erweitert, sie müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestattet, eingeschränkt werden. Bei ungemessenen Servituten - wie hier - sind im Rahmen der ursprünglichen oder vorhersehbaren Art der Bewirtschaftung die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten maßgeblich. Mehrbelastungen infolge Widmungsänderung muss der Dienstbarkeitsbelastete nicht dulden vergleiche MietSlg 44.028; Hofmann in Rummel ABGB3 Rz 1 zu § 484 mwN). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das Durchfahrtsrecht der jeweils Dienstbarkeitsberechtigten zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung ihres Grundstücks bestand; nur in diesem Umfang wurde dieses Recht auch genutzt (S 8 f des Ersturteils, S 14 des Berufungsurteils). Strittig ist lediglich die Frage, ob durch die von der klagenden Partei vorgenommene und von ihr selbst zugestandene, jedenfalls aber nicht dem Beklagten zuzurechnende Widmungsänderung - früher Obstanger, nunmehr geschotterte Fläche vor dem von ihr aufgeführten Bau - die Dienstbarkeit erloschen ist oder nur ruht.

Zufolge § 524 ABGB erlöschen Dienstbarkeiten unter anderem durch völlige Zwecklosigkeit oder Unmöglichkeit der Ausübung. Völlig zwecklos ist eine Dienstbarkeit dann, wenn sie ihren Sinn ganz verloren hat und die Ausübung der Dienstbarkeit nicht nur vorübergehend, sondern dauernd unmöglich geworden ist. Das Ruhen der Rechtsausübung ändert am aufrechten Bestand der Dienstbarkeit selbst hingegen nichts (immolex 2003, 88; 4 Ob 78/00z; 8 Ob 336/99s; NZ 1999, 245; MietSlg 44.037; SZ 60/227). Im vorliegenden Fall hat die Wegedienstbarkeit aufgrund ihres festgestellten Umfangs, nämlich die landwirtschaftliche Nutzung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen, derzeit jedenfalls ihren Zweck verloren. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Dienstbarkeit bereits erloschen ist, weil die "Wiederaufnahme" eines landwirtschaftlichen Betriebs infolge Errichtung eines festen Bauwerks äußerst unwahrscheinlich geworden ist (vgl SZ 60/227), oder ob tatsächlich von einem bloßen Ruhen der Rechtsausübung ausgegangen werden muss, weil die Wiederaufnahme eines solchen Betriebs nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Zu beurteilen ist nämlich ein Unterlassungsbegehren der klagenden Partei, dessen Rechtfertigung die Störung eines aktuell bestehenden Rechts der klagenden Partei oder aber zumindest voraussetzte, dass die Gefährdung eines solchen Rechts unmittelbar drohte und damit vorbeugender Rechtsschutz geboten wäre (siehe Rummel in Rummel ABGB3 Rz 5 zu § 859 mwN). Bei der derzeit gegebenen Sachlage muss der Beklagte in Anbetracht des festgestellten Umfangs der der klagenden Partei eingeräumten Servitut eine Durchfahrt über sein Grundstück nicht dulden, und die klagende Partei hat auch kein Vorbringen - etwa dahin - erstattet, dass eine Änderung der Widmung in absehbarer Zeit erfolgen werde, sodass ihr eine Störung ihres Dienstbarkeitsrechts auch in absehbarer Zukunft nicht droht. Selbst bei einem Ruhen der Rechtsausübung durch die klagende Partei als Miteigentümerin des herrschenden Grundes steht ihr demnach kein Unterlassungsanspruch zu; sie hat derzeit kein Recht darauf, die von ihr nicht benützte Wegetrasse von jederzeit leicht entfernbaren Gegenständen freihalten zu lassen (vgl 6 Ob 77/01v; SZ 60/227).Zufolge § 524 ABGB erlöschen Dienstbarkeiten unter anderem durch völlige Zwecklosigkeit oder Unmöglichkeit der Ausübung. Völlig zwecklos ist eine Dienstbarkeit dann, wenn sie ihren Sinn ganz verloren hat und die Ausübung der Dienstbarkeit nicht nur vorübergehend, sondern dauernd unmöglich geworden ist. Das Ruhen der Rechtsausübung ändert am aufrechten Bestand der Dienstbarkeit selbst hingegen nichts (immolex 2003, 88; 4 Ob 78/00z; 8 Ob 336/99s; NZ 1999, 245; MietSlg 44.037; SZ 60/227). Im vorliegenden Fall hat die Wegedienstbarkeit aufgrund ihres festgestellten Umfangs, nämlich die landwirtschaftliche Nutzung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen, derzeit jedenfalls ihren Zweck verloren. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Dienstbarkeit bereits erloschen ist, weil die "Wiederaufnahme" eines landwirtschaftlichen Betriebs infolge Errichtung eines festen Bauwerks äußerst unwahrscheinlich geworden ist vergleiche SZ 60/227), oder ob tatsächlich von einem bloßen Ruhen der Rechtsausübung ausgegangen werden muss, weil die Wiederaufnahme eines solchen Betriebs nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Zu beurteilen ist nämlich ein Unterlassungsbegehren der klagenden Partei, dessen Rechtfertigung die Störung eines aktuell bestehenden Rechts der klagenden Partei oder aber zumindest voraussetzte, dass die Gefährdung eines solchen Rechts unmittelbar drohte und damit vorbeugender Rechtsschutz geboten wäre (siehe Rummel in Rummel ABGB3 Rz 5 zu § 859 mwN). Bei der derzeit gegebenen Sachlage muss der Beklagte in Anbetracht des festgestellten Umfangs der der klagenden Partei eingeräumten Servitut eine Durchfahrt über sein Grundstück nicht dulden, und die klagende Partei hat auch kein Vorbringen - etwa dahin - erstattet, dass eine Änderung der Widmung in absehbarer Zeit erfolgen werde, sodass ihr eine Störung ihres Dienstbarkeitsrechts auch in absehbarer Zukunft nicht droht. Selbst bei einem Ruhen der Rechtsausübung durch die klagende Partei als Miteigentümerin des herrschenden Grundes steht ihr demnach kein Unterlassungsanspruch zu; sie hat derzeit kein Recht darauf, die von ihr nicht benützte Wegetrasse von jederzeit leicht entfernbaren Gegenständen freihalten zu lassen vergleiche 6 Ob 77/01v; SZ 60/227).

In Stattgebung der Revision ist demnach das Ersturteil in der Abweisung des Unterlassungsbegehrens wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E74904

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0010OB00012.04B.1012.000

Im RIS seit

11.11.2004

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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