Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl R*****, vertreten durch Dr. Robert Müller und Mag. Gregor Riess, Rechtsanwälte in Hainfeld, wider die beklagte Partei Leopoldine M*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 6. Mai 2004, GZ 21 R 135/04t-23, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der erkennende Senat erläuterte in der Entscheidung 1 Ob 223/02d, dass sich in der jüngeren, nun bereits gefestigten Rechtsprechung zum Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG ein deutlich gemäßigteres Verständnis der in älteren Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem dringenden Eigenbedarf ausgeformten Begriffe "Notstand" und "Existenzgefährdung" finde: Aus § 354 ABGB ergebe sich der Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum, der nur dort nicht zum Tragen komme, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbeschränkungen des MRG, eine Ausnahme vorsähen. Insoweit sei davon auszugehen, dass der Eigentümer einer Wohnung sein Eigentum in erster Linie zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen dürfe. Der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfüge, dürfe im Allgemeinen mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit einer anderweitigen Wohnversorgung verwiesen werden, weil eine solche Wohnmöglichkeit an sich gegeben wäre. Bei der Beurteilung, ob ein Wohnsitzwechsel und die damit verbundene Kündigung unabweislich notwendig seien, müsse jede Art der Benötigung des Bestandgegenstands, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis, das nur durch die Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden könne, ergebe, berücksichtigt werden. Ob der Eigenbedarf des Vermieters durch eine im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG ausreichende Dringlichkeit charakterisiert sei, um so die Kündigung des Bestandverhältnisses zu ermöglichen, lasse sich stets nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalles beurteilen. Diese Linie der Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, gilt in gleicher Weise für den Eigenbedarf eines Vermieters, der die in Bestand gegebene Wohnung nicht für sich selbst, sondern für einen Verwandten in absteigender Linien dringend benötigt.
Bereits in der Entscheidung 7 Ob 166/97f wurde ferner festgehalten, dass dringender Eigenbedarf nicht nur bei einer schweren, lebensbedrohenden gesundheitlichen Schädigung des Vermieters oder seiner Angehörigen bzw im Fall der Gefahr "einer leichten Verschlechterung eines gesundheitlichen Zustandes bei Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes zu bejahen" sei, sondern bereits dann vorliege, wenn "die vom Vermieter bisher benützte Wohnung aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes nur mehr mit Schmerzen benützbar" sei. Nach deren Sachverhalt waren bei einem Verbleib des Klägers in der bisherigen Wohnung, die er mit seiner schwer behinderten Lebensgefährtin bewohnte, schwere gesundheitliche Schäden oder eine Zunahme bestehender degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule nicht zu erwarten. Er hätte jedoch - in Beeinträchtigung seiner Lebensqualität - Schmerzen beim Stiegensteigen erdulden müssen.
2. Im Anlassfall leidet der Sohn des Klägers "an deutlichen degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke, vor allem beider Hüftgelenke, der rechten Schulter sowie des Hals- und Lendenabschnittes der Wirbelsäule im Sinne von sogenannten Aufbrauchs- und Verschleißerscheinungen". Alle Gelenkserkrankungen unterschiedlicher Genese "reagieren schlecht auf die Einwirkung von Kälte und Nässe", dagegen wirkt sich Wärme - insbesondere trockene - für den Kranken "positiv" aus. Sie wird als "angenehm empfunden, was vor allem auch für die begleitenden Schmerzen dieser Gelenksveränderungen gilt". Die "derzeitige Wohnsituation" des Sohns des Klägers "beeinflusst" seinen Gesundheitszustand - allerdings "nicht besonders gravierend" - "negativ". Dieser Einfluss betrifft nicht den Krankheitsverlauf, sondern die "Befindlichkeit (Schmerzempfindung)". Die "Benützung der Wohnung der Beklagten würde" dem Sohn des Klägers "einen relativ geringen Teil an Schmerzen ersparen". Er könnte diese Wohnung leichter "beheizen" und dort auch "besser soziale Kontakte pflegen". Derzeit bewohnt er einen renovierungsbedürftigen "Altbau". Besonders das Dach müsste "in nächster Zeit bearbeitet werden". Über das Dach kam "es über längere Zeit zu Feuchtigkeitseintritt". Auf Grund "unterschiedlicher Witterungen und Wasserstände" ist die "Feuchtigkeitsbelastung" des Hauses unterschiedlich stark. Besonders "in den Überganszeiten (Frühling/Herbst)" ist sie stärker. Im Winter wird das Haus "praktisch nur mit einem in der Küche befindlichen kleinen Holzofen beheizt". Vorhandene Elektroheizkörper "werden aus Kostengründen nur fallweise eingeschaltet", weil für den Sohn des Klägers "eine volle Nutzung der Elektroheizung ... zu teuer" wäre. Bei durchgehender Heizung erreicht die Raumtemperatur maximal 20 Grad. Im Winter muss den Sohn des Klägers "jemand ... beim Heizen unterstützen, sonst könnte er die Temperatur nie konstant auf einem höheren Level halten". Deshalb kommt im Winter öfter der Kläger ins Haus, um - während der berufsbedingten Abwesenheit seines Sohnes - "Holz nach zu legen". "Ein- bis zweimal, wenn es im Winter extrem kalt ist, hat es im Gebäude nur acht Grad". Dessen Keller wird jährlich durchschnittlich zweimal überflutet. Dort steht das Wasser dann "durchschnittlich vier bis fünf Tage". Die Isolierung zwischen Keller und Erdgeschoss "funktioniert allerdings recht gut".
3. Das Berufungsgericht stützte sich auf die eingangs referierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Angesichts des zuvor wiedergegebenen Sachverhalts ist - entgegen den Revisionsausführungen - nicht zu erkennen, dass das angefochtene Urteil deshalb als krasse Fehlbeurteilung der Umstände dieses Falls anzusehen sei, weil in ihm ausgesprochen wurde, dass die Eigenbedarfskündigung des Klägers als Vermieter einer Eigentumswohnung, die erst nach der Begründung von Wohnungseigentum vermietet wurde, durch ein wichtiges persönliches Bedürfnis gerechtfertigt sei, das nur durch die Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden könne. Daran ändern auch die drastischen Formulierungen der Beklagten nichts, die Ansicht des Berufungsgerichts öffne "dem Missbrauch der Kündigungsbestimmungen Tür und Tor", wenn "derartig schwammige Behauptungen eines Vermieters bzw Feststellungen bereits zur Annahme eines Kündigungsgrundes" genügten und auf diesem Weg "das System des § 30 MRG vollständig ad absurdum geführt" werde.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen über die wirtschaftliche Lage des Sohns des Klägers kann im Übrigen keine Rede davon sein, dass das Berufungsgericht einen selbstverschuldeten dringenden Eigenbarf infolge eines groben Beurteilungsfehlers verneint hätte. Insoweit haftet dem angefochtenen Urteil - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch kein Feststellungsmangel an.
Textnummer
E74916European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2004:0010OB00195.04I.1012.000Im RIS seit
11.11.2004Zuletzt aktualisiert am
13.01.2011