TE OGH 2004/10/29 5Ob100/04y

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Veröffentlicht am 29.10.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Anita J*****, geboren am *****, wohnhaft bei der Mutter Agnieska J*****, die Mutter vertreten durch Dr. Elisabeth C. Schaller, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Zenon J*****, Verfahrenshelfer Dr. Robert Brande, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. März 2004, GZ 45 R 117/04w-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 28. Jänner 2004, GZ 3 P 358/03k-8, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Amtsgerichtes in Z***** vom 6. 1. 2004 wurde die Ehe der Eltern geschieden, die elterliche Obsorge für die Minderjährige der Mutter übertragen (wobei der Vater das Recht hat, über wesentliche Angelegenheiten mit zu entscheiden) und der Vater zur Leistung von Unterhalt für das Kind verpflichtet. Eine Rechtskraftsbestätigung dieses Urteils liegt aber nicht vor. Der Vater stellte gemäß dem Haager Übereinkommen vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kinderentführung den Antrag, die Minderjährige an ihn zurückzugeben, sie sei von der Mutter am 28. August 2003, seine momentane Abwesenheit ausnützend, nach Österreich entführt worden. Er habe vor dem Verbringen der Tochter das Sorgerecht ausgeübt und keine Erlaubnis zur Ausreise gegeben. Die Ehe der Eltern sei aufrecht. Die Mutter sei einige Jahre zeitweilig ins Ausland verreist, wo sie gearbeitet habe. Er habe die Landwirtschaft in Polen geführt und das Kind betreut. Die Mutter beantragte die Abweisung des Antrages und brachte vor, dass der Vater übermäßig Alkohol trinke und sie und die Minderjährige mit dem Umbringen bedroht habe. Sie habe sich zunächst nur auf Besuch bei ihrer Schwester in Österreich aufgehalten, wobei sie der Vater aufgefordert habe, die Minderjährige mitzunehmen, weil er sie andernfalls in einem Kinderheim unterbringen würde. Die Mutter halte sich seit 29. August 2003 in Österreich auf, habe im September 2003 die Scheidungsklage eingebracht und fahre nur zu den Verhandlungen nach Polen. Eine Rückgabe der Tochter an den Vater gefährde deren Wohl, weil das Kind Angst vor ihm habe. Der Vater trinke regelmäßig zuviel Alkohol und sei immer wieder tagelang von zu Hause abwesend. Aufgrund der schlechten finanziellen Situation des Vaters, er vertrinke sein gesamtes Geld, sei die Tochter in ihrer Heimat auch nicht krankenversichert gewesen.

Das Erstgericht vernahm nur die Mutter und die Tante der Minderjährigen, wobei Letztere als Dolmetscherin fungierte. Das Erstgericht stellte den Sachverhalt den Aussagen der Mutter und der Tante folgend entsprechend dem oben wiedergegebenen Vorbringen der Mutter fest. Die Rückgabe der Minderjährigen an den Vater stelle eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen und seelischen Schadens für das Kind dar und würde es in eine unzumutbare Lage bringen. Seelische Schäden des Kindes seien im Fall der Rückgabe zu befürchten. Die Rückgabe an den Vater würde im Übrigen der Entscheidung des Amtsgerichtes, in dem die Obsorge der Mutter zugeteilt worden sei, widersprechen. Der Mutter sei sohin im Sinne des Art 13 Abs 1 lit b des Haager Abkommens der Nachweis gelungen, dass die Minderjährige im Falle der Rückgabe einer schwerwiegenden Gefahr ausgesetzt und auch auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht würde. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die vom Vater gerügte Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs liege nicht vor, da ja der Vater im Rahmen des Rekurses ausreichend die Möglichkeit gehabt habe, entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Dem Erstgericht sei kein Verfahrensmangel dadurch unterlaufen, dass es sich lediglich mit der Vernehmung der Mutter und der Tante der Minderjährigen begnügt habe. Der Vater habe im Rekurs nichts Stichhältiges entgegenzusetzen gehabt. Er habe lediglich die Behauptung aufgestellt, die Mutter würde in Wien mit der Minderjährigen mit einem fremden Mann zusammenleben, dem Alkohol zusprechen und sich nicht ausreichend um das Kind kümmern, ohne hiefür ein konkretes Beweismittel angeboten zu haben. Weiters ergehe er sich nur in Spekulationen über die Illegalität des Aufenthalts der Mutter in Österreich. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass ein Rückführungshindernis im Sinne des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ vorliege.Das Erstgericht vernahm nur die Mutter und die Tante der Minderjährigen, wobei Letztere als Dolmetscherin fungierte. Das Erstgericht stellte den Sachverhalt den Aussagen der Mutter und der Tante folgend entsprechend dem oben wiedergegebenen Vorbringen der Mutter fest. Die Rückgabe der Minderjährigen an den Vater stelle eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen und seelischen Schadens für das Kind dar und würde es in eine unzumutbare Lage bringen. Seelische Schäden des Kindes seien im Fall der Rückgabe zu befürchten. Die Rückgabe an den Vater würde im Übrigen der Entscheidung des Amtsgerichtes, in dem die Obsorge der Mutter zugeteilt worden sei, widersprechen. Der Mutter sei sohin im Sinne des Artikel 13, Absatz eins, Litera b, des Haager Abkommens der Nachweis gelungen, dass die Minderjährige im Falle der Rückgabe einer schwerwiegenden Gefahr ausgesetzt und auch auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht würde. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die vom Vater gerügte Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs liege nicht vor, da ja der Vater im Rahmen des Rekurses ausreichend die Möglichkeit gehabt habe, entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Dem Erstgericht sei kein Verfahrensmangel dadurch unterlaufen, dass es sich lediglich mit der Vernehmung der Mutter und der Tante der Minderjährigen begnügt habe. Der Vater habe im Rekurs nichts Stichhältiges entgegenzusetzen gehabt. Er habe lediglich die Behauptung aufgestellt, die Mutter würde in Wien mit der Minderjährigen mit einem fremden Mann zusammenleben, dem Alkohol zusprechen und sich nicht ausreichend um das Kind kümmern, ohne hiefür ein konkretes Beweismittel angeboten zu haben. Weiters ergehe er sich nur in Spekulationen über die Illegalität des Aufenthalts der Mutter in Österreich. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass ein Rückführungshindernis im Sinne des Artikel 13, Absatz eins, Litera b, HKÜ vorliege.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit einem Aufhebungsantrag.

Die Mutter beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Äußerung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist - entgegen des nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichtes - zulässig, er ist auch berechtigt. Nach Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung besteht die Verpflichtung zur sofortigen Rückgabe des Kindes (Art 12 Abs 1) nur dann nicht, wenn der Elternteil, der sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, trifft die volle Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Rückführungshindernissen (RIS-Justiz RS0070561). Maßgebliches Kriterium des Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens ist das Kindeswohl. Dem Übereinkommen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Rückführung des Kindes dessen Wohl dient, weil es das wirkliche Opfer der Entführung ist und Kindesentführungen durch dieses Übereinkommen verhindert werden sollen, doch kann das konkrete Kindeswohl einer Rückgabe aus den in Art 13 Abs 1 lit b genannten Gründen dennoch entgegenstehen (9 Ob 23/03b, RIS-Justiz RS0106455). Ob das Kindeswohl mit seiner Rückgabe gefährdet wäre, ist grundsätzlich eine jeweils von den Umständen abhängige im Einzelfall zu beurteilende Frage (RIS-Justiz RS0112662).Der Revisionsrekurs ist - entgegen des nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichtes - zulässig, er ist auch berechtigt. Nach Artikel 13, Absatz eins, Litera b, des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung besteht die Verpflichtung zur sofortigen Rückgabe des Kindes (Artikel 12, Absatz eins,) nur dann nicht, wenn der Elternteil, der sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, trifft die volle Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Rückführungshindernissen (RIS-Justiz RS0070561). Maßgebliches Kriterium des Artikel 13, Absatz eins, Litera b, des Übereinkommens ist das Kindeswohl. Dem Übereinkommen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Rückführung des Kindes dessen Wohl dient, weil es das wirkliche Opfer der Entführung ist und Kindesentführungen durch dieses Übereinkommen verhindert werden sollen, doch kann das konkrete Kindeswohl einer Rückgabe aus den in Artikel 13, Absatz eins, Litera b, genannten Gründen dennoch entgegenstehen (9 Ob 23/03b, RIS-Justiz RS0106455). Ob das Kindeswohl mit seiner Rückgabe gefährdet wäre, ist grundsätzlich eine jeweils von den Umständen abhängige im Einzelfall zu beurteilende Frage (RIS-Justiz RS0112662).

Im Gegensatz zur Ansicht der Mutter, kann, wenn es die Interessen des Kindeswohls erfordern, ein vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz auch noch vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden (5 Ob 56/02z, 1 Ob 2292/96g; RIS-Justiz RS0050037).

Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhaltes geeignet und zweckdienlich ist. Das Gesetz lässt dem Gericht grundsätzlich freie Hand, wie es sich die Überzeugung von einer rechtserheblichen Tatsache verschafft (9 Ob 23/03b, RIS-Justiz RS0006272). Im vorliegenden Verfahren ist aufzugreifen, dass die Entscheidung des Erstgerichtes lediglich auf den Aussagen der Mutter und der Tante der Minderjährigen basiert, ohne dass versucht wurde, diese Angaben auch zu objektivieren. Der Vater hat auf diesen Umstand in seinem Rekurs - im Gegensatz zur Ansicht des Rekursgerichtes - deutlich hingewiesen. Er beantragte die Beiziehung des Jugendwohlfahrtsträgers zur Abklärung der familiären Situation, die Befragung der Minderjährigen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens und vermisste Feststellungen zu den Lebensumständen der Minderjährigen in Polen. Mit diesen Anträgen wird sich das Erstgericht auseinandersetzen müssen. Insbesondere sind die Lebensverhältnisse der Minderjährigen in Polen und ihr Verhältnis zu ihrem Vater abzuklären, um beurteilen zu können, ob ein Rückführungshindernis im Sinne der Ausnahmebestimmung des § 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens vorliegt. Da es der Verbreiterung der Beweis- und Tatsachenfrage bedarf, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhaltes geeignet und zweckdienlich ist. Das Gesetz lässt dem Gericht grundsätzlich freie Hand, wie es sich die Überzeugung von einer rechtserheblichen Tatsache verschafft (9 Ob 23/03b, RIS-Justiz RS0006272). Im vorliegenden Verfahren ist aufzugreifen, dass die Entscheidung des Erstgerichtes lediglich auf den Aussagen der Mutter und der Tante der Minderjährigen basiert, ohne dass versucht wurde, diese Angaben auch zu objektivieren. Der Vater hat auf diesen Umstand in seinem Rekurs - im Gegensatz zur Ansicht des Rekursgerichtes - deutlich hingewiesen. Er beantragte die Beiziehung des Jugendwohlfahrtsträgers zur Abklärung der familiären Situation, die Befragung der Minderjährigen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens und vermisste Feststellungen zu den Lebensumständen der Minderjährigen in Polen. Mit diesen Anträgen wird sich das Erstgericht auseinandersetzen müssen. Insbesondere sind die Lebensverhältnisse der Minderjährigen in Polen und ihr Verhältnis zu ihrem Vater abzuklären, um beurteilen zu können, ob ein Rückführungshindernis im Sinne der Ausnahmebestimmung des Paragraph 13, Absatz eins, Litera b, des Übereinkommens vorliegt. Da es der Verbreiterung der Beweis- und Tatsachenfrage bedarf, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.

Anmerkung

E74877 5Ob100.04y-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0050OB00100.04Y.1029.000

Dokumentnummer

JJT_20041029_OGH0002_0050OB00100_04Y0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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