TE Vwgh Erkenntnis 2007/6/26 2005/01/0396

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Veröffentlicht am 26.06.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des O K in W, geboren 1979, vertreten durch MMag. Werner Minihold, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4/II/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. April 2005, Zl. 226.099/8-V/13/02, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, reiste am 19. September 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte entweder am 19. oder am 20. September 2001 die Gewährung von Asyl.

Mit Bescheid vom 7. Jänner 2002 wies das Bundesasylamt einen Asylantrag des Beschwerdeführers vom "07.07.2001" (gemeint offenbar: den am 19. oder 20. September 2001 vom Beschwerdeführer gestellten Asylantrag) gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers vom 24. Jänner 2002 wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. April 2005 gemäß §§ 7, 8 AsylG ab.

Nach einer wörtlichen Wiedergabe des zuletzt (am 1. April 2005) geführten "Berufungsrechtsgesprächs" stellte die belangte Behörde fest, die vom Beschwerdeführer vorgebrachten "Umstände bzw. Ereignisse", die seiner Darstellung nach ursächlich für das Verlassen seines Heimatlandes Sudan gewesen seien, könnten nicht positiv festgestellt und der Entscheidung (gemeint: nicht) zu Grunde gelegt werden. Aus den auf den Seiten 6 bis 9 des angefochtenen Bescheides näher dargestellten ("individuell beweiswürdigenden") Erwägungen sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit "gänzlich" zu versagen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde rügt (als einen wesentlichen Verfahrensfehler), dass die belangte Behörde sich über das (schriftliche) Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung, den von ihm vorgelegten "SPLM-Ausweis" und seine beigebrachte Bestätigung der "Nuba Mountains Solitarity Abroad (NMSA)" in den Niederlanden ohne Begründung hinweggesetzt habe. Mit der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, dass er als "Nuba" einer unterdrückten Volksgruppe im Sudan angehöre, und auch mit seiner Mitgliedschaft in der oppositionellen politischen Gruppierung SPLM (Sudan Peoples's Liberation Movement) habe sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt; darüber seien auch keine Feststellungen getroffen worden.

Schon damit ist die Beschwerde im Recht. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass die am 24. Jänner 2002 gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingelangte (mit 23.1.2002 datierte) Berufung auch eine vierseitige Begründung in arabischer Sprache und Schrift umfasste (vgl. Aktenseiten 69 bis 75 des erstinstanzlichen Aktes). Die belangte Behörde beauftragte am 6. Februar 2002 einen Dolmetscher mit der Herstellung einer Übersetzung von diesen Berufungsausführungen; die am 17. Februar 2002 vorgenommene Übersetzung befindet sich in den Akten der belangten Behörde.

Im angefochtenen Bescheid vom 13. April 2005 ging die belangte Behörde jedoch auf diese schriftlichen Berufungsausführungen des Beschwerdeführers mit keinem Wort ein. Auch mit der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers setzte die belangte Behörde sich nicht auseinander. Der Beschwerdeführer gab an, er sei ein "Nuba", seine Muttersprache sei "Nimang". Zur Lage der Nuba im Sudan bzw. zur Mitgliedschaft des Beschwerdeführers in der oppositionellen politischen Gruppierung SPLM traf die belangte Behörde keine Feststellungen; sie stellte auch im Rahmen der Beweiswürdigung darüber keine Erwägungen an. Der in der Beschwerde angesprochene Verfahrensmangel liegt daher vor.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde ist nicht schlüssig. Die ins Treffen geführte "Mehrzahl an widersprüchlichen Angaben" rechtfertigte es nach ihrer inhaltlichen Bedeutung nicht, dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit "gänzlich" zu versagen. Ob seine berufliche Tätigkeit in Kaja als "Transporthelfer und Putzmann", "Leiter eines Lebensmittellagers" oder "Tätigkeit in einer Lebensmittelabteilung" bezeichnet wird, bzw. wie diese Tätigkeit richtig zu beschreiben gewesen wäre, ist nicht entscheidend; dass der Beschwerdeführer diese Tätigkeit in Kaja nicht ausgeübt habe, ergibt sich daraus jedenfalls nicht. Auch die "Bezeichnung" des militärischen Ranges bzw. der Funktion im Militärcamp in Kitri ist in der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers nicht von tragender Bedeutung. Die diesbezüglichen Abweichungen in den Aussagen beschreibt die belangte Behörde selbst bloß als "Diskrepanzen". Die vorgehaltene "mangelnde Übereinstimmung" in seiner Aussage erklärte der Beschwerdeführer in nicht unplausibler Weise damit, der bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt beigezogenen Dolmetscher habe einen "syro/palästinensischen" Dialekt gesprochen, während er (der Beschwerdeführer) in "sudanesisch/arabisch" geantwortet habe. Dass bzw. inwieweit diese Aufklärung unzutreffend sei, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt; sie hielt dazu lediglich beschreibend fest, der Beschwerdeführer habe sich "auf Missverständnisse in der Kommunikation mit dem Dolmetscher" berufen, ohne aber auf diese Rechtfertigung des Beschwerdeführers inhaltlich einzugehen. Auch auf die Darstellung des Beschwerdeführers, warum er nur seinen achttägigen Aufenthalt im staatlichen Gefängnis als eine "Haft" bezeichnete bzw. verstanden habe, ging die belangte Behörde inhaltlich nicht ein. Sie hätte insoweit aber in Betracht ziehen müssen, dass eine politische Oppositionsbewegung (SPLM) schon im formellen Sinn kein staatliches Gefängnis führt und den Beschwerdeführer daher nicht in "Haft" nehmen konnte; die Rechtfertigung des Beschwerdeführers erscheint von daher nicht als unplausibel. Wird das vom Beschwerdeführer dargelegte Verständnis seiner "Haft" mitberücksichtigt, dann liegt die von der belangten Behörde angenommene "komplette Abkehr des bisherigen Vorbringens" nicht vor.

Die textbausteinartig gestalteten Teile der Beweiswürdigung (auf Seite 9 des angefochtenen Bescheides) betreffend eine fehlende Detailschilderung "des Herganges der Ereignisse" bzw. die Annahme, der Beschwerdeführer habe die "präsentierten Fakten" nicht selbst erlebt, sind nicht nachvollziehbar; sie lassen eine konkrete Begründung und fallbezogene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht erkennen; nach der Bescheidbegründung ist nicht nachvollziehbar, auf welche Punkte des Vorbringens des Beschwerdeführers diese Ausführungen zu beziehen sind bzw. welche Punkte des Vorbringens die belangte Behörde als "zentral" wertete.

Insoweit im angefochtenen Bescheid somit die Erwägungen zur Beweiswürdigung nur mangelhaft (unschlüssig) begründet wurden, was die Beschwerde mit Recht rügt, wobei u.a. auch zutreffend vorgebracht wurde, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen weder "gesteigert" noch versucht, "Fluchtgründe nachzuschieben" oder sie (nachträglich) "auszuschmücken", liegt ein weiterer Verfahrensmangel vor.

Da (auch nach dem Beschwerdevorbringen) nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Juni 2007

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005010396.X00

Im RIS seit

23.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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