Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Jennifer Ruth V*****, Lehrerin und 2) Sophie V*****, geboren am 7. Februar 1995, Schülerin, beide *****, Tschechische Republik, vertreten durch Dr. Günther Riess, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) Hartmut S***** und 2) ***** Versicherung-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Georg Maxwald und Dr. Georg Bauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 14.534,56 sA und Feststellung (Erstklägerin) und EUR 7.267,28 (Zweitklägerin) über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2004, GZ 4 R 131/04v, 4 R 132/04s-97, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3. Mai 2004, GZ 1 Cg 109/01x-93, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien haben die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Gemäß §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei der Zurückweisung eines Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Am 3. 12. 1999 ereignete sich in der Tschechischen Republik ein Verkehrsunfall an dem ein von Vitezslav V***** gelenkter PKW und ein weiterer, vom Erstbeklagten gelenkter und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherter PKW beteiligt waren. Die Erst- und Zweitklägerin waren Insassen im Fahrzeug des Vitezslav V*****.
Sie brachten vor, durch den vom Erstbeklagten verschuldeten Unfall schwer verletzt worden zu sein. Die Erstklägerin begehrt ein Schmerzengeld in der Höhe von EUR 14.534,56, die Zweitklägerin ein solches in der Höhe von EUR 7.267,28. Weiters begehrt die Erstklägerin die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Unfallsfolgen.
Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren der Erstklägerin im Umfang von EUR 962,76 und dem der Zweitklägerin im Umfang von EUR 202,18 statt; weiters wurde dem Feststellungsbegehren Folge gegeben.
Es stellte die von den Klägerinnen erlittenen Verletzungen fest und führte aus, die Erstklägerin habe ein bis zwei Tage sehr starke Schmerzen, zweieinhalb bis drei Wochen starke Schmerzen, sieben bis acht Wochen mittelstarke Schmerzen und dreieinhalb bis vier Wochen leichte Schmerzen zu erdulden gehabt. Die Zweitklägerin habe eine Woche starke Schmerzen, acht bis zehn Tage mittelstarke Schmerzen und zweieinhalb bis drei Wochen leichte Schmerzen zu erdulden gehabt.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es sei auf Grund des Art 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens vom 4. 5. 1971 tschechisches Recht anzuwenden. Nach diesem stehe der Erstklägerin für die von ihr erlittenen Schmerzen ein Betrag von EUR 577,66, der Zweitklägerin ein solcher von EUR 202,18 zu; darüber hinaus stehe der Erstklägerin ein Betrag von EUR 385,10 an Entschädigung für Erschwerung in gesellschaftlicher Betätigung zu.
Das von den klagenden Parteien angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses. Es sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes hinsichtlich der Erstklägerin übersteige insgesamt EUR 20.000, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.
Das Berufungsgericht schloss sich der Ansicht des Erstgerichtes, es sei tschechisches Sachrecht anzuwenden, an. Der Entwurf des Rates der Europäischen Union über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vermöge daran nichts zu ändern. Art 10 des Haager Straßenverkehrsabkommen stehe dem nicht entgegen, weil kein Widerspruch zum "ordre public" bestehe, wenn eine ausländische Norm den Ersatz immaterieller Schäden (insbesondere Schmerzengeld) ausschließe. Im Übrigen bedürfe es aber noch weiterer Erhebungen zur Ermittlung des anzuwendenden ausländischen Rechtes und zur Höhe des nach diesem zustehenden Schmerzengeldes.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil es fraglich sei, ob die bestehende Rechtsprechung zum "ordre public" im Hinblick darauf, dass ausgehend vom Einfluss des europäischen Rechtes der Zuspruch von Schmerzengeld für immaterielle Schäden vermehrt gewährt werde, aufrecht erhalten werde, insbesondere ob es noch sachgerecht sei, dass innerhalb der Europäischen Union, insbesondere nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union, derartige Diskrepanzen zwischen den Mitgliedsstaaten in der Höhe des Schmerzengeldzuspruches bestehen könnten.
Rechtliche Beurteilung
Diese vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt aber nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO, weil der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass die Anwendung ausländischen Schadenersatzrechtes nicht aus dem Grunde allein, weil es kein Schmerzengeld vorsieht, mit der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist (RIS-Justiz RS0045420; SZ 47/117; vgl Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8, 199 mwN). Es gibt auch reichhaltige Rechtsprechung zur Frage, welchem Zweck der "ordre public" dient und unter welchen Voraussetzungen dessen Verletzung vorliegt (RIS-Justiz RS0016665). Davon abzugehen oder dies neuerlich zu überdenken besteht kein Anlass, hat doch auch das Verkehrsopferschutzgesetz vom 2. Juni 1977 in seinem § 5 zunächst vorgesehen, dass Schmerzengeld und Schadenersatz wegen Verunstaltung nicht zu leisten sind. Die Aufhebung dieser Bestimmung erfolgte erst durch BGBl 1993/94.Diese vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt aber nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO, weil der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass die Anwendung ausländischen Schadenersatzrechtes nicht aus dem Grunde allein, weil es kein Schmerzengeld vorsieht, mit der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist (RIS-Justiz RS0045420; SZ 47/117; vergleiche Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8, 199 mwN). Es gibt auch reichhaltige Rechtsprechung zur Frage, welchem Zweck der "ordre public" dient und unter welchen Voraussetzungen dessen Verletzung vorliegt (RIS-Justiz RS0016665). Davon abzugehen oder dies neuerlich zu überdenken besteht kein Anlass, hat doch auch das Verkehrsopferschutzgesetz vom 2. Juni 1977 in seinem § 5 zunächst vorgesehen, dass Schmerzengeld und Schadenersatz wegen Verunstaltung nicht zu leisten sind. Die Aufhebung dieser Bestimmung erfolgte erst durch BGBl 1993/94.
Auch sonst werden im Rechtsmittel der klagenden Parteien keine erheblichen Rechtsfragen dargetan. Die Frage, ob Tschechien Vertragspartner des Haager Straßenverkehrsübereinkommens ist, stellt sich nicht, weil die Artikel 1-10 dieses Abkommens nach seinem Artikel 11 auch dann anzuwenden sind, wenn das anzuwendende Recht nicht das Recht eines Vertragstaates ist (RIS-Justiz RS0008688).
Dass die Klägerinnen nicht Angehörige der Tschechischen Republik sind, hat auf die Anwendung tschechischen Sachrechts ebenfalls keinen Einfluss. Gemäß Art 4 lit a Haager Straßenverkehrsübereinkommen wird - vorbehaltlich dessen Art 5 - gegenüber einem Geschädigten, der Fahrgast war und wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat als dem Unfallsort hatte, nur dann vom Grundprinzip des Art 3 Haager Straßenverkehrsübereinkommen abgewichen, wenn nur ein Fahrzeug an dem Unfall beteiligt war und dieses in einem anderen als dem Staat zugelassen ist, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Die Klägerinnen saßen im Unfallszeitpunkt aber in einem in Tschechien zugelassenen Fahrzeug; nur das Fahrzeug des Unfallsgegners ist in Österreich zugelassen.
Auch zur Auslegung des Artikels 10 des genannten Abkommens liegt Rechtsprechung vor, wonach die inländische Rechtsordnung nur vor dem Eindringen solcher fremder Rechtsgedanken geschützt werden soll, die mit wesentlichen österreichischen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sind (RIS-Justiz RS0074428; ZVR 1993/108).
Schließlich besteht auch kein Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, weil die Voraussetzungen des Art 234 EG nicht gegeben sind. Wie das Berufungsgericht bereits ausgeführt hat, stellt ein Verordnungsvorschlag kein geltendes Recht dar und kann daher auch nicht Grundlage eines Vorabentscheidungsersuches sein.
Das Rechtsmittel der klagenden Parteien war deshalb zurückzuweisen.
Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen weil sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses der klagenden Parteien nicht hingewiesen haben.
Textnummer
E75121European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2004:0020OB00237.04Y.1104.000Im RIS seit
04.12.2004Zuletzt aktualisiert am
25.03.2011