TE OGH 2004/11/23 1Ob121/04g

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Veröffentlicht am 23.11.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Liselotte Q*****, vertreten durch Dr. Erich Schwarz, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1. Dr. Nikolaus Q*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Agnes Q*****, vertreten durch Dr. Peter Karlberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. August 2003, GZ 41 R 95/03d-34, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 20. Jänner 2003, GZ 4 C 1267/00y-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 330,11 EUR (darin 55,02 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu zahlen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte die Räumung einer ihr gehörigen Eigentumswohnung samt dazu gehörigem Autoabstellplatz. Sie brachte vor, sie habe diese Objekte dem Erstbeklagten jederzeit widerruflich als Prekarium überlassen. Die Zweitbeklagte habe die Wohnung einige Zeit mit dem Erstbeklagten gemeinsam genutzt und sei, nachdem dieser aus der Wohnung ausgezogen sei, dort verblieben. Am 24. 2. 2000 habe die Klägerin dem Erstbeklagten gegenüber das Prekarium unter Einhaltung einer vereinbarten (dreimonatigen) Widerrufsfrist zum 31. 5. 2000 widerrufen und gleichzeitig die Zweitbeklagte aufgefordert, die Wohnung samt Autoabstellplatz bis längstens 15. 6. 2000 zu räumen. Nach wie vor benutze die Zweitbeklagte die Wohnung titellos.

Der Erstbeklagte anerkannte das Klagebegehren, wohingegen die Zweitbeklagte einwendete, bereits im Frühjahr 1990 hätten die Klägerin und der Erstbeklagte vereinbart, er und die Zweitbeklagte sowie ihr gemeinsames Kind könnten die Wohnung uneingeschränkt und auf unbestimmte Zeit benützen. Eine jederzeitige Widerrufbarkeit des eingeräumten Rechts sei nicht vereinbart worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte fest, die Klägerin habe die von ihr erworbene Eigentumswohnung dem Erstbeklagten zur Nutzung überlassen und ihn darauf hingewiesen, er könne nur bis auf Widerruf in der Wohnung bleiben. "Wenn sie die Wohnung bräuchte, müsse er wieder ausziehen." Im Februar 1990 sei der Erstbeklagte in die Wohnung eingezogen. Wenige Wochen später sei die Zweitbeklagte mit der gemeinsamen Tochter der Beklagten in die dem Erstbeklagten überlassene Wohnung übersiedelt. Hievon habe die Klägerin erst später erfahren und zur Absicherung ihrer Rechte einen schriftlichen "Bittleihevertrag" verfassen lassen, den der Erstbeklagte und auch sie unterfertigt hätten. In diesem Vertrag sei festgehalten, dass die Wohnung "bittleiheweise" unentgeltlich für Wohnzwecke bis auf jederzeitigen Widerruf überlassen werde. "Im Falle des Widerrufs" durch die Klägerin erlösche "das Recht zur Benutzung drei Monate nach Ausspruch des Widerrufs, wobei die Räumung und Freimachung der Wohnung zu dem darauffolgenden Monatsletzten zu erfolgen" habe. Die Zweitbeklagte sollte diesen Vertrag zum Zeichen ihrer Zustimmung mitunterfertigen, was sie aber abgelehnt habe. Vom 5. 3. 1993 bis Ende 1997 seien die Beklagten ein zweites Mal miteinander verehelicht gewesen. Bereits im August 1995 habe der Erstbeklagte die Scheidungsklage eingebracht und sei im Dezember 1995 aus der Wohnung der Klägerin ausgezogen. Er habe mit der Zweitbeklagten nicht darüber gesprochen, was mit der Wohnung geschehen solle. Dieser sei auch von der Klägerin kein Recht auf Weiterbenützung der Wohnung eingeräumt worden. Mit Schreiben vom 2. 4. 1998 habe der damalige Rechtsvertreter der Klägerin der Zweitbeklagten mitgeteilt, die prekaristische Überlassung der Wohnung - an den Erstbeklagten - zum 31. 5. 1998 zu widerrufen. Dem habe die Zweitbeklagte entgegengehalten, es sei niemals ein Prekarium vereinbart worden und deshalb auch kein Widerruf möglich. Dem Erstbeklagten gegenüber sei das Prekarium mit Schreiben vom 24. 2. 2000 widerrufen, und er sei aufgefordert worden, die Wohnung samt Nebenräumen und Garagenabstellplatz bis längstens 31. 5. 2000 zu übergeben. Am 19. 10. 2000 sei die vorliegende Räumungsklage den Beklagten zugestellt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, das Benützungsrecht des Erstbeklagten sei aufgrund des Widerrufs des Prekariums erloschen. Der Zweitbeklagten sei kein Wohnungsnutzungsrecht eingeräumt worden, und mangels Einräumung eigener Rechte sei auch der Titel der Zweitbeklagten zur Benützung der Wohnung - abgeleitet von den Rechten des Erstbeklagten - erloschen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige; es erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Im schriftlichen Bittleihevertrag von Ende Jänner 1991 sei nur festgehalten worden, was zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten bereits etwa ein Jahr zuvor mündlich vereinbart worden sei. Bei der Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten handle es sich um ein Prekarium iSd § 974 ABGB. Die Klägerin sei berechtigt, die Einräumung des Wohnungsrechts willkürlich zu widerrufen. Auf § 97 ABGB könne sich die Zweitbeklagte nicht stützen, weil die Streitteile lediglich von 1982 bis 1987 und ein zweites Mal vom 5. 3. 1993 bis Ende 1997 verheiratet gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Zweitbeklagten ist unzulässig.

Vorweg ist dem Einwand der Klägerin in deren Revisionsbeantwortung, die Revision sei schon gemäß § 502 Abs 2 ZPO unzulässig, entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht richtiger Weise einen Bewertungsausspruch vornahm und diesem gemäß der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, wenn auch nicht 20.000 EUR übersteigt. Der Bewertungsausspruch ist erforderlich, weil es sich im vorliegenden Fall - wie die Klägerin selbst erkennt - um keine unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeit über eine Räumung iSd § 502 Abs 5 Z 2 ZPO handelt, ist doch die Räumungsklage gegen titellose Benützer gerichtet (vgl 2 Ob 234/00a; MietSlg 51.729; 50.679; Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 2 zu § 502 mwN).Vorweg ist dem Einwand der Klägerin in deren Revisionsbeantwortung, die Revision sei schon gemäß § 502 Abs 2 ZPO unzulässig, entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht richtiger Weise einen Bewertungsausspruch vornahm und diesem gemäß der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, wenn auch nicht 20.000 EUR übersteigt. Der Bewertungsausspruch ist erforderlich, weil es sich im vorliegenden Fall - wie die Klägerin selbst erkennt - um keine unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeit über eine Räumung iSd § 502 Abs 5 Z 2 ZPO handelt, ist doch die Räumungsklage gegen titellose Benützer gerichtet vergleiche 2 Ob 234/00a; MietSlg 51.729; 50.679; Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 2 zu § 502 mwN).

Die Revision ist aber unzulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist:

Bei der Bittleihe (Prekarium) handelt es sich um einen Leihvertrag, bei dem der Gebrauch der Sache gegen jederzeitigen Widerruf eingeräumt wird, sodass der Verleiher die Sache nach Willkür zurückfordern kann. Der für das Prekarium wesentlichen Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs entspricht der Mangel der Bindung des Verleihers für die Zukunft. Die freie, jederzeitige Widerruflichkeit ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann nicht gegeben, wenn dem Eigentümer zwar das Recht zum Widerruf zusteht, dem Benützer aber für diesen Fall eine längere Räumungsfrist eingeräumt wird (MietSlg 39.071; 3 Ob 521/86; 1 Ob 510/83; EvBl 1964/360; MietSlg 16.078; Schubert in Rummel, ABGB3 Rz 1 zu § 974). Das Vorliegen eines Prekariums wurde in mehreren Entscheidungen bei Einräumung einer sechsmonatigen Räumungsfrist verneint (MietSlg 39.071; 16.078); der Oberste Gerichtshof hat aber auch (verallgemeinernd) ausgesprochen, dass das Zugeständnis einer Räumungsfrist von "einigen Monaten" gegen die Annahme einer Bittleihe spreche (MietSlg 27.128). Die Lösung der Frage, ob angesichts der hier eingeräumten Räumungsfrist von mehrmals drei, aber weniger als vier Monaten von einer jederzeitigen freien Widerrufsmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung nicht gesprochen werden kann und damit das Vorliegen eines Prekariums zu verneinen ist (vgl 6 Ob 143/02a), kann aber dahingestellt bleiben, weshalb die Lösung der vom Berufungsgericht letztlich für bedeutsam erachteten Rechtsfrage, ob bereits die Vereinbarung einer dreimonatigen Räumungsfrist dem Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten "die Qualität eines Prekariums nehme", entbehrlich ist:Bei der Bittleihe (Prekarium) handelt es sich um einen Leihvertrag, bei dem der Gebrauch der Sache gegen jederzeitigen Widerruf eingeräumt wird, sodass der Verleiher die Sache nach Willkür zurückfordern kann. Der für das Prekarium wesentlichen Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs entspricht der Mangel der Bindung des Verleihers für die Zukunft. Die freie, jederzeitige Widerruflichkeit ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann nicht gegeben, wenn dem Eigentümer zwar das Recht zum Widerruf zusteht, dem Benützer aber für diesen Fall eine längere Räumungsfrist eingeräumt wird (MietSlg 39.071; 3 Ob 521/86; 1 Ob 510/83; EvBl 1964/360; MietSlg 16.078; Schubert in Rummel, ABGB3 Rz 1 zu § 974). Das Vorliegen eines Prekariums wurde in mehreren Entscheidungen bei Einräumung einer sechsmonatigen Räumungsfrist verneint (MietSlg 39.071; 16.078); der Oberste Gerichtshof hat aber auch (verallgemeinernd) ausgesprochen, dass das Zugeständnis einer Räumungsfrist von "einigen Monaten" gegen die Annahme einer Bittleihe spreche (MietSlg 27.128). Die Lösung der Frage, ob angesichts der hier eingeräumten Räumungsfrist von mehrmals drei, aber weniger als vier Monaten von einer jederzeitigen freien Widerrufsmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung nicht gesprochen werden kann und damit das Vorliegen eines Prekariums zu verneinen ist vergleiche 6 Ob 143/02a), kann aber dahingestellt bleiben, weshalb die Lösung der vom Berufungsgericht letztlich für bedeutsam erachteten Rechtsfrage, ob bereits die Vereinbarung einer dreimonatigen Räumungsfrist dem Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten "die Qualität eines Prekariums nehme", entbehrlich ist:

Ginge man davon aus, dass die Einräumung einer Räumungsfrist in der hier vereinbarten Dauer die Annahme einer Bittleihe ausschließe, dann könnte das hier festgestellte Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten nur als Leihvertrag iSd § 971 ABGB gewertet werden, wurde doch die Wohnung samt Autoabstellplatz zum unentgeltlichen Gebrauch auf insoweit "bestimmte Zeit" überlassen, als nach Kündigung der Leihe die Wohnung noch eine bestimmte Zeit (etwas mehr als drei, aber weniger als vier Monate) hindurch benutzt werden durfte. Der der Klägerin vertraglich eingeräumte und von ihr ausgesprochene "Widerruf des Prekariums" wäre in diesem Fall als Aufkündigung des Leihvertrags zu deuten, weshalb das geliehene Wohnobjekt zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt zurückzustellen gewesen wäre (Schubert aaO Rz 1 und 4 zu § 971). Die dem Erstbeklagten eingeräumte Nutzungszeit ist unbestrittenermaßen abgelaufen. Die Zweitbeklagte kann ihr Nutzungsrecht nur aus dem Recht ableiten, das die Klägerin dem Erstbeklagten einräumte. Demgemäß wäre sie zur Räumung selbst dann verpflichtet, wenn man vom Vorliegen eines zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten geschlossenen Leihvertrags ausginge.

Die Auslegung der zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten getroffenen Vereinbarung durch das Berufungsgericht dahin, dass deren Auflösung willkürlich erfolgen könnte und nicht auf bestimmte Gründe beschränkt sei (S 8 f des Berufungsurteils), ist logisch einwandfrei und daher nicht revisibel (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 5 zu § 502 mwN).

Die Zweitbeklagte zeigte demnach keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf - und es liegen solche auch nicht vor -, weshalb die Revision zurückzuweisen ist. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E75444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:0010OB00121.04G.1123.000

Im RIS seit

23.12.2004

Zuletzt aktualisiert am

13.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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