TE OGH 2004/11/23 10ObS176/04m

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Veröffentlicht am 23.11.2004
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ramazan B*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension bei Arbeitslosigkeit, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. August 2004, GZ 12 Rs 53/04g-16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.Die Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der aus der Türkei stammende Kläger - mittlerweile österreichischer Staatsangehöriger - hat im Zuge seiner erstmaligen Anmeldung zur österreichischen Sozialversicherung im Jahre 1970 als Geburtsdatum den 2. 9. 1947 angegeben. Am 30. 11. 1984 hat der Kläger bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter erstmals die Gewährung einer Pensionsleistung beantragt und dabei als Geburtsdatum ebenfalls den 2. 9. 1947 angegeben. Mit Urteil vom 18. 4. 1995 hat das Zivilgericht Kovancilar (Türkei) das Geburtsdatum des Klägers auf den 2. 9. 1940 berichtigt.

Mit Bescheid vom 12. 9. 2003 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 23. 7. 2003 auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit ohne Überprüfung der allgemeinen und besonderen Anspruchsvoraussetzungen abgewiesen. Ausgehend vom 2. 9. 1947 als Geburtsdatum des Klägers sei der Versicherungsfall - mangels Vollendung des 738. Lebensmonates - am Stichtag nicht eingetreten. Eine Änderung des Geburtsdatums auf den 2. 9. 1940 komme nicht in Betracht, da bereits in einem Vorverfahren bei der OÖ Gebietskrankenkasse die Berichtigung des Geburtsjahres abgelehnt worden sei.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab, weil der Kläger das Anfallsalter für die beantragte Leistung nicht erfülle. Gemäß § 358 Abs 3 ASVG sei für Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Pensionsversicherung weiterhin vom Geburtsdatum 2. 9. 1947 auszugehen, da ein offenkundiger Schreibfehler nicht vorliege und die Entscheidung des türkischen Zivilgerichts erst nach dem Eintritt des Klägers in die österreichische Sozialversicherung ergangen sei.Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab, weil der Kläger das Anfallsalter für die beantragte Leistung nicht erfülle. Gemäß Paragraph 358, Absatz 3, ASVG sei für Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Pensionsversicherung weiterhin vom Geburtsdatum 2. 9. 1947 auszugehen, da ein offenkundiger Schreibfehler nicht vorliege und die Entscheidung des türkischen Zivilgerichts erst nach dem Eintritt des Klägers in die österreichische Sozialversicherung ergangen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. 6. 2004, 10 ObS 200/03i. Eine - vom Kläger relevierte - Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht zu erkennen, zumal der Gesetzgeber in Bezug auf die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung keine unsachliche Einschränkung vorgenommen habe; vielmehr habe er der Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen mittels nachträglicher Änderung des Geburtsdatums entgegentreten wollen. Auch eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes sei ebenso zu verneinen wie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör iSd Art 6 Abs 1 EMRK, da der Versicherte durch § 358 Abs 3 ASVG nicht an das Ergebnis eines anderen Verfahrens gebunden sei, zu dem er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang gehabt habe.Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. 6. 2004, 10 ObS 200/03i. Eine - vom Kläger relevierte - Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht zu erkennen, zumal der Gesetzgeber in Bezug auf die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung keine unsachliche Einschränkung vorgenommen habe; vielmehr habe er der Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen mittels nachträglicher Änderung des Geburtsdatums entgegentreten wollen. Auch eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes sei ebenso zu verneinen wie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör iSd Artikel 6, Absatz eins, EMRK, da der Versicherte durch Paragraph 358, Absatz 3, ASVG nicht an das Ergebnis eines anderen Verfahrens gebunden sei, zu dem er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang gehabt habe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, da der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 200/03i keine verfassungsrechtlichen Überlegungen zu der eingeschränkten Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung des § 358 Abs 3 ASVG anzustellen gehabt habe und der Meinungsstand in Deutschland zur Verfassungsmäßigkeit der vergleichbaren Bestimmung des § 33a SGB I durchaus kontroversiell sei.Die ordentliche Revision sei zulässig, da der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 200/03i keine verfassungsrechtlichen Überlegungen zu der eingeschränkten Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung des Paragraph 358, Absatz 3, ASVG anzustellen gehabt habe und der Meinungsstand in Deutschland zur Verfassungsmäßigkeit der vergleichbaren Bestimmung des Paragraph 33 a, SGB römisch eins durchaus kontroversiell sei.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem das Revisionsgericht nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht vorliegt.Die Revision ist entgegen dem das Revisionsgericht nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil eine iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht vorliegt.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 8. 6. 2004, 10 ObS 200/03i, eingehend das Abgehen von der in einem obiter dictum der Entscheidung 10 ObS 67/03f angeführten Rechtsansicht begründet. Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass zu einer Rückkehr zu der Rechtsmeinung, dass § 358 Abs 3 ASVG im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden sei. Diese seinerzeit vertretene Ansicht wurde zuletzt auch in der Literatur abgelehnt (Neumayr/Burgstaller, Das Geburtsdatum des Sozialversicherten, FS Bauer/Maier/Petrag [2004] 413 ff).Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 8. 6. 2004, 10 ObS 200/03i, eingehend das Abgehen von der in einem obiter dictum der Entscheidung 10 ObS 67/03f angeführten Rechtsansicht begründet. Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass zu einer Rückkehr zu der Rechtsmeinung, dass Paragraph 358, Absatz 3, ASVG im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden sei. Diese seinerzeit vertretene Ansicht wurde zuletzt auch in der Literatur abgelehnt (Neumayr/Burgstaller, Das Geburtsdatum des Sozialversicherten, FS Bauer/Maier/Petrag [2004] 413 ff).

Zu der im Vergleich zu § 358 Abs 3 ASVG strikteren Regelung des § 33a SGB I geht das deutsche Bundessozialgericht nunmehr davon aus, dass grundsätzliche Bedenken verfassungsrechtlicher oder europarechtlicher Art gegen die Vorschrift nicht bestünden (BSG 5. 4. 2001, B 13 RJ 35/00 R, NZS 2002, 202). Zuletzt hat sich in Deutschland Joussen (Altersabhängige Rechte und Pflichten gemäß § 33a SGB I, NZS 2004, 120) eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob § 33a SGB I mit dem Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht vereinbar sei; auch er hat die Vereinbarkeit bejaht.Zu der im Vergleich zu Paragraph 358, Absatz 3, ASVG strikteren Regelung des Paragraph 33 a, SGB römisch eins geht das deutsche Bundessozialgericht nunmehr davon aus, dass grundsätzliche Bedenken verfassungsrechtlicher oder europarechtlicher Art gegen die Vorschrift nicht bestünden (BSG 5. 4. 2001, B 13 RJ 35/00 R, NZS 2002, 202). Zuletzt hat sich in Deutschland Joussen (Altersabhängige Rechte und Pflichten gemäß Paragraph 33 a, SGB römisch eins, NZS 2004, 120) eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob Paragraph 33 a, SGB römisch eins mit dem Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht vereinbar sei; auch er hat die Vereinbarkeit bejaht.

Selbst ausgehend davon, dass im Fall des Klägers die Änderung des Geburtsdatums bereis vor dem Inkrafttreten es § 358 Abs 3 ASVG erfolgte, wurde nicht in eine gesicherte Rechtsposition eingegriffen. Der Kläger konnte auch vor dem 1. 1. 2002 nicht darauf vertrauen, dass bei einer Geburtsdatumsänderung unbedingt ein Leistungsanspruch verwirklicht werden könnte. Die die Berichtigung anordnende Entscheidung des türkischen Zivilgerichts ist in Österreich hinsichtlich ihrer Beweiskraft einer österreichischen öffentlichen Urkunde gleichzustellen, bei der der Beweis der Unrichtigkeit möglich ist (SSV-NF 8/24). Dass der Gesetzgeber das Erfordernis einer in der Regel äußerst umfangreichen und zeitintensiven Prüfung und Beweiswürdigung hinsichtlich des Geburtsdatums des Sozialversicherten durch eine "neutrale" Regelung ersetzt, die auf eine Angabe des Versicherten selbst gegenüber dem Versicherungsträger abstellt, ist nicht unsachlich. Gerade der letztgenannte Aspekt spricht auch gegen einen Beeinträchtigung des Erfordernisses eines fair trial. Weiters ist daher nicht richtig, dass der Gesetzgeber mit § 358 Abs 3 ASVG "gerade jene Staatsbürger aus Herkunftsländern mit schlechtem Entwicklungsstandard gänzlich von der Möglichkeit des Nachweises des 'wahren' Geburtsdatums" ausschließe und es ihnen verweigere, "ihr richtiges Geburtsdatum unter Beweis zu stellen". Diese Beschränkung besteht nur dann, wenn der Versicherte selbst - so wie der Kläger im seinerzeitigen Pensionsantrag - bereits früher einmal gegenüber einem Sozialversicherungsträger ein bestimmtes Geburtsdatum angegeben hat. Selbst im Fall, dass der Versicherte gar nicht weiß, dass dieses Geburtsdatum nicht dem wahren entspricht, ist es zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles (RV Zu 834 BlgNR 21. GP 19) legitim, dass das Gesetz an diese erste Angabe des Versicherten rechtliche Folgen knüpft. Auch eine unter dem Gesichtspunkt einer unsachlichen Diskriminierung aufzugreifende Verletzung des Gleichheitssatzes ist daher zu verneinen (ebenso zum deutschen Rechtsbereich Joussen aaO 122, der darauf hinweist, dass angesichts des wegen der nicht verfestigten Rechtsposition ohnehin nicht erheblichen Eingriffs den Gesichtspunkten der Praktikabilität und der "Befriedungsfunktion" der gesetzlichen Regelung der Vorrang gegenüber den Interessen des Grundrechtsberechtigten zukomme).Selbst ausgehend davon, dass im Fall des Klägers die Änderung des Geburtsdatums bereis vor dem Inkrafttreten es Paragraph 358, Absatz 3, ASVG erfolgte, wurde nicht in eine gesicherte Rechtsposition eingegriffen. Der Kläger konnte auch vor dem 1. 1. 2002 nicht darauf vertrauen, dass bei einer Geburtsdatumsänderung unbedingt ein Leistungsanspruch verwirklicht werden könnte. Die die Berichtigung anordnende Entscheidung des türkischen Zivilgerichts ist in Österreich hinsichtlich ihrer Beweiskraft einer österreichischen öffentlichen Urkunde gleichzustellen, bei der der Beweis der Unrichtigkeit möglich ist (SSV-NF 8/24). Dass der Gesetzgeber das Erfordernis einer in der Regel äußerst umfangreichen und zeitintensiven Prüfung und Beweiswürdigung hinsichtlich des Geburtsdatums des Sozialversicherten durch eine "neutrale" Regelung ersetzt, die auf eine Angabe des Versicherten selbst gegenüber dem Versicherungsträger abstellt, ist nicht unsachlich. Gerade der letztgenannte Aspekt spricht auch gegen einen Beeinträchtigung des Erfordernisses eines fair trial. Weiters ist daher nicht richtig, dass der Gesetzgeber mit Paragraph 358, Absatz 3, ASVG "gerade jene Staatsbürger aus Herkunftsländern mit schlechtem Entwicklungsstandard gänzlich von der Möglichkeit des Nachweises des 'wahren' Geburtsdatums" ausschließe und es ihnen verweigere, "ihr richtiges Geburtsdatum unter Beweis zu stellen". Diese Beschränkung besteht nur dann, wenn der Versicherte selbst - so wie der Kläger im seinerzeitigen Pensionsantrag - bereits früher einmal gegenüber einem Sozialversicherungsträger ein bestimmtes Geburtsdatum angegeben hat. Selbst im Fall, dass der Versicherte gar nicht weiß, dass dieses Geburtsdatum nicht dem wahren entspricht, ist es zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles (RV Zu 834 BlgNR 21. GP 19) legitim, dass das Gesetz an diese erste Angabe des Versicherten rechtliche Folgen knüpft. Auch eine unter dem Gesichtspunkt einer unsachlichen Diskriminierung aufzugreifende Verletzung des Gleichheitssatzes ist daher zu verneinen (ebenso zum deutschen Rechtsbereich Joussen aaO 122, der darauf hinweist, dass angesichts des wegen der nicht verfestigten Rechtsposition ohnehin nicht erheblichen Eingriffs den Gesichtspunkten der Praktikabilität und der "Befriedungsfunktion" der gesetzlichen Regelung der Vorrang gegenüber den Interessen des Grundrechtsberechtigten zukomme).

Ebenso wenig ist eine unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechts relevante Diskriminierung erkennbar, hat doch der EuGH in seiner Entscheidung vom 14. 3. 2000, verb Rs C-102/98 und 211/98, Kocak und Örs, ausgesprochen, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, auf einen aus der Türkei stammenden Versicherten eine eine Regelung anzuwenden, nach der für die Gewährung einer Altersrente dasjenige Geburtsdatum maßgeblich ist, das sich aus der ersten Angabe des Betroffenen gegenüber einem Sozialleistungsträger des betroffenen Staates ergibt.

Da somit der Senat auch die vorgetragenen verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Bedenken nicht teilt, erweist sich die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig.

Textnummer

E75525

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:010OBS00176.04M.1123.000

Im RIS seit

23.12.2004

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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