Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Kalivoda und Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried Hermann A*****, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Karl Rümmele und Dr. Birgitt Breinbauer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen EUR 7.413,36 sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 3. November 2003, GZ 4 R 151/03s-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 5. Juni 2003, GZ 8 C 1009/02z-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Zwischen den Streitteilen bestand seit 1. 8. 1988 ein Krankenversicherungsvertrag zum Krankengeldtarif H 600. Aus diesem Tarif machte er mehrfach Leistungen geltend, so für den Zeitraum 2. 7. 1999 bis 8. 1. 2002 für insgesamt 437 Tage. Die Prämien für diese Versicherung wurden bis einschließlich 3. 5. 2002 vom Konto des Klägers einbezogen. Zuletzt machte er für den Zeitraum 9. 1. 2002 bis 20. 4. 2002 Leistungen in Höhe des Klagebetrages von EUR 7.413,36 geltend, welche von der beklagten Partei mit Schreiben vom 10. 4. 2002 abgelehnt wurden; gleichzeitig forderte diese den Kläger auf, einen Übergenuss unter Anrechnung irrtümlich eingehobener Prämien für den Zeitraum November 2001 bis Mai 2002 in Höhe von EUR 4.697,37 zurückzuzahlen. Weiters wurde über Antrag des Klägers vom 14. 1. 2002 eine Nachtragspolizze über den zusätzlichen Tarif QVA1 (Vitalplan), welche auch den Krankengeldtarif H 600 noch auswies, ausgestellt und mit weiterer Nachtragspolizze vom 8. 5. 2002 der Krankengeldtarif H 600 rückwirkend per 1. 11. 2001 storniert.
Die maßgeblichen Bestimmungen der dem verfahrensgegenständlichen Krankenversicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Krankengeldversicherung für selbständig Erwerbstätige haben folgenden Wortlaut:
§ 6 Abs 1 lit f: "Das Versicherungsverhältnis endet durch Bezug von Leistungen für die Dauer von 364 Tagen innerhalb von drei Versicherungsjahren mit sofortiger Wirkung."Paragraph 6, Absatz eins, Litera f, :, "Das Versicherungsverhältnis endet durch Bezug von Leistungen für die Dauer von 364 Tagen innerhalb von drei Versicherungsjahren mit sofortiger Wirkung."
§ 20 Abs 4: "Wurde das Krankengeld für eine oder mehrere Krankheiten innerhalb von drei Versicherungsjahren insgesamt durch 364 Tage bezahlt, so erlischt die Versicherung (§ 6 Abs 1 lit f)."Paragraph 20, Absatz 4 :, "Wurde das Krankengeld für eine oder mehrere Krankheiten innerhalb von drei Versicherungsjahren insgesamt durch 364 Tage bezahlt, so erlischt die Versicherung (Paragraph 6, Absatz eins, Litera f,)."
Mit der am 18. 10. 2002 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung des bereits genannten Betrages von EUR 7.413,36 samt 4 % Zinsen seit 20. 4. 2002.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren, da das Versicherungsvertragsverhältniss mit Bezug der Leistungen für 364 Tage "ex lege beendet" und eine Verlängerung oder Erneuerung mangels Willensübereinstimmung nicht erfolgt sei. Des Weiteren wendete sie einen Rückforderungsanspruch wegen Überzahlung aus der bestehenden Krankenversicherung in Höhe von insgesamt EUR 5.305,11 als Gegenforderung ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach Bezahlung der Versicherungsleistung für insgesamt mehr als 364, nämlich insgesamt 437 Tage innerhalb eines Zeitraumes von drei Versicherungsjahren sei der gegenständliche Versicherungsvertrag "automatisch beendet" worden. Eine konkludente Vertragsverlängerung sei nicht erfolgt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision (mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage) nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht schloss sich in rechtlicher Hinsicht den Ausführungen des Erstgerichtes an, wonach es einerseits zufolge Begrenzung der Leistungspflicht in den Versicherungsbedingungen zur Auflösung des Versicherungsvertrages und überdies auch (insbesondere durch die Ausstellung der ersten Nachtragspolizze) auch zu keiner konkludenten Verlängerung des Versicherungsverhältnisses gekommen sei. Der zunächst erfolgte Einzug weiterer Versicherungsprämien im Verein mit der Weiterzahlung des Krankengeldes nach Beendigung des Versicherungsvertrages beruhe auf einem Versehen der beklagten Versicherung, woraus der Kläger als redlicher verständiger Erklärungsempfänger bei sorgfältiger Deutung aus dem Verhalten der Beklagten nicht auf deren Rechtsfolgewillen habe schließen dürfen, den Versicherungsvertrag zu unveränderten Bedingungen fortzusetzen.
Über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision dahin ab, dass diese doch für zulässig erklärt wurde. Begründend führte das Berufungsgericht aus, dass von ihm nicht bedacht worden sei, dass ein Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht werde, und die vom Kläger aufgeworfene Frage des Erklärungswertes der Ausstellung einer neuen Polizze im Zusammenhang mit dem aktiven Prämieneinzug des Versicherungsnehmers samt dem daraus resultierenden Vertrauensschutz eines (durchschnittlichen) Versicherungsnehmers eine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Frage sei; daneben sei die Auffassung gerechtfertigt, dass das vorliegende Berufungsurteil von der Entscheidung 7 Ob 59/87 des Obersten Gerichtshofes abweiche, obwohl der dort zugrundliegende Sachverhalt mit dem hier verfahrensgegenständlichen "in der Tat nicht vergleichbar" sei.Über Antrag des Klägers gemäß Paragraph 508, ZPO änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision dahin ab, dass diese doch für zulässig erklärt wurde. Begründend führte das Berufungsgericht aus, dass von ihm nicht bedacht worden sei, dass ein Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht werde, und die vom Kläger aufgeworfene Frage des Erklärungswertes der Ausstellung einer neuen Polizze im Zusammenhang mit dem aktiven Prämieneinzug des Versicherungsnehmers samt dem daraus resultierenden Vertrauensschutz eines (durchschnittlichen) Versicherungsnehmers eine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Frage sei; daneben sei die Auffassung gerechtfertigt, dass das vorliegende Berufungsurteil von der Entscheidung 7 Ob 59/87 des Obersten Gerichtshofes abweiche, obwohl der dort zugrundliegende Sachverhalt mit dem hier verfahrensgegenständlichen "in der Tat nicht vergleichbar" sei.
In der auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revision wird der Antrag auf vollinhaltliche Klagestattgebung, hilfsweise Aufhebung der bekämpften Entscheidung samt Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht gestellt.
Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär der Antrag gestellt wird, das Rechtsmittel des Revisionsgegners als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem keine Folge zu geben.
Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungswesentlicher und dem Berufungsgericht als verfehlt vorgeworfener Anfechtungspunkt der Revision ist die Beurteilung des Gerichtes zweiter Instanz zur Frage einer konkludenten Vertragsverlängerung des Versicherungsvertrages zwischen den Streitteilen insbesondere im Zusammenhang mit der ausgestellten Nachtragspolizze. Hiezu hat der erkennende Senat Folgendes erwogen:
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nach den von Lehre und Rechtsprechung geforderten Kriterien eine Handlung (oder Unterlassung), um rechtsgeschäftlichen Erklärungswert im Wege schlüssiger oder konkludenter Verhaltensweisen zu erlangen, nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer ganz bestimmten Richtung verstanden, also den (geradezu) zwingenden Schluss zulassen muss, dass die Parteien einen bestimmten Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten; es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgenwille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalles zur Beurteilung heranzuziehen sind (RIS-Justiz RS01090121, RS0014150).
Davon ist auch hier auszugehen. Nach den (in die rechtliche Beurteilung eingebetteten und insoweit als nachgeschoben zu qualifizierenden, in der Berufungsbeantwortung der beklagten Partei nicht beanstandeten) Feststellungen des Erstgerichtes war der neue "Vitalplan" in Verbindung mit dem (vom eigenen Sachbearbeiter der beklagten Versicherung zeugenschaftlich als "weitergeführt" bezeichneten) Versicherungsvertrag abgeschlossen worden und in diese "eingeschlossen" gewesen. Diese Handlungen sind zwar in (ausschließlich der Sphäre der beklagten Partei zurechenbarer) Unkenntnis des Umstandes erfolgt, dass der Krankengeld-Versicherungsvertrag infolge der Leistungsbegrenzungsklausel an sich bereits beendet worden war. Trotzdem wurde jedoch eine diesbezügliche neue "Vitalplan"-Nachtragspolizze (mit Aufrechterhaltung des alten Krankengeldtarifes H 600) ausgestellt, die Prämien wurden weiterhin vom Versicherungsnehmer über Monate eingezogen und erst mit weiterer "Nachtragspolizze" vom 8. 5. 2002 (einseitig und rückwirkend!) "storniert", was vom Kläger nicht anerkannt und schriftlich sogleich abgelehnt wurde.
Wie das Berufungsgericht in seinem nachträglichen Zulassungsausspruch zutreffend hinwies, ist das Versicherungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer in besonderem Maße vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht (RIS-Justiz RS0018055; ZVR 1991/91; SZ 72/60; Prölss in Prölss/Martin, VersVG27 Rn 6 Vorbem II). Das Beharren auf einer (grundsätzlich richtigerweise auf die Leistungsbegrenzungsklausel des § 6 Abs 1 lit f AVB stützbaren) Beendigung des Versicherungsvertrages einerseits unter gleichzeitiger und monatelanger Prämieneinkassierung samt Abschluss eines auf Vertragsverlängerung und nicht Stornierung aufbauenden Nachtragsvertrages unter Fortführung der Tarifstruktur des erst hinterher (nach Leistungsabrufung hieraus) und sogar rückwirkend stornierten Versicherungsvertrages verstößt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes im Sinne der in Judikatur und Literatur anerkannten strengen Maßstäbe wider Treu und Glauben. Der Kläger durfte sich daher redlicherweise auf das Fortbestehen des alten Versicherungsvertrages zufolge des neuen "Verlängerungsvertrages" ("Vitalplan" samt Tarif H 600) verlassen und ist demgemäß auch berechtigt, daraus grundsätzlich Leistungen zu beanspruchen, zumal sich die beklagte Partei auch insoweit nie auf (dem Kläger mit anlastbaren) Irrtum oder Dissens berufen hat.Wie das Berufungsgericht in seinem nachträglichen Zulassungsausspruch zutreffend hinwies, ist das Versicherungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer in besonderem Maße vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht (RIS-Justiz RS0018055; ZVR 1991/91; SZ 72/60; Prölss in Prölss/Martin, VersVG27 Rn 6 Vorbem römisch II). Das Beharren auf einer (grundsätzlich richtigerweise auf die Leistungsbegrenzungsklausel des Paragraph 6, Absatz eins, Litera f, AVB stützbaren) Beendigung des Versicherungsvertrages einerseits unter gleichzeitiger und monatelanger Prämieneinkassierung samt Abschluss eines auf Vertragsverlängerung und nicht Stornierung aufbauenden Nachtragsvertrages unter Fortführung der Tarifstruktur des erst hinterher (nach Leistungsabrufung hieraus) und sogar rückwirkend stornierten Versicherungsvertrages verstößt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes im Sinne der in Judikatur und Literatur anerkannten strengen Maßstäbe wider Treu und Glauben. Der Kläger durfte sich daher redlicherweise auf das Fortbestehen des alten Versicherungsvertrages zufolge des neuen "Verlängerungsvertrages" ("Vitalplan" samt Tarif H 600) verlassen und ist demgemäß auch berechtigt, daraus grundsätzlich Leistungen zu beanspruchen, zumal sich die beklagte Partei auch insoweit nie auf (dem Kläger mit anlastbaren) Irrtum oder Dissens berufen hat.
Da hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Leistungsbegehrens - zufolge der vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansichten beider Vorinstanzen - Feststellungen fehlen, zumal die beklagte Partei nicht nur den Grund, sondern auch die Höhe des klägerischen Anspruches ausdrücklich bestritten hat (ON 4 und 9, dort auch unter Berufung auf Obliegenheitsverletzungen), waren mangels Spruchreife deren Entscheidungen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Hiebei ist jedoch bereits jetzt auch die Rechtsansicht den Vorinstanzen zu überbinden (§ 511 ZPO), dass zufolge nach dem Vorgesagten nicht unterstellbarer "automatischer" bzw "ex lege"-Auflösung des Krankengeld-Versicherungsvertrages auch eine Rückforderung der daraus abgeleiteten "Überzahlung" scheitern und die (einzig darauf) gestützte Gegenforderung damit ohne Erfolg bleiben muss.Da hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Leistungsbegehrens - zufolge der vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansichten beider Vorinstanzen - Feststellungen fehlen, zumal die beklagte Partei nicht nur den Grund, sondern auch die Höhe des klägerischen Anspruches ausdrücklich bestritten hat (ON 4 und 9, dort auch unter Berufung auf Obliegenheitsverletzungen), waren mangels Spruchreife deren Entscheidungen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Hiebei ist jedoch bereits jetzt auch die Rechtsansicht den Vorinstanzen zu überbinden (Paragraph 511, ZPO), dass zufolge nach dem Vorgesagten nicht unterstellbarer "automatischer" bzw "ex lege"-Auflösung des Krankengeld-Versicherungsvertrages auch eine Rückforderung der daraus abgeleiteten "Überzahlung" scheitern und die (einzig darauf) gestützte Gegenforderung damit ohne Erfolg bleiben muss.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Der Kostenvorbehalt ist im § 52 Abs 1 ZPO begründet.Der Kostenvorbehalt ist im Paragraph 52, Absatz eins, ZPO begründet.
Textnummer
E75640European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2004:0070OB00280.04H.1215.000Im RIS seit
14.01.2005Zuletzt aktualisiert am
03.05.2012