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63 Allgemeines Dienst- und BesoldungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Universitätsprofessor; ausreichende Konkretisierung des Einleitungsbeschlusses hinsichtlich der Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer auch im Sinne der Europäischen MenschenrechtskonventionSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Die Beschwerdeführerin steht als Universitätslehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Disziplinarsenat IX für Universitätslehrer an der Karl-Franzens-Universität Graz vom 30.10.2000 wurde gegen sie gemäß §123 Abs1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl. 1979/333, (BDG 1979) ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Darin wird der Beschwerdeführerin "zur Last gelegt, durch
1.) Behinderung der Lehrtätigkeit von Gastprofessoren,
2.) Abwertung der Lehrtätigkeit von Gastprofessoren,
3.) Verletzung der Pflichten hinsichtlich einer korrekten Personalführung,
4.) gravierende Verletzung von Sorgfaltspflichten in der Lehre,
5.) Nichtbefolgung einer Dienstsanweisung des Studiendekans,
6.) Unterlassung jeglicher zumutbarer Vorsorge hinsichtlich der Erreichbarkeit als Stellvertreterin des Institutsleiters,
7.) Erlassung einer rechtswidrigen Dienstanweisung an eine Mitarbeiterin des Instituts
gegen die [ihr] obliegende Verpflichtung verstoßen zu haben, die dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu und gewissenhaft zu besorgen, und hierdurch schuldhaft Dienstpflichtverletzungen im Sinne des §91 BDG 1979 begangen zu haben."
1.2.1. Die Berufungskommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport gab mit ihrem Bescheid vom 5.10.2001 der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Disziplinarkommission (vom 30.10.2000) nicht Folge.
1.2.2. Der Bescheid der Berufungskommission wird wörtlich ua. wie folgt begründet:
"Ausreichende Verdachtsmomente, dass die BW [= Beschwerdeführerin] ihre Dienstpflichten verletzt hat, ergeben sich im gegenständlichen Fall aufgrund der der Disziplinarkommission vorliegenden Schriftstücke und der Beschwerden der Studierenden, der beiden Gastprofessoren und der Mitarbeiter des Instituts für Pharmazeutische Technologie, der Stellungnahmen des Dekans und Studiendekans. Diese wurden durch die ergänzenden Ermittlungen des Disziplinarsenates noch erhärtet.
Die Einleitung des Disziplinarverfahrens erscheint daher sachlich gerechtfertigt.
...
Aus dem angefochtenen Bescheid ist klar ersichtlich, welche schuldhaften Dienstpflichtverletzungen der BW zur Last gelegt werden. Die Verdachtsmomente sind in der Disziplinaranzeige samt Beilagen, im Spruch und in der Begründung des Einleitungsbeschlusses ausreichend konkretisiert. Die Einleitung des Verfahrens erschien daher geboten. Ob die Beschuldigte die in der Anzeige samt Beilagen angeführten Verfehlungen auch tatsächlich schuldhaft begangen hat, ist in diesem Verfahrensstadium nicht ausschlaggebend, sondern wird erst Gegenstand des noch durchzuführenden Verfahrens sein. Die Disziplinarkommission muss bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit haben, ob die BW eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären.
Über die Stichhaltigkeit der in einer strafrechtlichen Anklage erhobenen Vorwürfe ist im Urteil zu entscheiden. Über die Stichhaltigkeit der gegen die BW erhobenen Vorwürfe im Einleitungsbeschluss ist im Disziplinarerkenntnis zu entscheiden. Die Frage der Anwendbarkeit des Art6 EMRK stellt sich daher im Zusammenhang mit dem angefochtenen Bescheid nicht, sondern ist erst im weiteren Verfahren, d. h. beim Disziplinarerkenntnis relevant.
Die BW äußert in ihrer Berufung ihr Befremden darüber, dass dem Disziplinaranwalt sehr wohl die Möglichkeit eröffnet worden sei, an Sitzungen des Disziplinarsenates teilzunehmen. Es liege ein eklatanter Verstoß gegen elementarste Grundsätze eines rechtstaatlichen Verfahrens vor (audiatur et altera pars).
Wie den Protokollen über die 1. Sitzung des Disziplinarsenats IX für Hochschullehrer vom 26. September 2000 und über die 2. Sitzung vom 3. Oktober 2000 zu entnehmen ist, hat der Disziplinaranwalt ... an diesen beiden Verhandlungen, jedoch nicht an der 5. Sitzung, in der der Einleitungsbeschluss gefasst wurde, teilgenommen. Die BW war bei keiner dieser Sitzungen anwesend.
Der Disziplinarsenat IX kam in der gegenständlichen Disziplinarsache in seiner 3. Sitzung am 5. Oktober 2000 zur Auffassung, dass es nicht erforderlich sei, die BW ... vor den Disziplinarsenat zu laden, da die Motivfragen ohnedies nach Einleitung des Disziplinarverfahrens noch geklärt werden könnten und für die Vorfrage hinsichtlich einer allfälligen Suspendierung unerheblich seien. Überdies mangle es nicht an schriftlichen Stellungnahmen der Betroffenen. Eine Teilnahme des Disziplinaranwaltes und des Beschuldigten an den Sitzungen der Disziplinarkommission außerhalb von mündlichen Verhandlungen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Die Teilnahme des Disziplinaranwaltes an der 1. und 2. Sitzung des Disziplinarsenates stellt daher einen Verfahrensfehler dar.
Im gegenständlichen Fall hat der Disziplinaranwalt aber an der entscheidenden Sitzung, in der der Einleitungsbeschluss gefasst wurde, nicht teilgenommen und ist auch in den ersten beiden Sitzungen, in denen er anwesend war, nicht tätig geworden. Eine Gefährdung der Unabhängigkeit des Disziplinarsenates gegenüber den Parteien ist daher nicht gegeben."
1.3.1. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
1.3.2. In der Beschwerdeschrift finden sich ua. die folgenden Ausführungen:
"Verletzung des Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach Art7 B-VG:
Die belangte Behörde führt auf den Seiten 2 bis 7 einen Sachverhalt an, der sich 'aus den von der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur übermittelten Akten' ergeben [soll]. Im angeführten Sachverhalt werden de facto bereits Feststellungen zum Vorliegen von Dienstpflichtverletzungen im Sinne des §91 BDG getroffen, ohne dass ein entsprechendes Beweisverfahren durchgeführt worden wäre. Die belangte Behörde stützt sich offenbar ausschließlich auf die Ausführungen der Disziplinarkommission, ohne eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung vorzunehmen, geschweige denn, der Beschwerdeführerin vor Erlass ihrer Entscheidung die Möglichkeit zu einer ergänzten Stellungnahme zu bieten. Es passt in das Gesamtbild, dass seitens der belangten Behörde unbegründet die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung unterblieb. Der belangten Behörde ist daher eine qualifizierte Verletzung von Verfahrensvorschriften vorzuwerfen, sodass der angefochtene Bescheid durch die Ausübung von 'Willkür' die Verfassungssphäre berührt (vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts9, Rz 1356 mwN).
Darüber hinaus wurden die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen nicht ausreichend konkretisiert.
'Das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten, das als Dienstpflichtverletzung gewertet wird, muss im Einleitungsbeschluss so beschrieben werden, dass praktisch unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang Gegenstand des Disziplinarverfahrens sein soll. Die umschriebene konkrete Tat muss nicht nur nach Ort und Zeit, sondern durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Beschuldigten zur Last gelegt werden und was im anschließenden Disziplinarverfahren auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses behandelt werden darf.' (VfGH 15.12.1993 VfSlg 13650 unter Hinweis auf die Judikatur des VwGH). Diesem Anspruch genügt weder der Bescheid der Disziplinarkommission noch jener der belangten Behörde. Der Gleichheitssatz erweist sich auch unter dem Aspekt der qualifiziert fehlerhaften Begründung als verletzt.
Besonders bedenklich erscheint aus Sicht der Beschwerdeführerin, dass die belangte Behörde in ihren Sachverhaltsfeststellungen nicht mehr von einem Verdacht gegen die Beschwerdeführerin spricht, sondern vielmehr diverse Vorfälle als Fakten ansieht. Die Beschwerdeführerin legte in ihrer Berufung zahlreiche Gegenargumente dar, mit denen sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandersetzte. Eine ausführliche Beschäftigung mit den widersprechenden Darstellungen wäre essentiell gewesen, um nicht gegen das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete 'Willkürverbot' zu verstoßen (Machacek, Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem Verwaltungsgerichtshof4, 117 mwN).
Verletzung der Verfahrensgarantien nach Art6 EMRK:
Der Beschwerdeführerin ist die Judikatur des VfGH zur Frage der Anwendbarkeit der zitierten Verfassungsbestimmung auf Disziplinarverfahren durchaus bekannt, wobei in der vorliegenden Beschwerdesache insbesondere darin ein Verstoß gegen das Gebot eines 'fair trial' zur erblicken ist, dass dem Disziplinaranwalt wesentlich weiterreichende Teilnahmebefugnisse an Verhandlungen der Disziplinarkommission geboten wurden, als der Beschwerdeführerin, die kein einziges Mal an Sitzungen des zuständigen Disziplinarsenates partizipieren durfte.
Der Forderung nach 'Waffengleichheit' wurde durch die Vorgehensweise der Disziplinarkommission, positiv sanktioniert durch die belangte Behörde, in keiner Form entsprochen. Im Gegenteil wird die Beschwerdeführerin im aufgrund der Entscheidung der belangten Behörde fortzusetzenden Disziplinarverfahren nicht mehr mit der gleichen 'Stärke' auftreten können, wie der Disziplinaranwalt, der von Anfang an in das Verfahren involviert war.
Hinzu kommt, dass die belangte Behörde offenkundig bereits abschließende Feststellungen zu den Vorgängen am Institut für pharmazeutische Technologie der Karl-Franzens-Universität Graz traf, ohne entsprechende Beweismittel aufzunehmen.
Aus diesen Überlegungen erscheint bereits im Verfahren zur Erlassung des Bescheids zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach §123 BDG die Verfassungsnorm des Art6 EMRK anwendbar und in casu auch verletzt.
Verletzung des Rechtes nach Art7 EMRK:
Aus Art7 EMRK leitet die hA ab, dass die vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen entsprechend dem 'Klarheitsgebot' formuliert sein müssen (vgl. Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht2, Anm. I.1. zu Art7 MRK). Auch diesem Erfordernis entsprechen weder der Bescheid der Berufungskommission noch jener der belangten Behörde."
1.4. Die Berufungskommission legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2.1. Die hier in erster Linie maßgebliche Bestimmung des §123 BDG 1979 (idF BGBl. I 1998/123; überschrieben mit "Verfahren vor der Disziplinarkommission; Einleitung") hat folgenden Wortlaut:
"§123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.
(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluss dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen den Beschluss, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§118 BDG 1979), ist die Berufung an die Berufungskommission zulässig.
(3) Sind in anderen Rechtsvorschriften an die Einleitung des Disziplinarverfahrens Rechtsfolgen geknüpft, so treten diese nur im Falle des Beschlusses der Disziplinarkommission, ein Disziplinarverfahren durchzuführen, und im Falle der (vorläufigen) Suspendierung ein."
2.2. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein zur Z B1632/01 protokolliertes Beschwerdeverfahren anhängig, das einen Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport zum Gegenstand hat, welcher im rechtlichen Substrat gleich gelagert ist wie der im nunmehrigen Verfahren bekämpfte. Die genannte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.11.2002 als unbegründet abgewiesen: Der Verfassungsgerichtshof gelangte darin zum Ergebnis, dass der damalige Beschwerdeführer aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde. Das Beschwerdeverfahren habe auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.
Da die vorliegende Beschwerde die selben Rechtsverletzungsbehauptungen enthält wie die zuvor genannte und die Beschwerdeausführungen im Wesentlichen gleich lautend formuliert sind, genügt im vorliegenden Fall ein Verweis auf die Entscheidungsgründe des dieser Entscheidung beiliegenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 26.11.2002, B1632/01.
Demgemäß ist auch hier auszusprechen, dass die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid der Berufungskommission weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Dienstrecht, Disziplinarrecht Verfahren, Einleitungsbeschluß, Parteiengehör, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1633.2001Dokumentnummer
JFT_09978874_01B01633_00