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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Befreiung von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds einer Ärztekammer wegen Unterlassung der Ermittlungen in entscheidenden Punkten, Übergehung des Parteienvorbringens und des Akteninhaltes sowie wegen Fehlens nachvollziehbarer AbwägungenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Neurologie. Mit Schreiben vom 18. September 1989 teilte er der für ihn zuständigen Ärztekammer für Wien die Schließung seiner Privatpraxis mit, beantragte gleichzeitig die Befreiung von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds dieser Ärztekammer und führte begründend aus, dass ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe- (Versorgungs-)genuss auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zustehe. Mit Beschluss des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 18. September 1989 wurde der Beschwerdeführer bis auf den für die Todesfallbeihilfe und die Unterstützungsleistungen nach §73 ÄrzteG 1984 einzuhebenden Teil des Fondsbeitrags von der Verpflichtung nach §75 ÄrzteG 1984 befreit. Am 25. September 1989 zeigte der Beschwerdeführer der Ärztekammer für Wien die Wiedereröffnung seiner Privatpraxis an.
1.2. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 27. November 2001, Zl. B110/01, wurde der mit 22. Oktober 2001 datierte Bescheid des Verwaltungssausschusses, der feststellte, dass der Beschwerdeführer ab dem 1. Juli 2001 der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds unterliege, aufgehoben und "die Angelegenheit gemäß §66 Abs2 AVG zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen". Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass der vorliegende Feststellungsbescheid rechtswidrig sei, "da der Verwaltungsausschuß mit der Erlassung eines Leistungsbescheides (Vorschreibung des Fondsbeitrages ab 1.7.2001)" vorgehen hätte können.
1.3. Mit Schriftsatz vom 23. November 2001 ersuchte der Beschwerdeführer (neuerlich) um Befreiung von der Beitragspflicht; begründend führte der Beschwerdeführer Folgendes aus:
"Diesem Antrag wurde schon mit Bescheid vom 18.9.1989 stattgegeben, an meiner beruflichen Situation hat sich nichts geändert, ich stehe weiterhin in einem öffentlich rechtlichen unkündbaren Dienstverhältnis.
Ich ersuche daher neuerlich um Befreiung (Reduktion auf die Todesfallbeihilfe)."
In der Folge wies der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien diesen Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. Juni 2002 unter Hinweis darauf ab, dass der Beschwerdeführer seit dem 25. September 1989 eine Ordination im 9. Wiener Gemeindebezirk betreibe und damit eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des §45 Abs2 ÄrzteG 1998 ausübe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. Juni 2002 das Rechtsmittel der Beschwerde an den Beschwerdeausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien und führte dazu im Wesentlichen aus, dass er sich in einem aufrechten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis befinde. Auch habe er den Nachweis darüber erbracht, dass ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe- (Versorgungs-)genuss auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zum Bund zustehe. Durch die "Vorgangsweise des Verwaltungsausschusses" sei er u.a. im "verfassungsrechtlich garantierten Recht des Vertrauensschutzes auf eine im Zeitpunkt der Bescheiderlassung (...) geltende Rechtslage" verletzt.
1.4. Aufgrund der genannten Beschwerde erließ der Beschwerdeausschuss des Wohlfahrtsfonds am 25. Juni 2002, Zl. B62/02, folgenden Bescheid:
"B e s c h e i d
Der Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien hat mit Bescheid vom 3.6.2002 den Fondsbeitrag für das Jahr 2001 für [...] (im folgenden Beschwerdeführer genannt) festgesetzt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 13.6.2002.
[...]
S p r u c h
Die Beschwerde vom 13.6.2002 wird abgewiesen und der Bescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 3.6.2002 bestätigt.
B e g r ü n d u n g
Der Beschwerdeführer verweist zunächst auf sein aufrechtes öffentlich rechtliches Dienstverhältnis sowie auf ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren vor dem Vewaltungsausschuß bzw. dem Beschwerdeausschuß. Unklar bleibt dabei, was diese Ausführungen mit dem nunmehr gegenständlichen Verfahren zu tun haben sollen.
Fest steht, daß durch §7a der Satzung in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung die seinerzeit erfolgte Befreiung des Beschwerdeführers von der Beitragspflicht unwirksam geworden ist, was die verfahrensgegenständliche Beitragsvorschreibung ab 1.7.2001 zur Folge hatte. Dieses Leistungsverfahren bietet auch die Möglichkeit, den der Beitragsvorschreibung zugrundeliegenden Sachverhalt und dagegen bestehende Bedenken zu prüfen. Da vom Beschwerdeführer diesbezüglich kein Vorbringen erstattet wurde, war spruchgemäß zu entscheiden.
[...]"
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der der beschwerdeführende Arzt die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten infolge Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheids, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gem. Art144 Abs3 B-VG, beantragt.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falls maßgebenden Rechtsvorschriften lauten:
1. §112 Abs1 ÄrzteG 1998, BGBl. I 169/1998 idF BGBl. I 110/2001, lautet:
"Befreiung von der Beitragspflicht
§112. (1) Erbringt ein ordentlicher Kammerangehöriger den Nachweis darüber, daß ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)genuß auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach einem Gesetz oder den Pensionsvorschriften einer Dienstordnung gegenüber einer solchen Körperschaft zusteht, wie dieser gegenüber dem Wohlfahrtsfonds besteht, ist er auf Antrag nach Maßgabe des Antragsbegehrens und der folgenden Bestimmungen von der Verpflichtung nach §109 zu befreien. Übt der Antragsteller keine ärztliche Tätigkeit im Sinne des §45 Abs2 aus, kann die Satzung vorsehen, daß die Beitragspflicht zur Todesfallbeihilfe und zu den Unterstützungsleistungen bestehen bleibt. Übt der Antragsteller eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des §45 Abs2 aus, bleibt jedenfalls die Beitragspflicht zur Grundleistung bestehen. Die Satzung kann vorsehen, daß die Beitragspflicht darüber hinaus auch für die Ergänzungsleistungen, die Todesfallbeihilfe und die Unterstützungsleistungen bestehen bleibt.
(2) [...]"
2. §45 Abs2 ÄrzteG 1998 lautet:
"Berufssitz
§45 (1) [...]
(2) Der Arzt für Allgemeinmedizin, approbierte Arzt, Facharzt, oder Zahnarzt, der seinen Beruf als freien Beruf auszuüben beabsichtigt, hat anläßlich der Anmeldung bei der Österreichischen Ärztekammer (§27) frei seinen Berufssitz oder seine Berufssitze (Abs3) im Bundesgebiet zu bestimmen. Berufssitz ist der Ort, an dem sich die Ordinationsstätte befindet, in der und von der aus der Arzt für Allgemeinmedizin, approbierte Arzt, Facharzt oder Zahnarzt seine freiberufliche Tätigkeit ausübt.
(3) [...]"
3. §7 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien in der im "WIENER ARZT 7/8a 2000" kundgemachten Fassung lautet auszugsweise:
"Befreiung von der Beitragspflicht
§7
(1) Erbringt ein Fondsmitglied den Nachweis darüber, daß ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe- (Versorgungs-)genuß auf Grund eines unkündbaren Dienstverhältnisses zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach einem Gesetz oder den Pensionsvorschriften einer Dienstordnung gegenüber einer solchen Körperschaft zusteht, wie dieser gegenüber dem Wohlfahrtsfonds besteht, und übt es keine ärztliche Tätigkeit im Sinne des §45 Abs2 des ÄG aus,
a) ist es auf Antrag, ausgenommen den für die Todesfallbeihilfe und die Unterstützungsleistungen nach §107 ÄG einzuhebenden Teil des Fondsbeitrages, von der Verpflichtung zur Leistung von Fondsbeiträgen gänzlich zu befreien. Das gleiche gilt bei Erbringung des Nachweises, daß das Fondsmitglied auf Grund eines solchen Dienstverhältnisses einen Ruhe-(Versorgungs-)genuß bezieht.
[...]
b) Übt der Antragsteller jedoch eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des §45 Abs2 ÄG aus, ist eine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung von Fondsbeiträgen nur bis auf den zur Grundleistung einzuhebenden Teil des Fondsbeitrages sowie den für die Todesfallbeihilfe und die Unterstützungsleistungen nach §107 ÄG einzuhebenden Teil des Fondsbeitrages zulässig. [...]
(7) Eine Befreiung nach Abs1 erlischt, wenn ein für die ausgesprochene Befreiung maßgeblicher Umstand wegfällt. [...]"
4. §7a der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien in der in "doktorinwien 9/2001" kundgemachten Fassung lautet:
"Eine Befreiung nach §7 Abs1, die vor dem 1. Juli 1990 ausgesprochen wurde, wird mit Juli 2001 unwirksam, wenn eine Voraussetzung, unter der die Befreiung erfolgen konnte, nachtäglich weggefallen ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Fondsmitglied zum Stichtag 1. Juli 2001 das 60. Lebensjahr bereits vollendet hat."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheids Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).
2. Solches ist der belangten Behörde hier vorzuwerfen:
2.1. Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung auf §7a der Satzung in der Fassung "doktorinwien 9/2001", der "die verfahrensgegenständliche Beitragsvorschreibung ab 1.7.2001" zur Folge hatte. Dabei hat die belangte Behörde aber in entscheidenden Punkten notwendige Ermittlungen unterlassen, das Parteivorbringen übergangen, sowie den Inhalt der Akten außer Acht gelassen.
2.2. Im angefochtenen Bescheid findet die Tatsache, dass der Beschwerdeführer einen (neuerlichen) Antrag auf Befreiung von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien gestellt hat, überhaupt keine Berücksichtigung. Zu dieser Frage wird im bekämpften Bescheid lediglich ausgeführt: "Unklar bleibt dabei, was diese Ausführungen mit dem [...] gegenständlichen Verfahren zu tun haben sollen." Der angefochtene Bescheid begnügt sich mit der allgemein formulierten Rechtfertigung, dass "durch §7a der Satzung in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung die seinerzeit erfolgte Befreiung des Beschwerdeführers von der Beitragspflicht unwirksam geworden ist, was die verfahrensgegenständliche Beitragsvorschreibung [...] zur Folge hatte."
Dass die Behörde von einer unrichtigen Sachverhaltsannahme auszugehen scheint, ergibt sich daraus, dass im angefochtenen Bescheid von einer "verfahrensgegenständliche[n] Beitragsvorschreibung ab 1.7.2001" die Rede ist; dass eine solche Beitragsvorschreibung erfolgt sein soll, ergibt sich aber weder aus dem erstinstanzlichen Bescheid noch sonst aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten.
Obwohl der Beschwerdeführer Nachweise vorlegte, die aus seiner Sicht eine vollständige Befreiung bewirken hätten müssen, hat es die Behörde gänzlich unterlassen, sich mit diesem Vorbringen auseinanderzusetzen und zu begründen, warum die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht nach §7 Abs1 lita der Satzung weggefallen seien. Dass die Beurteilung des Vorliegens von behaupteten Befreiungsumständen und die sich daraus ergebende rechtliche Konsequenz der Subsumtion eines Sachverhaltes unter §7 Abs1 lita oder b leg.cit. etwas anderes ist als die Beitragsvorschreibung selbst, ist offenkundig.
2.3. Die belangte Behörde hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheids die Rechtslage in entscheidenden Punkten verkannt, den Akteninhalt in wesentlichen Belangen übergangen und bei entscheidungsmaßgeblichen Fragen jegliche nachvollziehbare Abwägung unterlassen.
Durch den angefochten Bescheid wurde der Beschwerdeführer somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
IV. 1. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ärzte VersorgungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1232.2002Dokumentnummer
JFT_09978874_02B01232_2_00