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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §34b Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. Juli 2005, Zl. UVS- 01/32/5498/2005/5, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 2. Juli 2001 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Beschwerdeführer, einen seit 1990 in Österreich aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, wegen mehrerer Straftaten ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Die dagegen erhobene Beschwerde, der mit hg. Beschluss vom 18. Juli 2001, Zl. AW 2001/18/0115, die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 28. September 2004, Zl. 2001/18/0140, als unbegründet abgewiesen.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2005 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, der seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen war, gemäß § 61 Abs. 1 FrG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 56 FrG) an. Der Bescheid wurde anlässlich einer Vorsprache des Beschwerdeführers am Wachzimmer am 27. Juni 2005 in Vollzug gesetzt.
Am 1. Juli 2005 begehrte der Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl. Am 8. Juli 2005 stellte er den Antrag auf Aufhebung seines Aufenthaltsverbotes und erhob weiters Beschwerde gegen die Verhängung und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Schubhaftbeschwerde gemäß § 73 Abs. 1, 2 und 4 FrG keine Folge und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft weiterhin vorlägen.
Nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens listete sie verschiedene sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse des Beschwerdeführers als Arbeiter bzw. Angestellter - beginnend vom 22. September 1998 - auf. Für das Jahr 2004 sei ein Krankengeldbezug (17. bis 20. April 2004) sowie ein Arbeitslosengeldbezug (Notstandshilfe) "für den Zeitraum vom 21.4. bis 31.5.2005 und vom 23.9. bis 30.11.2004 ausgewiesen". Vom 17. Jänner bis zum 5. April 2005 sei der Beschwerdeführer als Arbeiter der K GmbH beschäftigt gewesen, die jedoch keine Sozialversicherungsabgaben für ihn bezahlt habe.
Der Beschwerdeführer sei seit 14. Juni 1991 "bis heute (abgesehen von einer kurzfristigen Unterbrechung vom 18.3. bis 3.5.1999)" im Bundesgebiet durchgehend polizeilich gemeldet gewesen. Er habe "diverse Aufenthaltstitel" erhalten. Seit 22. Oktober 1998 sei er zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt. Er sei mit rund 10 1/2 Jahren nach Österreich gekommen und habe hier "die Pflichtschulen" absolviert, aber keinen Beruf erlernt. Er sei "zeitweise beschäftigt" gewesen.
Rechtlich führte die belangte Behörde (zusammengefasst) aus, die Vollstreckung des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes sei geboten, zumal der Beschwerdeführer "unverheiratet und wieder arbeitslos" sei, wenn auch seine Eltern und "seine Geschwister", denen inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, in Österreich lebten. Der Beschwerdeführer habe "bis zuletzt erkennen lassen, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wolle". Nur bei einer minderjährigen Person habe die Behörde - von Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich gelindere Mittel anzuwenden, bei volljährigen Personen wie dem Beschwerdeführer liege dies hingegen in ihrem Ermessen. Dass die Fremdenbehörde nicht ein gelinderes Mittel iSd § 66 Abs. 1 FrG angewendet habe, sei "bei der gegebenen Sachlage - der Beschwerdeführer (sei) nicht von selbst ausgereist, obwohl er seit 10.11.2004 zur Ausreise verpflichtet gewesen wäre - keinesfalls als Ermessensfehler zu werten". Die Verhängung der Schubhaft sei daher erforderlich gewesen, um das Aufenthaltsverbot zu vollstrecken.
An der Gesetzmäßigkeit des Schubhaftbescheides ändere auch die Stellung eines Asylantrages durch den Beschwerdeführer nichts:
Zwar könnten gemäß § 19 Abs. 1 AsylG Fremde, die einen Asylantrag gestellt hätten, bis zur Erlangung der Aufenthaltsberechtigungskarte oder bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung nicht abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz). Jedoch fände das Verbot der Inschubhaftnahme zwecks Abschiebung dann keine Anwendung, wenn der Asylantrag von einem Fremden gestellt worden sei, über den schon vor der Stellung des Asylantrages die Schubhaft verhängt worden und bei dem die Schubhaft noch aufrecht sei (§ 21 Abs. 1 AsylG). Da der Beschwerdeführer den Asylantrag "erst am 13.7.2005", also während der bestehenden und weiterhin aufrechten Schubhaft gestellt habe, treffe auf ihn "das Verbot der Inschubhaftnahme zwecks Abschiebung" nicht zu.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung jedoch mit Beschluss vom 28. Februar 2006, B 793/05-11, ablehnte.
Über die vorliegende, parallel dazu erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, dass der vom Beschwerdeführer (laut Blatt 270 des vorgelegten Verwaltungsaktes) am 1. Juli 2005 gestellte Asylantrag einer Verhängung von Schubhaft nicht entgegensteht. Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 findet § 61 FrG nämlich Anwendung, wenn der Asylantrag (wie im Beschwerdefall) von einem Fremden gestellt wurde, über den vor Antragstellung die Schubhaft verhängt worden war und diese aufrecht ist.
Dennoch erweist sich die vorliegende Beschwerde - ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde betreffend Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des zu Grunde liegenden Aufenthaltsverbotes eingegangen werden müsste - als berechtigt:
Das Fehlen der Ausreisewilligkeit eines Fremden - wie von der belangten Behörde unterstellt - kann für sich allein nämlich die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen. Es ist vielmehr in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere mangels ausreichender sozialer Verankerung im Inland, die allerdings in einem mängelfreien Verfahren abzuklären wäre, bejaht werden könnte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301, und vom 26. September 2006, Zl. 2004/21/0285).
Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der - nach den Feststellungen der belangten Behörde bereits seit September 1998 jedenfalls immer wieder zeitweise berufstätige - Beschwerdeführer kontinuierlich in einer der Fremdenpolizeibehörde bekannten Wohnung gemeldet und dort aufhältig war (vgl. dazu etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 27. März 2007), dass er im Zuge des zu seiner Festnahme führenden Vorganges am 27. Juni 2005 aus eigenem bei der Behörde vorgesprochen hat und dass schließlich unstrittig seine Eltern sowie Geschwister, die österreichische Staatsangehörige sind, im Bundesgebiet leben, lag demgegenüber insgesamt nicht nahe, dass der Beschwerdeführer "in die Illegalität unterzutauchen" drohe. Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 28. Juni 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005210288.X00Im RIS seit
20.08.2007