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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrPolG 2005 §76 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 24. März 2006, Zl. VwSen-400778/5/Gf/Ga, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: B, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 7. März 2006 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung. Diese Maßnahme begründete sie damit, dass der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von "Serbien und Montenegro", ohne gültiges Reisedokument schlepperunterstützt am 26. Februar 2006 unter Umgehung der Grenzkontrolle in einem Pkw versteckt über Slowenien illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. Er habe an diesem Tag bei der Erstaufnahmestelle West ein Asylbegehren schriftlich eingebracht und sei in eine bundesbetreute Unterkunft aufgenommen worden. Er verfüge über keinen anderen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet. Nach seiner Aussage hätte er in Österreich einen Onkel, der in Braunau wohne, von dem er aber keine Unterstützung erwarten könnte. Am 7. März 2006 sei dem Mitbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden, dass gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden sei.
Es sei - vor allem nach dieser Mitteilung - zu befürchten, dass sich der Mitbeteiligte dem weiteren Zugriff der Behörde entziehen werde. Von der Erlassung eines gelinderen Mittels müsse Abstand genommen werden, weil der Mitbeteiligte "in keinster Weise gewillt" sei, die gesetzlichen Bestimmungen, besonders die Bestimmungen des "Fremdenrechtes und Grenzkontrollgesetzes" zu respektieren. Er habe nicht begründen können, warum er nicht in einem sicheren EU-Land, nämlich in Slowenien, Asyl begehrt habe, sondern illegal weiter nach Österreich gereist sei. Der Mitbeteiligte sei "alleinstehend und an keine Familie und somit auch an keine Örtlichkeit in Österreich gebunden".
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Schubhaftbeschwerde; in Erledigung dieser Beschwerde erklärte die belangte Behörde (der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich) mit Bescheid vom 24. März 2006 die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft seit dem 7. März 2006 als rechtswidrig. Sie begründete dies damit, dass dem Mitbeteiligten als Asylwerber ein Anspruch auf Versorgung nach § 2 Abs. 1 GVG zukomme. Auf eine Unterbringung in Bundesbetreuung bestehe grundsätzlich ein Rechtsanspruch und es könne einem Fremden nicht a priori unterstellt werden, dass er ein gelinderes Mittel als die Schubhaft (nämlich die Anordnung, in bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden) in der Folge dazu nützen werde, in die Anonymität unterzutauchen. Im Gegenteil werde dies vielmehr gerade dadurch bewirkt oder jedenfalls gefördert, wenn ein Fremder gleich mit dem gravierendsten Eingriff, nämlich der Verhängung der Schubhaft, konfrontiert werde. Es liege in einem derartigen Fall geradezu auf der Hand, dass er dann, wenn er in der Folge entlassen würde, geneigt sein werde, sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Bei Aufnahme von Anfang an in die Bundesbetreuung bestehe in der Regel kein Grund für die Annahme, dass ein mittel- und unterstandsloser Fremder in die Anonymität untertauchen werde, ohne zuvor den Ausgang des Asylverfahrens abzuwarten. Daraus folge, dass eine Schubhaft in derartigen Fällen grundsätzlich nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 77 Abs. 4 FPG angeordnet werden könne, das heißt, dass zuvor die Aufnahme in die Bundesbetreuung mit der Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle angeordnet worden sein müsse.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten samt einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Partei erwogen hat.
Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern.
Die Verhängung der Schubhaft ist gemäß § 76 Abs. 2 leg. cit. auch gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung ua. dann zulässig, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z 2).
Die Erfüllung dieses Tatbestandes wurde auch von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen und wird vom Mitbeteiligten - der nach Ausweis des Verwaltungsaktes mit eigenhändiger Unterschrift den Erhalt der Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 bestätigt hat, womit gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 leg. cit. ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet gilt - zu Unrecht verneint.
Sämtliche Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass die in § 76 Abs. 2 FPG festgelegte Ermächtigung im Licht des Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen und eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0311, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2006, B 362/06).
In dem genannten Erkenntnis vom 27. Februar 2007 wurde dargelegt, dass zur Prüfung des Sicherungserfordernisses auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen sei, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei komme insbesondere auch dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. In diesem Sinn ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17288, hinzuweisen, wonach die konkrete Situation des Asylwerbers geprüft werden müsse, auch wenn ein Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt (in concreto: und diesen dann zurückgezogen) habe. Im Fall eines Asylwerbers kann somit dem Grund für eine allfällige Weiterreise nach Österreich nach Stellung eines Asylantrags in einem anderen Land und der dabei eingeschlagenen Vorgangsweise Relevanz zukommen. Wegen der erforderlichen Bedachtnahme auf die konkrete Situation des Fremden verbietet sich jedoch ein von der beschwerdeführenden Sicherheitsdirektion angesprochenes Abstellen auf "allgemeine Erfahrungswerte" im Umgang mit Asylwerbern (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0051).
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass entgegen der belangten Behörde der Sicherungsbedarf nicht schon mit der Überlegung verneint werden kann, dass nach einer möglichen Entlassung aus einer den Zweck nicht erreicht habenden Schubhaft der Fremde umso eher geneigt sein werde, sich einem weiteren behördlichen Zugriff zu entziehen. Folgte man dieser Überlegung, würde jeder Schubhaft a priori die Sinnhaftigkeit und Berechtigung fehlen.
Im vorliegenden Fall ist der Mitbeteiligte zwar nach Durchreise durch Slowenien illegal mit Hilfe eines Schleppers eingereist; er hat aber noch am Tag der Einreise ein Asylbegehren gestellt und wurde in die Bundesbetreuung aufgenommen. Es ist im Sinn der Ausführungen der belangten Behörde nicht ersichtlich, weshalb er diese Unterstützung aufgeben und in die "Anonymität" untertauchen hätte sollen.
Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Sicherheitsdirektion war es somit nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde einen Sicherungsbedarf verneint hat, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 28. Juni 2007
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210091.X00Im RIS seit
06.08.2007Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010