Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Mamatkulov und Askarov gegen die Türkei, Urteil vom 4.2.2005, Bsw. 46827/99 und Bsw. 46951/99.
Spruch
Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 34 EMRK, Art. 39 VerfO - Verbindlichkeit vom GH empfohlener vorläufiger Maßnahmen.Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK, Artikel 34, EMRK, Artikel 39, VerfO - Verbindlichkeit vom GH empfohlener vorläufiger Maßnahmen.
Keine Verletzung von Art. 3 EMRK (14:3 Stimmen).Keine Verletzung von Artikel 3, EMRK (14:3 Stimmen).
Keine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK (einstimmig).Keine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Artikel 2, EMRK (einstimmig).
Keine Anwendung von Art. 6 EMRK hinsichtlich der Auslieferungsverfahren in der Türkei (einstimmig).Keine Anwendung von Artikel 6, EMRK hinsichtlich der Auslieferungsverfahren in der Türkei (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (13:4 Stimmen).Keine Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (13:4 Stimmen).
Verletzung von Art. 34 EMRK (14:3 Stimmen).Verletzung von Artikel 34, EMRK (14:3 Stimmen).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Je EUR 5.000, für die beiden Bf. für immateriellen Schaden; EUR 15.000, für Kosten und Auslagen abzüglich EUR 2.613,17 bereits erhaltener Verfahrenskostenhilfe des Europarates (14:3 Stimmen).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: Je EUR 5.000, für die beiden Bf. für immateriellen Schaden; EUR 15.000, für Kosten und Auslagen abzüglich EUR 2.613,17 bereits erhaltener Verfahrenskostenhilfe des Europarates (14:3 Stimmen).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Die beiden usbekischen Bf. sind Mitglieder der oppositionellen Partei Erk (Freiheit).
Rustam Mamatkulov reiste am 3.3.1999 aus Kasachstan kommend nach Istanbul, wo er aufgrund eines internationalen Haftbefehls unter anderem wegen des Verdachts des Mordes und der Beteiligung an einem versuchten Attentat auf den Präsidenten Usbekistans festgenommen wurde. Die Republik Usbekistan beantragte seine Auslieferung.
Zainiddin Askarov wurde am 5.3.1999 aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Republik Usbekistan von der türkischen Polizei festgenommen, nachdem er am 13.12.1998 mit einem gefälschten Reisepass in die Türkei eingereist war. Auch ihm wurde unter anderem die Beteiligung an einem versuchten Attentat auf den usbekischen Staatspräsidenten vorgeworfen.
Über beide Bf. wurde im März 1999 die Auslieferungshaft verhängt, nachdem die ihnen zur Last gelegten Straftaten von den türkischen Gerichten nicht als politische oder militärische Delikte, sondern als gewöhnliche Straftaten qualifiziert worden waren. Die gegen die Auslieferung erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos.
Beide Bf. erhoben am 11.3. bzw. am 22.3.1999 Beschwerde an den EGMR. Am 18.3.1999 teilte der Präsident der zuständigen Kammer des GH der türkischen Regierung mit, dass es im Interesse der Parteien und eines reibungslosen Ablaufs des Verfahrens wünschenswert wäre, die Bf. nicht vor der für 23.3. anberaumten Sitzung der Kammer nach Usbekistan auszuliefern.
Am 19.3. ordnete die türkische Regierung per Dekret die Auslieferung der beiden Bf. an, am 27.3. wurden sie den usbekischen Behörden übergeben, nachdem diese zugesichert hatten, den Bf. würde weder Folter noch die Todesstrafe drohen. Die Kammer des GH hatte in der Zwischenzeit beschlossen, die Empfehlung der vorläufigen Maßnahme bis auf weiteres aufrecht zu erhalten.
Die Bf. wurden am 28.6.1999 vom Obersten Gerichtshof Usbekistans zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Wie ihre Anwälte dem GH mitteilten, war es ihnen nach der Auslieferung ihrer Mandanten nicht mehr möglich, diese zu kontaktieren.
Die I. Kammer des GH stellte in ihrem Urteil vom 6.2.2003 (NL 2003, 133) eine Verletzung von Art. 34 EMRK fest. Art. 3 EMRK wurde nicht als verletzt erachtet. Auf Antrag der türkischen Regierung wurde die Rechtssache an die Große Kammer verwiesen.Die römisch eins. Kammer des GH stellte in ihrem Urteil vom 6.2.2003 (NL 2003, 133) eine Verletzung von Artikel 34, EMRK fest. Artikel 3, EMRK wurde nicht als verletzt erachtet. Auf Antrag der türkischen Regierung wurde die Rechtssache an die Große Kammer verwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe), Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 34 EMRK (Individualbeschwerderecht).Die Bf. behaupten eine Verletzung von Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe), Artikel 6, Absatz eins, EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 34, EMRK (Individualbeschwerderecht).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 2 und Artikel 3, EMRK:
Die Bf. bringen vor, im Zeitpunkt ihrer Auslieferung habe Grund zur Annahme bestanden, sie würden in Usbekistan einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterzogen.Die Bf. bringen vor, im Zeitpunkt ihrer Auslieferung habe Grund zur Annahme bestanden, sie würden in Usbekistan einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung unterzogen.
Voraussetzung für eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Auslieferung " also am 27.3.1999 " für die Bf. eine tatsächliche Gefahr bestand, in Usbekistan einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung unterworfen zu werden.Voraussetzung für eine Verletzung von Artikel 3, EMRK ist die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Auslieferung " also am 27.3.1999 " für die Bf. eine tatsächliche Gefahr bestand, in Usbekistan einer durch Artikel 3, EMRK verbotenen Behandlung unterworfen zu werden.
Durch die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme hat der GH zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund der vorliegenden Informationen nicht in der Lage war, eine abschließende Entscheidung über das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr zu fällen. Die Weigerung der Türkei, den Empfehlungen nachzukommen, hat den GH daran gehindert, sein übliches Verfahren durchzuführen. Der GH kann jedoch nicht darüber spekulieren, wie das Verfahren ausgegangen wäre, hätte die Türkei die Auslieferung der Bf. aufgeschoben. Er wird daher die Verantwortlichkeit der Türkei anhand der Situation am 27.3.1999 beurteilen.
Der GH kann auf der Grundlage des ihm vorliegenden Materials nicht annehmen, dass zum Zeitpunkt der Auslieferung schwerwiegende Gründe für die Annahme vorlagen, den Bf. würde in Usbekistan die ernsthafte Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen. Das Versäumnis der Türkei, den nach Art. 39 VerfO empfohlenen vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, muss unter Art. 34 behandelt werden.Der GH kann auf der Grundlage des ihm vorliegenden Materials nicht annehmen, dass zum Zeitpunkt der Auslieferung schwerwiegende Gründe für die Annahme vorlagen, den Bf. würde in Usbekistan die ernsthafte Gefahr einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung drohen. Das Versäumnis der Türkei, den nach Artikel 39, VerfO empfohlenen vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, muss unter Artikel 34, behandelt werden.
Es liegt daher keine Verletzung von Art. 3 EMRK vor (14:3 Stimmen, Sondervotum der Richter Bratza, Bonello und Hedigan).Es liegt daher keine Verletzung von Artikel 3, EMRK vor (14:3 Stimmen, Sondervotum der Richter Bratza, Bonello und Hedigan).
Eine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK ist nicht notwendig (einstimmig).Eine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Artikel 2, EMRK ist nicht notwendig (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK:
Die Bf. bringen vor, sowohl die Auslieferungsverfahren als auch die Strafverfahren in Usbekistan hätten nicht den Anforderungen des Art. 6 EMRK entsprochen.Die Bf. bringen vor, sowohl die Auslieferungsverfahren als auch die Strafverfahren in Usbekistan hätten nicht den Anforderungen des Artikel 6, EMRK entsprochen.
1.) Die Auslieferungsverfahren in der Türkei:
Der GH ruft in Erinnerung, dass Entscheidungen über die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden weder zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen noch eine strafrechtliche Anklage iSv. Art. 6 EMRK betreffen. Art. 6 EMRK ist daher nicht anwendbar (einstimmig).Der GH ruft in Erinnerung, dass Entscheidungen über die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden weder zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen noch eine strafrechtliche Anklage iSv. Artikel 6, EMRK betreffen. Artikel 6, EMRK ist daher nicht anwendbar (einstimmig).
2.) Die Strafverfahren in Usbekistan:
Wie der GH im Fall Soering/D festgestellt hat, ist nicht auszuschließen, dass ausnahmsweise eine Verletzung des Art. 6 EMRK durch eine Auslieferungsentscheidung vorliegen könnte. Dies sei in jenen Fällen denkbar, in denen dem Straftäter im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens droht.Wie der GH im Fall Soering/D festgestellt hat, ist nicht auszuschließen, dass ausnahmsweise eine Verletzung des Artikel 6, EMRK durch eine Auslieferungsentscheidung vorliegen könnte. Dies sei in jenen Fällen denkbar, in denen dem Straftäter im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens droht.
Die Gefahr einer Verweigerung eines fairen Verfahrens muss in erster Linie anhand der dem ausliefernden Staat im Zeitpunkt der Auslieferung vorliegenden Informationen beurteilt werden. Wenngleich am 27.3.1999 Gründe für Zweifel vorlagen, ob die Bf. in Usbekistan in den Genuss eines fairen Verfahrens kommen würden, liegen keine ausreichenden Hinweise dafür vor, dass mögliche Unregelmäßigkeiten in dem Verfahren eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens im Sinne des zitierten Soering-Urteils begründet hätten. Daher kann keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt werden (13:4 Stimmen, Sondervotum der Richter Bratza, Bonello und Hedigan, gefolgt von Richter Rozakis).Die Gefahr einer Verweigerung eines fairen Verfahrens muss in erster Linie anhand der dem ausliefernden Staat im Zeitpunkt der Auslieferung vorliegenden Informationen beurteilt werden. Wenngleich am 27.3.1999 Gründe für Zweifel vorlagen, ob die Bf. in Usbekistan in den Genuss eines fairen Verfahrens kommen würden, liegen keine ausreichenden Hinweise dafür vor, dass mögliche Unregelmäßigkeiten in dem Verfahren eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens im Sinne des zitierten Soering-Urteils begründet hätten. Daher kann keine Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK festgestellt werden (13:4 Stimmen, Sondervotum der Richter Bratza, Bonello und Hedigan, gefolgt von Richter Rozakis).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 34 EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 34, EMRK:
Die Tatsache, dass die belangte Regierung es verabsäumte, den vom GH nach Art. 39Die Tatsache, dass die belangte Regierung es verabsäumte, den vom GH nach Artikel 39,
VerfO empfohlenen Maßnahmen zu entsprechen, wirft die Frage auf, ob der belangte Staat seine Verpflichtung nach Art. 34 EMRK, die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts nicht zu behindern, verletzt hat.VerfO empfohlenen Maßnahmen zu entsprechen, wirft die Frage auf, ob der belangte Staat seine Verpflichtung nach Artikel 34, EMRK, die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts nicht zu behindern, verletzt hat.
1.) Allgemeine Überlegungen:
a) Ausübung des Individualbeschwerderechts:
Art. 34 letzter Satz EMRK verbietet den Vertragsstaaten nicht nur die Ausübung von Druck auf einen Bf., sondern auch jede Handlung oder Unterlassung, die eine Beschwerde gegenstandslos und so ihre Behandlung durch den GH zwecklos machen oder ihn sonst an der Durchführung des üblichen Verfahrens hindern würde. Artikel 34, letzter Satz EMRK verbietet den Vertragsstaaten nicht nur die Ausübung von Druck auf einen Bf., sondern auch jede Handlung oder Unterlassung, die eine Beschwerde gegenstandslos und so ihre Behandlung durch den GH zwecklos machen oder ihn sonst an der Durchführung des üblichen Verfahrens hindern würde.
b) Empfehlung vorläufiger Maßnahmen:
Art. 39 VerfO ermächtigt eine Kammer oder gegebenenfalls ihren Präsidenten zur Empfehlung vorläufiger Maßnahmen. Die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 39 VerfO sind in der Verfahrensordnung nicht geregelt, sondern wurden vom GH in seiner Rechtsprechung entwickelt. In der Praxis wendet der GH diese Bestimmung nur an, wenn irreparabler Schaden droht.Artikel 39, VerfO ermächtigt eine Kammer oder gegebenenfalls ihren Präsidenten zur Empfehlung vorläufiger Maßnahmen. Die Voraussetzungen für eine Anwendung von Artikel 39, VerfO sind in der Verfahrensordnung nicht geregelt, sondern wurden vom GH in seiner Rechtsprechung entwickelt. In der Praxis wendet der GH diese Bestimmung nur an, wenn irreparabler Schaden droht.
2.) Hat die Auslieferung der Bf. die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts behindert?
Die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme dient der Erleichterung der wirksamen Ausübung des durch Art. 34 EMRK gewährleisteten Individualbeschwerderechts, indem sie den Gegenstand der Beschwerde bewahrt, wenn diesem durch die Handlungen oder Unterlassungen des belangten Staates ein irreparabler Schaden droht.Die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme dient der Erleichterung der wirksamen Ausübung des durch Artikel 34, EMRK gewährleisteten Individualbeschwerderechts, indem sie den Gegenstand der Beschwerde bewahrt, wenn diesem durch die Handlungen oder Unterlassungen des belangten Staates ein irreparabler Schaden droht.
Im vorliegenden Fall wurde der Schutz, den der GH den von den Bf. nach Art. 2 und Art. 3 EMRK geltend gemachten Rechten gewähren konnte, durch ihre Auslieferung nach Usbekistan unwiderruflich geschwächt. Durch die Auslieferung der Bf., die den Abbruch des Kontakts zu ihren Anwälten nach sich zog, wurde ihnen die Möglichkeit genommen, weitere Ermittlungen zur Erlangung von Beweismitteln anzustrengen, die ihre Behauptungen nach Art. 3 EMRK unterstützt hätten. Als Folge wurde der GH daran gehindert, genau zu prüfen, ob eine tatsächliche Gefahr der Misshandlung der Bf. bestand, und gegebenenfalls eine praktische und wirksame Umsetzung der Garantien der Konvention sicherzustellen.Im vorliegenden Fall wurde der Schutz, den der GH den von den Bf. nach Artikel 2 und Artikel 3, EMRK geltend gemachten Rechten gewähren konnte, durch ihre Auslieferung nach Usbekistan unwiderruflich geschwächt. Durch die Auslieferung der Bf., die den Abbruch des Kontakts zu ihren Anwälten nach sich zog, wurde ihnen die Möglichkeit genommen, weitere Ermittlungen zur Erlangung von Beweismitteln anzustrengen, die ihre Behauptungen nach Artikel 3, EMRK unterstützt hätten. Als Folge wurde der GH daran gehindert, genau zu prüfen, ob eine tatsächliche Gefahr der Misshandlung der Bf. bestand, und gegebenenfalls eine praktische und wirksame Umsetzung der Garantien der Konvention sicherzustellen.
Der GH hat in früheren Verfahren erörtert, ob angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung in der Konvention deren Organe aus Art. 34 EMRK (früher Art. 25) alleine oder iVm. Art. 39 VerfO (früher Art. 36) oder aus einer anderen Quelle die Befugnis ableiten können, vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die bindend sind. Er kam zu dem Schluss, dass eine solche Befugnis weder aus Art. 34 letzter Satz EMRK noch aus einer sonstigen Quelle abgeleitet werden könne.(Anm.: Cruz Varas u.a./S v. 20.3.1991, A/201; Conka u.a./B (ZE) v. 13.3.2001.)Der GH hat in früheren Verfahren erörtert, ob angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung in der Konvention deren Organe aus Artikel 34, EMRK (früher Artikel 25,) alleine oder in Verbindung mit Artikel 39, VerfO (früher Artikel 36,) oder aus einer anderen Quelle die Befugnis ableiten können, vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die bindend sind. Er kam zu dem Schluss, dass eine solche Befugnis weder aus Artikel 34, letzter Satz EMRK noch aus einer sonstigen Quelle abgeleitet werden könne.(Anm.: Cruz Varas u.a./S v. 20.3.1991, A/201; Conka u.a./B (ZE) v. 13.3.2001.)
Wenngleich der GH formal nicht an seine bisherige Rechtsprechung gebunden ist, sollte er im Interesse der Rechtssicherheit nicht ohne guten Grund von ihr abgehen. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung, dass die Konvention in einer Weise ausgelegt und angewendet wird, die ihre Rechte praktisch und wirksam durchsetzt.
Obwohl das Individualbeschwerderecht ursprünglich als fakultativer Teil des Schutzsystems der Konvention ausgestaltet war, hat es im Laufe der Jahre höchste Bedeutung erlangt und bildet jetzt ein Kernelement des Systems zum Schutz der Konventionsrechte. Seit dem Protokoll Nr. 11 besteht das Individualbeschwerderecht unabhängig von einer Zustimmung der Vertragsstaaten.
Der Internationale Gerichtshof (Anm.: Vgl.: LaGrand (Deutschland gg. die Vereinigten Staaten von Amerika), Urteil des IGH vom 27.6.2001 (= EuGRZ 2001, 287).), das Menschenrechtskomitee und das Antifolterkomitee der Vereinten Nationen sowie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben, obwohl sie nach anderen vertraglichen Bestimmungen handeln als der GH, in jüngsten Entscheidungen bekräftigt, dass die Bewahrung der den Parteien zugesicherten Rechte angesichts der Gefahr eines irreparablen Schadens ein wesentliches Ziel von vorläufigen Maßnahmen nach internationalem Recht darstellt. Tatsächlich erfordert eine ordnungsgemäße Rechtspflege unabhängig vom jeweiligen Rechtssystem, dass während des anhängigen Verfahrens keine Handlungen gesetzt werden, die nicht rückgängig gemacht werden können.Der Internationale Gerichtshof Anmerkung, Vgl.: LaGrand (Deutschland gg. die Vereinigten Staaten von Amerika), Urteil des IGH vom 27.6.2001 (= EuGRZ 2001, 287).), das Menschenrechtskomitee und das Antifolterkomitee der Vereinten Nationen sowie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben, obwohl sie nach anderen vertraglichen Bestimmungen handeln als der GH, in jüngsten Entscheidungen bekräftigt, dass die Bewahrung der den Parteien zugesicherten Rechte angesichts der Gefahr eines irreparablen Schadens ein wesentliches Ziel von vorläufigen Maßnahmen nach internationalem Recht darstellt. Tatsächlich erfordert eine ordnungsgemäße Rechtspflege unabhängig vom jeweiligen Rechtssystem, dass während des anhängigen Verfahrens keine Handlungen gesetzt werden, die nicht rückgängig gemacht werden können.
Der GH hat unlängst in Zusammenhang mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz betont, wie wichtig Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung in Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren sind. Art. 13 EMRK erfordert ein Rechtsmittel, das die Vollstreckung von Maßnahmen verhindert, die der Konvention widersprechen und deren Auswirkungen potentiell unwiderruflich sind. Es widerspricht daher dieser Bestimmung, wenn solche Maßnahmen vollstreckt werden, bevor die innerstaatlichen Behörden ihre Vereinbarkeit mit der EMRK geprüft haben. Es ist schwer einzusehen, warum dieser Grundsatz der Wirksamkeit von Rechtsmitteln nicht eine der Konvention innewohnende Anforderung an das internationale Verfahren vor dem GH sein soll, wo er doch auf innerstaatliche Verfahren anzuwenden ist.Der GH hat unlängst in Zusammenhang mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz betont, wie wichtig Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung in Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren sind. Artikel 13, EMRK erfordert ein Rechtsmittel, das die Vollstreckung von Maßnahmen verhindert, die der Konvention widersprechen und deren Auswirkungen potentiell unwiderruflich sind. Es widerspricht daher dieser Bestimmung, wenn solche Maßnahmen vollstreckt werden, bevor die innerstaatlichen Behörden ihre Vereinbarkeit mit der EMRK geprüft haben. Es ist schwer einzusehen, warum dieser Grundsatz der Wirksamkeit von Rechtsmitteln nicht eine der Konvention innewohnende Anforderung an das internationale Verfahren vor dem GH sein soll, wo er doch auf innerstaatliche Verfahren anzuwenden ist.
Desgleichen spielen vorläufige Maßnahmen eine wesentliche Rolle zur Verhinderung von unwiderruflichen Situationen, die den GH daran hindern würden, die Beschwerde genau zu prüfen und wenn nötig den praktischen und wirksamen Genuss der Konventionsrechte durch den Bf. sicherzustellen. Unter diesen Bedingungen untergräbt das Versäumnis eines Staates, vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, die Wirksamkeit des Individualbeschwerderechts nach Art. 34 EMRK und die Verpflichtung der Staaten nach Art. 1 EMRK, die in der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zu schützen.Desgleichen spielen vorläufige Maßnahmen eine wesentliche Rolle zur Verhinderung von unwiderruflichen Situationen, die den GH daran hindern würden, die Beschwerde genau zu prüfen und wenn nötig den praktischen und wirksamen Genuss der Konventionsrechte durch den Bf. sicherzustellen. Unter diesen Bedingungen untergräbt das Versäumnis eines Staates, vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, die Wirksamkeit des Individualbeschwerderechts nach Artikel 34, EMRK und die Verpflichtung der Staaten nach Artikel eins, EMRK, die in der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zu schützen.
Empfehlungen vorläufiger Maßnahmen erlauben es dem GH nicht nur, eine wirksame Untersuchung der Beschwerde durchzuführen, sondern auch sicherzustellen, dass der von der Konvention gewährte Schutz wirksam wird. Solche Empfehlungen erlauben es in weiterer Folge auch dem Ministerkomitee, die Durchführung des rechtskräftigen Urteils zu überprüfen. Diese Maßnahmen ermöglichen daher dem betroffenen Staat die Erfüllung seiner Verpflichtung, dem gemäß Art. 46 EMRK rechtlich bindenden Urteil Folge zu leisten.Empfehlungen vorläufiger Maßnahmen erlauben es dem GH nicht nur, eine wirksame Untersuchung der Beschwerde durchzuführen, sondern auch sicherzustellen, dass der von der Konvention gewährte Schutz wirksam wird. Solche Empfehlungen erlauben es in weiterer Folge auch dem Ministerkomitee, die Durchführung des rechtskräftigen Urteils zu überprüfen. Diese Maßnahmen ermöglichen daher dem betroffenen Staat die Erfüllung seiner Verpflichtung, dem gemäß Artikel 46, EMRK rechtlich bindenden Urteil Folge zu leisten.
Die Wirkungen einer Empfehlung vorläufiger Maßnahmen an einen Staat " im vorliegenden Fall an den belangten Staat " müssen daher im Lichte der Verpflichtungen beurteilt werden, die den Vertragsstaaten durch Art. 1, Art. 34 und Art. 46 EMRK auferlegt sind.Die Wirkungen einer Empfehlung vorläufiger Maßnahmen an einen Staat " im vorliegenden Fall an den belangten Staat " müssen daher im Lichte der Verpflichtungen beurteilt werden, die den Vertragsstaaten durch Artikel eins,, Artikel 34 und Artikel 46, EMRK auferlegt sind.
Wie die Umstände des vorliegenden Falles deutlich zeigen, wurde der GH durch die Auslieferung der Bf. an Usbekistan daran gehindert, ihre Beschwerde genauer zu prüfen und letztendlich auch daran, sie nötigenfalls gegen die behaupteten potentiellen Verletzungen der Konvention zu schützen. Dies führte zu einer Hinderung der Bf. an der wirksamen Ausübung ihres Individualbeschwerderechts.
3.) Schlussfolgerung:
Der GH ruft in Erinnerung, dass Art. 34 EMRK den Konventionsstaaten jede Handlung oder Unterlassung verbietet, die die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts behindern könnte. Durch ein Versäumnis eines Vertragsstaates, empfohlenen vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, wird der GH an der wirksamen Prüfung des Beschwerdevorbringens und der Bf. an der effektiven Ausübung seines Individualbeschwerderechts gehindert. Ein solches Versäumnis muss daher als Verletzung von Art. 34 EMRK beurteilt werden.Der GH ruft in Erinnerung, dass Artikel 34, EMRK den Konventionsstaaten jede Handlung oder Unterlassung verbietet, die die wirksame Ausübung des Individualbeschwerderechts behindern könnte. Durch ein Versäumnis eines Vertragsstaates, empfohlenen vorläufigen Maßnahmen zu entsprechen, wird der GH an der wirksamen Prüfung des Beschwerdevorbringens und der Bf. an der effektiven Ausübung seines Individualbeschwerderechts gehindert. Ein solches Versäumnis muss daher als Verletzung von Artikel 34, EMRK beurteilt werden.
Der GH kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Türkei durch das Versäumnis, den Empfehlungen nach Art. 39 VerfO nachzukommen, gegen ihre Verpflichtungen nach Art. 34 EMRK verstoßen hat. Verletzung von Art. 34 EMRK (14:3 Stimmen, Sondervotum der Richter Caflisch, Türmen und Kovler, im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Cabral Barreto).Der GH kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Türkei durch das Versäumnis, den Empfehlungen nach Artikel 39, VerfO nachzukommen, gegen ihre Verpflichtungen nach Artikel 34, EMRK verstoßen hat. Verletzung von Artikel 34, EMRK (14:3 Stimmen, Sondervotum der Richter Caflisch, Türmen und Kovler, im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Cabral Barreto).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:
Je EUR 5.000, für die beiden Bf. für immateriellen Schaden; EUR 15.000, für Kosten und Auslagen abzüglich EUR 2.613,17 bereits erhaltener Verfahrenskostenhilfe des Europarates (14:3 Stimmen; Sondervotum der Richter Caflisch, Türmen und Kovler).
Vom GH zitierte Judikatur:
Soering/GB v. 7.7.1989, A/161, EuGRZ 1989, 314.
Cruz Varas u.a./S v. 20.3.1991, A/201, EuGRZ 1991, 203; ÖJZ 1991, 519.
Conka u.a./B v. 5.2.2002, NL 2002, 22.
Vilvarajah u.a./GB v. 30.10.1991, A/215, NL 1992/1, 15; ÖJZ 1992, 309.
Loizidou/TR (Verfahrenseinreden) v. 23.3.1995, A/310, NL 1995, 83; ÖJZ 1995, 629.
Anmerkung: Vgl. den Kommentar zum in dieser Sache ergangenen Urteil der Kammer von Franz Matscher: Zur Frage des verbindlichen Charakters von empfohlenen einstweiligen Maßnahmen, NL 2003, 173.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 4.2.2005, Bsw. 46827/99 und Bsw. 46951/99, entstammt der Zeitschrift Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 23) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/05_1/Mamatkulov.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Textnummer
EGM00546Im RIS seit
19.04.2017Zuletzt aktualisiert am
19.04.2017