TE Vwgh Erkenntnis 2007/6/28 2006/21/0382

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Veröffentlicht am 28.06.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §44 Abs3;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27 Abs1;
AsylG 2005 §27 Abs2;
AsylG 2005 §27 Abs3;
AsylG 2005 §27;
AsylG 2005 §75 Abs1;
AsylG 2005 §75;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 16. November 2006, Zl. E 166/10/2006.057/004, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem am selben Tag in Vollzug gesetzten Bescheid vom 8. November 2006 ordnete die Bundespolizeidirektion Eisenstadt gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie seiner Abschiebung an.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland (die belangte Behörde) der Schubhaftbeschwerde Folge, erklärte die Verhängung der Schubhaft sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft seit 8. November 2006 für rechtswidrig und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht vorlägen.

Die belangte Behörde ging dabei von folgendem - unbestrittenem - Sachverhalt aus: Der Mitbeteiligte, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, sei am 25. Juni 2001 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Sein Asylantrag sei in erster Instanz gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz 1997 - AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden. Mit Bescheid vom 25. Februar 2002 habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien im Instanzenzug gegen den Mitbeteiligten ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Er weise vier rechtskräftige Verurteilungen, vorwiegend nach dem Suchtmittelgesetz, auf, die letzte Verurteilung datiere mit 13. Jänner 2006.

Am 2. Oktober 2006 sei beim Bundesasylamt der Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates eingelangt, womit der Berufung des Mitbeteiligten Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben worden sei. Der Mitbeteiligte habe einer Ladung für den 8. November 2006 Folge geleistet; im Zug seiner Vernehmung habe das Bundesasylamt gegen ihn ein Ausweisungsverfahren nach § 27 Abs. 2 iVm Abs. 3 AsylG 2005 eingeleitet, was mit den rechtskräftigen Verurteilungen begründet worden sei. Mit Bescheid vom 15. November 2006 habe die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Mitbeteiligten ein noch nicht rechtskräftiges unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesem Sachverhalt: Der Mitbeteiligte habe seinen Asylantrag am 26. Juni 2001 gestellt. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 seien alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Asylverfahren, somit auch jenes des Mitbeteiligten, nach den Bestimmungen des AsylG zu Ende zu führen.

§ 44 leg. cit. sehe vor, dass Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden seien, nach den Bestimmungen des AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 (somit vor der AsylG-Novelle 2003) zu führen seien.

Es sei denkunmöglich, dass gegen den Mitbeteiligten eine Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen werden könnte. Da gemäß § 76 Abs. 2 FPG aber nur das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 durch Anhaltung in Schubhaft gesichert werden dürfe, erweise sich sowohl die Verhängung der Schubhaft als auch die bisherige Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft sowie die weitere Fortsetzung seiner Anhaltung als nicht zulässig. Schon die Einleitung des Ausweisungsverfahrens sei unrechtmäßig gewesen, weil § 27 iVm § 75 Abs. 1 vierter Satz AsylG 2005 nur auf jene nach dem AsylG zu führenden Verfahren anzuwenden sei, in denen die Asylbehörde überhaupt zur Erlassung einer Ausweisung zuständig sei. Das AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 habe jedoch eine Ausweisung nur bei einer Zurückweisung des Asylantrages vorgesehen. Für die Absicht einer Zurückweisung des Asylantrages des Mitbeteiligten bestehe kein Hinweis, weshalb es an der Zuständigkeit fehle, gegen den Mitbeteiligten ein Ausweisungsverfahren einzuleiten.

Bei diesem Verfahrensergebnis sei es - so die belangte Behörde - nicht mehr erforderlich, für die Verwirklichung des nach § 75 Abs. 1 vierter Satz AsylG 2005 maßgeblichen Sachverhalts zu prüfen, ob der Zeitpunkt der strafgerichtlichen Verurteilung oder jener, an dem sich der dieser Verurteilung zu Grunde liegende Sachverhalt ereignete, maßgeblich sei. Ebenso wenig sei auf das Vorbringen des Mitbeteiligten, dass es keinen Grund zur Annahme gebe, er werde sich dem weiteren Verfahren entziehen, näher einzugehen.

Da das gegen den Mitbeteiligten erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 125 Abs. 3 FPG als Rückkehrverbot gelte und somit nicht als Aufenthaltsverbot durchsetzbar sei, könne die Sicherung auch nicht zum Zweck der Abschiebung des Mitbeteiligten erfolgen.

Ihre oben dargelegte Ansicht, dass die Asylbehörde auch nicht zur Erlassung einer Ausweisung nach dem AsylG zuständig wäre, hielt die belangte Behörde in der Gegenschrift angesichts § 44 Abs. 3 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 ausdrücklich nicht aufrecht. Sie meinte aber, dass zwar eine Ausweisung nach § 8 Abs. 2 leg. cit. erlassen werden könnte, nicht jedoch eine solche nach § 10 AsylG 2005.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten

auszugsweise:

"Einleitung eines Ausweisungsverfahrens

§ 27. (1) Ein Ausweisungsverfahren nach diesem Bundesgesetz gilt als eingeleitet, wenn

1. im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder 5 erfolgt und

2. das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat einzustellen (§ 24 Abs. 2) war und die Entscheidung des Bundesasylamtes in diesem Verfahren mit einer Ausweisung (§ 10) verbunden war.

(2) Die Behörde hat darüber hinaus ein Ausweisungsverfahren einzuleiten, wenn die bisher vorliegenden Ermittlungen die Annahme rechtfertigen, dass der Antrag auf internationalen Schutz sowohl in Hinblick auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab- oder zurückzuweisen sein wird und wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der beschleunigten Durchführung eines Verfahrens besteht. Die Einleitung des Ausweisungsverfahrens ist mit Aktenvermerk zu dokumentieren.

(3) Ein besonderes öffentliches Interesse an einer beschleunigten Durchführung des Verfahrens besteht insbesondere bei einem Fremden,

1. der wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist und vorsätzlich begangen wurde, rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. gegen den wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz fällt und nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben worden ist oder

3. der bei der Begehung eines Verbrechens (§ 17 StGB) auf frischer Tat betreten worden ist.

...

Übergangsbestimmungen

§ 75. (1) Alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

§ 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen."

§ 76 FPG lautet auszugsweise:

"Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist

oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

..."

Auch wenn grundsätzlich gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 die am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG zu Ende zu führen sind, sieht diese Bestimmung Ausnahmen vor. So ist die Bestimmung über die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens nach § 27 AsylG 2005 auch auf "Altverfahren" anzuwenden, wenn die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. Ebenso wie die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion geht nun - wie dargelegt - auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift davon aus, dass im vorliegenden Fall das Bundesasylamt in Anwendung des § 44 Abs. 3 AsylG in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 ihre Entscheidung - wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen - mit einer Ausweisungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AsylG zu verbinden hätte.

Nach den ErläutRV zu § 75 AsylG 2005 (952 BlgNR 22. GP 75) soll in allen Verfahren auch dann ein Ausweisungsverfahren eingeleitet und gegebenenfalls über die fremdenpolizeilichen Normen der Schubhaft gesichert werden können, wenn der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führt, nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes verwirklicht wurde. Nach § 27 Abs. 1 AsylG 2005 gilt unter weiteren Voraussetzungen ein Ausweisungsverfahren nach diesem Bundesgesetz als eingeleitet. Gemäß § 27 Abs. 2 iVm Abs. 3 leg. cit. hat die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen darüber hinaus (über die in Abs. 1 genannten Fälle) ein Ausweisungsverfahren einzuleiten. Ein Ausweisungsverfahren "nach diesem Bundesgesetz" kann nur ein solches sein, das mit einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 endet. Im Hinblick darauf ist ungeachtet dessen, dass § 10 AsylG 2005 in § 75 leg. cit. nicht genannt wird, in all jenen Fällen, in denen § 27 leg. cit. zur Anwendung gelangt, davon auszugehen, dass die Asylbehörden auch zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 leg. cit. berufen sind.

Dies hat zur Folge, dass ein solches Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 leg. cit. nach § 76 Abs. 2 FPG unter der in solchen Fällen maßgeblichen weiteren Voraussetzung des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG mit Schubhaft gesichert werden kann. Eben diese Vorgangsweise liegt - wie zitiert - in der Intention des Gesetzgebers. In Verkennung dieser Rechtslage sprach die belangte Behörde der Asylbehörde das Recht ab, in Fällen, in denen gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 das Asylverfahren nach dem AsylG zu Ende zu führen ist, ein Ausweisungsverfahren nach § 27 Abs. 2 AsylG 2005 mit dem Ziel einer Ausweisung nach § 10 leg. cit. einzuleiten und unterließ eine weitere Prüfung, ob ein Sicherungsbedarf zur Verhängung und Aufrechterhaltung einer Schubhaft nach § 76 Abs. 2 FPG bestand bzw. besteht.

Soweit die belangte Behörde die Grundlage für ein Vorgehen nach § 27 Abs. 2 AsylG 2005 in Zweifel gezogen hat, ist ihr zu entgegnen, dass sie jedenfalls von der stattgefundenen Einleitung eines Ausweisungsverfahren durch das Bundesasylamt auszugehen hatte.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Juni 2007

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006210382.X00

Im RIS seit

24.08.2007

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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