TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/3 2006/18/0429

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Veröffentlicht am 03.07.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. September 2006, Zl. UVS-FRG/20/5114/2006/4, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: JH, 1100 Wien, R-Gasse 62/4/28), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 21. September 2006 wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Mai 2006, mit dem gegen den Mitbeteiligten, einen Staatsangehörigen von Luxemburg, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und verfügt worden war, dass er nach Eintritt der Durchsetzbarkeit dieses Bescheides aus dem Bundesgebiet unverzüglich auszureisen habe, gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.

Abgesehen von der Wiedergabe der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, des Inhalts der Berufung des Mitbeteiligten und des Inhalts der Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vernommenen Personen und abgesehen von weitwendigen allgemeinen Rechtsausführungen führte die belangte Behörde begründend aus, dass der Mitbeteiligte im Jahr 2002 nach Österreich eingereist sei, weshalb die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes lediglich im Licht des § 86 Abs. 1 Satz 1 bis 4 FPG zu prüfen sei. Die erstinstanzliche Behörde habe in ihrer Begründung ausgeführt, der Mitbeteiligte habe das ihm zur Last gelegte Strafdelikt vorwiegend begangen, um seinen Bedarf an Heroin zu decken.

(Die bezughabende Stelle des erstinstanzlichen Bescheids wird wie folgt wiedergegeben:

"Am 19.12.2005 sei (der Mitbeteiligte) vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der §§ 127, 129 Z 1 und 3 StGB zu 10 Monaten Freiheitsstrafe bedingt auf drei Jahre Probezeit rechtskräftig verurteilt worden. Im Urteil werde neben der Mittellosigkeit auch angeführt, dass der (Mitbeteiligte) die Strafdelikte vorwiegend begangen habe, um seinen Bedarf an Heroin zu decken. Um dem (Mitbeteiligten) die Möglichkeit eines Abschlusses der Schulausbildung zu ermöglichen, sei vom Gericht eine bedingte Nachsicht in Verbindung mit Bewährungshilfe ausgesprochen worden. Über den angeblichen Schulbesuch lägen der Behörde erster Instanz aber keine Daten vor. Ansonsten bestehen zu Österreich keine familiären oder sonstigen Bindungen.")

Demgegenüber sei dem Strafurteil zu entnehmen, dass sich aus dem Ablauf der Geschehnisse ableiten lasse, dass der Mitbeteiligte in die Delikte vorwiegend durch seinen Bedarf an Heroin und die daraus resultierende Bekanntschaft mit J. verwickelt worden sei. Diesem Wortlaut sei eben nicht zu entnehmen, dass der Mitbeteiligte die Delikte begangen habe, um mit den finanziellen Erlösen seinen Bedarf an Heroin zu decken, sondern dass sein damaliger Bedarf an Heroin Grund für die Bekanntschaft mit dem zweitangeklagten J. gewesen sei und er daraus folgend, nämlich lediglich aus der Bekanntschaft heraus in die vorwiegend von J. begangenen Delikte hineingezogen worden sei. Damit verliere aber das zu Grunde liegende Delikt eine für die Gefährlichkeitsprognose nicht unwesentlich begründende Qualifikation, sei doch bei einem Täter, der Vermögensdelikte begehe, um aus den Erlösen seine Sucht finanzieren zu können, von einer erhöhten Gefährlichkeit auszugehen. Dem Gerichtsurteil sei ganz im Gegenteil nicht eine entsprechende Qualifikation des Tatverhaltens, die für eine besondere Gefährlichkeit des Täters sprechen würde, sondern der Umstand zu entnehmen, dass sich der Mitbeteiligte reumütig gezeigt habe und auch, dass eine Verurteilung des Mitbeteiligten sowie eine Verurteilung wegen eines Großteils der Delikte, die dem J. zur Last gelegt worden seien, ohne das geständige Verhalten und die Schilderung der Tatumstände durch den Mitbeteiligten gar nicht möglich gewesen sei. Der Mitbeteiligte habe zwar die ihm angelastete Tat unter dem Einfluss von Drogen und Medikamenten begangen; dass er aber zum Tatzeitpunkt oder zuvor süchtig gewesen wäre, sei weder dem Gerichtsurteil zu Grunde gelegt noch von der Behörde erster Instanz angenommen worden und es würde sich auch sonst kein Anhaltspunkt für eine derartige Annahme ergeben. Auch in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde habe der Mitbeteiligte sein damaliges Verhalten nicht beschönigt, sondern - im Gegenteil - ausgesagt, dass er zu Beginn seiner Krankheit Heroin konsumiert hätte, weil sich dieses nach seinem Gefühl positiv auf seinen Zustand ausgewirkt hätte. Seit dem Tag seiner Verhaftung hätte er aber kein Heroin mehr konsumiert. Diese Schilderung des Mitbeteiligten erscheine durchaus glaubwürdig. Die belangte Behörde habe aber auch auf die Beurteilung durch die Bewährungshilfe des Mitbeteiligten Bedacht genommen. Daraus ergebe sich, dass beim Mitbeteiligten eine ganz geringe Rückfallswahrscheinlichkeit vorliege und dass seine psychische und soziale Entwicklung positiv anzusehen sei. Der Mitbeteiligte zeige auch dadurch, dass er "Unterstützungsangebote" annehme, nunmehr eine Lebensgefährtin habe und die Schule besuche und sich auch im psychischen Bereich positiv verändere, "jedenfalls eine positive Entwicklung". Auch unter Berücksichtigung der Feststellungen im Gerichtsurteil sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte nicht von vornherein kriminelle Energie aufgewiesen habe und sich nicht erst nach seinem strafbaren Verhalten langsam gebessert habe, sondern dass er bis zu seiner Verhaftung einen ordentlichen Lebenswandel aufgewiesen habe. Nach Verspüren des Haftübels und seiner Verurteilung habe er aber sofort wieder zu einem ordentlichen Lebenswandel zurückgefunden. Angesichts seiner positiven Entwicklung stelle er in keiner Weise eine Gefahr für die Öffentlichkeit im Sinn des § 86 Abs. 1 erster Satz FPG dar.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet. Die mitbeteiligte Partei hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gegen den Mitbeteiligten als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall lösgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt sei, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. (Vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275.)

2.1. Die Amtsbeschwerde bringt vor, der angefochtene Bescheid habe sich nicht mit den konkreten Tathandlungen des Mitbeteiligten, die zu seiner gerichtlichen Verurteilung geführt hätten, auseinandergesetzt. Unabhängig von der Frage, ob der Mitbeteiligte die Einbruchsdiebstähle zur Finanzierung seines Heroinkonsums begangen habe, habe er in zwei Fällen bedenkenlos in fremdes Eigentum eingegriffen. Was die belangte Behörde zur Annahme habe kommen lassen, der Mitbeteiligte werde in Zukunft kein Heroin mehr konsumieren, bleibe insofern im Dunkeln, als der Mitbeteiligte selbst angegeben habe, auf Grund seiner Depressionen, derentwegen er seit Mai 2004 in ärztlicher Behandlung stünde, begonnen zu haben, Heroin zu konsumieren. Der Mittäter Michael J. sei unter anderem auch deshalb verurteilt worden, weil er insgesamt viermal jeweils ein bis zwei Kugeln Heroin gekauft und sie an den Mitbeteiligten weitergegeben habe. Darüber hinaus sei der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Einbrüche unter dem Einfluss von Drogen bzw. Medikamenten gestanden. Das dargestellte persönliche Verhalten des Mitbeteiligten stelle durchaus eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die belangte Behörde habe die Rechtslage verkannt.

2.2. Die belangte Behörde hat mit Ausnahme der Erwähnung des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Dezember 2005 keine Feststellungen über die der Verurteilung zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen getroffen.

Ohne konkrete Feststellungen zu den einzelnen Straftaten kann der Verwaltungsgerichtshof weder die Art und die Schwere der der Verurteilung zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten noch dessen Persönlichkeitsbild beurteilen. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmangel belastet.

3. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Für das fortgesetzte Verfahren sieht sich der Verwaltungsgerichtshof veranlasst, zur Frage des Stellenwerts von allenfalls im Verfahren eingeholten oder vorgelegten Gutachten (fachlichen Äußerungen) auf sein Erkenntnis vom heutigen Tag Zl. 2007/18/0340 zu verweisen.

Wien, am 3. Juli 2007

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006180429.X00

Im RIS seit

21.08.2007

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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