Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Jeyakumar K*****, 2. Skrikanthan S*****, und 3. Selvakumar S*****, alle unbekannten Aufenthalts, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen insgesamt EUR 13.880,51 sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Mai 2004, GZ 14 R 244/03k-48, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 8. Juni 2003, GZ 2 Cg 45/00v-44, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 718,47 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar
a) die erstklagende Partei EUR 294,57
b) die zweitklagende Partei EUR 208,36
c) die drittklagende Partei EUR 215,54.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Erstkläger befand sich 77 Tage (vom 29. 1. bis 14. 4. 2000), der Zweitkläger 56 Tage (vom 17. 2. bis 12. 4. 2000) und der Drittkläger 58 Tage (vom 17. 2. bis 14. 4. 2000) als Asylwerber im Bereich des sogenannten „Sondertransits" (SOT) am Flughafen Wien/Schwechat.
Mit der Behauptung, es wäre ihnen durch die Anhaltung im Sondertransitbereich die Freiheit entzogen worden, machten die Kläger auf Art 5 Abs 5 EMRK bzw Art 7 des BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) gestützte Ersatzansprüche in Höhe von EUR 72,67 pro Tag der Anhaltung geltend. Sie brachten vor, der Sondertransitbereich gleiche einem Gefängnis. Da sogar die Rückkehr in den allgemeinen Transitbereich verwehrt worden sei, sei die Anhaltung nicht allein zum Zweck der Verhinderung einer allenfalls illegalen Einreise erfolgt. Ein Verfahren, in welchem die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Behörde überprüft worden wäre, habe nicht stattgefunden.
Diesem Vorbringen hielt die beklagte Partei entgegen, der SOT diene der Sicherung der Zurückweisung nicht einreiseberechtigter Asylwerber für die Dauer des sogenannten Flughafenverfahrens gemäß § 39 Abs 3 AsylG. Die Anhaltung hätte keine Freiheitsentziehung, sondern eine durch das Asylverfahren bedingte Freiheitsbeschränkung dargestellt. Die Kläger hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, ihre Ausreise zu betreiben. Auch stünden (im Gegensatz zum allgemeinen Transitbereich) im Sondertransit Betten und entsprechende Sanitäreinrichtungen zur Verfügung. Es erfolge zudem eine regelmäßige Betreuung durch Mitarbeiter der Caritas bzw des Flughafensozialdiensts.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Nachdem die Kläger mit einem Flugzeug am Flughafen Wien/Schwechat gelandet waren, gaben sie gegenüber dem Grenzkontrollorgan zu verstehen, Asyl beantragen zu wollen. Unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers wurden sie zu ihren Asylanträgen durch Beamte der Bundepolizeidirektion Schwechat im Bereich des allgemeinen Transits einvernommen. Die niederschriftliche Vernehmung schließt wie folgt: „Mir wird aufgetragen, mich vorläufig im hs. Transitraum aufzuhalten. Ausreise ist mir jederzeit gestattet".
Die Asylanträge wurden unverzüglich an die Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes übermittelt, welches beurteilt, ob ein vorläufiges Aufenthaltsrecht zusteht und ob die Überstellung nach Traiskirchen stattfindet oder es nach Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) zu einem sogenannten Flughafenverfahren (§ 39 Abs 3 AsylG) kommt. Im Falle der Kläger wies das Bundesasylamt nach Vorliegen der Zustimmung des UNHCR deren Anträge jeweils als offensichtlich unbegründet ab oder als unzulässig zurück. Nach Bekanntmachung der abschlägigen erstinstanzlichen Asylbescheide stellten die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes das Einvernehmen mit den Klägern über deren Aufnahme in den Sondertransitbereich des Flughafens her. Bei fehlendem Einvernehmen wäre zur Sicherung der Zurückweisung die Verbringung durch Organe der Bundespolizeidirektion Schwechat unter Polizeigewalt durchgesetzt worden.
Am zehnten Tag nach Erhalt der erstinstanzlichen Asylbescheide erhoben die Kläger Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat. Da sie den Ausgang des Berufungsverfahrens nicht im Ausland abwarten wollten, verblieben sie bis zum (jeweils für sie letztendlich negativen) Abschluss des Berufungsverfahrens im Sondertransitbereich.
Das Gelände des SOT befindet sich im unmittelbaren Anschluss an das Betriebsgelände des Flughafens Wien gegenüber der Polizeieinsatzstelle. Man betritt es durch ein versperrtes Gittertor. Dort versieht ein Sicherheitswachebeamter mit Mehrzweckuniform und Bewaffnung rund um die Uhr Dienst. Auf dem etwa 800 m² großen umzäunten Areal werden die Fremden in Containern untergebracht. Nach Betreten des ersten Containers gelangt man in den für die Überwachungsorgane vorgesehenen Bereich. Dort befinden sich vier Monitore, die den Eingangs- und Zaunbereich zeigen sowie den für das Spazierengehen der Fremden vorgesehenen Innenhof. Neben den Sanitär- und Schlafräumen existiert ein etwa 30 m² großer Aufenthaltsraum, der mit einem TV-Gerät, einem Küchenblock (samt Eiskasten) sowie einer Kaffeemaschine und Holzbänken ausgestattet ist. Sämtliche Fenster (auch jene der Schlaf- und Sanitärräume) sind vergittert. Zwischen dem Aufenthaltsbereich und dem für das Bewachungsorgan vorgesehenen Raum befindet sich ein Türe, die von außen versperrt ist. Auch die Türe in den Garten kann nur vom Aufenthaltsraum des Bewachungsorgans aus geöffnet werden. Zum Zeitpunkt des Aufenthalts der Kläger im SOT gab es dort einen Telefonapparat mit Aktivsperre. Anrufe konnten entgegengenommen werden, aktives Telefonieren war aber nur mittels eines Schlüssels möglich, über den die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes verfügten. Die im SOT Angehaltenen konnten von ihren Rechtsvertretern besucht werden; ob Besuche von Angehörigen möglich waren, war nicht feststellbar. Die Kläger wurden auf Kosten der beklagten Partei voll verpflegt.
Die am Flughafen sozialdienstlich tätigen Mitarbeiter der Caritas der Erzdiözese Wien statteten dem SOT täglich Besuche ab, kauften über Ersuchen der Kläger für diese ein und organisierten den Postverkehr. Die Weiterleitung von Geldbeträgen wurde so vorgenommen, dass die Beträge an die Caritas übersendet und von deren Mitarbeitern den Empfangsberechtigten ausgefolgt wurden. Die Kläger äußerten weder gegenüber den Caritasmitarbeitern noch gegenüber den Aufsicht übenden Sicherheitswachebeamten den Wunsch, die Ausreise antreten zu wollen. Wäre dies geschehen, wären sie innerhalb weniger Stunden vom SOT zum „allgemeinen Transit" verlegt worden. Ohne Bekundung der Ausreiseabsicht wäre diese Verlegung nicht gestattet worden.
Der allgemeine Transitbereich verfügte auf zwei Ebenen über verschiedene Einkaufsmöglichkeiten sowie über ein Servicecenter mit Schaltern mehrerer Fluglinien. Ein öffentlicher Fernsprecher, ein Bankomat und ein Wechselschalter einer Bank waren vorhanden. Es gab Toiletten, aber keine Duschanlagen.
Im Falle der Äußerung eines Ausreisewunsches wären den Klägern die Organe der Bundepolizeidirektion Wien Schwechat und die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes bei der Organisation der Ausreise behilflich gewesen. Derartige Hilfe wird insbesonders dann geleistet, wenn Fremde wegen fehlender Dokumente und/oder fehlender finanzieller Mittel Unterstützung benötigen. Erlangt ein Rückreisewilliger trotz Rückbeförderungsverpflichtung der Fluglinien kein Ticket (etwa, weil er die Nennung des Carriers verweigert) und fehlen ihm die nötigen finanziellen Mittel, so übernimmt diese Kosten die Caritas.
Die Kläger erhoben gegen ihre Anhaltung im Sondertransit Maßnahmebeschwerden, die vom Unabhängigen Verwaltungssenat Niederösterreich als unbegründet abgewiesen wurden. Dagegen richteten sie auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerden an den VfGH. Dieser entschied mit Erkenntnis vom 27. 11. 2001 zu B 435/01-B 456/01 , dass die Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden seien.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass Asylwerber, die sich nach Anreise über einen Flugplatz im Bundesgebiet befänden, gemäß § 19 Abs 1 AsylG 1997, BGBl I 76/1997 (in der für den vorliegenden Fall zur Anwendung gelangenden Fassung der Asylgesetznovelle BGBl I 4/1999), vorläufig zum Aufenthalt berechtigt wären. Vorgeführte Asylwerber dürften jedoch dazu verhalten werden, sich zur Sicherung einer Zurückweisung während der der Grenzkontrolle folgenden Woche an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich (Transitbereich) oder im Bereich des Bundesasylamtes aufzuhalten. Gemäß § 39 Abs 3 AsylG sei für Asylwerber, die über einen Flugplatz einreisen, ein besonderes Verfahren unter Einbindung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) vorgesehen. Anlässlich der Grenzkontrolle gestellte Anträge von derartigen Asylwerbern dürften nur mit Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder als unzulässig zurückgewiesen werden. Eine allenfalls verfügte Sicherung der Zurückweisung sei jedenfalls bis zum Ende des Tages zulässig, an dem die Äußerung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge einlange. Die Sicherung der Zurückweisung sei auch in § 53 FrG geregelt, wonach Fremden, die zurückzuweisen seien, jedoch den Grenzkontrollbereich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht sofort verlassen könnten, der Aufenthalt an einem bestimmten Ort dieses Bereiches aufgetragen werden könne. Abs 6 des § 53c VStG, der die sinngemäße Berücksichtigung der sich aus dem Strafvollzugsgesetz ergebenden Grundsätze des Strafvollzugs regle, sei nicht anzuwenden. Die Anweisung, sich an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich aufzuhalten, stelle eine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar (§ 37 Abs 6 AsylG, § 60 FrG). Die Kläger hätten keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gehabt. Sie seien im Stadium der Sicherung der Zurückweisung im Grenzkontrollbereich verblieben. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hätten den Aufenthalt der Kläger im Sondertransit bestimmen können. Die Anhaltung sei als zwangsläufiger Annex der abweislichen Asylentscheidung anzusehen. Sie finde in den Bestimmungen des Asylgesetzes rechtlich Deckung.Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass Asylwerber, die sich nach Anreise über einen Flugplatz im Bundesgebiet befänden, gemäß Paragraph 19, Abs 1 AsylG 1997, BGBl I 76/1997 (in der für den vorliegenden Fall zur Anwendung gelangenden Fassung der Asylgesetznovelle BGBl I 4/1999), vorläufig zum Aufenthalt berechtigt wären. Vorgeführte Asylwerber dürften jedoch dazu verhalten werden, sich zur Sicherung einer Zurückweisung während der der Grenzkontrolle folgenden Woche an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich (Transitbereich) oder im Bereich des Bundesasylamtes aufzuhalten. Gemäß § 39 Abs 3 AsylG sei für Asylwerber, die über einen Flugplatz einreisen, ein besonderes Verfahren unter Einbindung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) vorgesehen. Anlässlich der Grenzkontrolle gestellte Anträge von derartigen Asylwerbern dürften nur mit Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder als unzulässig zurückgewiesen werden. Eine allenfalls verfügte Sicherung der Zurückweisung sei jedenfalls bis zum Ende des Tages zulässig, an dem die Äußerung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge einlange. Die Sicherung der Zurückweisung sei auch in § 53 FrG geregelt, wonach Fremden, die zurückzuweisen seien, jedoch den Grenzkontrollbereich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht sofort verlassen könnten, der Aufenthalt an einem bestimmten Ort dieses Bereiches aufgetragen werden könne. Abs 6 des § 53c VStG, der die sinngemäße Berücksichtigung der sich aus dem Strafvollzugsgesetz ergebenden Grundsätze des Strafvollzugs regle, sei nicht anzuwenden. Die Anweisung, sich an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich aufzuhalten, stelle eine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar (§ 37 Abs 6 AsylG, § 60 FrG). Die Kläger hätten keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gehabt. Sie seien im Stadium der Sicherung der Zurückweisung im Grenzkontrollbereich verblieben. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hätten den Aufenthalt der Kläger im Sondertransit bestimmen können. Die Anhaltung sei als zwangsläufiger Annex der abweislichen Asylentscheidung anzusehen. Sie finde in den Bestimmungen des Asylgesetzes rechtlich Deckung.
Ein Freiheitsentzug der Kläger habe nicht stattgefunden. Sie seien für die Dauer des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) im SOT untergebracht worden. Die Dauer dieses Verfahrens hänge vom Umfang der notwendigen Erhebungen ab. Eine exzessive Dauer des Berufungsverfahrens sei nicht behauptet worden. Den Klägern sei die Möglichkeit offen gestanden, Rechtsschutz, Überweisungen und Briefe zu erhalten. Weiters seien Telefonate und soziale Kontakte möglich gewesen. Wesentlich sei, dass die Kläger unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter ihre Ausreise hätten selbst organisieren können. Soweit sich die Kläger dadurch beschwert erachteten, dass sie im SOT und nicht im allgemeinen Transitbereich untergebracht worden seien, sei klarzustellen, dass „eine solche Beschränkung des Gestaltungsspielraumes der Anordnung nach § 53 Abs 1 FrG dem Gesetz nicht inhärent" sei und auch „den Bedürfnissen der menschenrechtskonformen Praxis nicht widerspreche". Im SOT sei die Situation für die Kläger menschenwürdiger gewesen als im allgemeinen Transit.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision letztlich zu. Die Trennung zwischen dem allgemeinen Transit und dem Sondertransit könne nicht als Freiheitsentziehung angesehen werden. Diese Trennung diene der Verhinderung der Einreise in das Bundesgebiet und bezwecke nicht primär die Einschränkung der persönlichen Freiheit. Vielmehr sei die Beschränkung der Bewegungsfreiheit (mit Ausnahme der Rück- bzw Weiterreise) notwendige Folge des Rechts eines Staates, Fremden die Einreise zu verweigern. Ausgehend von den vom EGMR vorgegebenen Standards, insbesondere infolge der Möglichkeit, für die Ausreise Hilfe von Mitarbeitern des Flughafensozialdienstes in Anspruch nehmen zu können, sei die Konfinierung nur als Beschränkung und nicht als Entziehung der Freiheit anzusehen. Überlegungen dazu, dass bei einer Haft eine richterliche Haftprüfung stattfinden müsste, gingen daher von vornherein ins Leere.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Kläger ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist gemäß deren Art 1 auch auf Personen anwendbar, die sich in Flughafentransiträumen, in Hotels auf dem Flughafengelände oder in gelandeten Flugzeugen aufhalten. Diese Personen befinden sich unter der Jurisdiktion des betreffenden Staates. Flughafentransiträume sind somit nicht exterritorial.
Um festzustellen, ob einer Person die Freiheit im Sinne von Art 5 EMRK entzogen wurde, ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) von der konkreten Situation des Betroffenen auszugehen. Infolge der Vielzahl berücksichtigungswürdiger Elemente und des nur graduellen Unterschieds zwischen Beschränkung und Entzug der Freiheit (EGMR vom 25. Juni 1996, Nr 17/1995/523/609, im Fall Amuur gegen Frankreich = ÖJZ 1996, 956) handelt es sich hiebei um eine im Einzelfall zu lösende Frage.
Bereits in der zuvor zitierten Entscheidung des EGMR im Fall Amuur nahm dieser Gerichtshof eine umfassende Interpretation des Rechts auf persönliche Freiheit vor (Netzer, Zum Aufenthalt Fremder im Transit, in Wiederin, Neue Perspektiven im Ausländerrecht, 149 [159]). Bei der Anwendung nationalen Rechts ist durch Auslegung (auch) dieser Entscheidung des EGMR die über den entschiedenen Fall hinausreichende Bedeutung zu ergründen und die innerstaatliche Rechtsordnung auf dieser Grundlage konventionskonform auszulegen (SZ 2002/3).
Die tragenden Begründungselemente der Entscheidung im Fall Amuur sind folgende:
1.) Der EGMR betonte das „unbestreitbare souveräne Recht" der Mitgliedstaaten, die Einreise in ihr Staatsgebiet und den Aufenthalt auf diesem in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Konvention, einschließlich deren Art 5, zu regeln. Freiheitsbeschränkungen seien unerlässlich, wenn ein Asylantrag zu prüfen oder die Rückführung eines Fremden zu organisieren sei.
2.) Der Unterschied zwischen Entzug und Beschränkung der Freiheit sei einer des Grades und der Intensität der Maßnahme. Die Dauer der Anhaltung im Transitbereich sei insofern von Bedeutung, als bei einer exzessiven Verlängerung der Maßnahme das Risiko bestehe, dass diese von einer unerlässlichen bloßen Beschränkung der Freiheit zu einer Freiheitsentziehung werde. Es sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den betroffenen Personen nicht um Straftäter handle, sondern um solche, die aus ihrer Heimat - vielfach aus Furcht um ihr Leben - geflohen seien.
3.) Der Zugang zu sozialem Beistand und rechtlicher Beratung sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlicher Kontrolle müssten gewährleistet sein. Der EGMR beurteilte die 20 Tage hindurch ohne sozialen und rechtlichen Beistand in einem Transithotel am Flughafen erfolgte Anhaltung (wobei die Asylanträge unbehandelt blieben und bis zum 17. Tag keine gerichtliche Kontrolle der Situation erfolgte) als Freiheitsentzug. Eine derartige Situation würde sich nicht wesentlich von Maßnahmen unterscheiden, die üblicherweise als „Haft" qualifiziert werden.
4.) Der Umstand, dass den Asylwerbern die jederzeitige Abreise offen stand, habe nicht die Bedeutung, dass allein deshalb eine Freiheitsentziehung ausgeschlossen werden könne. Außerdem handle es sich hiebei dann um eine rein theoretische Möglichkeit, wenn kein sicherer Drittstaat zur Aufnahme des Asylwerbers bereit sei und die Zurücksendung an das nicht an die Genfer Flüchtlingskonvention gebundene Heimatland auf Hindernisse stoße.
Der Verfassungsgerichtshof übernahm diese Grundsätze des EGMR (VfSlg 15465). Er vertrat die Ansicht, dass die Anordnung der Sicherheitsorgane, wonach sich ein Fremder im allgemeinen Transitraum aufzuhalten habe, keine Freiheitsentziehung darstelle. Bei der Verbringung in einen sogenannten Sondertransitraum seien jedoch die genauen Umstände zu prüfen. Wesentlich sei die Möglichkeit, den Sondertransitraum zum Zwecke des Abflugs verlassen und die Ausreise selbst organisieren zu können.
In seinem Erkenntnis vom 11. 6. 2001 Zl 2000/02/0299, interpretierte der Verwaltungsgerichtshof die Aussage des Verfassungsgerichtshofs „die Ausreise selbst zu organisieren" dahin, dass darunter auch die Möglichkeit, hiezu die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, zu verstehen sei.
Unter Bedachtnahme auf diese vom EGMR, VfGH und VwGH dargelegten Grundsätze liegen im vorliegenden Fall jeweils nur - zulässige - Freiheitsbeschränkungen vor:
Nach den Feststellungen wären die Kläger im Falle eines Ausreisewunsches binnen weniger Stunden in den allgemeinen Transitbereich gebracht worden. In diesem waren Einrichtungen wie Telefon, Bankomat, Wechselschalter und Ticketbüros verschiedener Fluglinien vorhanden, weshalb davon auszugehen ist, dass die Kläger von dort aus ihre Ausreise durchaus „selbst" - also sogar ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe - hätten organisieren können. Wären sie dazu aus sprachlichen oder finanziellen Gründen oder infolge Fehlens von Reisedokumenten nicht in der Lage gewesen, hätten sie nach den Feststellungen Unterstützung durch die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes oder der Bundepolizeidirektion Schwechat erhalten. Die Ausreisemöglichkeit für die Kläger war zudem eine „reale" und nicht - wie im Fall Amuur - nur eine theoretische. Infolge der die Asylanträge abweisenden Asylbescheide zweier Instanzen und der Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass den Klägern die Ausreise in einen Staat offenstand, in welchem sie keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen wären.
Richtig ist, dass der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) nicht die Art und Dauer der Freiheitsbeschränkung zwecks Verhinderung der Einreise prüft, sondern nur zu beurteilen hat, ob die von der ersten Instanz angenommenen Gründe der Ab- oder Zurückweisung des Asylantrages bestehen. Liegt ein von der ersten Instanz angenommener Zurückweisungsgrund nicht vor, so hat der Unabhängige Bundesasylsenat den Zurückweisungsbescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass das Bundesasylamt als Behörde erster Instanz über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund (neuerlich) zu entscheiden hat. Gemäß §§ 72 und 73 FrG steht aber jeder Person, die unter Berufung auf das Fremdengesetz angehalten wird oder wurde, das Recht zu, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung anzurufen, die bisherige oder andauernde Anhaltung sei rechtswidrig. Eine derartige „Maßnahmebeschwerde" kann während andauernder Anhaltung auch mehrmals erhoben werden (VwGH 19.10.2001,2001/02/0169). Die unabhängigen Verwaltungssenate entsprechen dem Tribunalbegriff gemäß der Judikatur des EGMR (Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, Rz 1487/1). Damit stand den Klägern die Möglichkeit einer „gerichtlichen Kontrolle" ihrer Freiheitsbeschränkung im Sinne der Judikatur des EGMR offen. Tatsächlich machten sie von dieser Beschwerdemöglichkeit auch Gebrauch.Richtig ist, dass der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) nicht die Art und Dauer der Freiheitsbeschränkung zwecks Verhinderung der Einreise prüft, sondern nur zu beurteilen hat, ob die von der ersten Instanz angenommenen Gründe der Ab- oder Zurückweisung des Asylantrages bestehen. Liegt ein von der ersten Instanz angenommener Zurückweisungsgrund nicht vor, so hat der Unabhängige Bundesasylsenat den Zurückweisungsbescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass das Bundesasylamt als Behörde erster Instanz über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund (neuerlich) zu entscheiden hat. Gemäß Paragraphen 72 und 73 FrG steht aber jeder Person, die unter Berufung auf das Fremdengesetz angehalten wird oder wurde, das Recht zu, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung anzurufen, die bisherige oder andauernde Anhaltung sei rechtswidrig. Eine derartige „Maßnahmebeschwerde" kann während andauernder Anhaltung auch mehrmals erhoben werden (VwGH 19.10.2001,2001/02/0169). Die unabhängigen Verwaltungssenate entsprechen dem Tribunalbegriff gemäß der Judikatur des EGMR (Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, Rz 1487/1). Damit stand den Klägern die Möglichkeit einer „gerichtlichen Kontrolle" ihrer Freiheitsbeschränkung im Sinne der Judikatur des EGMR offen. Tatsächlich machten sie von dieser Beschwerdemöglichkeit auch Gebrauch.
Wird das Kriterium der Dauer der Maßnahme geprüft, so ist iS der Judikatur des EGMR (vgl Fall Amuur) davon auszugehen, dass jene Zeitspanne, die notwendig ist, um einen Asylantrag zu erledigen, vom EGMR grundsätzlich nicht als Freiheitsentziehung, sondern als unvermeidbare Freiheitsbeschränkung bewertet wurde. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist jedoch zu prüfen, ob nicht durch die Dauer der Anhaltung (im vorliegenden Fall 77, 56 und 58 Tage) die bis zur Erledigung des Asylverfahrens notwendige Freiheitsbeschränkung die rechtliche Qualität einer Freiheitsentziehung gewann:Wird das Kriterium der Dauer der Maßnahme geprüft, so ist iS der Judikatur des EGMR vergleiche Fall Amuur) davon auszugehen, dass jene Zeitspanne, die notwendig ist, um einen Asylantrag zu erledigen, vom EGMR grundsätzlich nicht als Freiheitsentziehung, sondern als unvermeidbare Freiheitsbeschränkung bewertet wurde. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist jedoch zu prüfen, ob nicht durch die Dauer der Anhaltung (im vorliegenden Fall 77, 56 und 58 Tage) die bis zur Erledigung des Asylverfahrens notwendige Freiheitsbeschränkung die rechtliche Qualität einer Freiheitsentziehung gewann:
Gemäß § 32 AsylG idF BGBl I 1999/4 hatte die Entscheidung im (abgekürzten) Berufungsverfahren binnen 10 Arbeitstagen zu ergehen; diese Entscheidungsfrist verlängerte sich aber in dem Maß, als dies für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unerlässlich war, wobei das Berufungsverfahren insgesamt nicht länger als zwanzig Arbeitstage dauern sollte. In solchen Fällen war damit auch eine entsprechend längere Dauer der Sicherung der Zurückweisung zulässig. Nun haben die Kläger nie vorgebracht, dass die im vorliegenden Fall wesentlich längere Dauer des Berufungsverfahrens auf ein Untätigbleiben der Behörden zurückzuführen gewesen wäre. Somit ist davon auszugehen, dass die Dauer der Anhaltung im AsylG Deckung findet und keine „exzessive" Verlängerung der Freiheitsbeschränkung vorliegt, die diese zur Freiheitsentziehung werden ließe.Gemäß Paragraph 32, AsylG in der Fassung BGBl I 1999/4 hatte die Entscheidung im (abgekürzten) Berufungsverfahren binnen 10 Arbeitstagen zu ergehen; diese Entscheidungsfrist verlängerte sich aber in dem Maß, als dies für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unerlässlich war, wobei das Berufungsverfahren insgesamt nicht länger als zwanzig Arbeitstage dauern sollte. In solchen Fällen war damit auch eine entsprechend längere Dauer der Sicherung der Zurückweisung zulässig. Nun haben die Kläger nie vorgebracht, dass die im vorliegenden Fall wesentlich längere Dauer des Berufungsverfahrens auf ein Untätigbleiben der Behörden zurückzuführen gewesen wäre. Somit ist davon auszugehen, dass die Dauer der Anhaltung im AsylG Deckung findet und keine „exzessive" Verlängerung der Freiheitsbeschränkung vorliegt, die diese zur Freiheitsentziehung werden ließe.
Letztendlich ist zu berücksichtigen, dass die Kläger - im Unterschied zu den Beschwerdeführern im Fall Amuur - für die Dauer ihrer Anhaltung sozialen Beistand durch die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes erhielten und voll verpflegt wurden. Sie waren auch in der Lage, alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten (Berufung gegen den erstinstanzlich abweislichen Asylbescheid, Maßnahmebeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat) zur Wahrung ihrer Rechte in Anspruch zu nehmen. Schließlich sei nicht unerwähnt, dass die Schlaf- und Hygienebedingungen im Sondertransit sogar besser waren als im allgemeinen Transitraum.
Angesichts all dieser Umstände tritt die Ausstattung des Sondertransitbereichs als „haftlokalähnliche Einrichtung" in den Hintergrund. Die konkrete Situation der Kläger im Sondertransitbereich stellte somit eine bloße Freiheitsbeschränkung dar. Diese war notwendige und zulässige Folge des Rechts, Fremden bis zur positiven Erledigung ihrer Asylanträge die Einreise in das Bundesgebiet zu verweigern. Zu Recht haben die Vorinstanzen daher das auf Art 5 EMRK gestützte Klagebegehren abgewiesen.Angesichts all dieser Umstände tritt die Ausstattung des Sondertransitbereichs als „haftlokalähnliche Einrichtung" in den Hintergrund. Die konkrete Situation der Kläger im Sondertransitbereich stellte somit eine bloße Freiheitsbeschränkung dar. Diese war notwendige und zulässige Folge des Rechts, Fremden bis zur positiven Erledigung ihrer Asylanträge die Einreise in das Bundesgebiet zu verweigern. Zu Recht haben die Vorinstanzen daher das auf Artikel 5, EMRK gestützte Klagebegehren abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 46 Abs 1, 50 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den Paragraphen 41,, 46 Abs 1, 50 ZPO.
Textnummer
E76964European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0010OB00250.04B.0315.000Im RIS seit
14.04.2005Zuletzt aktualisiert am
13.01.2011