TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/3 2006/05/0026

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Veröffentlicht am 03.07.2007
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

BauO NÖ 1996 §14 Z1;
BauO NÖ 1996 §14 Z4;
BauO NÖ 1996 §37 Abs1 Z1;
MRKZP 07te Art4;
VStG §22 Abs1 impl;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde des Mag. WS in W, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht und Mag. Werner Piplits, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Annagasse 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 24. November 2005, Zl. Senat-AM-04-0220, betreffend Übertretung der NÖ Bauordnung (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 21. September 2004, AMS2-S-04 10909, wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt:

"Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Tatzeit: 15.11.2002 bis 6.8.2004

Tatort: Fachmarktzentrum G, W-Straße 44, Objekt 1 auf Grundstück Nr. 423/18, KG M, Geschäftsbereich der K GmbH

Tatbeschreibung:

Sie haben es als eines der gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenen Organe (handelsrechtlicher Geschäftsführer) der K GmbH mit dem Sitz in W, S Straße 64 zu verantworten, dass diese Gesellschaft ein Bauwerk, nämlich das Objekt 1 des Fachmarktzentrums G, W-Straße 44, Geschäftsteil der K GmbH, somit ein bewilligungspflichtiges Bauvorhaben (Neu- und Zubau eines Gebäudes gemäß § 14 Z. 1 NÖ Bauordnung), welches ohne rechtskräftige Baubewilligung errichtet wurde, durch das Offenhalten eines Geschäftslokales und Durchführung von Verkaufstätigkeiten benützt hat.

Es liegt keine rechtskräftige Baubewilligung vor, da die tatsächliche Bauausführung nicht vom Bewilligungsbescheid der Stadtgemeinde A vom 28.2.1997, B-71/1996 gedeckt ist, weil das Objekt in geänderter Lage und mit geänderten Abmessungen hergestellt wurde, sodass die Abstände zum Geh- und Radweg und von der W-Straße nur mehr 3,50 m bzw. 3,24 m anstelle der bewilligten Abstände von 8,40 m bzw. 8,11 m betragen und bisher keine nachträgliche Genehmigung für den gegenständlichen Bereich möglich war. Weiters wurde das Objekt mit einer Breite von 18 m bei allen Geschäftsbereichen anstelle der bewilligten 15 m hergestellt und erfolgte dadurch eine Vergrößerung der insgesamt überbauten Fläche von 1.359,06 m2 auf 1.678,41 m2. Durch die unterschiedliche Ausführung des Bauvorhabens zum bewilligten Bauvorhaben, welche auch aus beiliegenden Plänen im Maßstab von 1:200 vom Dezember 1996 (bewilligte Ausführung) und im Maßstab von 1:500 und 1:200 vom 12.4.1997 (tatsächliche Ausführung) ersichtlich ist, liegt ein rechtliches 'Aliud' vor (sh. zB VwGH vom 15.7.2003, 2002/05/1517) und wäre eine Bewilligung für einen Neu- und Zubau erforderlich gewesen. Der Vermieterin dieses Objektes konnte bisher lediglich für den Bereich des Verkaufslokales 'J' im Objekt 1 eine nachträgliche Genehmigung mit Bescheid der Stadtgemeinde A vom 15.4.1998, B-71/1996/J erteilt werden.

Übertretungsnorm:

§ 37 Abs. 1 Z. 1 und § 14 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996, LGBl.

Nr. 8200-11 (NÖ BauO)

     Strafnorm:

     § 37 Abs. 2 1. Strafsatz NÖ BauO

     Verhängte Geldstrafe:

     EUR 2.500,--

     Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit der

Geldstrafe:

     4 Tage

     ..."

     In der dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer

darauf hin, dass ihn die Strafbehörde erster Instanz in einem überschneidenden Tatzeitraum für dieselbe Tathandlung gestützt auf § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung 1996 bestraft habe. Die Strafnormen stünden jedoch miteinander in unechter Konkurrenz.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass über den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003 wegen Übertretung des § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung betreffend den Tatzeitraum vom 29. Jänner 2002 bis 10. Februar 2003 eine Geldstrafe verhängt worden sei. Der Schuldspruch dieses Straferkenntnisses sei in Rechtskraft erwachsen. Auf Grund der Strafberufung des Beschwerdeführers sei der Strafausspruch dieses Straferkenntnisses mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 24. Mai 2004, Zl. Senat-AM-03-0018, aufgehoben worden. Dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003 sei jedoch eine andere Tat zu Grunde gelegen; für den Zeitraum vom 15. November 2002 bis 10. Februar 2003 sei daher keine Doppelbestrafung gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem Recht, nicht bestraft zu werden, verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und führt aus, dass ihm für den Tatzeitraum bis 10. Februar 2003 sowohl mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 21. September 2004 als auch mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003 dieselbe Tat (Offenhalten eines Geschäftslokales und Durchführung von Verkaufstätigkeiten) am selben Ort (Objekt 1 des Fachmarktzentrums G, W-Straße 44) zur Last gelegt worden sei. In den zur Beurteilung des Sachverhaltes maßgeblichen tatsächlichen Umständen sei keine Änderung eingetreten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher bestätigt wird, dass die Bezirkshauptmannschaft Amstetten über den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 12. Februar 2003 wegen einer Übertretung des § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung im Tatzeitraum 29. Jänner 2002 bis 10. Februar 2003 eine Geldstrafe verhängt hat; der Schuldspruch dieses Straferkenntnisses sei in Rechtskraft erwachsen. Diesem Straferkenntnis sei jedoch eine Übertretung nach § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 14 Z 1 NÖ Bauordnung zu Grunde gelegen. Der Strafausspruch sei mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 24. Mai 2004 aufgehoben worden. Es könne daher von keiner Doppelbestrafung ausgegangen werden.

Im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003, Zl. 3-14715-02, wurde dem Beschwerdeführer für die "Tatzeit 29.1.2002 bis 10.2.2003" am "Tatort: Fachmarktzentrum G, W-Straße 44, Objekt 1 auf Grundstück Nr. 423/18, KG M, Geschäftsbereich der K GmbH" eine Verwaltungsübertretung nach "§ 37 Abs. 1 Z. 1 und § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung 1996, LGBl. Nr. 8200- 11," zur Last gelegt. Die Tatbeschreibung des ersten Absatzes ist mit Ausnahme des Klammerausdrucks mit der Tatumschreibung des Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 21. September 2004 ident. Der Klammerausdruck enthält folgenden

Wortlaut: "Abänderung von Bauwerken gemäß § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996 begeht eine Verwaltungsübertretung, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Handlung bildet, wer

"ein bewilligungspflichtiges Bauvorhaben (§ 14) ohne rechtskräftige Baubewilligung ausführt oder ausführen lässt oder ein so errichtetes oder abgeändertes Bauwerk benützt".

§ 14 NÖ Bauordnung 1996 normiert die baubewilligungspflichtigen Bauvorhaben wie folgt (auszugsweise):

"Nachstehende Bauvorhaben bedürfen einer Baubewilligung:

1. Neu- und Zubauten von Gebäuden;

...

4. die Abänderung von Bauwerken, wenn die Standsicherheit tragender Bauteile, der Brandschutz oder die hygienischen Verhältnisse beeinträchtigt, ein Widerspruch zum Ortsbild (§ 56) entstehen oder Rechte nach § 6 verletzt werden könnten;

..."

Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (7. ZPEMRK) hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 4

Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt

oder bestraft zu werden

1. Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

2. Abs. 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

3. Dieser Artikel darf nicht nach Art. 15 der Konvention außer Kraft gesetzt werden."

Im hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2006, Zl. 2005/05/0049, hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit der Frage der Doppelbestrafung näher auseinander gesetzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf dieses Erkenntnis gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Festzuhalten ist, dass Art. 4 des 7. ZPEMRK ein neuerliches Strafverfahren wegen derselben strafbaren Handlung untersagt. "Dieselbe strafbare Handlung" liegt jedenfalls vor, wenn sie sich auf denselben Tatzeitraum bezieht (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 31. Juli 2006, Zl. 2006/05/0158). Eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung wird auf Grund des Art. 4 des 7. ZPEMRK dann unzulässig, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 15. September 2005, Zl. 2003/07/0021).

Dem Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003 "wegen des Offenhaltens eines Geschäftslokals und Durchführung von Verkaufstätigkeiten beim Objekt 1 des Fachmarktzentrums G, W-Straße 44", im Zeitraum vom 12. April 2001 bis 10. Februar 2003 eine Übertretung nach § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996 zur Last gelegt. Auch wenn die Strafbehörde dieses Verhalten als Verstoß in Verbindung mit § 14 Z. 4 NÖ Bauordnung 1996 qualifiziert hat, beinhaltet die Tatumschreibung den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer - wie auch in dem der Beschwerde zu Grunde liegenden Strafverfahren - das näher beschriebene Geschäftslokal in dem bereits errichteten bewilligungspflichtigen Gebäude, für welches jedoch keine rechtskräftige Baubewilligung vorliegt, benützt hat. Mit diesem Tatvorwurf war für den Zeitraum vom 12. April 2001 bis 10. Februar 2003 der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens im Sinne des § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996 erfasst. Entscheidend ist allein, dass keine (siehe § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996) Baubewilligung vorlag; dass weder eine Baubewilligung nach § 14 Z. 1 noch eine Baubewilligung nach § 14 Z. 4 leg. cit. vorlag, erfüllte keinen zweiten Deliktstatbestand. Eine auf § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996 gestützte Bestrafung für die schon mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. Februar 2003 vorgeworfene Tathandlung im Zeitraum vom 15. November 2002 bis 6. August 2004 verstößt daher gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 des 7. ZPEMRK.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon aus diesem Grund mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 3. Juli 2007

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006050026.X00

Im RIS seit

31.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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