TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/4 2006/08/0007

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Veröffentlicht am 04.07.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, in der Beschwerdesache des nach Einbringung der Beschwerde verstorbenen E, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 30. November 2005, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/1218/56/2004-8348, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Am 19. Juli 2005 wurde mit dem Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße eine Niederschrift mit dem Gegenstand "Rechtsbelehrung zur Teilnahme an der Maßnahmen Kursmaßnahme 'Qualifizierungs- und Vermittlungsunterstützung' beim BFI Wien" aufgenommen. In dieser Niederschrift heißt es wörtlich:

"Mir wurde heute aufgetragen, an folgender Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen:

'Qualifizierungs- und Vermittlungsunterstützung' beim BFI Wien

Beginn der Maßnahme ist am: 05.09.2005

Der Grund für die Zuweisung zu dieser Maßnahme ist:

-

Vermittlungsversuche des AMS und Ihre Bewerbungsbemühungen in Eigeninitiative sind bisher ergebnislos geblieben.

-

Aufgrund der Dauer Ihrer Vormerkung scheinen Ihre aktuellen Fähigkeiten und Kenntnisse für eine Integration am Arbeitsmarkt nicht auszureichen. Im Zuge der Maßnahme wird daher in einem Clearingprozess abgeklärt, inwieweit zusätzlicher Qualifikationsbedarf erforderlich ist und dementsprechende Qualifizierungsmodule angeboten.

-

Die gegenständliche Maßnahme erweitert und festigt Ihre Kenntnisse im Bereich der Bewerbung.

-

Unterstützung Ihres Selbsthilfepotentials durch das zur Verfügung stellen einer Bewerbungsinfrastruktur sowie erfahrener Trainerinnen und Trainer

-

Anpassen Ihrer Bewerbungsunterlagen auf Ihre individuelle Bewerbungsstrategie

Die vorgeschlagene Maßnahme ist nach Ansicht des Arbeitsmarktservices aus folgenden Gründen geeignet, die vorliegenden Vermittlungshindernisse zu beseitigen:

Oberste Priorität des Kurses ist die rasche Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Zusätzlich besteht nach einer Clearingphase je nach Notwendigkeit die Möglichkeit des Besuchs von Qualifizierungsmodulen in den Bereichen Büro, Handel, Lager, Gastronomie, Metall- und Holzbearbeitung sowie Verbesserung der Sprachkenntnisse.

Ich wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gem. § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz die Nichtteilnahme an dieser Maßnahme ohne wichtigen Grund (bzw. ein Nichterscheinen am 1. Kurstag), oder die Vereitelung des Erfolges dieser Maßnahme den Verlust des Leistungsanspruches für zumindest sechs Wochen nach sich zieht. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Weigerung bzw. Vereitelung um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."

In einer am 18. Oktober 2005 mit dem Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße wegen dessen Weigerung, an der genannten Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen, aufgenommenen Niederschrift erklärte dieser nach Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 AlVG, dass er nicht bereit sei, an der Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, weil er diesen Kurs nicht brauche. Der Stellungnahme des Schulungsträgers zufolge sei der Beschwerdeführer zum Kursbeginn am 5. September 2005 nicht gekommen.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2005 stellte das Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße fest, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe für die Zeit vom 5. September bis zum 16. Oktober 2005 verloren habe und eine Nachsicht nicht erteilt werde. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer eine zugewiesene und zumutbare Maßnahme zur Wiedereingliederung nicht wahrgenommen; berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er versuche seit über einem Jahr, die Möglichkeit zum Besuch eines Vorbereitungslehrganges zur Konzessionsprüfung für das Gastgewerbe vom Arbeitsmarktservice zu erhalten. Der Vorbereitungslehrgang dauere ca. sechs bis acht Wochen und koste etwa EUR 1.000,--. Bei der vom Arbeitsmarktservice zugewiesenen konkreten Maßnahme handle es sich um ein "Job-Coaching". Es sei nicht erhoben worden, ob und allenfalls welche Kenntnisse dem Beschwerdeführer tatsächlich fehlten und ob sich seine Erfolgsaussichten am Arbeitsmarkt durch die in der Maßnahme erworbenen Kenntnisse erhöhen würden. Das Abklären des Qualifikationsbedarfes in einem Clearingprozess habe seitens des Arbeitsmarktservice zu erfolgen.

In einem weiteren, nicht vollständig im Verwaltungsakt einliegenden Schreiben brachte der Beschwerdeführer noch ergänzend vor, er sei nicht über die Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtantritt der Maßnahme informiert worden.

Mit dem nunmehr angefochtene Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und sprach aus, dass Nachsicht nicht gewährt werde.

In der Begründung gab die belangte Behörde den Gang des Verwaltungsverfahrens wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Mit Ihnen wurde am 19.7.2005 aufgrund eines Defizits im Bereich Bewerbung und Eigeninitiative und der Tatsache, dass aufgrund der Dauer ihrer Vormerkung (Ihr letztes Dienstverhältnis endete im August 2003) ihre aktuellen Fähigkeiten und Kenntnisse für eine Integration am Arbeitsmarkt nicht ausreichen, sowie um Ihre Bewerbungskenntnisse zu festigen und zu erweitern, die Maßnahme 'Qualifizierungs- und Vermittlungsunterstützung' beim BFI Wien vereinbart. Im Zuge der Maßnahme wird der konkrete zusätzliche Qualifikationsbedarf abgeklärt. Die Rechtsfolgen gemäß § 10 AlVG haben Sie mit Ihrer Unterschrift zur Kenntnis genommen.

Sie haben sich geweigert, an dieser Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei bisher bei seinen Bewerbungen in Eigeninitiative erfolglos geblieben, weshalb das Arbeitsmarktservice davon ausgehe, dass die konkrete Maßnahme geeignet gewesen wäre, seine Integration in den Arbeitsmarkt herbei zu führen. Durch seine Nichtteilnahme habe er den Erfolg der Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vereitelt. Die Verantwortung des Beschwerdeführers, die Maßnahme nicht zu brauchen, sei kein wichtiger Grund, die Teilnahme zu verweigern.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer ist am 17. Oktober 2006 nach Beschwerdeeinbringung verstorben. Über Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes teilte der ehemalige Beschwerdeführervertreter unter Vorlage eines Beschlusses des Bezirksgerichtes Favoriten vom 11. April 2007, mit dem er zum Verlassenschaftskurator zur Führung des vorliegenden Verfahrens bestellt wurde, mit, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren fortgesetzt werden solle.

In der Sache ist Folgendes auszuführen:

§ 9 Abs. 1 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 hat folgenden Wortlaut:

"Arbeitswilligkeit

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist."

§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

...

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

...

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Nach der Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt voraus, dass das Arbeitsmarktservice davor seiner Verpflichtung nachgekommen ist, dem Arbeitslosen die Gründe, aus denen das Arbeitsmarktservice eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, zu eröffnen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, zu belehren. Von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen zur Schulung, Umschulung oder Wiedereingliederung teilzunehmen, kann nur dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung in tatsächlicher Hinsicht ermittelt und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden. Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Schulungsmaßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2006/08/0328, mwN).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund war die Zuweisung des Beschwerdeführers zur Wiedereingliederungsmaßnahme unzulässig, weshalb seine Weigerung zur Teilnahme an der Maßnahme nicht zum Verlust der Notstandshilfe hätte führen dürfen. Dem Beschwerdeführer wurden nämlich weder der genaue Inhalt der Maßnahme noch die konkreten Defizite, die durch die Maßnahme behoben werden sollten, mitgeteilt.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung auch vorgebracht, bei der konkreten Maßnahme handle es sich um ein "Job-Coaching". Mit diesem Vorbringen hätte sich die belangte Behörde auseinander setzen müssen, weil die Verhängung einer Sperrfrist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AlVG voraussetzt, dass eine Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vereitelt wurde. Unklar ist nämlich, ob "Job-Coaching" den Kriterien der im § 9 Abs. 1 AlVG genannten Maßnahmen entspricht (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0175, wo die belangte Behörde ebenfalls zu einer Maßnahme mit "Coaching" zugewiesen hat).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da es in den Pauschalsätzen der genannten Verordnung keine Deckung findet und da die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits berücksichtigt ist.

Wien, am 4. Juli 2007

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080007.X00

Im RIS seit

26.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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