TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/4 2005/08/0169

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Veröffentlicht am 04.07.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. Günther Steiner, Dr. Anton Krautschneider, Dr. Erich Jungwirth, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Trautsongasse 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. August 2005, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/1218/56/2005-6931, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In einer am 15. April 2005 beim Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse mit der Beschwerdeführerin wegen ihrer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen, aufgenommenen Niederschrift heißt es unter anderem:

"Da die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichen, wurde (der Beschwerdeführerin) vom Arbeitsmarktservice am 15.4.05 der Auftrag erteilt, an der Maßnahme Jobexpress bei Venetia teilzunehmen.

Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme am 9.5.2005.

Ich, (Beschwerdeführerin), erkläre nach Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) - Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für sechs bzw. acht Wochen - dass ich nicht bereit bin, an der angebotenen Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, da ich gegen meinen Arbeitgeber die Tiroler Landesregierung bereits den 5.ten Prozess nach 4 gewonnenen führe. - Nähere Ausführungen dazu entnehmen Sie bitte dem beigelegten Schreiben und meinem Lebenslauf."

In der zu dieser Niederschrift ergangenen Stellungnahme führt das Arbeitsmarktservice aus, die Beschwerdeführerin sei "übertrittsgefährdet", die vorgesehene Maßnahme Jobcoaching hätte eine wichtige Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt geboten.

In dem der Niederschrift angeschlossenen Schreiben der Beschwerdeführerin heißt es :

"Wie Ihnen bekannt ist musste ich mehrere Prozesse gegen meinen Arbeitgeber - die Tiroler Landesregierung - führen, die ich allerdings bisher immer für mich entscheiden konnte. Leider bin ich derzeit wieder in einer solchen Situation, der 4. bzw. 5. Prozess ist gerade im Gange.

In der Hoffnung auf ein neuerliches positives Urteil bin ich der Ansicht, dass meine Arbeitslosigkeit wieder rückwirkend getilgt werden wird.

Deshalb ist es einleuchtend, dass ein Fortbildungskurs in meinem Fall überflüssig wäre und dem AMS lediglich unnötige Kosten entstehen würden. Außerdem darf ich während eines laufenden Prozesses keine andere Anstellung annehmen, da dies automatisch zur Beendigung meines unbefristeten Arbeitsverhältnisses führen würde, und der Prozess somit hinfällig wäre."

Die Beschwerdeführerin hat die Maßnahme am 9. Mai 2005 nicht besucht.

Mit Bescheid vom 2. Juni 2006 hat das Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin für die Zeit vom 9. Mai bis zum 19. Juni 2005 den Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe und eine Nachsicht nicht erteilt werde.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin unter anderem vor, sie sehe sich "noch immer als vertragsbedienstete Landesmusikschullehrerin ... und (sei) zuversichtlich, dass der derzeit laufende 4. Entlassungsprozess wieder zu (ihren) Gunsten entschieden werden wird". Sie dürfe während eines laufenden Prozesses keine neue Beschäftigung annehmen, da dies automatisch zum Prozessverlust führte. Sie habe während ihrer Arbeitslosigkeit Fortbildungskurse des Arbeitsmarktservice kennen gelernt. Sie benötige

"weder eine Modeberatung noch eine Auftrittsberatung ... (Inhalte Ihrer Fortbildungskurse), da ich als klassisch ausgebildete Sängerin auch ein Schauspielstudium erfolgreich absolviert habe, und es mir sicher nichts bringt Papiertürme zu basteln."

Im Verwaltungsakt finden sich automationsunterstützt hergestellte Texte, die die Wiedereingliederungsmaßnahme "Jobexpress Venetia" beschreiben; aus der Aktenlage geht nicht hervor, dass diese Beschreibungen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht wurden.

In einer am 21. Juli 2005 bei der belangten Behörde mit der Beschwerdeführerin aufgenommenen Niederschrift, gab diese unter anderem an:

"Ich sehe mich immer noch als Beschäftigte der Tiroler Landesregierung. Ich führe einen Prozess gegen meine ungerechtfertigte Entlassung. Ich erwarte das Urteil in Kürze. ... Ich gebe an, dass ich im November 04 ein Einzelcoaching besucht habe und es sinnlos war. Den jetzigen Kurs habe ich nicht besucht, weil ich keine Lust habe, blöd herumzusitzen. ... Ich gebe an, dass ich glaube, dass das nichts bringt. Ich bin überzeugt, dass gerichtlich festgestellt wird, dass mein Dienstverhältnis unbefristet aufrecht ist."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben.

In der Begründung gab die belangte Behörde den Gang des Verwaltungsverfahrens wieder, stellte die Rechtslage dar und ging von folgendem Sachverhalt aus:

"Sie beziehen zuletzt seit 30.10.2003 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, seit 27.7.2004 in Form von Notstandshilfe in Höhe von EUR 31,11 täglich.

Es wurde Ihnen am 13.4.2005 vom Arbeitsmarktservice Prandaugasse eine Wiedereingliederungsmaßnahme (Jobexpress bei Venetia) zugewiesen. Kursbeginn wäre der 9.5.2005 gewesen. Eine diesbezügliche Betreuungsvereinbarung wurde von Ihnen nicht unterzeichnet. Sie haben am 15.4.2005 niederschriftlich bei der regionalen Geschäftsstelle angegeben, dass Sie nicht bereit wären an der Maßnahme teilzunehmen, da Sie nach vier gewonnen Prozessen gegen die Tiroler Landesregierung bereits den fünften Prozess führen."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei als Leistungsbezieherin verpflichtet, eine Kursmaßnahme, die zur Beendigung ihrer Defizite hinsichtlich einer Arbeitsaufnahme führe, zu besuchen. Die Kursmaßnahme hätte dazu dienen sollen, die Vermittlungshemmnisse der Beschwerdeführerin hinsichtlich fehlender Orientierung über das derzeitige Angebot am Arbeitsmarkt zu beseitigen. Weiters hätten verwertbare Kenntnisse und ein allfälliger weiterer Schulungsbedarf abgeklärt werden sollen. Die Maßnahme habe ein spezielles Bewerbungstraining sowie Einzelcoaching und die Möglichkeit eines Praktikums beinhaltet; Nachbetreuung sei vorgesehen gewesen. Die von der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren genannten Gründe für die Nichtteilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme seien nicht geeignet, eine Weigerung an der Teilnahme zu rechtfertigen.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 9 Abs. 1 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 hat folgenden Wortlaut:

"Arbeitswilligkeit

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist."

§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

...

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

...

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Nach der Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt voraus, dass das Arbeitsmarktservice davor seiner Verpflichtung nachgekommen ist, dem Arbeitslosen die Gründe, aus denen das Arbeitsmarktservice eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, zu eröffnen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, zu belehren. Von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen zur Schulung, Umschulung oder Wiedereingliederung teilzunehmen, kann nur dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung in tatsächlicher Hinsicht ermittelt und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden. Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Schulungsmaßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2006/08/0328, mwN).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage war die Zuweisung der Beschwerdeführerin zur Maßnahme unzulässig, weshalb ihre Weigerung zur Teilnahme an der Maßnahme nicht zur Verhängung einer Sperrfrist hätte führen dürfen. Der Beschwerdeführerin wurden nämlich nach der Aktenlage weder der Inhalt der Maßnahme noch die konkreten Defizite, die durch die Maßnahme behoben werden sollten, mitgeteilt.

Im Übrigen setzt die Verhängung einer Sperrfrist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AlVG voraus, dass eine Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vereitelt wurde. Dass "Coaching" den Kriterien der im § 9 Abs. 1 AlVG genannten Maßnahmen entsprechen, hat die belangte Behörde nicht dargelegt (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0175, wo die belangte Behörde ebenfalls zu einer Maßnahme "Jobexpress" mit Coaching zugewiesen hat).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 4. Juli 2007

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005080169.X00

Im RIS seit

26.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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