TE OGH 2005/5/4 13Os46/05x

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Veröffentlicht am 04.05.2005
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Mai 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richters Mag. Hengl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dschamschid S***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB, AZ 224 Ur 66/05g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 31. März 2005, AZ 22 Bs 80/05h (ON 23), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Mai 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richters Mag. Hengl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dschamschid S***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach Paragraphen 127,, 131 erster Fall StGB, AZ 224 Ur 66/05g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 31. März 2005, AZ 22 Bs 80/05h (ON 23), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dschamschid S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der mit 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer bestimmten Beschwerdekosten auferlegt.

Text

Gründe:

Am 26. Februar 2005 wurde über Dschamschid S***** die Untersuchungshaft verhängt.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien seiner Beschwerde gegen die aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO fortgesetzte Untersuchungshaft „mit der Maßgabe nicht Folge, dass dem Landesgericht für Strafsachen Wien eine Beschlussfassung nach § 190 Abs 1 StPO aufgetragen wird" und teilte mit, dass die Haftfrist am 31. Mai 2005 ende.Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien seiner Beschwerde gegen die aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer eins, StPO fortgesetzte Untersuchungshaft „mit der Maßgabe nicht Folge, dass dem Landesgericht für Strafsachen Wien eine Beschlussfassung nach Paragraph 190, Absatz eins, StPO aufgetragen wird" und teilte mit, dass die Haftfrist am 31. Mai 2005 ende.

Rechtliche Beurteilung

Auch wenn die Fortsetzung der Untersuchungshaft solcherart nicht ausdrücklich angeordnet wurde, ist die Entscheidung als Fortsetzungsbeschluss iS des § 182 Abs 4 zweiter Satz StPO aufzufassen (14 Os 161/96 = EvBl 1997/89).Auch wenn die Fortsetzung der Untersuchungshaft solcherart nicht ausdrücklich angeordnet wurde, ist die Entscheidung als Fortsetzungsbeschluss iS des Paragraph 182, Absatz 4, zweiter Satz StPO aufzufassen (14 Os 161/96 = EvBl 1997/89).

Danach richtet sich gegen Dschamschid S***** der dringende Verdacht, am 24. Februar 2005 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz ein Parfumfläschchen der Marke „Naomi Campbell" im Wert von 12,90 Euro Gewahrsamsträgern „der Fa Bipa" weggenommen und, auf frischer Tat betreten, Roland Josef H***** Stöße und Schläge versetzt zu haben, um sich die weggenommene Sache zu erhalten. Die Grundrechtsbeschwerde macht eine Missachtung der zwingenden Anordnung des § 180 Abs 3 erster Satz StPO geltend und ist damit im Recht.Danach richtet sich gegen Dschamschid S***** der dringende Verdacht, am 24. Februar 2005 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz ein Parfumfläschchen der Marke „Naomi Campbell" im Wert von 12,90 Euro Gewahrsamsträgern „der Fa Bipa" weggenommen und, auf frischer Tat betreten, Roland Josef H***** Stöße und Schläge versetzt zu haben, um sich die weggenommene Sache zu erhalten. Die Grundrechtsbeschwerde macht eine Missachtung der zwingenden Anordnung des Paragraph 180, Absatz 3, erster Satz StPO geltend und ist damit im Recht.

Nach dieser Vorschrift ist Fluchtgefahr jedenfalls nicht anzunehmen, wenn der Beschuldigte (§ 38 Abs 3 StPO), wie hier in Betreff des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB, einer Straftat verdächtig ist, die nicht strenger als mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, er sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet und einen festen Wohnsitz im Inland hat, es sei denn, dass er bereits Anstalten zur Flucht getroffen hat. Die auf bestimmte Tatsachen gegründete Erwartung, der Beschuldigte (§ 38 Abs 3 StPO) werde auf freiem Fuße wegen der Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten (Fluchtgefahr), ist demnach nur rechtsfehlerfrei, wenn dabei sämtliche der im § 180 Abs 3 erster Satz StPO genannten Tatumstände in Rechnung gestellt werden. Andernfalls ist das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 GRBG).Nach dieser Vorschrift ist Fluchtgefahr jedenfalls nicht anzunehmen, wenn der Beschuldigte (Paragraph 38, Absatz 3, StPO), wie hier in Betreff des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach Paragraphen 127,, 131 erster Fall StGB, einer Straftat verdächtig ist, die nicht strenger als mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, er sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet und einen festen Wohnsitz im Inland hat, es sei denn, dass er bereits Anstalten zur Flucht getroffen hat. Die auf bestimmte Tatsachen gegründete Erwartung, der Beschuldigte (Paragraph 38, Absatz 3, StPO) werde auf freiem Fuße wegen der Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten (Fluchtgefahr), ist demnach nur rechtsfehlerfrei, wenn dabei sämtliche der im Paragraph 180, Absatz 3, erster Satz StPO genannten Tatumstände in Rechnung gestellt werden. Andernfalls ist das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (Paragraph 2, Absatz eins, GRBG).

Das Oberlandesgericht hat bei seiner pauschalen Behauptung, der Haftgrund der Fluchtgefahr sei „vom Erstgericht zutreffend angenommen" worden, „weil der Angeklagte als Asylant in Österreich sozial nicht integriert ist und seinen eigenen Angaben zufolge ‚flüchten wollte'", übersehen, dass seine Entscheidung diejenige des Erstgerichtes nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen hat (14 Os 47/02 [= SSt 64/18], 14 Os 128/03, 14 Os 138/03, 13 Os 89/04). Solcherart wurden die konkreten Lebensverhältnisse des Angeklagten und die Frage eines festen Wohnsitzes vollends übergangen und zudem verkannt, dass der Angeklagte seine angeblich geäußerte Fluchtabsicht auf die Anhaltung durch den Kaufhausdetektiv (§ 86 Abs 2 StPO) bezogen und damit noch keine Anstalten zur Flucht (= sich dem Strafverfahren zu entziehen) getroffen hat.Das Oberlandesgericht hat bei seiner pauschalen Behauptung, der Haftgrund der Fluchtgefahr sei „vom Erstgericht zutreffend angenommen" worden, „weil der Angeklagte als Asylant in Österreich sozial nicht integriert ist und seinen eigenen Angaben zufolge ‚flüchten wollte'", übersehen, dass seine Entscheidung diejenige des Erstgerichtes nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen hat (14 Os 47/02 [= SSt 64/18], 14 Os 128/03, 14 Os 138/03, 13 Os 89/04). Solcherart wurden die konkreten Lebensverhältnisse des Angeklagten und die Frage eines festen Wohnsitzes vollends übergangen und zudem verkannt, dass der Angeklagte seine angeblich geäußerte Fluchtabsicht auf die Anhaltung durch den Kaufhausdetektiv (Paragraph 86, Absatz 2, StPO) bezogen und damit noch keine Anstalten zur Flucht (= sich dem Strafverfahren zu entziehen) getroffen hat.

Im Übrigen geht aus einer Bestätigung der Caritas-Ausländerhilfe hervor, dass Dschamschid S***** bereits seit 19. September 2003 ordnungsgemäß gemeldet im selben Flüchtlingshaus wohnt und seine drei Kinder die Schule besuchen, sodass von Fluchtgefahr wohl nicht die Rede sein kann.

Bleibt anzumerken, dass entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes die Einbringung der Anklageschrift den dringenden Tatverdacht nicht begründet. Selbst die über einen Einspruch ergangene Entscheidung, es werde der Anklage Folge gegeben, setzt keinen dringenden, vielmehr nur unqualifizierten Tatverdacht voraus (vgl § 213 Abs 1 Z 2 StPO). Von seiner ihm durch § 7 Abs 1 GRBG eingeräumten Befugnis, trotz festgestellter Grundrechtsverletzung von der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung abzusehen (vgl zuletzt 15 Os 36/05s), macht der Oberste Gerichtshof vorliegend schon deshalb nicht Gebrauch, weil ungeachtet der Frage, ob auch hinsichtlich der Absicht (§ 5 Abs 3 StGB), sich die weggenommene Parfumflasche zu erhalten (§ 131 erster Fall StGB), die Dringlichkeit des Tatverdachts zu bejahen ist (vgl dazu S 38 und 41), bei dem bislang strafrechtlich nicht einschlägig in Erscheinung getretenen Angeklagten die Fortsetzung der bereits erheblich mehr als zwei Monate andauernden Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stünde (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO).Bleibt anzumerken, dass entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes die Einbringung der Anklageschrift den dringenden Tatverdacht nicht begründet. Selbst die über einen Einspruch ergangene Entscheidung, es werde der Anklage Folge gegeben, setzt keinen dringenden, vielmehr nur unqualifizierten Tatverdacht voraus vergleiche Paragraph 213, Absatz eins, Ziffer 2, StPO). Von seiner ihm durch Paragraph 7, Absatz eins, GRBG eingeräumten Befugnis, trotz festgestellter Grundrechtsverletzung von der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung abzusehen vergleiche zuletzt 15 Os 36/05s), macht der Oberste Gerichtshof vorliegend schon deshalb nicht Gebrauch, weil ungeachtet der Frage, ob auch hinsichtlich der Absicht (Paragraph 5, Absatz 3, StGB), sich die weggenommene Parfumflasche zu erhalten (Paragraph 131, erster Fall StGB), die Dringlichkeit des Tatverdachts zu bejahen ist vergleiche dazu S 38 und 41), bei dem bislang strafrechtlich nicht einschlägig in Erscheinung getretenen Angeklagten die Fortsetzung der bereits erheblich mehr als zwei Monate andauernden Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stünde (Paragraph 180, Absatz eins, zweiter Satz StPO).

Schließlich sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, auf eine Missachtung des Beschleunigungsgebotes des § 193 Abs 1 StPO hinzuweisen. Nach fast zweimonatiger Untersuchungshaft wurde am 18. April 2005 die Hauptverhandlung zur Vorführung eines in der Nähe von Wien wohnhaften Zeugen (übrigens ohne Ladungsnachweis; vgl aber § 242 Abs 1 StPO) auf einen fast zwei Monate in der Zukunft liegenden Termin vertagt, was den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes zuwiderläuft (vgl Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK).Schließlich sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, auf eine Missachtung des Beschleunigungsgebotes des Paragraph 193, Absatz eins, StPO hinzuweisen. Nach fast zweimonatiger Untersuchungshaft wurde am 18. April 2005 die Hauptverhandlung zur Vorführung eines in der Nähe von Wien wohnhaften Zeugen (übrigens ohne Ladungsnachweis; vergleiche aber Paragraph 242, Absatz eins, StPO) auf einen fast zwei Monate in der Zukunft liegenden Termin vertagt, was den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes zuwiderläuft vergleiche Artikel 5, Absatz 3, zweiter Satz MRK).

Anmerkung

E7730313Os46.05x

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inÖJZ-LSK 2005/181 = Jus-Extra OGH-St 3788 = Jus-Extra OGH-St 3789 =EvBl 2005/145 S 681 - EvBl 2005,681 = JBl 2006,469 = SSt 2005/34XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2005:0130OS00046.05X.0504.000

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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