Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ärztekammer für Wien, Weihburggasse 10-12, 1010 Wien, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner, Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Albert A*****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs ehrverletzender Äußerungen, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Juni 2004, GZ 3 R 19/04t-36, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. August 2003, GZ 10 Cg 199/01x-30, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Beklagte veröffentlichte im September 2001 im Internet mehrere Artikel über den Wohlfahrtsfonds der klagenden Ärztekammer eine Versorgungseinrichtung mit zweckgebundenem Sondervermögen. In diesen Artikeln wurde heftige Kritik am Versorgungssystem geübt. Die Klägerin begehrt die Unterlassung, den Widerruf und die Veröffentlichung des Widerrufs folgender rufschädigender Behauptungen: die Bemessungsgrundlage für die Beitragszahlungen an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien sei für unselbständig erwerbstätige Ärzte konzeptionell höher als für selbständig erwerbstätige Ärzte; und/oder die Grundleistung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien betrage monatlich S 2.500; und/oder die Ärzte, die Beiträge an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bezahlen, erhielten dafür keine Gegenleistung; und/oder eine Gegenleistung nur dann, wenn sie eine zusätzliche freiwillige Zahlung leisteten; und/oder als Gegenleistung lediglich die Berechtigung, ihren Beruf ausüben zu dürfen; und/oder der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien erbringe Leistungen aus der Invaliditätsvorsorge nur bei dauernder Invalidität.
Die Behauptungen des Beklagten seien falsch. Das Beitrags- und Leistungssystem des Wohlfahrtsfonds der Klägerin sei im Ärztegesetz und in der von der Klägerin beschlossenen Satzung des Wohlfahrtsfonds geregelt. Die Einhebung der Beiträge und die Leistungserbringung erfolgten entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen und der Satzung. Der Fondsbeitrag betrage grundsätzlich für selbständige und unselbständige Ärzte gleichermaßen 15,8 % der Bemessungsgrundlage. Diese sei bei selbständigen Ärzten der Gewinn, bei unselbständigen Ärzten das Jahresbrutto-Grundgehalt exklusive Sonderzahlungen, abzüglich anteiliger Werbungskosten und Werbekostenpauschale, abzüglich Sozialversicherungsbeiträge, zuzüglich Gewinn bzw abzüglich Verlust aus selbständiger Tätigkeit und zuzüglich Fondsbeitrag von vor drei Jahren. Die Einhebung sei für selbständige und unselbständige Ärzte im Wesentlichen konzeptionell gleich ausgestaltet. Die Grundleistung betrage gemäß § 98 Abs 3 ÄrzteG 9.860 S, die Ergänzungsleistung 2.340 S pro Monat. Die monatlich zu erbringende Leistung verringere sich nur dann verhältnismäßig, wenn die Beitragszahlungen niedriger seien oder die Inanspruchnahme der Altersvorsorge früher erfolge. Auch im Falle einer Berufsunfähigkeit erhalte der Arzt unabhängig von einer freiwilligen Zusatzzahlung eine Invaliditätsversorgung von zumindest 12.200 S. Neben der Invaliditätsversorgung des Arztes erhielten seine Kinder eine Unterstützung in der Höhe des monatlichen Fixbetrags von 2.245 S. Der Beklagte habe seine wahrheitswidrigen Äußerungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.Die Behauptungen des Beklagten seien falsch. Das Beitrags- und Leistungssystem des Wohlfahrtsfonds der Klägerin sei im Ärztegesetz und in der von der Klägerin beschlossenen Satzung des Wohlfahrtsfonds geregelt. Die Einhebung der Beiträge und die Leistungserbringung erfolgten entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen und der Satzung. Der Fondsbeitrag betrage grundsätzlich für selbständige und unselbständige Ärzte gleichermaßen 15,8 % der Bemessungsgrundlage. Diese sei bei selbständigen Ärzten der Gewinn, bei unselbständigen Ärzten das Jahresbrutto-Grundgehalt exklusive Sonderzahlungen, abzüglich anteiliger Werbungskosten und Werbekostenpauschale, abzüglich Sozialversicherungsbeiträge, zuzüglich Gewinn bzw abzüglich Verlust aus selbständiger Tätigkeit und zuzüglich Fondsbeitrag von vor drei Jahren. Die Einhebung sei für selbständige und unselbständige Ärzte im Wesentlichen konzeptionell gleich ausgestaltet. Die Grundleistung betrage gemäß Paragraph 98, Absatz 3, ÄrzteG 9.860 S, die Ergänzungsleistung 2.340 S pro Monat. Die monatlich zu erbringende Leistung verringere sich nur dann verhältnismäßig, wenn die Beitragszahlungen niedriger seien oder die Inanspruchnahme der Altersvorsorge früher erfolge. Auch im Falle einer Berufsunfähigkeit erhalte der Arzt unabhängig von einer freiwilligen Zusatzzahlung eine Invaliditätsversorgung von zumindest 12.200 Sitzung Neben der Invaliditätsversorgung des Arztes erhielten seine Kinder eine Unterstützung in der Höhe des monatlichen Fixbetrags von 2.245 Sitzung Der Beklagte habe seine wahrheitswidrigen Äußerungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei zur Klageführung nicht legitimiert. Die Kritik des Beklagten habe sich gegen das bestehende System und nicht gegen die Ärztekammer gerichtet. Kern der zulässigen Kritik sei die mangelnde Adäquanz zwischen Beitragszahlungen und Leistungen des Wohlfahrtsfonds und die vom Gesetzgeber vorgesehene zwangsweise Verpflichtung von Ärzten zur Mitgliedschaft beim Wohlfahrtsfonds. Die vom Beklagten angestellten Rechenbeispiele seien richtig. Die „Gestionierung" des Wohlfahrtsfonds durch die Ärztekammer sei in der Vergangenheit immer wieder kritisiert worden und habe zu einer Überprüfung durch den Rechnungshof geführt. Der Rechnungshof habe festgestellt, dass der für jedes Versicherungssystem notwendige Gleichheitsgrundsatz vernachlässigt worden sei. Daraus hätten sich massive Finanzierungsprobleme ergeben, was zu einer Zweiteilung des Pensionssystems im Jahr 1994 geführt habe. Es sei ein Anwartschaftspunktesystem für alle Jahrgänge ab 1940 eingeführt worden. Im Rahmen dieses Systems habe die Ärztekammer beschlossen, einen 20 %igen Altlastenbeitrag einzuheben. Aus § 14 der Satzung ergebe sich, dass die Grundleistung des Wohlfahrtsfonds monatlich 2.500 S betrage. Sie erhöhe sich um jenen Betrag, der sich aus der Anwendung des im § 36 Abs 2 festgesetzten Anpassungsfaktors ergebe. Gemäß der Satzung würde die volle Leistung nur bei idealtypischen 100 % der Anwartschaftspunkte erreicht werden. Bei Nichterreichen dieser Punkte bestünde die Möglichkeit, fehlende Anwartschaftspunkte nachzukaufen, was einer freiwilligen Leistung gleichkomme. Zutreffend rüge die Klägerin nur die Unrichtigkeit der Bemerkung, der Wohlfahrtsfonds erbringe Leistungen aus der Invaliditätsvorsorge nur bei dauernder Invalidität. Hiebei handle es sich um ein Redaktionsversehen. Die bekämpften Artikel stellten zulässige Werturteile dar. Der Beklagte habe nur die in anderen Publikationen aufgezeigten Kritikpunkte pointiert zusammengefasst. In einem Disclaimer habe er eine authentische Interpretation und Begriffserklärung seiner Artikel eingeschaltet.Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei zur Klageführung nicht legitimiert. Die Kritik des Beklagten habe sich gegen das bestehende System und nicht gegen die Ärztekammer gerichtet. Kern der zulässigen Kritik sei die mangelnde Adäquanz zwischen Beitragszahlungen und Leistungen des Wohlfahrtsfonds und die vom Gesetzgeber vorgesehene zwangsweise Verpflichtung von Ärzten zur Mitgliedschaft beim Wohlfahrtsfonds. Die vom Beklagten angestellten Rechenbeispiele seien richtig. Die „Gestionierung" des Wohlfahrtsfonds durch die Ärztekammer sei in der Vergangenheit immer wieder kritisiert worden und habe zu einer Überprüfung durch den Rechnungshof geführt. Der Rechnungshof habe festgestellt, dass der für jedes Versicherungssystem notwendige Gleichheitsgrundsatz vernachlässigt worden sei. Daraus hätten sich massive Finanzierungsprobleme ergeben, was zu einer Zweiteilung des Pensionssystems im Jahr 1994 geführt habe. Es sei ein Anwartschaftspunktesystem für alle Jahrgänge ab 1940 eingeführt worden. Im Rahmen dieses Systems habe die Ärztekammer beschlossen, einen 20 %igen Altlastenbeitrag einzuheben. Aus Paragraph 14, der Satzung ergebe sich, dass die Grundleistung des Wohlfahrtsfonds monatlich 2.500 S betrage. Sie erhöhe sich um jenen Betrag, der sich aus der Anwendung des im Paragraph 36, Absatz 2, festgesetzten Anpassungsfaktors ergebe. Gemäß der Satzung würde die volle Leistung nur bei idealtypischen 100 % der Anwartschaftspunkte erreicht werden. Bei Nichterreichen dieser Punkte bestünde die Möglichkeit, fehlende Anwartschaftspunkte nachzukaufen, was einer freiwilligen Leistung gleichkomme. Zutreffend rüge die Klägerin nur die Unrichtigkeit der Bemerkung, der Wohlfahrtsfonds erbringe Leistungen aus der Invaliditätsvorsorge nur bei dauernder Invalidität. Hiebei handle es sich um ein Redaktionsversehen. Die bekämpften Artikel stellten zulässige Werturteile dar. Der Beklagte habe nur die in anderen Publikationen aufgezeigten Kritikpunkte pointiert zusammengefasst. In einem Disclaimer habe er eine authentische Interpretation und Begriffserklärung seiner Artikel eingeschaltet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es stellte den Inhalt der von der Klägerin im Urteilsbegehren angeführten Äußerungen und folgenden weiteren Sachverhalt fest:
Als Bemessungsgrundlage dienen bei angestellten Ärzten die Bruttoeinnahmen (Bruttogrundentgelt x 12 minus Sozialversicherungsbeiträge, Kammerbeiträge, sonstige Werbungskosten), bei freiberuflich tätigen Ärzten wird der Gewinn laut Einnahmen-Ausgabenrechnung herangezogen, dh, die Bruttoeinnahmen abzüglich der bereits bei den Angestellten genannten Positionen. Die Konzeption der Beitragsgestaltung für freiberuflich tätige Ärzte entspricht jener für angestellte Ärzte. Die valorisierte monatliche Grundleistung des Wohlfahrtsfonds betrug zur Zeit der inkriminierten Verbreitung ATS 9.860. Die umfangreichen Leistungen des Wohlfahrtsfonds sind im 4. Abschnitt seiner Satzung geregelt. Zusätzliche freiwillige Beitragszahlungen von Ärzten sind überhaupt nicht vorgesehen und sohin auch nicht Voraussetzung für die Erlangung von Leistungen des Wohlfahrtsfonds. Der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien erbringt Leistungen aus der Invaliditätsvorsorge nicht nur bei dauernder Invalidität, sondern auch bei vorübergehender Invalidität.
Ein Disclaimer mit dem Inhalt, dass unter „keine entsprechende Gegenleistung" die mangelnde Adäquanz von Leistung und Gegenleistung, unter „keine Gegenleistung" die Zahlungspflicht für die sogenannten „Altlasten", für die man überhaupt keine Gegenleistung erhält oder ein derartig krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu verstehen sei, dass man praktisch sprichwörtlich von „nichts" spricht, war zum Zeitpunkt der Klagseinbringung auf der Homepage http://www.apross.com nicht vorhanden. Ebenso wenig wurde zu diesem Zeitpunkt auf einem Disclaimer auf die auf Beilage ./7 (Screen-Shot des disclaimers) ersichtlichen Punkte 2-6 hingewiesen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des inkriminierten Artikels war die Satzung des Wohlfahrtsfonds gültig beschlossen und kundgemacht. Auf der Startseite der gegenständlichen Internet-Adresse http://www.apross.com befindet sich ein Zugriffszähler; im Zeitpunkt der Erstellung der Beilage ./A war auf die Seite bereits 62.831 mal zugegriffen worden. Solcherart waren die inkriminierten Behauptungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht das Vorliegen von zulässigen Werturteilen. Die Tatsachenbehauptungen des Beklagten seien falsch. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der bekämpften Textstellen habe eine ordnungsgemäß kundgemachte Satzung des Wohlfahrtsfonds bestanden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es beurteilte den festgestellten Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen dahin, dass der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer die Pensionsvorsorge und Pensionsleistungen der Mitglieder sicherzustellen habe. Die Verbreitung unwahrer Behauptungen über die Beitragsleistungen und die fehlenden Gegenleistungen sei geeignet, das Vertrauen der Mitglieder in die Institution zu erschüttern. Die Akzeptanz der Interessenvertretung sei für deren Fortbestand und ihr Fortkommen von wesentlicher Bedeutung. Ungerechtfertigte, auf unwahre Tatsachenbehauptungen gestützte Kritik sei geeignet, die Glaubwürdigkeit der Klägerin - beispielsweise bei Verhandlungen mit der Gebietskrankenkasse - zu beeinträchtigen. Der Beklagte habe die Unwahrheit seiner Behauptungen kennen müssen. Die Unrichtigkeit ergebe sich aus dem Ärztegesetz und der Satzung des Wohlfahrtsfonds. Aus keinen Quellen ergebe sich, dass Beitragszahler überhaupt keine Gegenleistung erhielten. Den Statuten und den Ärztegesetz lasse sich auch nicht entnehmen, dass die Grundleistung des Wohlfahrtsfonds nur monatlich 2.500 S betrage oder dass unterschiedliche Bemessungsgrundlagen für die Beitragszahlungen für unselbständig erwerbstätige Ärzte im Gegensatz zu selbständig erwerbstätigen Ärzten bestünden. Bei den Äußerungen des Beklagten handle es sich auch nicht um eine Kommentierung einer Rechtslage im Sinne der Entscheidung des OGH 4 Ob 138/99v. Danach könnten bei Äußerungen über die Rechtsfolgen einer bestimmten Gesetzeslage einmal Tatsachenbehauptungen, ein anderes Mal auch reine Werturteile vorliegen. Je weniger die zu beurteilende Rechtsfolgenbehauptung nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen sei, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhe, je mehr zum Ausdruck komme, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten werde, umso eher werde ein reines Werturteil vorliegen. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes seien die Äußerungen des Beklagten als (falsche) Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren. Der Beklagte habe weder einen Meinungsstreit noch Quellen zur Darlegung der eigenen Meinung angeführt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Der Beklagte beantragt mit seiner nach Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nunmehr fristgerecht erhobenen Revision die Abänderung dahin, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung. Die Klägerin beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht vom Grundsatz der Beurteilung rufschädigender Äußerungen nach dem Gesamtzusammenhang abgewichen ist. Die Revision ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionswerber steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass seine Äußerungen insgesamt als zulässiges Werturteil zu qualifizieren seien. Ein nach dem Gesamtzusammenhang der Artikel vorinformierter Leser verstehe insbesondere die Äußerung, ein Arzt erhalte für seine Beiträge zum Wohlfahrtsfonds „keine Gegenleistung" nur in dem vom Beklagten beabsichtigten Sinn einer „nicht entsprechenden Gegenleistung" und verstehe die Artikelserie als „tatsachengestützte Kritik" am System der Pensionsvorsorge der Ärzte. Der Einwand, dass die Entscheidung der Vorinstanzen die Äußerungen isoliert betrachteten und die gebotene Auslegung nach dem Gesamtzusammenhang vernachlässigten, ist berechtigt:
Die Betroffenheit der klagenden Ärztekammer durch die bekämpften Äußerungen wurde zu Recht bejaht. Auch wenn eine Kritik am Pensionssystem des Ärztegesetzes mit seinen Bestimmungen über den Wohlfahrtsfonds sich primär gegen den Gesetzgeber richtet, sind auch die das System vollziehenden Ärztekammern mit ihrer vom Gesetzgeber eingeräumten Befugnis zur Erlassung von Satzungen des Wohlfahrtsfonds von der Kritik mitbetroffen und deshalb im Falle falscher Tatsachenbehauptungen zur Klageführung nach § 1330 Abs 2 ABGB berechtigt, weil eine Rufschädigung als Folge dieser falschen Behauptungen durchaus im Bereich des Möglichen liegt, wozu es ausreicht, wenn nur einige Ärzte ihre Beitragszahlungen einstellen und dadurch einen vermehrten Verwaltungsaufwand der Ärztekammern auslösen.Die Betroffenheit der klagenden Ärztekammer durch die bekämpften Äußerungen wurde zu Recht bejaht. Auch wenn eine Kritik am Pensionssystem des Ärztegesetzes mit seinen Bestimmungen über den Wohlfahrtsfonds sich primär gegen den Gesetzgeber richtet, sind auch die das System vollziehenden Ärztekammern mit ihrer vom Gesetzgeber eingeräumten Befugnis zur Erlassung von Satzungen des Wohlfahrtsfonds von der Kritik mitbetroffen und deshalb im Falle falscher Tatsachenbehauptungen zur Klageführung nach Paragraph 1330, Absatz 2, ABGB berechtigt, weil eine Rufschädigung als Folge dieser falschen Behauptungen durchaus im Bereich des Möglichen liegt, wozu es ausreicht, wenn nur einige Ärzte ihre Beitragszahlungen einstellen und dadurch einen vermehrten Verwaltungsaufwand der Ärztekammern auslösen.
Rufschädigende Äußerungen sind stets nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch für den Adressaten vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen:
Dieser in der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung vertretene Grundsatz gilt sowohl für die inhaltsmäßige Auslegung der Äußerung als auch für die Frage, ob sie als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0031883; RS0032489). Der für den Bedeutungsinhalt der Äußerungen und deren allfällige Qualifikation als Werturteile maßgebliche Gesamtzusammenhang ist hier anhand aller im Internet veröffentlichten Fortsetzungsartikel zu prüfen. Bei Artikelserien vertritt der Oberste Gerichtshof in Anschluss an die Judikatur des EGMR die Auffassung, dass bei zeitlich auseinanderfallenden, inhaltlich aber in engem Zusammenhang stehenden rufschädigenden Tatsachenbehauptungen der Bedeutungsinhalt nach dem in einer Gesamtschau vermittelten Eindruck entscheidend ist. Beurteilungsmaßstab ist ein fiktiver Mitteilungsempfänger, dem alle Äußerungen zur Kenntnis gelangt sind (RS0115948: 6 Ob 249/01p = SZ 74/204; 6 Ob 265/03v; ähnlich für irreführende Werbeaussagen: 4 Ob 297/02h).
Wie eine Äußerung zu verstehen ist, hängt vom Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises ab (6 Ob 160/99v), hier also vom Verständnis eines an seinem Versorgungssystem interessierten Arztes. Ein und dieselbe Äußerung kann bei Unterschiedlichkeit des zugrunde liegenden Sachverhalts einmal eine überprüfbare Tatsachenbehauptung, das andere Mal aber ein reines Werturteil sein (RIS-Justiz RS0031815; SZ 72/118; 6 Ob 14/03g; 6 Ob 265/03v).
Die Anwendung der zitierten Rechtssätze auf den vorliegenden Fall ist noch nicht möglich, weil die Vorinstanzen die von der Klage betroffenen Äußerungen des Beklagten nur einer isolierenden (zergliedernden) Betrachtungsweise unterzogen und den weiteren Inhalt der einzelnen Artikel und deren zeitliche Abfolge nicht feststellten. Beispielhaft ist hier die als falsch qualifizierte Behauptung des Beklagten anzuführen, Ärzte, die Beiträge an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bezahlen, erhielten dafür keine Gegenleistung. Eine solche Behauptung findet sich in den Artikeln des Beklagten zwar mehrfach, sie ist aber im Lichte weiterer Äußerungen zu beurteilen, wo von Zahlungen „ohne entsprechende Gegenleistung" bzw von „...keine Gegenleistung. Er erwirbt lediglich Anwartschaftspunkte" sowie von „Alibileistungen" die Rede ist. Die Qualifikation der Äußerungen als inhaltlich falsche Tatsachenbehauptungen setzt die Feststellung des Inhalts der Fortsetzungsartikel voraus, ohne den die Beurteilung im Wege einer „Gesamtschau" nicht möglich ist. Vom noch festzustellenden Inhalt der Äußerungen nach ihrem Zusammenhang wird es abhängen, ob sie als falsche Tatsachenbehauptungen oder aber als Werturteile auf der Basis eines zumindest im Kern wahren Sachverhalts zu qualifizieren sind. Die vom Revisionswerber angestrebte Beurteilung als insgesamt zulässige Kritik am Pensionssystem („Zwangsversicherungssystem des Wohlfahrtsfonds") setzt jedenfalls nach der vom Berufungsgericht richtig zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass die Rechtsfolgenbehauptungen nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen sind, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhen. Je eingehender die Grundlagen des Erkenntnisprozesses dargestellt werden und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung in einem geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird von einem reinen Werturteil auszugehen sein (RIS-Justiz RS0112211). Erst nach Verfahrensergänzung wird diese Frage beurteilt werden können. Jedenfalls können auch polemische Angriffe als massive Kritik nach Art 10 MRK gerechtfertigt sein. Eine komplexe und intransparente Rechtslage spricht für das Vorliegen von Werturteilen, die allerdings für ihre Rechtfertigung auf einem wahren Sachverhalt als Basis beruhen müssen (SZ 71/96; 6 Ob 320/00b; RS0110046). Die Revision ist aus den dargelegten Gründen im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.Die Anwendung der zitierten Rechtssätze auf den vorliegenden Fall ist noch nicht möglich, weil die Vorinstanzen die von der Klage betroffenen Äußerungen des Beklagten nur einer isolierenden (zergliedernden) Betrachtungsweise unterzogen und den weiteren Inhalt der einzelnen Artikel und deren zeitliche Abfolge nicht feststellten. Beispielhaft ist hier die als falsch qualifizierte Behauptung des Beklagten anzuführen, Ärzte, die Beiträge an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bezahlen, erhielten dafür keine Gegenleistung. Eine solche Behauptung findet sich in den Artikeln des Beklagten zwar mehrfach, sie ist aber im Lichte weiterer Äußerungen zu beurteilen, wo von Zahlungen „ohne entsprechende Gegenleistung" bzw von „...keine Gegenleistung. Er erwirbt lediglich Anwartschaftspunkte" sowie von „Alibileistungen" die Rede ist. Die Qualifikation der Äußerungen als inhaltlich falsche Tatsachenbehauptungen setzt die Feststellung des Inhalts der Fortsetzungsartikel voraus, ohne den die Beurteilung im Wege einer „Gesamtschau" nicht möglich ist. Vom noch festzustellenden Inhalt der Äußerungen nach ihrem Zusammenhang wird es abhängen, ob sie als falsche Tatsachenbehauptungen oder aber als Werturteile auf der Basis eines zumindest im Kern wahren Sachverhalts zu qualifizieren sind. Die vom Revisionswerber angestrebte Beurteilung als insgesamt zulässige Kritik am Pensionssystem („Zwangsversicherungssystem des Wohlfahrtsfonds") setzt jedenfalls nach der vom Berufungsgericht richtig zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass die Rechtsfolgenbehauptungen nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen sind, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhen. Je eingehender die Grundlagen des Erkenntnisprozesses dargestellt werden und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung in einem geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird von einem reinen Werturteil auszugehen sein (RIS-Justiz RS0112211). Erst nach Verfahrensergänzung wird diese Frage beurteilt werden können. Jedenfalls können auch polemische Angriffe als massive Kritik nach Artikel 10, MRK gerechtfertigt sein. Eine komplexe und intransparente Rechtslage spricht für das Vorliegen von Werturteilen, die allerdings für ihre Rechtfertigung auf einem wahren Sachverhalt als Basis beruhen müssen (SZ 71/96; 6 Ob 320/00b; RS0110046). Die Revision ist aus den dargelegten Gründen im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E77455 6Ob41.05fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0060OB00041.05F.0519.000Dokumentnummer
JJT_20050519_OGH0002_0060OB00041_05F0000_000