TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/19 2007/07/0068

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Veröffentlicht am 19.07.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Chlup, über die Beschwerde des Ing. W F in A, vertreten durch Oberhofer & Hibler, Rechtsanwälte Innsbruck-Lienz, 6020 Innsbruck, Schöpfstraße 6b, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 27. März 2007, Zl. BMLFUW-UW.4.1.12/0263- I/6/2006, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. einer wasserrechtlichen Bewilligung (mitbeteiligte Partei: A- AG in H, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Dr. Bernhard Hämmerle GmbH, 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Im beschwerdegegenständlichen, auf Grund eines Antrages der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: MP) auf Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für Erweiterungen der "Beschneiungsanlage A" eingeleiteten Verwaltungsverfahren war dem Landeshauptmann von Tirol (im Folgenden: LH) als erstinstanzliche Wasserrechtsbehörde mit Bescheid der belangten Behörde (im Folgenden: BM) vom 14. Mai 2004 aufgetragen worden, die vom Beschwerdeführer beim LH gegen das obgenannte Projekt der MP erhobenen Einwendungen meritorisch zu erledigen. So hatte der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren in der Verhandlung vom 26. September 2002 u.a. vorgebracht, dass es durch die mehrmals geänderte und geplante Erweiterung der Beschneiungsanlage und somit des "Konsenswassers" zu einer massiven Beeinträchtigung seines bestehenden Wasserbenutzungsrechtes am A- Bach für den Betrieb eines Kraftwerkes komme und daher der geplanten Erweiterung der Beschneiungsanlage, insbesondere der Erhöhung der Konsenswassermenge, nicht zugestimmt werden könne.

Im weiteren erstinstanzlichen Verfahren teilte der Beschwerdeführer dem LH mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2004 (u.a.) mit, dass er die Rechtsanwälte D. mit seiner rechtlichen Vertretung in diesem Verfahren beauftragt habe und das Vertretungsverhältnis zu seinem bisherigen Rechtsvertreter L. nicht mehr bestehe.

Der LH beraumte mit Kundmachung vom 13. Juli 2005 für den 23. August 2005 eine mündliche Verhandlung an, zu der der Beschwerdeführer, vertreten durch die Rechtsanwälte D., geladen wurde. Laut der Kundmachung fand die Verhandlung zu folgendem Gegenstand statt:

1. Zur Überprüfung, inwieweit die ausgeführten Anlagen und Maßnahmen der Stammanlage und der Erweiterung 1 der Beschneiungsanlage A mit den mit den Bescheiden des LH vom 30. Juni 1997, 22. September 1999 und 24. Mai 2000 erteilten wasserrechtlichen Bewilligungen übereinstimmten,

2. zur Erhebung des Sachverhaltes zum Antrag auf Wiederverleihung der Wasserbenutzungsrechte für die Stammanlage der Beschneiungsanlage A (und für die Verlängerung bzw. Neuerteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung) sowie

3. zur Fortführung des wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens betreffend die Erweiterungen 2 und 3 der Beschneiungsanlage A durch Erhöhung der aus dem A- Bach zu entnehmenden Konsenswassermenge auf maximal 60 l/s sowie durch die Erweiterung der Beschneiungsanlage im oberen Teil der Damenabfahrt und im Bereich der Herrenabfahrt.

Laut der in den Verwaltungsakten erliegenden Verhandlungsschrift vom 23. August 2005 waren in der Verhandlung neben dem Vertreter der MP als Bewilligungswerberin u.a. der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter D. anwesend. In dieser Verhandlungsschrift heißt es auszugsweise:

"In der Folge entwickelt sich eine lebhafte Diskussion über die in den vergangenen 7 Jahren für die Beschneiung verwendeten Wassermengen und die daraus (dem Beschwerdeführer) entstandenen Einbußen bei der Energieerzeugung in seinem Kraftwerk am A- Bach.

(...)

Seitens der (MP) wurde (dem Beschwerdeführer) als Entschädigung für die bisher entnommenen Wassermengen ein Gesamtbetrag von ca. 153.000,-- Schilling angeboten.

In der Folge wurde versucht festzustellen, welche Energieeinbußen im Kraftwerk des (Beschwerdeführers) durch die Wasserentnahme für die Beschneiungsanlage bestehen und welche Entschädigung hiefür zustehen würde. Dabei wird zum Teil von der (MP) einerseits und von dem Beschwerdeführer andererseits teilweise von sehr unterschiedlichen Grundlagen und Berechnungsmethoden ausgegangen.

Die Verhandlung wurde mehrfach für einzelne Beratungen der Parteien unterbrochen.

(...)

Nach umfassender Diskussion wird folgender

Vereinbarungsentwurf erarbeitet:

Vereinbarung:

Abgeschlossen zwischen der (MP), vertreten durch (...) einerseits und (dem Beschwerdeführer), vertreten durch Herrn Rechtsanwalt (D.) andererseits:

1. (Der Beschwerdeführer) betreibt am A- Bach das mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft I vom 5. Sept. 1986, (...), bewilligte Wasserkraftwerk mit einer max. Wassereinzugsmenge von 120 l/s und einer Restwassermenge von 60 l/s. Dieses Wasserbenutzungsrecht ist bis zum 31. Okt. 2017 befristet.

Die (MP) betreibt für das Schigebiet A seit dem Jahre 1998 eine Beschneiungsanlage, wobei das hiefür benötigte Schneiwasser aus dem A- Bach im Bereich unterhalb des Parkplatzes der A und somit oberhalb der Wasserkraftanlage (des Beschwerdeführers) entnommen wird.

(...)"

Nach Wiedergabe des mehrere Punkte umfassenden Vereinbarungsentwurfes heißt es in der genannten Verhandlungsschrift auszugsweise weiter:

"Die Verhandlung wird auf Wunsch (des Beschwerdeführers) bzw. dessen Rechtsbeistandes mehrfach unterbrochen, damit sich (der Beschwerdeführer) mit seinem Rechtsbeistand abgesondert beraten kann.

Anschließend wird die Diskussion immer wieder um die einzelnen Punkte der oben stehenden Vereinbarung von vorne und mit neuen Abweichungen und Argumenten begonnen und geführt. Dabei kann schlussendlich im Wesentlichen folgender Kompromissvorschlag gefunden werden:

(...)

(Der Beschwerdeführer) erklärt sodann, dass er sich heute psychisch und psychisch (offenbar gemeint: physisch) nicht mehr in der Lage sehe, eine endgültige Stellungnahme hiezu abzugeben. Er müsse das Ganze erst in Ruhe durchlesen und sich durch weitere Personen beraten lassen.

(Dem Beschwerdeführer) wird zu diesem Vorbringen die Rechtsbelehrung erteilt, dass er entsprechend den Bestimmungen des AVG bei der heutigen Verhandlung eine endgültige Erklärung abzugeben habe. Zudem sei er durch einen Rechtsanwalt vertreten, welcher für ihn die Stellungnahme abgeben könne.

Trotz dieser Belehrung bleibt (der Beschwerdeführer) bei der Aussage, dass er heute keine endgültige Stellungnahme abgeben könne, da er hiezu heute psychisch und psychisch nicht mehr in der Lage sei, bis zu einer endgültigen Stellungnahme behalte er aber seine bisherigen Einwendungen aufrecht.

Somit kommt auch über den erarbeiteten Vereinbarungsentwurf keine endgültige Einigung zustande.

Der Verhandlungsleiter erklärt sodann um 20.30 Uhr, dass er noch eine Verhandlungsfrist bis 21.00 Uhr gewähre. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine endgültige Stellungnahme des (Beschwerdeführers) vorliegen, werde die Verhandlung geschlossen.

In der Folge wird die Diskussion immer wieder zu denselben Punkten, welche schon lange geklärt scheinen, fortgeführt.

Vom Verhandlungsleiter wird alle 5 Minuten auf den Ablauf der Verhandlungszeit hingewiesen.

Trotz dieser Fristsetzung und trotz der mehrfachen Aufforderungen und Rechtsbelehrungen gibt (der Beschwerdeführer) bis 21.00 Uhr keine endgültige Stellungnahme zu Protokoll.

Die Verhandlung wird sodann vom Verhandlungsleiter um 21.00 Uhr geschlossen.

Dauer: 09.30 Uhr bis 21.00 Uhr (23/2 Stunden)

Fertigung: (Unterschrift des Verhandlungsleiters)

Hinweis:

Auf Grund eines technischen Gebrechens des bei der Verhandlung zur Aufnahme der Verhandlungsschrift verwendeten Laptops liegen nur die während der Verhandlung bereits ausgedruckten Seiten 1 bis 9 im Original vor. Die elektronische Version der Verhandlungsschrift ist leider nicht mehr vorhanden.

Die Seiten 10 bis 13 dieser Verhandlungsschrift konnten bei der Verhandlung nicht mehr ausgedruckt werden und mussten daher vom Verhandlungsleiter als Protokoll nachträglich aus dem Gedächtnis rekonstruiert werden, wobei für den Vereinbarungsentwurf eine während der Verhandlung ausgedruckte frühere Version als Vorlage gedient hat.

(Unterschrift des Verhandlungsleiters)"

Mit zwei im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben vom 24. August 2005 teilte der Beschwerdeführer dem LH mit, in Bezug auf das am Vortag aufgenommene Verhandlungsprotokoll vorsichtshalber (u.a.) zu rügen, dass das Protokoll nicht verlesen worden sei. Er wolle ausdrücklich festhalten, diesem Protokoll nicht zuzustimmen, und ersuche um schriftliche "Abfertigung" dieses Protokolls. Grundsätzlich sei er bereit und um eine Vereinbarung bemüht, aber ein Diktat sei ihm nicht zuzumuten.

Der LH übermittelte sowohl dem Beschwerdeführer persönlich als auch den Rechtsanwälten D. als dessen Rechtsvertretern jeweils mit Schreiben vom 31. August 2005 eine Kopie der Verhandlungsschrift vom 23. August 2005 zur Kenntnisnahme mit dem Hinweis, dass ihnen Gelegenheit gegeben werde, zu dieser Verhandlungsschrift und zu den in der Kundmachung vom 13. Juli 2005 angeführten Verfahrensgegenständen bis spätestens innerhalb von zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens eine endgültige Stellungnahme abzugeben.

In der Folge erstattete der Beschwerdeführer persönlich die schriftliche Stellungnahme vom 15. September 2005 an den LH, worin er u.a. das Fehlen einer Wortmeldung seines Rechtsvertreters D. rügte und vorbrachte, dass sein Rechtsvertreter und er den Verhandlungsleiter, nachdem dieser erklärt habe, dass die Verhandlung zu Ende sei, mehrmals ersucht und aufgefordert hätten, die Stellungnahme bzw. Einwendungen zum Tagesordnungspunkt 3. in das Protokoll aufzunehmen, was der Verhandlungsleiter jedoch beharrlich verweigert habe. Er (der Beschwerdeführer) möchte ausdrücklich bemerken, dass er dem vom Verhandlungsleiter diktierten Vereinbarungsentwurf nicht zustimme, und seiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass wesentliche Teile der Verhandlungsschrift verloren gegangen seien.

Mit Bescheid des LH vom 5. Oktober 2006 wurden der MP u. a. die nachträgliche wasserrechtliche Bewilligung für die im Zuge der Errichtung der Stammanlage der genannten Beschneiungsanlage und der Erweiterung 1 dieser Beschneiungsanlage und des Speicherteiches erfolgten, näher im Bescheid angeführten Änderungen erteilt sowie die näher beschriebenen Wasserbenutzungsrechte für die Beschneiungsanlage wiederverliehen. Dieser Bescheid wurde den Rechtsanwälten D. als Rechtsvertretern des Beschwerdeführers laut dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Rückschein am 9. Oktober 2006 zugestellt.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 teilten die Rechtsanwälte D. dem LH mit, dass sie den Beschwerdeführer nicht mehr verträten, und ersuchten, zukünftig keine Zustellungen mehr (an sie) für den Beschwerdeführer vorzunehmen.

Laut einem in den Verwaltungsakten enthaltenen Amtsvermerk des LH vom 19. Oktober 2006 wurde der genannte Bescheid an den Beschwerdeführer an dessen Anschrift zugestellt. In einem weiteren Aktenvermerk vom 24. Oktober 2006 hielt der LH zum vorgenannten Amtsvermerk fest, dass die Rechtsmittelfrist für den Beschwerdeführer erst ab ordnungsgemäßer Zustellung an den Genannten beginne und der Zustellung an die Rechtsanwälte D. keine Rechtswirksamkeit zukomme. Laut dem in den Verwaltungsakten erliegenden Rückschein wurde der genannte Bewilligungsbescheid am 23. Oktober 2006 an den Beschwerdeführer persönlich zugestellt.

Mit Schreiben vom 6. November 2006 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des LH vom 5. Oktober 2006 Berufung.

Die MP, der vom LH eine Kopie der Berufung ausgehändigt worden war, gab dazu die schriftliche Stellungnahme vom 28. November 2006 ab, worin sie u.a. vorbrachte, dass die Berufung verspätet erhoben worden sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BM vom 27. März 2007 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des LH vom 5. Oktober 2006 gemäß § 66 Abs. 4 AVG wegen Verspätung zurückgewiesen.

Begründend führte der BM im Wesentlichen unter Hinweis auf die §§ 10 und 63 Abs. 5 AVG, §§ 1, 2, 6 und 9 Zustellgesetz und § 8 Abs. 1 und § 11 RAO aus, dass der erstinstanzliche Bescheid vom 5. Oktober 2006 am 9. Oktober 2006 von den Rechtsvertretern des Beschwerdeführers, den Rechtsanwälten D., übernommen worden sei, diese mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 mitgeteilt hätten, dass sie den Beschwerdeführer nicht mehr verträten, und die gegenständliche Berufung vom Beschwerdeführer eigenhändig am 6. November 2006 beim LH eingebracht worden sei. Da eine Vollmachtseinschränkung der ausgewiesenen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren, der Rechtsanwälte D., und eine Kündigung oder ein Widerruf ihrer umfassenden Vollmacht gegenüber dem LH nicht aktenkundig und nicht mitgeteilt worden seien, sei dieser gehalten gewesen, den erstinstanzlichen Bescheid vom 5. Oktober 2006 ausschließlich an die ihm gegenüber ausgewiesenen Rechtsvertreter D. zuzustellen. Die danach erfolgte Übermittlung einer weiteren Bescheidausfertigung an den Beschwerdeführer persönlich am 23. Oktober 2006 habe keine Rechtswirkungen, insbesondere auch nicht einen neuerlichen Beginn der Berufungsfrist auslösen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Beschwerde bringt vor, dass der seinerzeitige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, D., bereits am Ende der Verhandlung vom 23. August 2005 sein Mandat zurückgelegt habe, welcher Umstand in den vom Verhandlungsleiter aus dem Gedächtnis rekonstruierten Teilen der Verhandlungsschrift des LH vom 23. August 2005 allerdings nicht vermerkt worden sei. Unabhängig von der Protokollierung habe dieser jedenfalls bereits am Ende der genannten Verhandlung gewusst, dass der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt im weiteren Verfahren nicht mehr rechtsfreundlich von D. vertreten werde. Mit Schreiben an den Beschwerdeführer vom 2. September 2005 habe D. nochmals die Zurücklegung des Mandates bestätigt. Im Hinblick darauf wäre der BM für den Fall, dass er Zweifel an der Beendigung des Mandates bzw. hinsichtlich des Zeitpunktes der Niederlegung des Mandates gehegt habe, jedenfalls dazu verbunden gewesen, zur Frage des Bestehens der Vertretungsmacht entsprechende Beweise aufzunehmen und insbesondere den seinerzeitigen Rechtsvertreter D. zum Zeitpunkt der Zurücklegung seines Mandates näher zu befragen. Bei Aufnahme des Beweises hätte der BM zwangsläufig feststellen müssen, dass das seinerzeitige Mandat von D. bereits am Ende der Verhandlung vom 23. August 2005 zurückgelegt worden sei. Auch sei darauf hinzuweisen, dass das Verhandlungsprotokoll vom 23. August 2005 in wesentlichen Teilen unvollständig geblieben sei und auf Grund dieser Unvollständigkeit die Verhandlungsschrift keinen vollen Beweis über den gesamten Ablauf der Verhandlung, insbesondere auch nicht über die hier interessierende Erklärung betreffend die Niederlegung des Mandates durch D., liefere. Diese aus dem Gedächtnis abgefasste Verhandlungsschrift entspreche nicht § 14 AVG und liefere somit keinen vollen Beweis über das in ihr protokollierte Geschehen, was auch dann gelte, wenn die Nichtprotokollierung der Zurücklegung des Mandates durch den Beschwerdeführer nicht gerügt worden sein sollte.

Der BM legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die MP - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, und beginnt die Frist im Fall der Zustellung einer schriftlichen Bescheidausfertigung für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung.

Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich die Beteiligten, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Gemäß § 10 Abs. 2 leg. cit. richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht und sind hierüber auftauchende Zweifel nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Nach § 10 Abs. 6 leg. cit. schließt die Bestellung eines Bevollmächtigten nicht aus, dass der Vollmachtgeber im eigenen Namen Erklärungen abgibt.

Gemäß § 9 Abs. 1 Zustellgesetz können die Parteien und Beteiligten, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, andere natürliche oder juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts und eingetragene Erwerbsgesellschaften gegenüber der Behörde ausdrücklich zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht). Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen.

Durch die Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes zur Vertretung im Verwaltungsverfahren ist dieser auch Zustellungsbevollmächtigter im Sinne des § 9 Zustellgesetz (vgl. aus der hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 3. Juli 2001, Zl. 2000/05/0115, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Kündigung einer Vollmacht der Behörde gegenüber nur dann wirksam, wenn sie ihr mitgeteilt wird. Solange die Aufhebung einer Vollmacht der Behörde ohne ihr Verschulden unbekannt war, treten die Wirkungen der Vollmachtsaufhebung ihr gegenüber nicht ein (vgl. etwa die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 10 AVG E 145 ff zitierte Judikatur).

Mit dem obzitierten Vorbringen wendet sich die Beschwerde gegen die Annahme der belangten Behörde, dass bei Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 5. Oktober 2006 an die früheren Rechtsvertreter des Beschwerdeführers D. gegenüber der Behörde deren Bevollmächtigung noch aufrecht gewesen sei und damit der Bescheid bereits am 9. Oktober 2006 an den Beschwerdeführer rechtswirksam zugestellt worden sei, sodass dessen am 6. November 2006 eingebrachte Berufung verspätet sei.

Nach der hg. Judikatur hat die Behörde entweder - wenn Umstände auf einen Zustellmangel hinweisen - zu prüfen, ob ein solcher unterlaufen ist, oder dem Beschwerdeführer die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun. Geht die Behörde von der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Rechtsmittelwerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa die Erkenntnisse vom 20. November 2002, Zl. 2002/17/0232, und vom 24. Jänner 2006, Zl. 2005/11/0169, mwN).

Das obzitierte Beschwerdevorbringen, mit dem der Beschwerdeführer erstmals geltend macht, dass das Erlöschen der Bevollmächtigung seiner früheren Rechtsvertreter D. gegenüber dem LH bereits anlässlich der Verhandlung am 23. August 2005 erklärt worden sei, weshalb die von ihm am 6. November 2006 eingebrachte Berufung rechtzeitig erhoben worden sei, verstößt nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG), weil nach Ausweis der Verwaltungsakten vor Erlassung des angefochtenen Bescheides dem Beschwerdeführer die vom BM angenommene offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels nicht vorgehalten wurde.

Sowohl der BM als auch die MP vertreten jeweils in ihrer im Beschwerdeverfahren erstatteten Gegenschrift die Auffassung, dass, wenn auch ein Teil des Verhandlungsprotokolls vom 23. August 2005 rekonstruiert habe werden müssen, die Behörde im Hinblick auf den Inhalt der Protokollrüge des Beschwerdeführers keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass die Bevollmächtigung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, D., aufgelöst worden sei.

§ 44 Abs. 1 sowie §§ 14 und 15 AVG lauten:

"§ 44. (1) Über jede mündliche Verhandlung ist eine Verhandlungsschrift nach den §§ 14 und 15 aufzunehmen.

(...)"

"Niederschriften

§ 14. (1) Mündliche Anbringen von Beteiligten sind erforderlichenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Niederschriften über Verhandlungen (Verhandlungsschriften) sind derart abzufassen, dass bei Weglassung alles nicht zur Sache Gehörigen der Verlauf und Inhalt der Verhandlung richtig und verständlich wiedergegeben wird.

(2) (...)

(3) Die Niederschrift ist den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen, wenn sie nicht darauf verzichten, zur Durchsicht vorzulegen oder vorzulesen; wenn ein technisches Hilfsmittel verwendet wurde (Abs. 7), kann ihr Inahalt auch auf andere Weise wiedergegeben werden. Der Leiter der Amtshandlung kann auch ohne Verzicht von einer Wiedergabe absehen; die beigezogenen Personen können diesfalls bis zum Schluss der Amtshandlung die Zustellung einer Ausfertigung verlangen und binnen zwei Wochen ab Zustellung Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift erheben.

(4) In dem einmal Niedergeschriebenen darf nichts Erhebliches ausgelöscht, zugesetzt oder verändert werden. Durchgestrichene Stellen sollen noch lesbar bleiben. Erhebliche Zusätze oder Einwendungen der beigezogenen Personen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift sind in einem Nachtrag aufzunehmen und gesondert zu unterfertigen.

(5) Die Niederschrift ist von den beigezogenen Personen durch Beisetzung ihrer eigenhändigen Unterschrift zu bestätigen; dies ist nicht erforderlich, wenn der Amtshandlung mehr als 20 Personen beigezogen wurden oder wenn die Niederschrift elektronisch erstellt wurde und an Ort und Stelle nicht ausgedruckt werden kann. Unterbleibt die Unterfertigung der Niederschrift durch eine beigezogene Person, so ist dies unter Angabe des dafür maßgebenden Grundes in der Niederschrift festzuhalten.

(6) Den beigezogenen Personen ist auf Verlangen eine Ausfertigung der Niederschrift auszufolgen und zuzustellen.

(7) Die Niederschrift oder Teile davon können unter Verwendung eines technischen Hilfsmittels oder in Kurzschrift aufgenommen werden. Die Angaben gemäß Abs. 2, die Feststellung, dass für die übrigen Teile der Niederschrift ein technisches Hilfsmittel verwendet wird, und die Tatsache der Verkündung eines mündlichen Bescheides sind in Vollschrift festzuhalten. Die Aufzeichnung und die in Kurzschrift aufgenommenen Teile der Niederschrift sind unverzüglich in Vollschrift zu übertragen. Die beigezogenen Personen können bis zum Schluss der Amtshandlung die Zustellung einer Ausfertigung der Übertragung verlangen und binnen zwei Wochen ab Zustellung Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Übertragung erheben. Wird eine solche Zustellung beantragt, so darf die Aufzeichnung frühestens einen Monat nach Ablauf der Einwendungsfrist, ansonsten frühestens einen Monat nach erfolgter Übertragung gelöscht werden."

"§ 15. Soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, liefert eine gemäß § 14 aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges bleibt zulässig."

Da - wie sich aus dem Hinweis des Verhandlungsleiters zur Verhandlungsschrift vom 23. August 2005 ergibt - auf Grund eines technischen Gebrechens des bei der Verhandlung zur Aufnahme der Verhandlungsschrift verwendeten Laptops nur die während der Verhandlung bereits ausgedruckten Seiten 1 bis 9 im Original vorlagen, nicht jedoch die folgenden Seiten und die elektronische Version der Verhandlungsschrift nicht abrufbar bzw. vorhanden war, stellt die in den Verwaltungsakten enthaltene Verhandlungsschrift vom 23. August 2005 keine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift dar, sodass sie bereits deshalb über den Verlauf und den Gegenstand des Inhaltes der Verhandlung keinen vollen Beweis macht. Ob der frühere Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, D., bereits am Ende der genannten Verhandlung sein Mandat zurückgelegt habe und die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses dem LH somit bereits vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides bekannt gegeben worden sei, unterliegt daher der freien Beweiswürdigung.

Ausgehend von dem - wie bereits erwähnt - nicht dem Neuerungsverbot unterliegenden Beschwerdevorbringen, dass der BM in Bezug auf die Frage des Bestehens der Vertretungsmacht des (früheren) Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, D., bzw. des Zeitpunktes der Niederlegung des Mandates dazu verbunden gewesen wäre, den seinerzeitigen Rechtsvertreter D. näher zu befragen, und der BM bei Aufnahme des Beweises zwangsläufig hätte feststellen müssen, dass das seinerzeitige Mandat von D. bereits am Ende der Verhandlung vom 23. August 2005 zurückgelegt worden sei, wobei dieser Umstand dem LH vor Bescheiderlassung bekannt gegeben worden sei, und im Hinblick darauf, dass der BM keine Ermittlungen in diese Richtung durchgeführt hat, ist der angefochtene Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.

In Anbetracht dieses Verfahrensmangels war der genannte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 19. Juli 2007

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Parteiengehör Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007070068.X00

Im RIS seit

10.08.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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