Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei OSR Heidrun W*****, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei V*****Ö*****, vertreten durch Siegl & Choc, Rechtsanwälte OEG in Graz, wegen EUR 76.478,82 sA, Rente und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 94.964,92), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 11. November 2004, GZ 3 R 151/04g-62, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Juni 2004, GZ 18 Cg 41/01a-54, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. Juli 2004, GZ 18 Cg 41/01a-55, teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz iVm § 528a ZPO).Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz in Verbindung mit § 528a ZPO).
Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen wurde die Klägerin am 6. 6. 1998 bei einem Verkehrsunfall, den ein ungarischer Fahrzeuglenker mit einem in Ungarn zugelassenen Pkw verschuldet hat, schwer verletzt. Sie erlitt neben mehreren weiteren Verletzungen eine beidseitige traumatische Lähmung der oberen schrägen Augenmuskeln, die zu Doppelbildern, Verschwommensehen und zur Verkippung der Bilder im gesamten unteren Blickfeldbereich und beim Lesen führt. Die Klägerin wurde im März 2000 und im März 2001 am Augenmuskel operiert, ohne dass dadurch ein dauerhafter Erfolg erzielt werden konnte. Alle Möglichkeiten der konservativen und operativen Therapie sind ausgeschöpft. Die Sehbehinderung der Klägerin ist nicht mehr verbesserbar. Die Klägerin leidet außerdem dauerhaft an Schwindelattacken und Kopfschmerzen, die sowohl auf die Sehbehinderung als auch auf das ebenfalls erlittene schwere Schädelhirntrauma zurückzuführen sind.
Die Klägerin besitzt neben ihrer „Stadtwohnung" in Graz ein Wochenendhaus in St. Wolfgang am Zirbitzkogel, das sie vor dem Unfall regelmäßig mit dem eigenen Pkw aufgesucht hat. Sie ist aufgrund der Unfallsfolgen nicht mehr in der Lage, selbst ein Kraftfahrzeug zu lenken. Zwischen Graz und Obdach besteht eine Zug- und Autobusverbindung die jedoch 2- bis 3-maliges Umsteigen erfordert. St. Wolfgang ist von Obdach aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar. Zur Bewältigung dieser Strecke muss sich die Klägerin eines Taxis bedienen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist für die Klägerin mit Problemen verbunden, insbesondere wenn sie mit Gepäck und Hund reist. Beim Ein- und Aussteigen besteht wegen der Sehschwäche im unteren Sehfeldbereich Sturzgefahr. Die Klägerin fährt daher durchschnittlich 30 mal pro Jahr mit dem Taxi von Graz nach St. Wolfgang. Eine Taxifahrt kostet inklusive Trinkgeld EUR 90. Durchschnittlich 18 mal pro Jahr fährt sie von St. Wolfgang nach Obdach zum Einkaufen, wofür sie EUR 18,17 pro Fahrt zu bezahlen hat. Unter Berücksichtigung der Eigenersparnis durch Wegfall der Fahrten mit dem eigenen Pkw belaufen sich die monatlichen Fahrtkosten auf durchschnittlich EUR 236,21, dies sind bis 30. 9. 2003 insgesamt EUR 14.430,60.
Das zuletzt auf EUR 76.478,92 sA lautende Zahlungsbegehren der Klägerin umfasste auch die mit (richtig:) EUR 14.408,81 bezifferten Taxikosten, die ihr im Zeitraum vom 1. 9. 1998 bis 30. 9. 2003 erwachsen seien. Des Weiteren stellte sie ein Renten- und ein Feststellungsbegehren.
Die beklagte Partei wandte gegen den auf Ersatz der Taxikosten gerichteten Anspruch den fehlenden Nachweis tatsächlich geleisteter Zahlungen sowie einen Verstoß der Klägerin gegen die sie treffende Schadensminderungspflicht ein. Der Klägerin sei trotz ihrer Sehbehinderung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren der Klägerin mit EUR 65.941.95 (davon umfasst EUR 14.430,60 Taxikosten) sA statt und wies das Mehrbegehren von EUR 10.536,97 sA ab. Des Weiteren gab es dem Feststellungsbegehren zur Gänze und dem Rentenbegehren teilweise statt.
Dieses Urteil erwuchs in Ansehung des Zuspruches eines Teilbetrages von EUR 40.843,02 sA, der Abweisung von EUR 10.536,97 sA und der Entscheidung über das Rentenbegehren unbekämpft in Rechtskraft.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das erstgerichtliche Urteil im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren mit einer Maßgabe und änderte es im Übrigen dahin ab, dass es der Klägerin insgesamt EUR 46.105,80 sA zusprach und ein Mehrbegehren von EUR 15.942,42 sA abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen dieses Teilurteil nicht zulässig sei. Ferner hob es mit Beschluss das Urteil im Umfang des Zuspruches der Taxikosten von EUR 14.430,60 sA auf und erklärte den Rekurs für zulässig. Zum aufhebenden Teil seiner Entscheidung vertrat es die Auffassung, nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechts sei der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde. Es stelle sich jedoch die Frage, wie weit die Ersatzpflicht des Schädigers bzw des Haftpflichtigen reiche. Bei den Taxikosten handle es sich um einen Vermögensschaden, der ohne Unfall bei der Klägerin nicht eingetreten wäre. Die Verhaltensnormen, die die Gefährdung oder Beschädigung fremder absoluter Rechtsgüter (in diesem Fall die körperliche Unversehrtheit) verbieten würden, hätten meist nicht nur den Schutz dieses Rechtsgutes im Auge, sondern auch die Verhinderung weiterer Schäden des Rechtsinhabers, der sogenannten Folgeschäden. Dies gelte etwa für den Schutz des Eigentums oder der Gesundheit, der auch die Verhinderung eines Verdienstentganges umfasse. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte bezwecke ebenso die Verhinderung daran anknüpfender Vermögensschäden. Der Schutzbereich sei dabei um so weiter zu ziehen, je höherwertiger die primär geschützten Güter seien (Koziol, Österr. Haftpflichtrecht Bd I Rz 8/35 mwN). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsansicht und unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schadenersatzrechts sei im Zuspruch der Taxikosten grundsätzlich kein Rechtsirrtum zu erblicken. Zur abschließenden rechtlichen Beurteilung bedürfe es jedoch noch ergänzender Feststellungen zur Klärung der Frage, ab wann und in welcher Häufigkeit die Klägerin ihr Wochenendhaus nach dem Unfall tatsächlich aufgesucht habe. Des Weiteren seien zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auch noch Feststellungen über den damit verbundenen Zeitaufwand erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die Frage der Ersatzfähigkeit von Taxikosten für Fahrten zu einem Wochenendhaus von über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung sei. In ständiger Rechtsprechung werde zwar der Anspruch auf Schadenersatz im Ausmaß der Aufwendungen für die wegen einer unfallsbedingten körperlichen Beeinträchtigung notwendig gewordene Anschaffung eines Pkws mit behindertengerechter Ausstattung bejaht. Andererseits könnten aber die von der Klägerin begehrten Taxikosten „unter Berücksichtigung der Adäquanztheorie" schon als grundsätzlich nicht ersatzfähig angesehen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der von der beklagten Partei gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Grundsätzlich ist bei einem Eingriff in absolute Rechtsgüter auch der damit verbundene (adäquate) Folgeschaden zu ersetzen; für die Fälle der Körperverletzung spricht dies das Gesetz in § 1325 ABGB hinsichtlich des Verdienstentganges ausdrücklich aus (SZ 2002/4). In Rechtsprechung und Lehre ist überdies anerkannt, dass der Ersatzanspruch wegen Körperverletzung auch die Aufwendungen zur Deckung vermehrter Bedürfnisse umfasst, die ohne den Unfall nicht entstanden wären, einen positiven Schaden darstellen und daher nach § 1325 ABGB, § 13 Z 3 EKHG zu ersetzen sind (ZVR 1987/128; 2 Ob 6/95; ZVR 1997/114; JBl 2003, 650 uva; RIS-Justiz RS0102104, RS0031108, RS00030471; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1325 Rz 11 ff; Harrer in Schwimann, ABGB² § 1325 Rz 8). Diese Aufwendungen sollen jene Nachteile ausgleichen, die durch eine dauernde Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Verletzten entstehen. Sie verfolgen das Ziel, die Lebensführung des Verletzten derjenigen eines Gesunden möglichst anzunähern; es werden davon solche unfallsbedingten Mehraufwendungen erfasst, die dem Geschädigten im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen (ZVR 1997/114; JBl 2003, 650; RIS-Justiz RS0102104; Reischauer aaO Rz 12). Der dem Verletzten zustehende Ersatz für Aufwendungen infolge neuer Bedürfnisse, die ohne den Unfall nicht entstanden wären, beruht darauf, dass der Ersatzpflichtige zur umfassenden Wiederherstellung des Zustandes vor der Verletzung oder einer im Wesentlichen gleichen Ersatzlage verpflichtet ist (ZVR 1997/114; RIS-Justiz RS0102105, RS0030228; Apathy, Komm z EKHG, § 13 Rz 30 mwN).
Die Beurteilung, ob ein Schadenersatzanspruch auf einer Vermehrung der Bedürfnisse beruht, hängt im Allgemeinen von den Umständen des Einzelfalles ab und begründet noch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine auffallende Fehlbeurteilung dieser Frage ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen, wenn es „grundsätzlich" die Ersatzfähigkeit der begehrten Taxikosten bejahte. Nach herrschender Rechtsprechung steht dem Verletzten zum Ausgleich einer schweren Gehbehinderung ein Anspruch auf Ersatz der Kosten und Instandhaltung eines Pkws zu, um ihn dadurch annähernd in jenen Zustand der Mobilität zu versetzen, wie er für einen Gesunden selbstverständlich ist. Zu ersetzen sind aber nur die unfallsbedingten Mehrkosten (ZVR 1974/164; 2 Ob 6/95; ZVR 1997/114; ZVR 2002/12 uva). Der dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Gedanke, dem Verletzten die durch den Unfall verloren gegangene Mobilität zu verschaffen, ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, in welchem die Klägerin aufgrund ihrer unfallsbedingten Sehbehinderung ein Kraftfahrzeug nicht mehr lenken kann und den Ersatz des mit Taxifahrten verbundenen Mehraufwandes begehrt. Der Oberste Gerichtshof hat schon in der Entscheidung SZ 41/159 im Falle einer Klägerin, die nach einer unfallsbedingten Knieverletzung für die Dauer ihrer beruflichen Tätigkeit die Straßenbahn statt des Fahrrades benützen musste, die Zuerkennung einer „Fahrspesenrente" dem Grunde nach gebilligt. Es wurde auch schon ausdrücklich ausgesprochen, dass der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine Unterscheidung in vermehrte Bedürfnisse, die im Zusammenhang mit der Berufsausübung stehen, und anderen vermehrten Bedürfnissen fremd ist (ZVR 1997/114). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, ein unfallbedingter Mehraufwand der Klägerin für die Fahrten zum Wochenendhaus und retour sowie für die notwendigen Einkaufsfahrten sei ein mit der Körperverletzung verbundener Folgeschaden, hält sich somit im Rahmen höchstgerichtlicher Judikatur.
Aber auch bei der Beurteilung der Frage, ob dieser Schaden noch als adäquate Folge des schädigenden Ereignisses vom 6. 6. 1998 anzusehen ist, stehen die konkreten Umstände des Einzelfalles im Vordergrund, weshalb auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RIS-Justiz RS0110361). Eine solche wird auch dadurch nicht begründet, dass ein völlig gleich gelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (RIS-Justiz RS0107773). Die Theorie des adäquaten Kausalzusammenhanges ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seit langem anerkannt. Danach besteht eine Haftung für alle Folgen eines schuldhaften und schädigenden Verhaltens, mit denen abstrakt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gerechnet werden muss, nicht aber für einen atypischen Erfolg. Die Adäquität fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen Bedingung für den Schaden war (SZ 54/108; SZ 2002/4; 2 Ob 294/04f mwN; 2 Ob 15/05b; RIS-Justiz RS0098939). Erscheint demnach die Ursache eines Schadens ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung des eingetretenen Erfolges nicht als völlig ungeeignet und war die Verhaltensweise unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Handlung dem Verantwortlichen oder einem durchschnittlichen Menschen bekannten oder erkennbaren Umstände geeignet, eine Schadensfolge von der Art des eingetretenen Schadens in nicht ganz unerheblichem Grad zu begünstigen, dann wurde der Schaden adäquat herbeigeführt (SZ 68/191 mwN; 1 Ob 253/01i; RIS-Justiz RS0022914).
Die für die Klägerin nunmehr bestehende Notwendigkeit, sich statt des eigenen Pkws anderer Verkehrsmittel bedienen und den damit allenfalls verbundenen Kostenmehraufwand tragen zu müssen, kann weder als völlig unwahrscheinliche noch als atypische Folge des Unfalles vom 6. 6. 1998 angesehen werden. Die (zumindest implizite) Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges durch das Berufungsgericht stellt daher keine gravierende Fehlbeurteilung dar. Zu demselben Ergebnis käme man, wenn man im Sinne der Entscheidung SZ 70/113 die Frage der Haftung der beklagten Partei nicht aufgrund der adäquaten Kausalität des tatsächlichen Geschehensablaufs, sondern - in Form eines beweglichen Systems (RIS-Justiz RS0107781) - nach der Normadäquanz beurteilt, weil auch dann die Umstände des Einzelfalls im Vordergrund stehen, der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes daher keine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukommt (2 Ob 162/98g; RIS-Justiz RS0110361) und die Rekurswerberin eine dem Berufungsgericht nach den insoweit relevanten Kriterien unterlaufene krasse Fehlbeurteilung nicht aufzuzeigen vermag.
Zur Rekursbeantwortung ist zu bemerken, dass der den Gegenstand des Rekursverfahrens bildende Schadenersatzanspruch der Klägerin nicht auf die Abgeltung des „entgangenen Gebrauchs" des Wochenendhauses gerichtet ist.
Soweit das Berufungsgericht eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage durch Verfahrensergänzung für nötig erachtet hat, kann dem der Oberste Gerichtshof, der selbst nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179, RS0113643).
Da es der Lösung von erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, war der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E77809European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0020OB00047.05H.0614.000Im RIS seit
14.07.2005Zuletzt aktualisiert am
23.02.2011