TE OGH 2005/7/6 Bsw65731/01 (Bsw65900/01)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2005
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Stec u.a. gegen das Vereinigte Königreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 6.7.2005, Bsw. 65731/01 und Bsw. 65900/01.

Spruch

Art. 14 EMRK, Art. 1 1. ZP EMRK - Anwendbarkeit von Art. 1 1. Prot. EMRK auf Sozialleistungen.Artikel 14, EMRK, Artikel eins, 1. ZP EMRK - Anwendbarkeit von Artikel eins, 1. Prot. EMRK auf Sozialleistungen.

Keine Wiedereintragung der Beschwerde der Bf. Hepple in das Register (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 14 EMRK iVm. Art. 1 1. ZP EMRK (mehrheitlich).Zulässigkeit der Beschwerde unter Artikel 14, EMRK in Verbindung mit Artikel eins, 1. ZP EMRK (mehrheitlich).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die vorliegenden Beschwerden betrafen ursprünglich fünf Bf. und wurden unter dem Namen Hepple u.a./GB registriert. Frau Hepple wurde am 9.3.2005 aus der Liste gestrichen, nachdem sie erklärt hatte, ihre Beschwerde nicht weiter aufrechterhalten zu wollen. Mit Schreiben vom 13.4.2005 teilte sie dem GH mit, dass sie ihre Meinung geändert hätte und ihre Beschwerde nun wieder aufnehmen wolle.

Bei den Bf. handelt es sich um drei Frauen und zwei Männer. Sie erhielten nach Arbeitsunfällen bzw. berufsbedingten Krankheiten, die zum Verlust ihrer Arbeitsfähigkeit führten, eine Beihilfe wegen verminderten Einkommens (Reduced Earnings Allowance – REA (Anm.: Es handelt sich dabei um eine wöchentliche Geldleistung, die bezweckt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugleichen. Die Gewährung von REA ist nicht von der Entrichtung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen abhängig.)). Nachdem die Bf. das gesetzliche Rentenalter (60 Jahre bei Frauen bzw. 65 Jahre bei Männern) erreicht hatten, erhielten sie gemäß den neu eingeführten Bestimmungen des Social Security Contributions and Benefits Act 1992 (Anm.: Bis 1986 wurde die REA auch dann weiter gewährt, wenn der Empfänger das Rentenalter erreicht hatte und Altersrente erhielt, sodass er gleichzeitig beide Leistungen ungekürzt bezog. Es folgten mehrere Gesetzesänderungen mit dem Ziel, die Anzahl von in nicht mehr arbeitsfähigem Alter befindlichen Empfänger von REA zu verringern bzw. sie von deren Bezug generell auszuschließen. Die dabei gewählte Methode bestand darin, die REA nur unter eingeschränkten Bedingungen oder sie überhaupt nicht mehr auszuzahlen, wobei man sich an das bis 1996 gültige gesetzliche Pensionsschema anlehnte, das ein unterschiedliches Pensionsalter für Frauen und Männer vorsah. Für die Zeit danach war beabsichtigt, im Wege einer Einschleifregelung bis zum Jahr 2020 ein einheitliches Pensionsalter für Männer und Frauen (65 Jahre) zu schaffen.) die REA nur mehr zu einem feststehenden Fixbetrag bis an ihr Lebensende (Anm.: Für diejenigen Personen, die zum Stichtag 10.4.1989 das 70 (65.) bzw. das 65. (60.) Lebensjahr vollendet hatten.) bzw. anstelle der REA eine Rentenbeihilfe (Anm.:Bei den Bf. handelt es sich um drei Frauen und zwei Männer. Sie erhielten nach Arbeitsunfällen bzw. berufsbedingten Krankheiten, die zum Verlust ihrer Arbeitsfähigkeit führten, eine Beihilfe wegen verminderten Einkommens (Reduced Earnings Allowance – REA Anmerkung, Es handelt sich dabei um eine wöchentliche Geldleistung, die bezweckt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugleichen. Die Gewährung von REA ist nicht von der Entrichtung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen abhängig.)). Nachdem die Bf. das gesetzliche Rentenalter (60 Jahre bei Frauen bzw. 65 Jahre bei Männern) erreicht hatten, erhielten sie gemäß den neu eingeführten Bestimmungen des Social Security Contributions and Benefits Act 1992 Anmerkung, Bis 1986 wurde die REA auch dann weiter gewährt, wenn der Empfänger das Rentenalter erreicht hatte und Altersrente erhielt, sodass er gleichzeitig beide Leistungen ungekürzt bezog. Es folgten mehrere Gesetzesänderungen mit dem Ziel, die Anzahl von in nicht mehr arbeitsfähigem Alter befindlichen Empfänger von REA zu verringern bzw. sie von deren Bezug generell auszuschließen. Die dabei gewählte Methode bestand darin, die REA nur unter eingeschränkten Bedingungen oder sie überhaupt nicht mehr auszuzahlen, wobei man sich an das bis 1996 gültige gesetzliche Pensionsschema anlehnte, das ein unterschiedliches Pensionsalter für Frauen und Männer vorsah. Für die Zeit danach war beabsichtigt, im Wege einer Einschleifregelung bis zum Jahr 2020 ein einheitliches Pensionsalter für Männer und Frauen (65 Jahre) zu schaffen.) die REA nur mehr zu einem feststehenden Fixbetrag bis an ihr Lebensende Anmerkung, Für diejenigen Personen, die zum Stichtag 10.4.1989 das 70 (65.) bzw. das 65. (60.) Lebensjahr vollendet hatten.) bzw. anstelle der REA eine Rentenbeihilfe (Anm.:

Diese Beihilfe entspricht 25% der REA, auf die der Berechtigte zuletzt Anspruch hatte.) (Retirement Allowance – RA). Die Bf. erhoben darauf erfolglos Beschwerde an die lokale Schiedsstelle ihrer Sozialversicherung und brachten vor, eine Person des anderen Geschlechts, die sich in einer vergleichbaren Lage befinde, würde REA in unveränderter Form oder in Gestalt eines fixen Betrages erhalten. Sie wandten sich an den Social Security Commissioner, der das Verfahren aussetzte und dem EuGH drei Fragen nach der Auslegung des Art. 7 Abs. 1 lit. a der RL 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (Anm.: Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere bei der Berechnung der Sozialleistungen. Eine Diskriminierung ist gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a nur dann gerechtfertigt, wenn die Mitgliedstaaten ihre Befugnis wahrgenommen haben, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.) zur Vorabentscheidung vorlegte. In seinem Urteil vom 23.5.2000, Rs. C-196/98, hielt der EuGH fest, Hauptziel der Gesetzesänderungen sei es gewesen, Personen, die nicht mehr im arbeitsfähigen Alter seien, von der REA auszuschließen. Dies sei durch einschränkende Voraussetzungen geschehen, die auf das gesetzliche Rentenalter gestützt wurden. Aufgrund dieser Gesetzesänderungen bestehe somit eine Kohärenz zwischen der REA, welche die Verringerung der beruflichen Einkünfte ausgleichen solle, und der Altersrente. Dem stehe nicht entgegen, dass für Berechtigte, die das Rentenalter erreicht hätten und nicht mehr arbeiten würden, an die Stelle der REA die RA trete. Letztere bezwecke nämlich, die Verringerung der Rentenansprüche auszugleichen, die sich aus dem geringeren Einkommen aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ergäbe. Die vorliegende Diskriminierung hänge somit objektiv und notwendig mit dem für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalter zusammen.Diese Beihilfe entspricht 25% der REA, auf die der Berechtigte zuletzt Anspruch hatte.) (Retirement Allowance – RA). Die Bf. erhoben darauf erfolglos Beschwerde an die lokale Schiedsstelle ihrer Sozialversicherung und brachten vor, eine Person des anderen Geschlechts, die sich in einer vergleichbaren Lage befinde, würde REA in unveränderter Form oder in Gestalt eines fixen Betrages erhalten. Sie wandten sich an den Social Security Commissioner, der das Verfahren aussetzte und dem EuGH drei Fragen nach der Auslegung des Artikel 7, Absatz eins, Litera a, der RL 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit Anmerkung, Artikel 4, Absatz eins, der Richtlinie verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere bei der Berechnung der Sozialleistungen. Eine Diskriminierung ist gemäß Artikel 7, Absatz eins, Litera a, nur dann gerechtfertigt, wenn die Mitgliedstaaten ihre Befugnis wahrgenommen haben, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.) zur Vorabentscheidung vorlegte. In seinem Urteil vom 23.5.2000, Rs. C-196/98, hielt der EuGH fest, Hauptziel der Gesetzesänderungen sei es gewesen, Personen, die nicht mehr im arbeitsfähigen Alter seien, von der REA auszuschließen. Dies sei durch einschränkende Voraussetzungen geschehen, die auf das gesetzliche Rentenalter gestützt wurden. Aufgrund dieser Gesetzesänderungen bestehe somit eine Kohärenz zwischen der REA, welche die Verringerung der beruflichen Einkünfte ausgleichen solle, und der Altersrente. Dem stehe nicht entgegen, dass für Berechtigte, die das Rentenalter erreicht hätten und nicht mehr arbeiten würden, an die Stelle der REA die RA trete. Letztere bezwecke nämlich, die Verringerung der Rentenansprüche auszugleichen, die sich aus dem geringeren Einkommen aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ergäbe. Die vorliegende Diskriminierung hänge somit objektiv und notwendig mit dem für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalter zusammen.

Der EuGH kam daher zu dem Ergebnis, dass die Ausnahme in Art. 7 Abs. 1 lit. a der RL 79/7/EWG auf eine nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht eingeführte Leistung wie die REA anwendbar sei, für die eine für Männer und Frauen unterschiedliche Altersgrenze gelte.Der EuGH kam daher zu dem Ergebnis, dass die Ausnahme in Artikel 7, Absatz eins, Litera a, der RL 79/7/EWG auf eine nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht eingeführte Leistung wie die REA anwendbar sei, für die eine für Männer und Frauen unterschiedliche Altersgrenze gelte.

Infolge des EuGH-Urteils wurde der Fall der Bf. von der Liste der anhängigen Fälle gestrichen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten, die Anwendung der REA bzw. RA auf ihre Person stelle eine Art. 14 EMRK widersprechende diskriminierende Behandlung aufgrund des Geschlechts sowie eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Eigentums gemäß Art. 1 1. Prot. EMRK dar.Die Bf. behaupten, die Anwendung der REA bzw. RA auf ihre Person stelle eine Artikel 14, EMRK widersprechende diskriminierende Behandlung aufgrund des Geschlechts sowie eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Eigentums gemäß Artikel eins, 1. Prot. EMRK dar.

Streichung der Beschwerde von Frau Hepple:

Es bestehen keinerlei Anzeichen dafür, dass Frau Hepple nicht freiwillig von der Fortsetzung der Beschwerde Abstand genommen hätte. Angesichts dieser Umstände und der Tatsache, dass die von ihr aufgeworfenen Fragen nach der EMRK auch Inhalt der übrigen Beschwerden sind, sieht der GH keinen Anlass, die Wiedereintragung der Beschwerde in das Register zu beschließen (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot.Es bestehen keinerlei Anzeichen dafür, dass Frau Hepple nicht freiwillig von der Fortsetzung der Beschwerde Abstand genommen hätte. Angesichts dieser Umstände und der Tatsache, dass die von ihr aufgeworfenen Fragen nach der EMRK auch Inhalt der übrigen Beschwerden sind, sieht der GH keinen Anlass, die Wiedereintragung der Beschwerde in das Register zu beschließen (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Artikel 14, EMRK in Verbindung mit Artikel eins, 1. Prot.

EMRK:

1. Zur Anwendbarkeit von Art. 1 1. Prot. EMRK:1. Zur Anwendbarkeit von Artikel eins, 1. Prot. EMRK:

Die Regierung bringt vor, es handle sich bei der REA bzw. der RA um beitragsunabhängige Leistungen, die vom Anwendungsbereich des Art. 1Die Regierung bringt vor, es handle sich bei der REA bzw. der RA um beitragsunabhängige Leistungen, die vom Anwendungsbereich des Artikel eins,

1. Prot. EMRK ausgenommen seien. Würde man beitragsunabhängige Leistungen als Eigentum iSd. Art. 1 1. Prot. EMRK ansehen, würde dies nicht nur Ziel und Zweck der Europäischen Sozialcharta, sondern auch der Rechtsprechung des GH zu dieser Thematik zuwiderlaufen. So habe dieser etwa im Fall Gaygusuz/A festgestellt, dass der Anspruch des Bf. auf Notstandshilfe ein vermögenswertes Recht sei, weil die Gewährung von Notstandshilfe Beitragszahlungen an den Arbeitslosenversicherungsfonds voraussetze.1. Prot. EMRK ausgenommen seien. Würde man beitragsunabhängige Leistungen als Eigentum iSd. Artikel eins, 1. Prot. EMRK ansehen, würde dies nicht nur Ziel und Zweck der Europäischen Sozialcharta, sondern auch der Rechtsprechung des GH zu dieser Thematik zuwiderlaufen. So habe dieser etwa im Fall Gaygusuz/A festgestellt, dass der Anspruch des Bf. auf Notstandshilfe ein vermögenswertes Recht sei, weil die Gewährung von Notstandshilfe Beitragszahlungen an den Arbeitslosenversicherungsfonds voraussetze.

Die Bf. wenden ein, genau genommen sei der GH in besagtem Urteil davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Notstandshilfe als Eigentum iSd. Art. 1 1. Prot. EMRK anzusehen sei, ohne eine Klärung der Frage für erforderlich zu halten, ob die Gewährung von Notstandshilfe auf Beitragszahlungen beruhe oder nicht. Eine derartige Unterscheidung wäre willkürlich bzw. unvereinbar mit den Zielen einer sensiblen Sozialpolitik.Die Bf. wenden ein, genau genommen sei der GH in besagtem Urteil davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Notstandshilfe als Eigentum iSd. Artikel eins, 1. Prot. EMRK anzusehen sei, ohne eine Klärung der Frage für erforderlich zu halten, ob die Gewährung von Notstandshilfe auf Beitragszahlungen beruhe oder nicht. Eine derartige Unterscheidung wäre willkürlich bzw. unvereinbar mit den Zielen einer sensiblen Sozialpolitik.

Der GH hält fest, dass die REA und die RA beitragsunabhängige Leistungen in dem Sinne sind, dass sie seit 1990 durch allgemeine Steuern und nicht durch Zahlungen an einen Sozialversicherungsfonds finanziert werden.

Die Standpunkte der Parteien sind kontroversiell, was die Frage anlangt, ob die Zahlung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen durch Herrn Gaygusuz entscheidend für die Schlussfolgerung des GH war, Art. 1 1. Prot. EMRK sei anwendbar.Die Standpunkte der Parteien sind kontroversiell, was die Frage anlangt, ob die Zahlung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen durch Herrn Gaygusuz entscheidend für die Schlussfolgerung des GH war, Artikel eins, 1. Prot. EMRK sei anwendbar.

Der GH räumt ein, dass das Gaygusuz-Urteil in diesem essentiellen Punkt zweideutig ist. Dies drückt sich auch in den zwei nachfolgenden unterschiedlichen Judikaturlinien der Konventionsorgane aus: Die EKMR – und in einigen Fällen der GH – gingen weiterhin davon aus, dass eine Sozialleistung oder eine Pension nur dann von Art. 1 1. Prot. EMRK erfasst sei, wenn entsprechende Beiträge in einen Finanzierungsfonds einbezahlt würden. In anderen Fällen wie etwa im Urteil Koua Poirrez/F hielt der GH fest, dass auch eine nicht aus Beiträgen gespeiste Sozialleistung Eigentum iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK darstelle.Der GH räumt ein, dass das Gaygusuz-Urteil in diesem essentiellen Punkt zweideutig ist. Dies drückt sich auch in den zwei nachfolgenden unterschiedlichen Judikaturlinien der Konventionsorgane aus: Die EKMR – und in einigen Fällen der GH – gingen weiterhin davon aus, dass eine Sozialleistung oder eine Pension nur dann von Artikel eins, 1. Prot. EMRK erfasst sei, wenn entsprechende Beiträge in einen Finanzierungsfonds einbezahlt würden. In anderen Fällen wie etwa im Urteil Koua Poirrez/F hielt der GH fest, dass auch eine nicht aus Beiträgen gespeiste Sozialleistung Eigentum iSv. Artikel eins, 1. Prot. EMRK darstelle.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der GH im Fall Feldbrugge/NL in der Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK ursprünglich davon ausgegangen ist, dass lediglich Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung (wegen ihrer Ähnlichkeit zu privaten Krankenversicherungssystemen) ausreichende persönliche und wirtschaftliche Komponenten aufwiesen, um Gegenstand eines Streits über „zivilrechtliche Ansprüche" zu sein. Im Fall Salesi/I erachtete er Art. 6 Abs. 1 EMRK hingegen auch hinsichtlich eines Streits über die Berechtigung zum Empfang von beitrags­unabhängiger Behindertenbeihilfe für anwendbar, da die damalige Bf. einen vertretbaren Anspruch persönlicher und wirtschaftlicher Natur auf Bezug einer Sozialleistung hatte. In seinem Urteil im Fall Schuler-Zgraggen/CH stellte der GH schließlich fest, dass der Verlauf der rechtlichen Entwicklung und der Grundsatz der Gleichbehandlung die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, einschließlich der Leistungen der öffentlichen Fürsorge, notwendig mache. Es ist daher im Interesse der Einheitlichkeit der Konvention als Ganzes, wenn das autonome Konzept des Eigentums in Art. 1 1. Prot. EMRK in einer mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbaren Weise ausgelegt wird. Viele der Konventionsstaaten sehen ein breites Spektrum an Sozialleistungen vor, auf die ein Rechtsanspruch besteht und die in unterschiedlicher Weise finanziert werden, nämlich durch Zahlung von Beiträgen an einen bestimmten Fonds oder etwa im Wege der allgemeinen Besteuerung, wie dies bei der REA und der RA der Fall ist. Es erscheint daher künstlich, lediglich Sozialleistungen, die durch die Zahlung von Beiträgen an einen bestimmten Fonds finanziert werden, als vom Anwendungsbereich des Art. 1 1. Prot. EMRK erfasst zu sehen. Was schließlich die Bedenken der Regierung hinsichtlich der Europäischen Sozialcharta anlangt, werden deren Bestimmungen nicht dadurch gegenstandslos, dass auch beitragsunabhängige Leistungen vom Geltungsbereich des Art. 1 1. Prot. EMRK erfasst werden. Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass die in der Konvention verankerten zivilen und politischen Rechte auch Implikationen sozialer und wirtschaftlicher Natur haben. Die bloße Tatsache, dass die Konvention sich auch auf den Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Rechte erstrecken könnte, spricht nicht gegen eine solche Auslegung. Der GH sieht daher für eine Unterscheidung zwischen beitragsabhängigen und beitragsunabhängigen Sozialleistungen keinerlei Rechtfertigung mehr.Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der GH im Fall Feldbrugge/NL in der Frage der Anwendbarkeit von Artikel 6, Absatz eins, EMRK ursprünglich davon ausgegangen ist, dass lediglich Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung (wegen ihrer Ähnlichkeit zu privaten Krankenversicherungssystemen) ausreichende persönliche und wirtschaftliche Komponenten aufwiesen, um Gegenstand eines Streits über „zivilrechtliche Ansprüche" zu sein. Im Fall Salesi/I erachtete er Artikel 6, Absatz eins, EMRK hingegen auch hinsichtlich eines Streits über die Berechtigung zum Empfang von beitrags­unabhängiger Behindertenbeihilfe für anwendbar, da die damalige Bf. einen vertretbaren Anspruch persönlicher und wirtschaftlicher Natur auf Bezug einer Sozialleistung hatte. In seinem Urteil im Fall Schuler-Zgraggen/CH stellte der GH schließlich fest, dass der Verlauf der rechtlichen Entwicklung und der Grundsatz der Gleichbehandlung die Anwendbarkeit von Artikel 6, Absatz eins, EMRK im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, einschließlich der Leistungen der öffentlichen Fürsorge, notwendig mache. Es ist daher im Interesse der Einheitlichkeit der Konvention als Ganzes, wenn das autonome Konzept des Eigentums in Artikel eins, 1. Prot. EMRK in einer mit Artikel 6, Absatz eins, EMRK vereinbaren Weise ausgelegt wird. Viele der Konventionsstaaten sehen ein breites Spektrum an Sozialleistungen vor, auf die ein Rechtsanspruch besteht und die in unterschiedlicher Weise finanziert werden, nämlich durch Zahlung von Beiträgen an einen bestimmten Fonds oder etwa im Wege der allgemeinen Besteuerung, wie dies bei der REA und der RA der Fall ist. Es erscheint daher künstlich, lediglich Sozialleistungen, die durch die Zahlung von Beiträgen an einen bestimmten Fonds finanziert werden, als vom Anwendungsbereich des Artikel eins, 1. Prot. EMRK erfasst zu sehen. Was schließlich die Bedenken der Regierung hinsichtlich der Europäischen Sozialcharta anlangt, werden deren Bestimmungen nicht dadurch gegenstandslos, dass auch beitragsunabhängige Leistungen vom Geltungsbereich des Artikel eins, 1. Prot. EMRK erfasst werden. Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass die in der Konvention verankerten zivilen und politischen Rechte auch Implikationen sozialer und wirtschaftlicher Natur haben. Die bloße Tatsache, dass die Konvention sich auch auf den Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Rechte erstrecken könnte, spricht nicht gegen eine solche Auslegung. Der GH sieht daher für eine Unterscheidung zwischen beitragsabhängigen und beitragsunabhängigen Sozialleistungen keinerlei Rechtfertigung mehr.

Der GH kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Beschwerden der Bf. in den Anwendungsbereich von Art. 1 1. Prot. EMRK fallen. Diese Feststellung reicht aus, um auch Art. 14 EMRK für anwendbar zu erklären.Der GH kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Beschwerden der Bf. in den Anwendungsbereich von Artikel eins, 1. Prot. EMRK fallen. Diese Feststellung reicht aus, um auch Artikel 14, EMRK für anwendbar zu erklären.

2. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Die Regierung bringt vor, die Vorgangsweise, das Alterskriterium für den Bezug von REA und RA mit dem gesetzlichen Pensionsalter zu verknüpfen, sei objektiv gerechtfertigt gewesen. Die REA sei eine Beihilfe, die Personen für den Verdienstentfall entschädigen sollte, den sie aufgrund eines Arbeitsunfalles erlitten hätten. Die vom Parlament beschlossene Regelung, wonach die Auszahlung dieser Geldleistung mit Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters einzustellen sei, stelle sicher, dass eine Person, ob männlich oder weiblich, nicht gleichzeitig eine gesetzliche Pension und eine Zuwendung wegen verringerten Einkommens erhalte. Die Anlehnung von Sozialleistungen an das gesetzliche Pensionsalter sei angesichts des Art. 7 der RL 79/7/EWG sachlich gerechtfertigt, was auch durch das Urteil des EuGH bestätigt worden sei. Sollte der GH eine Verletzung der Konvention feststellen, würde dies beträchtliche Konfusion hervorrufen und könnte die Effektivität des Gemeinschaftsrechts untergraben.Die Regierung bringt vor, die Vorgangsweise, das Alterskriterium für den Bezug von REA und RA mit dem gesetzlichen Pensionsalter zu verknüpfen, sei objektiv gerechtfertigt gewesen. Die REA sei eine Beihilfe, die Personen für den Verdienstentfall entschädigen sollte, den sie aufgrund eines Arbeitsunfalles erlitten hätten. Die vom Parlament beschlossene Regelung, wonach die Auszahlung dieser Geldleistung mit Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters einzustellen sei, stelle sicher, dass eine Person, ob männlich oder weiblich, nicht gleichzeitig eine gesetzliche Pension und eine Zuwendung wegen verringerten Einkommens erhalte. Die Anlehnung von Sozialleistungen an das gesetzliche Pensionsalter sei angesichts des Artikel 7, der RL 79/7/EWG sachlich gerechtfertigt, was auch durch das Urteil des EuGH bestätigt worden sei. Sollte der GH eine Verletzung der Konvention feststellen, würde dies beträchtliche Konfusion hervorrufen und könnte die Effektivität des Gemeinschaftsrechts untergraben.

Im Übrigen seien drei der Bf. – Herr Lunn, Frau Spencer und Herr Kimber – aufgrund eigener Versäumnisse nicht direkt von der gerügten unterschiedlichen Behandlung betroffen. Herr Lunn habe die Möglichkeit gehabt, seine Pension mit Erreichen des 65. Lebensjahres anzutreten, wartete aber damit zu, bis er ab seinem 70. Geburtstag automatisch die gesetzliche Alterspension erhielt. Bei Frau Spencer habe es sich genau umgekehrt verhalten. Was Herrn Kimber anlange, wäre eine Frau mit dem selben Geburtsdatum nur dann zum Bezug einer Übergangsrate von REA berechtigt gewesen, wenn sie ihre Absicht, in Pension zu gehen, zwischen dem 30.9.1984 (ihrem 60. Geburtstag) und dem 9.4.1989 (dem Stichtag für die Übergangsregelung) bekannt gegeben hätte. Da Herr Kimber seinen Wunsch, in Pension zu gehen, nicht angekündigt hätte, sei er von der behaupteten Diskriminierung nicht direkt betroffen, da eine Frau bei gleicher Sachlage auch keinen Anspruch auf eine Übergangsrate von REA hätte.

Der GH ist der Ansicht, dass der Einwand der Regierung hinsichtlich der mangelnden direkten Betroffenheit der Bf. Lunn, Spencer und Kimber eng mit ihrem Beschwerdevorbringen nach Art. 14 EMRK verknüpft ist und daher im Rahmen der meritorischen Erledigung der Beschwerde geprüft werden soll, die hiermit für zulässig erklärt wird (mehrheitlich).Der GH ist der Ansicht, dass der Einwand der Regierung hinsichtlich der mangelnden direkten Betroffenheit der Bf. Lunn, Spencer und Kimber eng mit ihrem Beschwerdevorbringen nach Artikel 14, EMRK verknüpft ist und daher im Rahmen der meritorischen Erledigung der Beschwerde geprüft werden soll, die hiermit für zulässig erklärt wird (mehrheitlich).

Vom GH zitierte Judikatur:

Feldbrugge/NL v. 29.5.1986, A/99, EuGRZ 1988, 14.

Salesi/I v. 23.2.1993, A/257-A, ÖJZ 1993, 669.

Schuler-Zgraggen/CH v. 24.6.1993, A/263, NL 1993/4, 30; EuGRZ 1996,

604; ÖJZ 1994, 138.

Gaygusuz/A v. 16.9.1996, NL 1996, 135.

Koua Poirrez/F v. 30.9.2003, NL 2003, 257.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 6.7.2005, Bsw. 65731/01 und Bsw. 65900/01, entstammt der Zeitschrift „Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 223) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/05_5/Stec.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00589 Bsw65731.01-ZE

Dokumentnummer

JJT_20050706_AUSL000_000BSW65731_0100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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