Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut M*****, vertreten durch Avia Law Group, Wolczik Knotek Winalek Wutte-Lang, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz-Strebl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 6.000,-- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 19. Mai 2005, GZ 18 R 31/05w-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 25. November 2004, GZ 7 C 906/04g-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger hatte bei der beklagten Versicherung eine Kollisionskasko-Versicherung hinsichtlich eines Wohnwagenanhängers abgeschlossen, der bei einem Verkehrsunfall in Spanien erheblich beschädigt wurde (wirtschaftlicher Totalschaden). Auf Grund eines von der beklagten Partei eingeholten Sachverständigengutachtens wurde dem Kläger von der beklagten Partei ein Entschädigungsbetrag von EUR 13.775,-- überwiesen, der jedoch vom Kläger als ungenügend erachtet wird.
Nach Art 11 Z 1 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kollisionskasko-Versicherung (KK 2002) „kann jeder Vertragspartner verlangen, dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens oder über den Umfang der erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten ein Sachverständigenausschuss entscheidet." Ein solches Sachverständigenverfahren fand nicht statt.Nach Artikel 11, Ziffer eins, der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kollisionskasko-Versicherung (KK 2002) „kann jeder Vertragspartner verlangen, dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens oder über den Umfang der erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten ein Sachverständigenausschuss entscheidet." Ein solches Sachverständigenverfahren fand nicht statt.
Mit der am 9. 8. 2004 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung von weiteren EUR 6.000,-- samt 4 % Zinsen seit 19. 4. 2004.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach (wobei die zunächst auch erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit später zurückgezogen wurde). Mangels Durchführung eines Sachverständigenverfahrens sei die Klageforderung nicht fällig.
Der Kläger replizierte hiezu, dass es sich bei der wiedergegebenen AVB-Klausel um eine bloß fakultative Kann-Bestimmung handle, sodass der Einwand mangelnder Fälligkeit fehlgehe; außerdem wohne jedem Leistungsbegehren auch ein Feststellungsbegehren inne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Art 11 der KK 2002 sehe ein dem gerichtlichen Verfahren vorgelagertes Sachverständigenverfahren vor, wenn die Schadenshöhe strittig sei; dies gelte auch, wenn bloß mehr ein Teil des Anspruches bestritten werde. Das als Leistungsbegehren formulierte Klagebegehren, das kein Feststellungsbegehren darstelle und auch nicht beinhalte, sei daher mangels Fälligkeit des Leistungsanspruches abzuweisen.Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Artikel 11, der KK 2002 sehe ein dem gerichtlichen Verfahren vorgelagertes Sachverständigenverfahren vor, wenn die Schadenshöhe strittig sei; dies gelte auch, wenn bloß mehr ein Teil des Anspruches bestritten werde. Das als Leistungsbegehren formulierte Klagebegehren, das kein Feststellungsbegehren darstelle und auch nicht beinhalte, sei daher mangels Fälligkeit des Leistungsanspruches abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Die beklagte Partei habe (auch nicht schlüssig) auf die Durchführung des Sachverständigenverfahrens nicht verzichtet, sondern vielmehr schon im Einspruch gegen den Zahlungsbefehl hierauf hingewiesen.
Die Revision wurde für zulässig erklärt, weil „zur Frage, ob im Einwand der mangelnden Fälligkeit mangels Sachverständigenverfahrens nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kollisionskasko-Versicherung die (unbefristete) Forderung nach Durchführung eines solchen Verfahrens zu sehen ist, soweit ersichtlich eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt. Hinzuweisen ist auf die Entscheidung 7 Ob 56/02i, der ein anderer Sachverhalt zugrundelag, weil dort die beklagte Versicherung das ihr nur innerhalb einer Frist von 6 Monaten zustehende Recht auf Anrufung des fakultativen Sachverständigenverfahrens innerhalb dieser Frist nicht wahrgenommen hatte. Im vorliegenden Fall besteht eine solche Frist nicht."
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels (wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage), in eventu diesem keine Folge zu geben beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zufolge verfehlter Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat sich mit Fragen der Auslegung und schlüssigen Verzichtannahme eines Versicherers auf ein im Rahmen der Versicherungsbedingungen fakultativ vereinbartes Sachverständigenverfahren bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen beschäftigt, sodass hiezu von einer gefestigten und einhelligen Judikatur ausgegangen werden kann (RIS-Justiz RS0081393; RS0081215; RS0082250; RS0038854; RS0080481). In der hiezu zuletzt ergangenen Entscheidung 7 Ob 15/05i ging es um die dem hier vereinbarten Art 11 KK 2002 inhaltsgleiche Klausel des Art 11 ABS (Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung), wonach „jeder Vertragspartner verlangen kann, dass Ursache und Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt werden ... ." Hiezu führte der erkennende Senat darin näher aus:Der Oberste Gerichtshof hat sich mit Fragen der Auslegung und schlüssigen Verzichtannahme eines Versicherers auf ein im Rahmen der Versicherungsbedingungen fakultativ vereinbartes Sachverständigenverfahren bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen beschäftigt, sodass hiezu von einer gefestigten und einhelligen Judikatur ausgegangen werden kann (RIS-Justiz RS0081393; RS0081215; RS0082250; RS0038854; RS0080481). In der hiezu zuletzt ergangenen Entscheidung 7 Ob 15/05i ging es um die dem hier vereinbarten Artikel 11, KK 2002 inhaltsgleiche Klausel des Artikel 11, ABS (Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung), wonach „jeder Vertragspartner verlangen kann, dass Ursache und Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt werden ... ." Hiezu führte der erkennende Senat darin näher aus:
„Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Versicherungsnehmer dann, wenn der Versicherer ein Sachverständigenverfahren verlangt, mangels Fälligkeit der Entschädigung auf die Klage auf Feststellung der Deckungspflicht verwiesen ist und noch nicht Leistungsklage erheben kann (7 Ob 133/04s, 7 Ob 18/02a, 7 Ob 45/99i). Der Versicherer kann auf die Einrede des Sachverständigenverfahrens verzichten, indem er dieses (nur fakultativ vorgesehene) nicht verlangt (7 Ob 133/04s, 7 Ob 45/99i; RIS-Justiz RS0081393). Ein solcher Verzicht kann auch schlüssig erfolgen, wobei hier ein strenger Maßstab anzulegen ist (7 Ob 133/04s; RIS-Justiz RS0014570). Ein solcher Verzicht auf das fakultative Sachverständigenverfahren wurde auch immer dann angenommen, wenn der Versicherer die Versicherungsleistung endgültig ablehnt. In diesem Fall wird der Entschädigungsanspruch sofort fällig (7 Ob 18/02a, 7 Ob 45/99i; RIS-Justiz RS0080481). ..."
Daran ist festzuhalten.
Nach den (weitestgehend außer Streit stehenden) Feststellungen der Vorinstanzen iVm den hiezu vorgelegten (vorprozessualen Korrespondenz-)Urkunden hat die beklagte Partei die Durchführung des bedingungsmäßig - wenngleich fakultativ - vorgesehenen Sachverständigenverfahrens nicht „verlangt", sondern mit Schreiben vom 19. 7. 2004 „nach Rücksprache mit unseren Sachverständigen" ihren (niedriger als der Kläger verlangte liquidierten) Wiederbeschaffungswert als „in Ordnung" befunden und bestätigt, weiters auf der bereits übermittelten eigenen Totalschadensabrechnung beharrt (Beilage 1). Vom Empfängerhorizont des Klägers (bzw seines bereits damals eingeschalteten rechtsanwaltlichen Vertreters) war diese Erklärung so aufzufassen, dass sie kein Sachverständigenverfahren begehre, sondern vielmehr einer Klageführung entgegensehe. Dass es sich dabei nur um eine Leistungsklage handeln werde (und könne), musste im Kontext des vorangegangenen Aufforderungsschreibens an die Versicherung durch den genannten Rechtsanwalt, in dem die Höhe des begehrten Betrages aufgeschlüsselt und ziffernmäßig präzisiert worden war, klar sein. Die beklagte Partei hat dem nur hinsichtlich der Höhe widersprochen, jedoch in keiner Weise darauf hingewiesen, dass sie sehr wohl die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens begehrt („verlangt"). Nach den Umständen des vorliegenden Falles konnte ihr Antwortschreiben nur so aufgefasst werden, dass (auch) die Beklagte der Ansicht ist, dass kein Antrag auf Einleitung eines Sachverständigenverfahrens von ihr gestellt werde, hätte sie doch ansonsten darauf verweisen müssen. Hat aber der Versicherer (uU auch bloß) schlüssig auf die Durchführung des Sachverständigenverfahrens verzichtet, so kann er im Verfahren nicht mehr die Einrede der mangelnden Fälligkeit deshalb, weil kein solches durchgeführt wurde, erheben (RIS-Justiz RS0080481; 7 Ob 15/05i).Nach den (weitestgehend außer Streit stehenden) Feststellungen der Vorinstanzen in Verbindung mit den hiezu vorgelegten (vorprozessualen Korrespondenz-)Urkunden hat die beklagte Partei die Durchführung des bedingungsmäßig - wenngleich fakultativ - vorgesehenen Sachverständigenverfahrens nicht „verlangt", sondern mit Schreiben vom 19. 7. 2004 „nach Rücksprache mit unseren Sachverständigen" ihren (niedriger als der Kläger verlangte liquidierten) Wiederbeschaffungswert als „in Ordnung" befunden und bestätigt, weiters auf der bereits übermittelten eigenen Totalschadensabrechnung beharrt (Beilage 1). Vom Empfängerhorizont des Klägers (bzw seines bereits damals eingeschalteten rechtsanwaltlichen Vertreters) war diese Erklärung so aufzufassen, dass sie kein Sachverständigenverfahren begehre, sondern vielmehr einer Klageführung entgegensehe. Dass es sich dabei nur um eine Leistungsklage handeln werde (und könne), musste im Kontext des vorangegangenen Aufforderungsschreibens an die Versicherung durch den genannten Rechtsanwalt, in dem die Höhe des begehrten Betrages aufgeschlüsselt und ziffernmäßig präzisiert worden war, klar sein. Die beklagte Partei hat dem nur hinsichtlich der Höhe widersprochen, jedoch in keiner Weise darauf hingewiesen, dass sie sehr wohl die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens begehrt („verlangt"). Nach den Umständen des vorliegenden Falles konnte ihr Antwortschreiben nur so aufgefasst werden, dass (auch) die Beklagte der Ansicht ist, dass kein Antrag auf Einleitung eines Sachverständigenverfahrens von ihr gestellt werde, hätte sie doch ansonsten darauf verweisen müssen. Hat aber der Versicherer (uU auch bloß) schlüssig auf die Durchführung des Sachverständigenverfahrens verzichtet, so kann er im Verfahren nicht mehr die Einrede der mangelnden Fälligkeit deshalb, weil kein solches durchgeführt wurde, erheben (RIS-Justiz RS0080481; 7 Ob 15/05i).
Damit war dem Rechtsmittel Folge zu geben. Da jedoch Feststellungen zur Höhe des Klagebegehrens - ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen - fehlen, musste die Rechtssache mangels Spruchreife zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen werden.
Der Kostenvorbehalt ist im § 52 Abs 1 ZPO begründet.Der Kostenvorbehalt ist im Paragraph 52, Absatz eins, ZPO begründet.
Textnummer
E78512European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0070OB00197.05D.0928.000Im RIS seit
28.10.2005Zuletzt aktualisiert am
16.12.2011