Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Scherz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Harald H*****, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in Micheldorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. September 2004, GZ 11 Rs 70/04z-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 2003, GZ 30 Cgs 199/02h-20, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am 9. 12. 1959 geborene Kläger hat den Beruf eines Tischlers erlernt und in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 42 Beitragsmonate als Tischler und 111 Beitragsmonate als Bodenleger erworben. Im Zeitraum 1988 bis September 1999, in dem der Kläger als angelernter Bodenleger beschäftigt war, hat er keine wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten aus dem Berufsbild eines Bodenlegers beherrscht, aber zu mehr als 20 % seiner Arbeitszeit Tätigkeiten verrichtet, die dem Berufsbild des Tischlers zuzuordnen sind (zB Zuschnittarbeiten, Oberflächenbearbeitung und Verbinden von Holz mit unterschiedlichen Materialien).
Im September 1999 erlitt der Kläger bei einem Motorradunfall schwere Verletzungen. Im Vordergrund stehen nun Funktionsminderungen des linken Ellbogengelenks, des linken Handgelenks und der linken Hand.
Aufgrund seines Gesundheitszustandes ist er nicht mehr in der Lage, als Tischler oder Bodenleger zu arbeiten. Er kann aber noch Bürotätigkeiten verrichten. Es ist ihm dabei auch möglich, Arbeiten an einem computerunterstützten Arbeitsplatz auszuüben, wenn der Computer nur zu gelegentlichen Eingaben und zu Abfragen von Daten verwendet wird. Die beim Kläger praktisch bestehende Einarmigkeit hindert ihn dabei nicht. Er könnte etwa im kaufmännischen Bereich Sachbearbeitertätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 (Angestellte, die selbständige Tätigkeiten ausführen) verrichten. Er ist auch in der Lage, im Rahmen der Büroinnendiensttätigkeit gelegentlich Parteien- oder Kundenverkehr zu bewältigen oder Telefonakquisition zu betreiben. Bundesweit existieren weit mehr als 100 freie oder besetzte Arbeitsstellen für diese Tätigkeit.
Mit Bescheid vom 17. 8. 2000 hat die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 4. 2000 bis 31. 3. 2001 anerkannt und ausgesprochen, dass aufgrund der Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation die Pension nicht anfallen kann. Für die Zeit vom 1. 4. 2000, dem Beginn der beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation, bis 15. 2. 2001 wurde der Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld anerkannt.
Im Rahmen der von der beklagten Partei angebotenen Umschulungsmaßnahmen absolvierte der Kläger in der Zeit vom 29. 1. bis 2. 2. 2001 eine „Einstiegswoche zur Berufstestung". Aufgrund des danach erstellten „Grob-Reha-Planes" wurde ihm eine vierwöchige Berufsfindung zur Abklärung der weiteren beruflichen Qualifizierung, der Lernfähigkeit sowie der Ausbildungseignung unter Berücksichtigung der behinderungsbedingten Einschränkungen angeboten. Er absolvierte diese Berufsfindung in der Zeit vom 5. 2. bis 15. 2. 2001. Der weitere „Reha-Plan" sah die Absolvierung einer „TOPP-Maßnahme" (= Training und Optimierung persönlicher Potentiale) im voraussichtlichen Förderzeitraum von acht Wochen vor.
Anlässlich einer Vorsprache bei der beklagten Partei am 20. 2. 2001 erklärte der Kläger, dass er sich nicht mehr in der Lage fühle, eine qualifizierte Umschulung zu absolvieren. Er wurde darüber belehrt, dass er beim Abbrechen der Umschulungsmaßnahmen keinen Anspruch mehr auf Invaliditätspension habe und „kein Geld" mehr bekommen würde. Aufgrund dieser Weigerung, weitere Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation durchzuführen, stellte die beklagte Partei die Zahlung des Übergangsgeldes mit 15. 2. 2001 ein.
Aufgrund seiner körperlichen, kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten ist der Kläger in der Lage, die ihm angebotene Umschulungsmaßnahme durchzuführen. Da der Kläger als Tischler und Bodenleger gearbeitet hat und damit von einem handwerklichen Grundberuf auszugehen ist, ergibt sich zusammen mit der vorgesehenen Umschulungsmaßnahme eine kaufmännische Zusatzqualifikation und damit eine Qualifikation, die am Arbeitsmarkt nachgefragt wird. Zu einer reinen Verkaufstätigkeit wäre der Kläger wegen seiner Persönlichkeit „nicht so gut" geeignet.
Mit Bescheid vom 15. 6. 2001 sprach die beklagte Partei aus, dass dem Kläger die bis 31. 3. 2001 befristet zuerkannte Invaliditätspension bis 31. 3. 2002 weitergewährt werde, nach Ablauf dieses Zeitraumes der Leistungsanspruch erlösche und aufgrund der Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation die Pension nicht anfallen könne.
Das Erstgericht wies die auf Auszahlung der für den Zeitraum 1. 4. 2001 bis 31. 3. 2002 zuerkannten, aber (nach Ansicht der beklagten Partei) nicht angefallenen Invaliditätspension gerichtete Klage ab. Dem Kläger sei eine Umschulung auf Sachbearbeitertätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 zumutbar. Da er jedoch die vorgesehenen Rehabilitationsmaßnahmen (Umschulung) ungerechtfertigterweise abgebrochen habe, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es den Inhalt des Bescheides vom 15. 6. 2001 in den Urteilsspruch aufnahm. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass dem Kläger eine Umschulung auf einen anderen - wenn auch neuen - Beruf von vornherein nicht zumutbar und daher jede weitere berufliche Rehabilitationsmaßnahme der beklagten Partei von vornherein als sinnlos anzusehen wäre. Gerade durch die Umschulung auf die Tätigkeit eines Sachbearbeiters im kaufmännischen Bereich, eingestuft in der Beschäftigungsgruppe 3, erhalte der Kläger, ausgehend von einem handwerklichen Grundberuf, eine kaufmännische Zusatzqualifikation und damit eine Qualifikation, die am Arbeitsmarkt nachgefragt werde. Da der Kläger bereits nach Abschluss der „Berufsfindung" - trotz ausdrücklicher Belehrung durch die beklagte Partei - ganz generell erklärt habe, keinesfalls mehr an weiteren beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken, sei es nicht mehr notwendig gewesen, dass die beklagte Partei dem Kläger konkrete für ihn in Betracht kommende Rehabilitationsberufe nenne. Eine Verletzung der Informations- und Beratungspflicht durch die beklagte Partei liege daher nicht vor, sodass auf die Frage, ob weitere berufliche Rehabilitationsmaßnahmen, etwa die von der beklagten Partei ins Auge gefassten qualifizierten Umschulungsmaßnahmen, dem Kläger zumutbar und unter Berücksichtigung der Chancen am Arbeitsmarkt auch sinnvoll gewesen wären, nicht weiter einzugehen sei.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen sekundärer Feststellungsmängel und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, da die Berufungsentscheidung nicht gänzlich in Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (10 ObS 49/00d = SSV-NF 14/44 = DRdA 2001, 53 [Naderhirn] = ZAS 2002, 19 [Karl]; 10 ObS 26/03a) steht; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Werden einem Versicherten zumutbare Rehabilitationsmaßnahmen gewährt, so fällt die Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 86 Abs 3 Z 2 letzter Satz ASVG erst dann an, wenn durch Rehabilitationsmaßnahmen die Wiedereingliederung des Versicherten in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann. Der Versicherte hat es allerdings nicht in der Hand, durch Vereitelung einer zumutbaren Rehabilitation seine Wiedereingliederung in das Berufsleben auszuschließen und damit den Anfall der Pension zu erreichen. Geht nämlich das Nichtbewirken der Wiedereingliederung darauf zurück, dass sich der Versicherte zumutbaren Rehabilitationsmaßnahmen entzieht, wird der Pensionsanfall nicht ausgelöst (10 ObS 203/01b = infas 2002, S 41 mwN; 10 ObS 26/03a = DRdA 2004, 469; RIS-Justiz RS0113671).Werden einem Versicherten zumutbare Rehabilitationsmaßnahmen gewährt, so fällt die Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Paragraph 86, Absatz 3, Ziffer 2, letzter Satz ASVG erst dann an, wenn durch Rehabilitationsmaßnahmen die Wiedereingliederung des Versicherten in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann. Der Versicherte hat es allerdings nicht in der Hand, durch Vereitelung einer zumutbaren Rehabilitation seine Wiedereingliederung in das Berufsleben auszuschließen und damit den Anfall der Pension zu erreichen. Geht nämlich das Nichtbewirken der Wiedereingliederung darauf zurück, dass sich der Versicherte zumutbaren Rehabilitationsmaßnahmen entzieht, wird der Pensionsanfall nicht ausgelöst (10 ObS 203/01b = infas 2002, S 41 mwN; 10 ObS 26/03a = DRdA 2004, 469; RIS-Justiz RS0113671).
Eine Einschränkung dahingehend, dass dem Versicherten im Rahmen der beruflichen Rehabilitation nur eine Berufsausübung im Rahmen des (bisherigen) Verweisungsfeldes ermöglicht werden soll, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Rehabilitation knüpft nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf an (10 ObS 26/03a = DRdA 2004, 469). Im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kann es somit grundsätzlich auch zu einer Umschulung eines überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten kommen (10 ObS 49/00d = SSV-NF 14/44 = DRdA 2001, 53 [Naderhirn] = ZAS 2002, 19 [Karl]; RIS-Justiz RS0113173 [T2], RS0113672).
Dem Revisionswerber ist aber zuzugestehen, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitation auch Arbeitsmarktprognosen zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt als Gegenstück zum Verlust des Berufsschutzes ist es im Fall von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation unerlässlich, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Versicherter nach erfolgreicher Rehabilitation in dem gemäß § 255 Abs 5 ASVG erweiterten Verweisungsfeld voraussichtlich einen Arbeitsplatz finden wird; Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen diese Aussicht nicht besteht, sind nicht zumutbar. Daher darf die durch eine erfolgreiche Rehabilitation zu erwartende Einsatzfähigkeit des Versicherten nicht rein abstrakt anhand des Vorhandenseins von mindestens hundert (freien oder besetzten) Arbeitsstellen im umgeschulten Beruf geprüft werden (Karl, ZAS 2002, 22 [25] in der zustimmenden Anmerkung zur Entscheidung 10 ObS 49/00d = SSV-NF 14/44). Andererseits darf aber das Arbeitsplatzrisiko des nicht mehr voll Arbeitsfähigen auch nicht zur Gänze auf die Pensionsversicherung verlagert werden. Jabornegg/Resch (Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 [73]) und Naderhirn (Zum Grundsatz: Rehabilitation vor Pension, DRdA 2001, 57 [59]) gehen überzeugend davon aus, dass eine realistische Chance bestehen muss, dass der konkrete Umgeschulte nach Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz findet. Dieser Ansicht ist zu folgen.Dem Revisionswerber ist aber zuzugestehen, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitation auch Arbeitsmarktprognosen zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt als Gegenstück zum Verlust des Berufsschutzes ist es im Fall von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation unerlässlich, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Versicherter nach erfolgreicher Rehabilitation in dem gemäß Paragraph 255, Absatz 5, ASVG erweiterten Verweisungsfeld voraussichtlich einen Arbeitsplatz finden wird; Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen diese Aussicht nicht besteht, sind nicht zumutbar. Daher darf die durch eine erfolgreiche Rehabilitation zu erwartende Einsatzfähigkeit des Versicherten nicht rein abstrakt anhand des Vorhandenseins von mindestens hundert (freien oder besetzten) Arbeitsstellen im umgeschulten Beruf geprüft werden (Karl, ZAS 2002, 22 [25] in der zustimmenden Anmerkung zur Entscheidung 10 ObS 49/00d = SSV-NF 14/44). Andererseits darf aber das Arbeitsplatzrisiko des nicht mehr voll Arbeitsfähigen auch nicht zur Gänze auf die Pensionsversicherung verlagert werden. Jabornegg/Resch (Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 [73]) und Naderhirn (Zum Grundsatz: Rehabilitation vor Pension, DRdA 2001, 57 [59]) gehen überzeugend davon aus, dass eine realistische Chance bestehen muss, dass der konkrete Umgeschulte nach Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz findet. Dieser Ansicht ist zu folgen.
Unter Bedachtnahme auf diese Ausführungen wurde der Einwand des Klägers, die Unmöglichkeit der Vermittlung am Arbeitsmarkt stehe von vornherein fest, im bisherigen Verfahren nicht ausreichend behandelt. Der (an sich nahe liegende) Hinweis des Berufungsgerichts, dass der Kläger durch die vorgesehenen Umschulungsmaßnahmen eine Zusatzqualifikation erwerbe, die am Arbeitsmarkt nachgefragt werde, vermag das Fehlen von Feststellungen über eine konkrete Vermittlungswahrscheinlichkeit nicht zu ersetzen.
Zur näheren Klärung erweist sich eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen als notwendig. Um eine endgültige Beurteilung der Zumutbarkeit der von der beklagten Partei vorgesehenen Rehabilitationsmaßnahmen zu ermöglichen, sind im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu treffen, ob und inwieweit realistische Chancen bestanden hätten, dass der Kläger nach Ende der geplanten Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Erst wenn diese Frage zu bejahen ist, ist davon auszugehen, dass sich der Kläger den Rehabilitationsmaßnahmen entzogen hat und daher die Pension nicht anfallen konnte.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E78919European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:010OBS00032.05M.1018.000Im RIS seit
17.11.2005Zuletzt aktualisiert am
11.02.2011