TE Vfgh Beschluss 2002/11/30 B85/02

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Veröffentlicht am 30.11.2002
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
BundesvergabeG 1997 §116 Abs5
VfGG §86
VfGG §88

Leitsatz

Einstellung eines Beschwerdeverfahrens betreffend eine einstweilige Verfügung hinsichtlich der Aussetzung eines Vergabeverfahrens; keine Legitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft nach Eintritt des für die Aussetzung fixierten Endtermins

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Bund führte ein offenes Verfahren über die Vergabe eines Dienstleistungsvertrages betreffend ergänzende Untersuchungen an einer Verdachtsfläche gemäß §13 des Altlastensanierungsgesetzes durch.

Ein nicht für den Zuschlag in Aussicht genommener Bieter beantragte nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung beim Bundesvergabeamt (BVA) deren Nichtigerklärung verbunden mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

2. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2001 gab das BVA dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung insofern statt, als dem Bund aufgetragen wurde, seine Zuschlagsentscheidung bis zur endgültigen Entscheidung im Nachprüfungsverfahren, längstens jedoch bis zum 21. Jänner 2002, auszusetzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, am 21. Jänner 2001 zur Post gegebene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der Mitglieder der für den Zuschlag in Aussicht genommenen Bietergemeinschaft, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, in concreto des §7 Abs1 und Abs3 letzter Satz BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999, behauptet und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt wird.

3. Das BVA legte die Verwaltungsakten vor und vertrat die Ansicht, dass der angefochtene Bescheid gemäß §116 Abs5 BVergG 1997 am 22. Jänner 2002 ex lege außer Kraft getreten sei. In der Hauptsache habe das BVA schließlich mit Bescheid vom 23. Jänner 2002 die dem Nachprüfungsverfahren zugrunde liegenden Anträge mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Im Übrigen wurde von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

4. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes erstatteten die beschwerdeführenden Gesellschaften eine Äußerung, in der sie ihre Beschwerdelegitimation trotz Außer-Kraft-Tretens der einstweiligen Verfügung (§116 Abs5 BVergG 1997) aus folgenden Gründen für weiterhin gegeben erachten:

Das in §116 Abs5 BVergG 1997 angeordnete Außer-Kraft-Treten der einstweiligen Verfügung beseitige - anders als in den Fällen, in denen ein vorläufiger durch einen endgültigen Abgabenbescheid ersetzt wird (vgl. VfSlg. 6801/1972, 8725/1980) oder der bekämpfte Bescheid von der Oberbehörde für nichtig erklärt wird (VfSlg. 11.618/1988), - deren Wirkung nur pro futuro. Dazu wird im Einzelnen ausgeführt:

"Auch wenn sich erst nach Ablauf der einstweiligen Verfügung herausstellt, dass der Auftraggeber eine Zuschlagserteilung während der Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung vorgenommen hat, so bleibt diese weiterhin nichtig. Das Außerkrafttreten des Bescheides entfaltet daher nur Wirkungen ex nunc, sodass die behördlichen Maßnahmen, nämlich die Anordnungen der Untersagung der Zuschlagserteilung, weiterhin ihre Wirksamkeit entfalten.

Daraus folgt jedoch, dass die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid auch weiterhin den Handlungsspielraum des Auftraggebers vom Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bis zu deren Außerkrafttreten berührt und daher seine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, in concreto das Recht auf den gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, verletzt. Im Gegensatz zu den vorläufigen Bescheiden nach der BAO bewirkte die tatsächliche Zurückweisung des Nachprüfungsantrages nicht die Behebung der einstweiligen Verfügung ex tunc."

Die beschwerdeführenden Gesellschaften seien daher weiterhin durch die einstweilige Maßnahme jedenfalls dahingehend belastet, dass ihnen "ein Schaden aus der durch diese Maßnahme bewirkte verzögerte Auftragserteilung erwachsen ist, da sie während dieses Zeitraumes Vorhaltekosten zu tragen hatte[n] und ein Zinsverlust aus den verspäteten Zahlungen des Auftraggebers erlitt[en]".

Auch aus rechtsstaatlichen Erwägungen erachten die beschwerdeführenden Unternehmen ihre Legitimation weiterhin für gegeben:

"Der Verfassungsgerichtshof hat unter Berufung auf das der Bundesverfassung inhärente Rechtsstaatsprinzip die Auffassung vertreten, dass Rechtsschutzeinrichtungen nicht nur die Erlangung einer rechtsrichtigen Entscheidung, sondern auch ein 'Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen' (zur Judikatur vgl Pöschl, ZfV 2001, 169). Geht man nämlich von der Ansicht aus, dass durch das Ex-lege-Außerkrafttreten der einstweiligen Verfügung die Beschwerdelegitimation weggefallen wäre, hätte dies zur Folge, dass es der einfache Gesetzgeber in der Hand hätte, durch die bewusste Normierung einer verhältnismäßig kurzen Dauer des In-Geltung-Stehens von Bescheiden deren Überprüfung durch die verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzeinrichtungen (VwGH und VfGH) wirksam zu verhindern und gleichwohl die Wirkung eines [R]echtsunterworfene belastenden Behördenaktes zu erhalten. Solcherart wäre es sogar möglich, das Außerkrafttreten von Strafbescheiden nach deren Vollzug anzuordnen, sodass es die vollziehenden Behörden in der Hand hätten, durch rasche Exekutionsschritte die Aufhebung solcher Bescheide durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu verhindern.

Dieser Gedanke widerstreitet dem Rechtsstaatsprinzip des B-VG und steht diametral zu der vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Judikatur der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes. Da das gesamte Recht im Lichte der Grundprinzipien der Bundesverfassung, also auch des Rechtsstaatsprinzips, auszulegen ist (Öhlinger, Verfassungsrecht4, Rz 79), gebietet eine rechtsschutzfreundliche Auslegung es Art144 Abs1 B-VG das Fortbestehen der Beschwerdelegitimation in diesem Fall.

Im vorliegenden Fall musste die belangte Behörde gemäß §118 Abs2 BVergG 1997 binnen zwei Monaten entscheiden. Wie immer das BVA nun entscheidet, stattgebend, ab- oder zurückweisend, in jedem Fall tritt der Bescheid über eine einstweilige Verfügung außer Kraft, zumal dieser nur für die Dauer des Hauptverfahrens erlassen werden kann. Ein Bescheid zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung wäre daher faktisch nie bekämpfbar, da der VfGH regelmäßig nicht innerhalb von 2 Monaten entscheiden kann."

Hinzu komme, dass sich im vorliegenden Fall eine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage stelle, nämlich, ob das BVA seine Zuständigkeit schon im Provisorialverfahren abschließend prüfen müsse oder - wie in concreto geschehen - im Zweifel vorläufig bejahen dürfe.

II. 1. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung erforderliche Beschwerdelegitimation nur dann gegeben, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, mithin, wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre der beschwerdeführenden Partei berühren (vgl. etwa VfSlg. 9423/1982, 15.146/1998 ua.).

Mit der bekämpften einstweiligen Verfügung wurde dem Bund aufgetragen, die beabsichtigte Zuschlagserteilung bis zur Entscheidung im Nachprüfungsverfahren, längstens aber bis zum 21. Jänner 2002, zu unterlassen.

Der Verfassungsgerichtshof kann es dahingestellt sein lassen, ob die für den Zuschlag in Aussicht genommenen, nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Gesellschaften durch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, dass dem Auftraggeber für einen bestimmten Zeitraum die "Aussetzung" seiner Zuschlagsentscheidung aufgetragen wird, überhaupt in ihren Rechten verletzt sein konnten, denn von einer Berührung von Rechtspositionen der beschwerdeführenden Gesellschaften durch den angefochtenen Bescheid des BVA kann seit Eintritt des im angefochtenen Bescheid fixierten Endtermins für die "Aussetzung" jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn in der Hauptsache bereits eine Erledigung erfolgt ist. Damit verlor die (unmittelbar freilich nur) den Auftraggeber treffende Unterlassungspflicht ihre Wirkung, weshalb jedenfalls ab diesem Zeitpunkt eine Beschwerdelegitimation nicht (mehr) gegeben ist.

2. Auch die von den beschwerdeführenden Gesellschaften ins Treffen geführten Gründe sind nicht geeignet, die Annahme eines - weiter bestehenden - Rechtschutzinteresses für das verfassungsgerichtliche Verfahren zu begründen:

a) Wenn die beschwerdeführenden Gesellschaften meinen, dass ihnen durch die einstweilige Maßnahme ein Schaden erwachsen sei, so sind sie darauf zu verweisen, dass eine Beschwerdelegitimation zur Beseitigung eines Bescheides nur gegeben ist, wenn der Beschwerdeführer durch den bekämpften Verwaltungsakt selbst beschwert ist, nicht aber auch dann, wenn der Bescheid bloß insofern von Bedeutung ist, dass ein Staatsorgan bei einem Handeln sich auf einen seinerzeit wirksamen, wenn auch möglicherweise rechtswidrigen vorläufigen, in seiner Wirksamkeit durch die endgültige Entscheidung beendeten Bescheid gestützt hat. Eine gesonderte Anfechtbarkeit hat der Verfassungsgerichtshof aber in seiner - insofern vergleichbaren - Rechtsprechung zur Legitimation zur Anfechtung vorläufiger Steuerbescheide nach Beendigung deren Rechtswirksamkeit nie angenommen (vgl. VfSlg. 8577/1979, 15.243/1998; VfGH 30.9.1997, B2557/96). Ein allenfalls bestehender Folgeanspruch wäre für sich geltend zu machen, begründet aber nicht die Beschwerdelegitimation zur Bekämpfung eines inzwischen nicht mehr wirksamen Bescheides.

Die - in der Literatur teilweise kritisierte - Auffassung des Obersten Gerichtshofes, dass im Hinblick auf mögliche Schadenersatzansprüche ein Rechtsschutzbedürfnis zur Klärung der Frage der Rechtmäßigkeit zeitlich nicht mehr wirksamer einstweiliger Maßnahmen anzunehmen sei (vgl. OGH 24.5.1995, Z2 Ob 547/95 = JBl. 1996, 599 f., mit kritischem Kommentar von Bernhard König), liefe darauf hinaus, dass ein möglicherweise bestehender (Schadenersatz-)Anspruch allein schon zur Beschwerdelegitimation zur Anfechtung nicht mehr rechtswirksamer Bescheide führen könnte.

b) Wenn die beschwerdeführenden Gesellschaften schließlich unter Hinweis auf das Rechtsstaatsprinzip meinen, man dürfe nicht annehmen, dass bereits außer Wirksamkeit getretene einstweilige Verfügungen nicht mehr anfechtbar sind, da dies zur Folge hätte, dass derartige Bescheide einer Überprüfung überhaupt entzogen würden, so ist ihnen zu erwidern, dass eine solche Folge der Unüberprüfbarkeit nur so weit eintritt, als die Bescheide keine direkte Rechtswirkung mehr entfalten; insofern fehlt es aber auch am Rechtsschutzinteresse. Im Hinblick auf Fern- und Folgewirkungen wären die Bescheide jedoch in den jeweils vorgesehenen Verfahren, etwa vor den für die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen zuständigen ordentlichen Gerichten, sehr wohl auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar. Es kann also keine Rede davon sein, dass der mit dem Ende der unmittelbaren Wirksamkeit eines Bescheides, mit dem eine einstweilige Maßnahme verfügt wurde, verbundene Wegfall der Beschwerdelegitimation gegen Bescheide, mit denen einstweilige Maßnahmen verfügt werden, zu einem rechtsstaatswidrigen Ergebnis führt.

3. Das Verfahren war daher, da die Beschwerdelegitimation nach Einbringen der Beschwerde weggefallen ist, in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z3 VfGG ohne vorherige mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Geltung eines Bescheides, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Vergabewesen, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Kosten, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B85.2002

Dokumentnummer

JFT_09978870_02B00085_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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