Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. DDDr. Erwin R*****, vertreten durch Dr. Walter Anzböck, Rechtsanwalt in Tulln als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Christian W*****, vertreten durch Dr. Werner Hetsch und Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwaltspartnerschaft in Tulln, wegen Unterhalt (Streitwert 5.200 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. März 2005, GZ 23 R 7/05k-16, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Mai 2005, GZ 23 R 7/05k-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 18. Oktober 2004, GZ 1 C 85/04f-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 399,74 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 66,62 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist der Vater des 1983 geborenen Beklagten. Dies wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 10. Oktober 1988, GZ 10 C 64/83-123 (im dritten Rechtsgang) nach Einholung von insgesamt drei serologischen Gutachten mit 99,99 % Wahrscheinlichkeit festgestellt. Das Urteil wurde von den Rechtsmittelinstanzen bestätigt. Der Kläger wehrte sich nicht bloß gegen die Feststellung seiner Vaterschaft mit allen rechtlichen Mitteln, sondern beinahe neun Jahre dem Grunde und der Höhe nach auch gegen seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Beklagten. Er vernachlässigte seine eigenen seinerzeitigen Unterhaltspflichten gegenüber dem Beklagten, indem er bis zum Juli 1997 einen Unterhaltsrückstand von 226.545 S auflaufen ließ.
Der Kläger wurde am 22. Mai 1947 geboren. Er absolvierte bis 1977 in Deutschland eine Ausbildung zum Versicherungsfachwirt und verdiente in diesem Beruf vor seiner Rückkehr nach Österreich im Jahr 1980 etwa 40.000 S monatlich. Ab April 1981 meldete er sich arbeitsuchend und begann zu studieren. Er schloss ein Studium der Betriebswirtschaft 1989 mit Promotion zum Dr. phil. ab, beendete ein Studium irregulare (Verhaltenswissenschaften) 1990 mit Sponsion zum Mag. rer. nat. und promovierte 1992 zum Dr. rer. soc. oec. (Soziologie). Trotz laufender Bewerbungen gelang es ihm mit Ausnahme weniger Monate aber nicht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu bekommen. Am 18. März 1997 wurde der Kläger bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt; ab diesem Zeitpunkt ist seine Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben.
Der Kläger war im Zeitraum 1994 bis 2004 insgesamt nur sieben Monate, davon drei Monate geringfügig, beschäftigt, bezog ansonsten Notstandshilfe. Ab 1. August 2002 wird ihm zum Pensionsvorschuss eine Ausgleichszulage gewährt, sodass ihm im Jahr 2003 etwa 876,50 und im Jahr 2004 etwa 878,40 EUR monatlich zur Verfügung stehen (inklusive Sonderzahlungen). Darüber hinaus bezieht er ein Pflegegeld der Stufe 2 von monatlich 260 EUR.
Der Kläger hat außer dem Beklagten noch weitere Kinder, und zwar den im Jahr 1976 geborenen Markus, der Student ist und in Finnland wohnt, die mj. Adriana Karoline, geboren 1995, und den mj. Jakob Julius, geboren 2000.
Die im Jahr 1973 geschlossene Ehe des Klägers wurde im Jahr 1980 geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich verzichteten die Ehegatten wechselseitig auch für den Fall des Notbedarfs auf Unterhalt und nahmen diesen Verzicht wechselseitig an. Über die familiäre Situation, die Einkommensverhältnisse und Sorgepflichten der geschiedenen Ehegattin können keine Feststellungen getroffen werden.
Der Beklagte, den (weitere) Sorgepflichten nicht treffen, wohnt im mütterlichen Haushalt, zu dem er einen Kostgeldbeitrag von 300 EUR monatlich beisteuert. Er hat keine Schulden und nur die Ausgaben des täglichen Lebens zu bestreiten. Im Zeitraum Februar bis Juni erzielte der Beklagte ein durchschnittliches monatlichen Nettoeinkommen von 1.383 EUR, bis Mai 2004 leistete er seinen Zivildienst ab, wobei er monatlich netto etwa 365 EUR erhielt. Im Juni und Juli 2004 war er wieder als Installateur beschäftigt, dieses Beschäftigungsverhältnis endete am 31. Juli 2004 durch Selbstkündigung des Beklagten.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Sohnes Markus können nicht festgestellt werden; ebensowenig, ob er in der Lage wäre, dem Kläger Unterhalt zu reichen.
Der Kläger begehrte vom Beklagten unter Hinweis auf seine Einkommenssituation 200 EUR monatlich Unterhalt. Er sei gehbehindert, habe verschiedene neurologische und orthopädische Beschwerden, sei am rechten Ohr taub, am linken gehörgeschädigt und bedürfe ständiger Pflege. Er sei für den im gemeinsamen Haushalt lebenden 2000 geborenen Sohn und für eine 1995 geborene Tochter sorgepflichtig. Ausgenommen ein Invalidenfahrzeug und einen pfandrechtlich überbelastenden Liegenschaftsanteil sei er vermögenslos.
Der Beklagte wendete ein, er sei weder in der Lage Unterhalt zu leisten, noch gebühre dem Vater, der seinerseits gröblich seine Unterhaltspflicht vernachlässigt habe, ein Unterhalt. Überdies gebe es eine vorrangige Unterhaltspflicht der geschiedenen Ehefrau und eine gleichrangige eines Sohnes aus dieser geschiedenen Ehe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger imstande sei, sich selbst zu erhalten und überdies seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Nachkommen gröblich vernachlässigt habe. Überdies wären mehrere Nachkommen anteilig nach Kräften zur Unterhaltsleistung verpflichtet.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil über Berufung des Klägers und sprach - über Abänderungsantrag des Klägers - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ab wann eine gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht iSd § 143 Abs 1 ABGB vorliege. Auch wenn das Berufungsgericht als weiteren Grund für die Richtigkeit der Klageabweisung die angesichts der Lebensverhältnisse der Verfahrensbeteiligten aufgrund seines Eigeneinkommens gegebene Selbsterhaltungsfähigkeit des Klägers ins Treffen geführt und sich insoweit mit der Rsp des Obersten Gerichtshof beschäftigt habe, sei es zur Klärung dieser Rechtsfragen geboten, die ordentliche Revision (doch) zuzulassen.Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil über Berufung des Klägers und sprach - über Abänderungsantrag des Klägers - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ab wann eine gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht iSd Paragraph 143, Absatz eins, ABGB vorliege. Auch wenn das Berufungsgericht als weiteren Grund für die Richtigkeit der Klageabweisung die angesichts der Lebensverhältnisse der Verfahrensbeteiligten aufgrund seines Eigeneinkommens gegebene Selbsterhaltungsfähigkeit des Klägers ins Treffen geführt und sich insoweit mit der Rsp des Obersten Gerichtshof beschäftigt habe, sei es zur Klärung dieser Rechtsfragen geboten, die ordentliche Revision (doch) zuzulassen.
Die Revision des Klägers ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) - nicht zulässig.Die Revision des Klägers ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (Paragraph 508 a, Absatz eins, ZPO) - nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern nach § 143 ABGB stellt eher den Ausnahmefall dar; Voraussetzung für das Bestehen einer solchen Pflicht ist, dass die Eltern oder der Elternteil nicht imstande sind oder ist, sich selbst zu erhalten (stRsp; 8 Ob 79/87 = EFSlg 57.027 ua, zuletzt 6 Ob 128/05z; RIS-Justiz RS0047912). Es ist daher primär festzustellen, ob Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben ist. Diese liegt dann vor, wenn der Vorfahre in der Lage ist, die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse zu befriedigen (1 Ob 156/97s = SZ 70/146 mwN). Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen; die Unterhaltsberechtigung wird nicht schon durch den Bezug eines über der Höhe des Ausgleichszulage liegenden Einkommens ausgeschlossen. Die Höhe des zu leistenden Unterhalts richtet sich sowohl nach den Lebensverhältnissen des Kindes wie auch jenen des Vorfahren. Nicht imstande, sich selbst zu erhalten, ist der Aszendent etwa auch bei unzureichender Altersversorgung oder Pflegebedürftigkeit (1 Ob 156/97s mwN).Die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern nach Paragraph 143, ABGB stellt eher den Ausnahmefall dar; Voraussetzung für das Bestehen einer solchen Pflicht ist, dass die Eltern oder der Elternteil nicht imstande sind oder ist, sich selbst zu erhalten (stRsp; 8 Ob 79/87 = EFSlg 57.027 ua, zuletzt 6 Ob 128/05z; RIS-Justiz RS0047912). Es ist daher primär festzustellen, ob Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben ist. Diese liegt dann vor, wenn der Vorfahre in der Lage ist, die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse zu befriedigen (1 Ob 156/97s = SZ 70/146 mwN). Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen; die Unterhaltsberechtigung wird nicht schon durch den Bezug eines über der Höhe des Ausgleichszulage liegenden Einkommens ausgeschlossen. Die Höhe des zu leistenden Unterhalts richtet sich sowohl nach den Lebensverhältnissen des Kindes wie auch jenen des Vorfahren. Nicht imstande, sich selbst zu erhalten, ist der Aszendent etwa auch bei unzureichender Altersversorgung oder Pflegebedürftigkeit (1 Ob 156/97s mwN).
Die Vorinstanzen haben die primär zu prüfende Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ausgehend von den in der Rsp des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft, weshalb - mangels grober Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste - infolge Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.Die Vorinstanzen haben die primär zu prüfende Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ausgehend von den in der Rsp des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft, weshalb - mangels grober Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste - infolge Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO vorliegt.
Da der vom Kläger geltend gemachte Unterhaltsanspruch schon infolge seiner Selbsterhaltungsfähigkeit zu verneinen ist, müssen die darüber hinaus von den Vorinstanzen behandelten Rechtsfragen, insbesondere die Voraussetzungen einer gröblichen Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht gegenüber demjenigen, von dem nunmehr Unterhalt gefordert wird, nicht mehr erörtert werden.
Die Revision ist zurückzuweisen.
Da der Beklagte auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen hat, steht ihm Kostenersatz für seine Revisionsbeantwortung zu.
Textnummer
E78817European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0030OB00157.05T.1020.000Im RIS seit
19.11.2005Zuletzt aktualisiert am
03.11.2011