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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. August 2004, Zl. 244.850/0-XIV/16/03, betreffend § 32 Abs. 2 Asylgesetz 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 (mitbeteiligte Partei: S, vertreten durch Kocher & Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 36), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im März 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei Einvernahmen vor der Bundesgendarmerie und vor der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz am 17. März 2003 gab er zu seinem Reiseweg an, er habe Afghanistan im Jahr 2000 verlassen und sich danach acht Monate lang in Pakistan, weitere zwei Monate lang in Teheran und anschließend in der Türkei aufgehalten, bevor er im November 2002 nach Griechenland geflüchtet sei. Dort habe er eineinhalb Monate lang auf einer Obstplantage gearbeitet. Am 15. März 2003 habe er einen LKW bestiegen, der ihn über Italien nach Österreich gebracht habe.
Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Juli 2003 wurde der Mitbeteiligte zu seinem Aufenthalt in Griechenland ausführlich befragt. Er beschrieb, wo er etwa einen Monat lang in Athen und anschließend etwa zwei Monate lang in Patras gewohnt und dass er auf Plantagen Geld verdient habe. Die Polizei habe ihm eine Bestätigung darüber ausgestellt, dass er drei Monate lang geduldet würde. Die Frage nach "Problemen mit der Polizei oder sonstigen Behörden" in Griechenland verneinte er. Er habe sich bei seinem "Eintreffen in Griechenland" in Athen der Polizei gestellt und über einen Bekannten gegen Bezahlung die erwähnte Bestätigung erhalten. Um Asyl habe er nicht angesucht. Um die Bestätigung zu erhalten, habe er bei der Polizei in Athen unterschreiben müssen, dass er Griechenland nach drei Monaten verlassen werde. Auf den Vorhalt, dass Griechenland für sein Asylverfahren zuständig wäre, erwiderte er, er habe in Griechenland keinen Asylantrag gestellt, weil er wisse, dass dies "dort ignoriert" werde.
Mit Bescheid vom 18. November 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte die Zuständigkeit Griechenlands für die Prüfung des Asylantrages fest und wies den Mitbeteiligten nach Griechenland aus.
In seiner mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2003 erhobenen Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Mitbeteiligte erstmals vor, er habe versucht, in Griechenland Hilfe zu bekommen, aber die griechischen Behörden hätten ihn "mehrmals über die Grenze zurück in die Türkei geschickt, ohne mich einen Asylantrag stellen zu lassen".
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2003 führte der Mitbeteiligte dazu näher aus, dies sei bei einem "ersten Aufenthalt in Griechenland" geschehen. Er sei von den griechischen Behörden auf "einer Insel" aufgegriffen und zunächst nach Athen sowie von dort aus - mit dem Versprechen, er werde dann die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen - nach Saloniki gebracht worden. Tatsächlich seien der Mitbeteiligte und andere Flüchtlinge von Saloniki aus an die griechisch-türkische Grenze gebracht und nachts unter Androhung von Schlägen gezwungen worden, auf einem Floß den Grenzfluss zu überqueren. Auf der anderen Seite seien sie von türkischen Grenzorganen aufgegriffen und gezwungen worden, durch den Fluss zurückzuschwimmen. Dabei sei ein Flüchtling ertrunken. In Griechenland seien sie abermals "auf ein kleines Holzboot gesetzt und über den Fluss geschickt worden, wobei die türkischen Grenzbeamten (einer nur teilweise lesbaren Faxzeile in diesem Schriftsatz zufolge, in Verbindung mit der späteren Aussage offenbar) diesmal geschossen hätten (wobei der späteren Aussage zufolge ein weiterer Flüchtling ums Leben kam). Die "restlichen Leute" seien zusammen mit dem Mitbeteiligten am Flussufer von den türkischen Grenzbeamten aufgegriffen worden, die nun Geld verlangt hätten. Da der Mitbeteiligte noch Geld bei sich gehabt habe, sei er ins Landesinnere gelassen worden. Danach habe er über ein halbes Jahr in Istanbul gearbeitet, bevor er das Geld für die neuerliche Reise nach Griechenland beisammen gehabt habe. Während dieses zweiten - des im erstinstanzlichen Verfahren beschriebenen -
Aufenthaltes in Griechenland habe er sich aus Angst nicht mehr an die griechischen Behörden gewandt. Die Bestätigung über seine dreimonatige Duldung habe er über "eine Art Büro" erhalten.
Bei seiner Einvernahme in der mündlichen Berufungsverhandlung am 29. Juli 2004, zu der das Bundesasylamt keinen Vertreter entsandte, beschrieb der Mitbeteiligte die zwei Aufenthalte in Griechenland im Großen und Ganzen wie in dem Schriftsatz vom 3. Dezember 2003, wobei er nun angab, die Insel, auf der ihn die griechischen Behörden nach der ersten Einreise aufgegriffen hätten, sei Rhodos gewesen. Saloniki kam in der Darstellung nicht mehr vor, der Mitbeteiligte gab nun an, ihm sei versprochen worden, er werde "in Athen" um Asyl ansuchen können. Die Vorfälle an der Grenze umschrieb er mit den Worten, es sei "mehrere Male hin und her" gegangen, wobei es auch "zu einem Schusswechsel zw. den griechischen und türkischen Behörden auf uns" gekommen sei, bei dem ein Flüchtling getötet worden sei. Ein anderer sei im Fluss ertrunken. Da die türkischen Behörden die Flüchtlinge "am Ende" jedoch nicht aufgenommen hätten, seien sie von den griechischen Behörden an einen Grenzabschnitt ohne türkische Patrouillen gebracht und dort über die Grenze geschickt worden.
Die davon abweichenden früheren Angaben des Mitbeteiligten sowohl in ersten Instanz als auch - teilweise - in dem Schriftsatz vom 3. Dezember 2003 kamen in der Verhandlung nur insoweit zur Sprache, als der Mitbeteiligte eine einleitende Frage damit beantwortete, seine Angaben vor dem Bundesasylamt seien "richtig und wahrheitsgemäß" gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 32 Abs. 2 AsylG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Sie folgte den Angaben des Mitbeteiligten in der Berufungsverhandlung, wozu sie beweiswürdigend nur ausführte, die Feststellungen gründeten sich auf sein "glaubwürdiges Vorbringen". In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Auffassung, angesichts der beschriebenen Vorfälle an der Grenze liege es "für die Berufungsbehörde auf der Hand", dass zur Abwendung einer drohenden Grundrechtswidrigkeit eine Prüfung des Asylantrages durch Österreich statt einer Überstellung des Mitbeteiligten nach Griechenland geboten sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG u.a. die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. zu den Anforderungen an eine dem Gesetz entsprechende Begründung etwa die Nachweise in den hg. Erkenntnissen vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0620, vom 30. November 2006, Zl. 2006/19/0074, und vom 25. Jänner 2007, Zl. 2004/20/0181). Zu diesem Zweck wäre es im vorliegenden Fall erforderlich gewesen, auf die Entwicklung des Vorbringens des Mitbeteiligten im Verlauf des Verfahrens einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, weshalb angesichts der mehrfachen Änderung des Vorbringens gerade der zuletzt in der Berufungsverhandlung zu Protokoll gegebenen Darstellung zu folgen sei. Der in der Beschwerde gerügte Umstand, dass dies im angefochtenen Bescheid unterblieben ist, bedeutet mit Rücksicht darauf, dass die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde auf der Annahme der Glaubwürdigkeit der in der Berufungsverhandlung beschriebenen Vorfälle an der Grenze beruht, einen wesentlichen Verfahrensmangel.
Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 24. August 2007
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190095.X00Im RIS seit
03.10.2007