Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Februar 2005, Zl. 218.957/0-IV/11/00, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 21. Juli 2000 - damals 16-jährig - in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. September 2000 gab er an, er sei ein Hazara aus einem Dorf im Bezirk Jaghuri, Provinz Ghazni, und Ende des Monats Saratan 1379 (was laut Niederschrift Mitte Juli 2000 bedeutet hätte) geflohen. Bei dieser Angabe blieb der Beschwerdeführer trotz wiederholter Vorhalte des Datums seiner Asylantragstellung in Österreich, bis er schließlich einräumte, vielleicht sei er schon einen Monat früher ausgereist. Zwei Jahre zuvor sei sein älterer Bruder im Kampf gegen die Taliban an die Front geschickt worden und nicht zurückgekehrt. Etwa eine Woche vor der Ausreise des Beschwerdeführers hätten die Taliban versucht, ihn zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer habe sich gerade in einem anderen Dorf bei seiner Tante aufgehalten und die Taliban hätten seinen Vater, der behauptet habe, nicht zu wissen, wo der Beschwerdeführer sei, geschlagen und schwer verletzt. Die Taliban hätten gezielt Soldaten aus Familien rekrutiert, die Kämpfer gegen sie gestellt hatten. Wer dies gewesen sei, hätten sie von anderen Hazara erfahren. Es handle sich "um eine Feindschaft und eine Rache". Die Mutter des Beschwerdeführers habe dafür gesorgt, dass dieser nicht in das Heimatdorf zurückgekehrt und seine Flucht ins Ausland organisiert worden sei.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 13. September 2000 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig. Seinem individuellen Vorbringen schenkte es auf Grund seines längeren Beharrens auf einem offenkundig unrichtigen Ausreisemonat insgesamt keinen Glauben.
In der vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Beschwerdeführers erhobenen Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages wurde dieser Beweiswürdigung entgegengetreten, wobei die protokollierten Angaben des Beschwerdeführers zusammenfassend wiederholt wurden, und ein Vorbringen zur ethnisch und religiös begründeten Verfolgung der Hazara durch die Taliban erstattet.
Über diese Berufung verhandelte die belangte Behörde am 25. März 2004. Der inzwischen volljährige Beschwerdeführer gab nun an, die Mitteilung an die Taliban, dass die Familie des Beschwerdeführers einen Kämpfer gegen die Taliban gestellt hatte, sei vom Schwager eines (damals mit seiner engeren Familie selbst geflohenen) Hazara-Kommandanten gekommen, mit dem die Familie des Beschwerdeführers schon in der Zeit vor der Machtübernahme der Taliban in der Heimatregion des Beschwerdeführers verfeindet gewesen sei. Der Streit habe sich zunächst um Wasserrechte gedreht, in weiterer Folge habe der Kommandant - nach Erlangung dieser Stellung - dem Vater des Beschwerdeführers ein Grundstück weggenommen, und er sei es auch gewesen, der den Bruder des Beschwerdeführers in den Kampf gegen die Taliban geschickt habe. Der Beschwerdeführer habe etwa einen Monat vor der Verhandlung erfahren, dass seine Familie sich nunmehr im Iran aufhalte, und mit seiner Mutter telefonieren können. Diese habe ihm erzählt, dass der Kommandant inzwischen zurückgekehrt sei und "wieder die Grundstücke an sich gerissen" habe. In weiterer Folge sei der Vater des Beschwerdeführers einem "Terroranschlag von ein paar unbekannten Leuten" zum Opfer gefallen, woraufhin sich die Familie zur Ausreise entschlossen habe.
Nach Vertagung der Verhandlung erstattete der Sachverständige Dr. Rasuly ein schriftliches Gutachten über Grundstücksstreitigkeiten vor, während und nach der Talibanherrschaft. In diesem Gutachten führte er auch aus, er habe in Erfahrung gebracht, dass die vom Beschwerdeführer genannte Person ein wichtiger Kommandant der Hezb-e Wahdat gewesen und derzeit in einem Amt in Jaghori tätig sei.
In der fortgesetzten Verhandlung am 26. Jänner 2005 führte der Vertreter des Beschwerdeführers aus, es bestehe zwischen der Familie des Beschwerdeführers und diesem Kommandanten eine Feindschaft von der Art, wie sie nach den Ausführungen des Sachverständigen unter den nunmehrigen Verhältnissen zu einer Bedrohung für den Beschwerdeführer führen könnte. Der Beschwerdeführer würde wegen der "Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie" von diesem Kommandanten verfolgt werden und der Staat ihn davor nicht schützen können. Nach Erörterung dieses Vorbringens mit dem Sachverständigen und Vernehmung einer Zeugin, die im Zuge einer Reise in den Iran den Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter hergestellt hatte, schloss die belangte Behörde die Verhandlung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Sie stellte ohne weitere Einzelheiten fest, der Beschwerdeführer habe "sein Heimatland auf Grund von Schwierigkeiten mit den Taliban" verlassen. Hingegen sei seinem "übrigen Vorbringen", wonach eine aus der Zeit vor den Taliban herrührende Feindschaft mit dem von ihm genannten Kommandanten bestehe, kein Glauben zu schenken. Für den hypothetischen gegenteiligen Fall, dass man vom Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt ausginge, gehe aus den Ausführungen des Sachverständigen hervor, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nichts zu befürchten habe, weil "der Kommandant selbst der Täter" sei. Von ihm würde "aus der afghanischen Tradition heraus" daher nichts unternommen werden "können", wenn der Beschwerdeführer nicht seinerseits gegen ihn vorgehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Bescheid schon insofern nicht den Anforderungen des § 60 AVG entspricht, als darin über die Ausreisegründe des Beschwerdeführers nur festgestellt wurde, sie hätten in "Schwierigkeiten mit den Taliban" bestanden. Das ist auch in einem erst fünf Jahre später erlassenen Bescheid über einen Asylantrag aus dem Jahr 2000 zu allgemein gehalten, wenn Behauptungen über einen konkreten Ausreisegrund vorliegen, und lässt letztlich nicht erkennen, ob die belangte Behörde von diesen Behauptungen ausgegangen ist und nur die später ergänzten Hintergründe nicht geglaubt hat, oder ob sie auch schon die Angaben des Beschwerdeführers über den Anlass für die Ausreise und deren Umstände nicht im Einzelnen zu Grunde legen wollte.
Die Beschwerde wendet sich jedoch - im Ergebnis zurecht - vor allem gegen die Gründe, aus denen die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers über die Feindschaft zwischen seiner Familie und einem - auch nach den Feststellungen der belangten Behörde - ehemals "wichtigen" und jetzt in der Heimatregion des Beschwerdeführers in einem Amt tätigen Hazara-Kommandanten nicht gefolgt ist.
Die beweiswürdigenden Überlegungen, auf die sich die belangte Behörde dabei stützt, konzentrieren sich auf einige wenige Punkte, die nicht ausreichen, um die Annahme der belangten Behörde, es handle sich um eine "nachgeschobene Geschichte", die "nicht den Tatsachen entspricht", als den "einzig und allein" möglichen Schluss erscheinen zu lassen.
Die belangte Behörde bringt "vorweg" wieder das seinerzeitige längere Beharren des Beschwerdeführers auf einem schwer möglichen Ausreisemonat ins Spiel, obwohl sie von den in derselben Aussage beschriebenen Fluchtgründen - möglicherweise - selbst ausgehen will, und verweist abschließend zur Bestätigung ("in dieses Bild fügt sich ...") darauf, dass der Beschwerdeführer der Mitschrift des Dolmetschers zufolge in der Berufungsverhandlung zunächst gesagt haben soll, zusammen mit seiner Mutter befinde sich auch sein Vater im Iran. Dazwischen und die Beweiswürdigung der belangten Behörde - aus ihrer Sicht - tragend wird nur (auf Seite 19 des angefochtenen Bescheides) zum Teil wiederholend dargelegt, dass der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt behauptet habe, jede Familie habe einen Kämpfer gegen die Taliban stellen müssen. Wenn der Beschwerdeführer damals "nicht sofort auch zu Protokoll gegeben" habe, sein Bruder sei von einem mit der Familie verfeindeten Kommandanten in den Kampf geschickt worden, so sei dies "nicht erklärbar bzw. nur so erklärbar, dass es allenfalls bloß so gewesen ist, wie er es auch beim Bundesasylamt erzählte".
Diese Überlegung ist schon deshalb nicht tragfähig, weil der Beschwerdeführer auch später nie dezidiert behauptet hat, sein Bruder habe nur infolge der Feindschaft mit dem Hazara-Kommandanten gegen die Taliban kämpfen müssen. Die Frage, weshalb sein Bruder für diesen Kampf rekrutiert wurde, konnte im erstinstanzlichen Verfahren - lang vor dem Sturz der Taliban - aber auch ebenso wenig eine Rolle spielen wie die Feindschaft zwischen der Familie des Beschwerdeführers und dem erwähnten, den späteren Angaben zufolge damals selbst geflohenen Kommandanten insgesamt. Es ist vielmehr umgekehrt hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer ohne ersichtlichen Anlass (zur Vorbereitung einer "nachgeschobenen Geschichte" für den Fall eines Sturzes der Taliban) schon damals angab, der Versuch seiner eigenen Rekrutierung beruhe hinsichtlich des behaupteten Auswahlkriteriums der Taliban, Personen aus Familien heranzuziehen, die Kämpfer gegen sie gestellt hatten, auf Vorgängen, die mit "Feindschaft" und "Rache" unter den Hazara zu tun hätten. Die Nichtberücksichtigung dieses Umstandes in den Erwägungen zur Beweiswürdigung lässt diese auch unabhängig davon, dass der Beschwerdeführer sich auf diesen Teil seiner ursprünglichen Angaben in der Berufungsverhandlung am 25. März 2004 noch ausdrücklich berief, als nicht schlüssig erscheinen.
Was schließlich die Eventualbegründung der belangten Behörde anlangt, so verweist die Beschwerde mit Recht darauf, dass den zu Grunde gelegten Ausführungen des Sachverständigen nur zu entnehmen ist, wie sich der Kommandant "nach der afghanischen Tradition" zu verhalten hätte. Dass von "Tätern" demnach keine Gefahr drohe, solange man sie nicht initiativ behellige, wäre allein auf Grund dieser Ausführungen des Sachverständigen keine rational nachvollziehbare Gefahrenbeurteilung (vgl. zu diesem Thema auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/19/0156).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. August 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190130.X00Im RIS seit
04.10.2007