TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/24 2006/19/0082

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Veröffentlicht am 24.08.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der M, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen Spruchpunkt I. des am 18. Dezember 2003 verkündeten und am 18. Februar 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 223.557/12-II/04/04, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, gelangte im Mai 2001- damals noch minderjährig - in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17. Juli 2001 gab sie der Niederschrift zufolge an, in Mazar-e-Sharif aufgewachsen zu sein, der usbekischen Volksgruppe anzugehören und vor ihrer versuchten Zwangsverheiratung durch die Taliban geflohen zu sein.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 26. Juli 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es fand die Angaben der Beschwerdeführerin nicht "logisch". Daraus, dass Afghanistan "zerstört" und "in vielen Teilen dem Erdboden gleichgemacht" und die Bevölkerung "in ihrer physischen und psychischen Existenz am Ende" sei, folge die Unfähigkeit der Taliban, die minderjährige Beschwerdeführerin "im gesamten Staatsgebiet" zu verfolgen. Wenn man bedenke, "dass eine Person in Österreich, trotz des ausgereiften Fahndungssystems, problemlos für längere Zeit 'untertauchen' kann, ist eine Feststellung Ihrer Person für die Taliban, ohne der angeführten Möglichkeiten und angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage, keinesfalls realistisch". Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin mangle es daher "völlig an der persönlichen Glaubwürdigkeit".

Über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde zunächst unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Rasuly am 26. September 2001. In dieser Verhandlung wurde vor allem das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es sei nicht wirklich um eine Eheschließung, sondern um einen Vorwand für ihre Entführung gegangen und ihre diesbezüglichen Angaben seien beim Bundesasylamt fehlerhaft protokolliert worden, erörtert. Der Sachverständige äußerte sich zu diesem Vorbringen insbesondere unter den Gesichtspunkten der Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin und des von ihr behaupteten Naheverhältnisses ihres von den Taliban verschleppten Vaters zu General Dostum.

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 6. Juni 2003 erstattete die Beschwerdeführerin ein ergänzendes Vorbringen zur geänderten Lage in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban. Sie machte vor allem geltend, im Falle einer Rückkehr als alleinstehende junge Frau ohne männlichen Schutz würde sie schon wegen des Fehlens von Mitteln zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes Gefahr laufen, Opfer einer Zwangsverheiratung oder sexueller Übergriffe zu werden.

Mit Schriftsatz vom 8. September 2003 legte die Beschwerdeführerin zwei Schreiben einer ehemaligen Vorsitzenden des nationalen Frauenrates in Afghanistan und ehemaligen stellvertretenden Frauenministerin in der Regierung Karsai vor, die sich inzwischen selbst zur Flucht nach Usbekistan genötigt gesehen habe. Sie brachte weiters vor, "zweifellos zur besonders schützenswerten Gruppe der alleinstehenden, jungen, westlich orientierten Frauen" zu gehören, denen es unmöglich sei, nach Afghanistan zurückzukehren. Dieser Personengruppe werde "nach überwiegender ständiger Rechtsprechung" der belangten Behörde "auch derzeit die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt".

Mit Schreiben vom 7. November 2003 erstattete die Beschwerdeführerin eine "Ergänzende Stellungnahme zur Situation junger, westlich orientierter Frauen in Afghanistan". Diese Stellungnahme enthielt vor allem Auszüge aus Bescheiden der belangten Behörde vom 3. Jänner 2003, Zl. 217.268/24-X/28/02, und vom 15. Oktober 2003, Zl. 226.177/15-I/01/03, mit auch für den Fall der Beschwerdeführerin als einer "modern gesinnten jungen Frau" relevanten Feststellungen zur Lage der "sozialen Gruppe der Frauen" in Afghanistan.

Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2003 brachte die nunmehr 19- jährige Beschwerdeführerin vor, sie habe Afghanistan im Alter von 17 Jahren verlassen, lebe seither in Österreich, habe hier die Hauptschulabschlussprüfung erfolgreich abgelegt, besuche die Handelsschule und habe "alle Lebensbeziehungen zu europäisch geprägten FreundInnen und Bekannten". Darüber hinaus übe sie, was für eine Afghanin völlig ungewöhnlich sei, den Schwimmsport aus. Sie lehne es ab, einen Schleier oder ein Kopftuch zu tragen, sei eindeutig westlich geprägt und lebe in europäischen Lebensverhältnissen. Durch eine Rückkehr nach Afghanistan als alleinstehendes Mädchen würde sie, wie dem beigelegten, in einem anderen Fall erstatteten Gutachten von Dr. Danesch vom 25. November 2003 in Bezug auf bestimmte einzeln genannte Gesichtspunkte zu entnehmen sei, in eine lebensgefährliche Situation geraten. Bei Berücksichtigung dieses Gutachtens ergebe sich eindeutig, dass die Beschwerdeführerin nicht nur im Sinne des § 57 FrG bedroht, sondern das Bedrohungsbild auch asylrelevant sei.

Am 18. Dezember 2003 verhandelte die belangte Behörde unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Klimburg erneut über die Berufung der Beschwerdeführerin sowie - diesmal - auch über die Berufungen von neun anderen afghanischen Staatsangehörigen. Der Vertreter der Beschwerdeführerin verwies in einer einleitenden Stellungnahme auf die seit der letzten Verhandlung eingebrachten Schriftsätze, auf die Ergebnisse einer (zu ergänzen: u.a. eine afghanische Asylwerberin betreffenden) Verhandlung vor der belangten Behörde am 12. Dezember 2003 sowie darauf, dass die Suche nach der Familie der Beschwerdeführerin in Afghanistan erfolglos geblieben sei. Nach ähnlichen kurzen Stellungnahmen der übrigen Berufungswerber unterbrach die belangte Behörde - nach vierstündiger Dauer - um 15.15 Uhr die Verhandlung zur Erstellung von Gutachten.

In der um 17.55 Uhr fortgesetzten Verhandlung gab der Sachverständige Kurzgutachten zu acht der zehn Berufungswerber zu Protokoll. Zur Beschwerdeführerin äußerte er sich wie folgt:

"Bereits am 12.12.2003 habe ich im dortigen Verfahren II auf die sehr hohe Gefahr einer Zwangsverheiratung der dortigen, 13- jährigen BW hingewiesen (neben der Gefahr, Opfer sonstiger sexueller Übergriffe zu werden oder aus wirtschaftlichen Gründen der Prostitution nachgehen zu müssen). Die heute gegenständliche BW ist zwar gegenwärtig 19 Jahre alt und würde daher wohl nicht mehr einer Pflegefamilie zugewiesen werden. Unter Zugrundelegung ihrer heutigen Angabe, dass sie über keinerlei Familienangehörige mehr in Afghanistan verfüge, besteht, anders als im erwähnten Fall, keine Autorität, die die BW rechtens zu einer Heirat zu zwingen vermöchte. Andererseits fehlt ihr in noch stärkerem Maße als im anderen Fall jeder familiäre Schutz, sie wäre daher den genannten sonstigen sexuellen Übergriffen jedweder interessierter Personen hilflos ausgeliefert. Überdies wäre auch ihre wirtschaftliche Lage katastrophal (siehe Danesch, Seite 10 f)."

Der Vertreter der Beschwerdeführerin führte dazu ergänzend aus, dass die Beschwerdeführerin auch keine Unterkunft in Afghanistan finden könnte und "außerstande wäre, überhaupt ihre Rechte durchzusetzen".

Die belangte Behörde schloss - nach Stellungnahmen auch der übrigen noch anwesenden Berufungswerber zu den sie betreffenden Kurzgutachten - das Ermittlungsverfahren und verkündete die verfahrensbeendenden Bescheide, bevor sie die Verhandlung um

22.10 Uhr beendete.

Mit dem die Beschwerdeführerin ("Verfahren VI") betreffenden Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides). In zwei weiteren - nicht beschwerdegegenständlichen - Spruchpunkten erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für unzulässig und erteilte ihr gemäß § 15 AsylG eine befriste Aufenthaltsberechtigung.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lautet in dessen schriftlicher Ausfertigung - ungekürzt, Auslassungen wie im Original - wie folgt:

"Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag der nunmehrigen Berufungswerberin vom 7.5.2001 'gem § 7 ... AsylG ... abgewiesen' (Spruchteil I) und weiters ausgesprochen, dass die 'Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung' der nunmehrigen Berufungswerberin 'nach Afghanistan ... gem § 8 AsylG zulässig' (sei) (Spruchteil II).

Hiegegen richtet sich die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegende Berufung.

Der unabhängige Bundesasylsenat führte (u.a.) im Gegenstande am 26.9.2001 und am 18.12.2003 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit auch der Berufungswerberin dieses Verfahrens durch, an deren Ende auch dieser Bescheid öffentlich verkündet wurde.

Mangels weiter reichender Kapazitäten sei hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf die im angefochtenen Bescheid gegebene Darstellung, hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung auf die Verhandlungsschriften verwiesen.

Lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit wird im Folgenden die gleichfalls bereits in der Verhandlungsschrift des letzten Termins (in welcher die Berufungswerberin dieses Verfahrens stets als 'BW VI' aufscheint) aufscheinende Begründung (im engeren Sinne) dieses Bescheides im Wortlaut wiedergegeben:

'Dieser Entscheidung liegt das seitens der Berufungswerberin und ihres Vertreters unwidersprochen gebliebene Sachverständigengutachten zu Grunde.

Anders als im vom Sachverständigen erwähnten Bezugsfall sieht der unabhängige Bundesasylsenat im gegenständlichen Fall, in dem eine Verpflichtung der Berufungswerberin durch staatliche und familiäre Autoritäten zu einer Zwangsheirat nicht besteht, im Rechtsbereich keine genügenden Anknüpfungspunkte an einen der Tatbestände des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK.

Vielmehr gleicht die festgestellte Bedrohungssituation nach Auffassung des unabhängigen Bundesasylsenates jenen, die gemeinhin Art. 3 EMRK subsumiert werden, d.h. Gefahren, die ohne zentrale Intention durch eine (staatliche oder gesellschaftliche) Autorität entstehen und in diesem Sinne als eher zufällige oder willkürliche, von irgendwelchen Privatpersonen eigenmächtig gesetzte Akte zu begreifen sind.

Demnach war im gegenständlichen Fall 'lediglich' Refoulementschutz zu gewähren und die damit verbundene befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen (auch hier im nahezu höchstzulässige(n) Ausmaß).'''

Mit Recht macht die Beschwerde geltend, dass diese Ausführungen - auf deren Ergänzung in der Gegenschrift hier ebenso wenig einzugehen ist wie auf das in der Gegenschrift erwähnte, ergebnislos gebliebene "Verfahren gem. § 68 Abs. 2 AVG" - nicht ausreichen, um die letztinstanzliche Abweisung des Asylantrages nachvollziehbar zu begründen. Dies ergibt sich schon daraus, dass über sämtliche Schriftsätze der Beschwerdeführerin und den darin vertretenen Standpunkt, das sie betreffende Bedrohungsbild sei unter dem Gesichtspunkt des Konventionsgrundes der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" asylrelevant, stillschweigend hinweggegangen wird.

Die Meinungsäußerungen, auf die die belangte Behörde den angefochtenen Spruchpunkt stattdessen gestützt hat, lassen aber erkennen, dass sie die "zentrale Intention" einer den Asylwerber bedrohenden "Autorität" für eine Voraussetzung der Asylgewährung hält. Dieser Standpunkt, der im angefochtenen Bescheid nicht in Beziehung zu von der belangten Behörde anzuwendenden Rechtsvorschriften gesetzt wird, hat keine Grundlage im Gesetz und widerspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zur möglichen Asylrelevanz nicht von "Autoritäten" ausgehender Verfolgung etwa die Judikaturnachweise in dem hg. Erkenntnis vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190082.X00

Im RIS seit

03.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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