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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des T, vertreten durch Mag. Kathrin Lichtenegger, Rechtsanwältin in 8680 Mürzzuschlag, Wienerstraße 50, gegen den am 18. Dezember 2003 verkündeten und am 26. Februar 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 232.535/4-II/04/04, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 10. Mai 2001 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Seine Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Oktober 2002 (nach Rückübernahme des Beschwerdeführers aus Norwegen) dauerte - unter Einschluss der Befragung zur Person und zum Fluchtweg - nur eine halbe Stunde. Der Beschwerdeführer bestätigte, seine Angaben zu den Fluchtgründen vor der Fremdenbehörde am 10. Mai 2001 hätten der Wahrheit entsprochen. Diesen Angaben zufolge war er von den Taliban im Zusammenhang mit einem Rekrutierungsversuch gefoltert worden. Ergänzend gab der Beschwerdeführer nun u.a. an, sein Vater sei unter Nadjibullah Pilot und sein in Dänemark lebender (ältester) Bruder Kommandant in der Armee Nadjibullahs gewesen. Die Taliban hätten den Beschwerdeführer geschlagen und ihn nach seinem Vater und seinem (ältesten) Bruder gefragt. Der Beschwerdeführer selbst sei ebenfalls unter Nadjibullah Soldat und Fahrer eines höheren Offiziers gewesen. Auf die Frage, ob ihm im Falle einer Rückkehr Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, antwortete der Beschwerdeführer, es gebe immer noch Krieg in Afghanistan und sein Leben wäre deshalb immer noch in Gefahr. Er sei Paschtune und es gebe immer noch Kämpfe mit den Tadschiken. Von seinem Vater habe er brieflich erfahren, dass sein jüngerer Bruder spurlos verschwunden sei.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23. Oktober 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es erklärte seine Angaben zum Fluchtgrund für "glaubhaft", hielt den Fluchtgrund aber im Hinblick auf die geänderte Lage in Afghanistan für "gegenstandslos". Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, "langsam" kehre in Afghanistan "wieder ein normales Alltagsleben ein".
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, in Afghanistan herrsche keine Rechtssicherheit. Es gebe "nach wie vor Übergriffe gegen ehemalige Angehörige der Armee Nadjibullahs".
Die belangte Behörde verhandelte über die Berufung des Beschwerdeführers in einer Berufungsverhandlung am 18. Dezember 2003, zu der auch neun weitere Berufungswerber (darunter ein Bruder des Beschwerdeführers) geladen waren. In dieser Berufungsverhandlung, die um 11.15 Uhr begann und - mit einer längeren Unterbrechung zur Vorbereitung der Kurzgutachten des Sachverständigen - bis 22.10 Uhr dauerte, kam der Beschwerdeführer ("BW IX") zunächst wie folgt zu Wort:
"Zusätzlich zu dem, was ich bereits vor dem BAA am 21.10.2002 angegeben habe, ergänze ich, dass ich mich auch vor einem früheren Chauffeurskollegen, der sich im Jahre 1368 (dh. 1989/90) ins Pandschir-Tal abgesetzt hat, fürchte. Auf Nachfrage gibt BW IX an, dass er diesen Chauffeur im Jahre 1379 in Kapisa gesehen habe."
Vom Bruder des Beschwerdeführers ("BW X") wurde - im Anschluss an eine ähnlich kurze Stellungnahme zu der von ihm geltend gemachten Bedrohung - folgende Äußerung protokolliert:
"Er habe zwar keine ganz aktuelle Information, gehe aber davon aus, dass sich seine Angehörigen, wie vor dem BAA angegeben, weiterhin in Kabul befänden. Sie hätten dort Grundstück, Auto, Haus, es gehe in (gemeint: ihnen) gut."
Nach der Verhandlungsunterbrechung und einer Reihe andere Berufungswerber betreffender Kurzgutachten führte der Sachverständige Dr. Klimburg zum Fall des Beschwerdeführers aus:
"Dieser BW hat zunächst vor dem BAA als Gefährdung einzig angegeben, zu fürchten, als Paschtune gegen die Tadschiken kämpfen zu müssen. Diese Befürchtung ist grundlos, zumal gegenwärtige kleinere militärische Auseinandersetzungen nicht mit Wehrpflichtigen, sondern ausschließlich mit Freiwilligen geführt werden.
Was die heutige Ergänzung anlangt, so bleibt für mich schon das Motiv der Furcht 'vor einem früheren Chauffeurskollegen' vollständig im Dunkeln. Angesichts des langen seither verstrichenen Zeitraumes gehe ich jedoch, wie bei BW I, nicht davon aus, dass dem BW heute noch Gefahr drohte (der BW hätte ein hiefür erforderliches gravierendes Motiv sicherlich bereits vor dem BAA genannt).
Angesichts der Angaben des Bruders dieses BW zur ökonomischen Situation sehe ich keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser BW bei seiner Rückkehr nach Kabul wirtschaftliche Schwierigkeiten zu meistern hätte. Dazu kommt dessen Ausbildung als Kfz-Mechaniker, die dem BW gegenwärtig große berufliche Chancen eröffnet."
In seiner Stellungnahme zu diesen Ausführungen gab der Beschwerdeführer an, die von ihm genannte Person habe ihn im Jahre 1379 erheblich verletzt. Auf die Frage, ob ihn diese Person gegenwärtig wieder finden könnte, erwiderte der Beschwerdeführer, das "gesamte Gebiet" sei "unter der Kontrolle von diesen Leuten".
Vom Verhandlungsleiter wurde der Beschwerdeführer daraufhin gefragt, ob er "etwa eine Vereinigung von Chauffeuren" meine. Der Beschwerdeführer entgegnete, dieser Chauffeur sei inzwischen "Kommandant". Abschließend gab er an, er habe in Afghanistan kein Vermögen, sein Haus sei verkauft und er habe sich Geld von seinem Schwiegervater ausgeborgt.
Die belangte Behörde verkündete den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG abwies.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Begründung des angefochtenen Bescheides lautet in dessen schriftlicher Ausfertigung - ungekürzt - wie folgt (Auslassungen im Original):
"Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag des nunmehrigen Berufungswerbers vom '11.05.2001' (tatsächlich wurde der Asylantrag bereits am Vortag gestellt) 'gem § 7 ... AsylG ... abgewiesen' (Spruchteil I) und weiters ausgesprochen, dass die 'Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung' des nunmehrigen Berufungswerbers 'nach Afghanistan ... gem § 8 AsylG zulässig' sei (Spruchteil II).
Hiegegen richtet sich die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegende Berufung.
Der unabhängige Bundesasylsenat führte (u.a.) im Gegenstande am 18.12.2003 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit auch des Berufungswerbers dieses Verfahrens durch, an deren Ende auch dieser Bescheid öffentlich verkündet wurde.
Mangels weiter reichender Kapazitäten sei hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf die im angefochtenen Bescheid gegebene Darstellung, hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung auf die Verhandlungsschrift (in welcher der Berufungswerber dieses Verfahrens stets als 'BW IX' aufscheint) verwiesen.
Lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit wird im Folgenden die gleichfalls bereits in der Verhandlungsschrift aufscheinende Begründung (im engeren Sinne) dieses Bescheides im Wortlaut wiedergegeben:
'Auch die Glaubwürdigkeit dieses Berufungswerbers leidet nach Ansicht des hier entscheidenden Mitgliedes wesentlich daran, dass dieser Berufungswerber das in der Berufungsverhandlung in den Vordergrund getretene Gefährdungsmoment durch einen früheren Chauffeurskollegen, der nunmehr Kommandant geworden sei, nicht schon vor dem Bundesasylamt angegeben hat.
Überdies ist auch für den Sachverständigen dieses Gefährdungsmoment weder in sich nachvollziehbar noch gar als für eine ernsthafte Gefährdung geeignet angesehen worden.
Nachdem der Bruder dieses Berufungswerbers heute ausdrücklich angegeben hat, dass dessen Angehörige in Kabul 'Grundstück, Auto, Haus' hätten und es ihnen gut gehe, erachtet der unabhängige Bundesasylsenat auch, jedenfalls unter Zugrundelegung des vom Sachverständigen im Verfahren I angesprochenen 'in Afghanistan üblichen familiären Zusammenhalts', eine existenzielle wirtschaftliche Notlage dieses Berufungswerbers schon deshalb nicht für gegeben; dazu kommt noch die Ausbildung des Berufungswerbers als Kfz-Mechaniker, die dem Berufungswerber, der diesbezüglichen ausdrücklichen Beurteilung des Sachverständigen zufolge, 'gegenwärtig große berufliche Chancen eröffnet'."
Diese Kommentierung der Verfahrensergebnisse - im Anschluss an eine bereits problematische "Massenverhandlung" (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0349 und Zl. 2004/20/0216, und die Bezugnahme darauf in dem Erkenntnis vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0327) - genügt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht den Anforderungen an eine dem Gesetz entsprechende Bescheidbegründung, weil über die ursprünglich geltend gemachten Fluchtgründe des Beschwerdeführers, die er in der Berufungsverhandlung lediglich ergänzte, mit Stillschweigen hinweggegangen wird (vgl. zu den Begründungserfordernissen das erstgenannte der zitierten Erkenntnisse vom 4. November 2004 und die Folgejudikatur dazu). Die Beschwerde macht dies zutreffend geltend und verweist überdies darauf, dass sich die belangte Behörde auch mit der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung aktuellen Berichtslage - betreffend die Frage des Wegfalls der Verfolgungsgefahr für Personen, die zum Regime Nadjibullahs in Verbindung standen - nicht auseinandergesetzt hat (vgl. zur Bedachtnahme auf die Berichtslage auch bei Heranziehung länderkundlicher Sachverständiger das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0440).
Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. August 2007
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190086.X00Im RIS seit
03.10.2007