TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/24 2006/19/0078

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2007
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Klaus R. Nagele, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Bahnhofplatz 4/I, gegen den am 9. Dezember 2003 verkündeten und am 23. Jänner 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 243.402/4-II/04/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein tadschikischer Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im September 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17. September 2003 gab er an, in seinem Heimatort Seyed Khil, Parwan, gebe es die zur "Gruppe Shah Masoud" gehörenden Kommandanten "Maqul" und "Moghim", deren Bruder "Maghsoud" (in der Berufungsverhandlung: "Abdul Maqsood") im Jahr 2000 von den Taliban getötet worden sei. Diese Tötung werde jedoch dem Bruder des Beschwerdeführers, einem Mitkämpfer des Getöteten, angelastet. Da dieser geflohen sei, hätten die genannten Kommandanten im März 2003 den Beschwerdeführer gefangengenommen, in einem Haus festgehalten, eine Woche lang geschlagen und getreten und schließlich liegen gelassen, weil sie ihn für tot gehalten hätten. Danach sei ihm die Flucht gelungen. Die beiden Kommandanten seien Cousins des Beschwerdeführers und seines Bruders. Sie seien einflussreich und würden den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr töten.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 9. Oktober 2003 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkte seinen Angaben keinen Glauben.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Klimburg am 9. Dezember 2003. Am Schluss der Verhandlung verkündete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers abwies.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Begründung eines Bescheides hat gemäß § 60 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Die belangte Behörde hat davon abgesehen, die schriftliche Ausfertigung ihrer Entscheidung in einer dieser Vorschrift entsprechenden Weise zu begründen. Sie hat sich auf eine Darstellung des Verfahrensganges beschränkt, dabei (mangels "weiter reichender Kapazitäten") fast ausschließlich auf Aktenteile verwiesen und nur - "aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit" - die in der Verhandlungsschrift protokollierten Gründe der mündlich verkündeten Entscheidung in Zitatform wiedergegeben.

Dabei handelt es sich um einen zwar etwas längeren Textteil, dessen Zitat aber nicht ausreicht, um den gesetzlichen Begründungserfordernissen zu genügen. Dem Asylantrag des Beschwerdeführers werden - nach einem kurzen Rückblick auf die "bereits" negative Beweiswürdigung des Bundesasylamtes - nur zwei Absätze gewidmet, bevor sich die belangte Behörde - unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG - den Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers zuwendet.

Im ersten dieser Absätze wird behauptet, der Beschwerdeführer gehe "selbst" nicht mehr von einer Gefährdung durch Sippenhaftung oder Blutrache aus, sondern habe in der Berufungsverhandlung "zugestanden", dass die Gefährdung seines Bruders auf einer "Shurha" der militärischen Einheit beruhe, in der dieser unter dem Getöteten gedient habe, dass die Gefährdung des Beschwerdeführers unter diesen Umständen nicht in der Übertragung der seinem Bruder zugedachten Sanktion auf ihn selbst bestehe, und dass "vielmehr die fluchtauslösende Misshandlung" im März 2003 "lediglich" dazu gedient habe, den Aufenthaltsort seines Bruders in Erfahrung zu bringen.

Zu dieser "vom ursprünglichen Vorbringen" des Beschwerdeführers "einzig verbleibenden" Gefahr wird im zweiten Absatz ausgeführt, der Sachverständige habe "nachvollziehbar" dargelegt, dass eine solche Gefahr für die Zukunft unwahrscheinlich sei, "zumal" der Beschwerdeführer bei einer neuerlichen Konfrontation der von ihm beschriebenen Art (von der belangten Behörde als "Auskunftsbegehren" bezeichnet) den Bescheid vorweisen könne, mit dem seinem Bruder in Österreich Refoulementschutz und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gewährt worden sei. Damit könne der Beschwerdeführer "belegen", dass sich sein Bruder "dauerhaft" außerhalb Afghanistans aufhalte. In Erwiderung auf sein Argument in der Berufungsverhandlung, die Mudjaheddin gehorchten nicht einmal der afghanischen Zentralregierung und würden ein Dokument aus Österreich gar nicht lesen, sondern den Beschwerdeführer sofort töten, wird dazu noch weiter ausgeführt, "jedenfalls Geistliche" würden in der Lage sein, den "in Dari geschriebenen Spruch" des Bescheides zu lesen und den "Inhalt jenen Soldaten, die selbst des Lesens nicht kundig sein sollten, zu vermitteln". Die Ansicht des Beschwerdeführers, "ein solches Dokument" würde "überhaupt keine Beachtung finden", sei daher "nicht nachvollziehbar", zumal auf Grund der inzwischen verstrichenen Zeit mit einer "Abkühlung blinder Emotionen" zu rechnen sei.

Diese Ausführungen finden zunächst - im ersten der beiden Absätze - keine Deckung im Vorbringen des Beschwerdeführers, der in der Berufungsverhandlung zwar vom Beschluss einer "Shurha" zur Tötung seines Bruders sprach und (wie schon beim Bundesasylamt) erwähnte, er sei während seiner Gefangenschaft nach dessen Aufenthaltsort gefragt worden, das geltend gemachte Bedrohungsbild aber nicht in der von der belangten Behörde behaupteten Weise - durch "Zugeständnis", dass ihm keine Blutrache drohe - revidierte. Die Überlegungen im zweiten Absatz implizieren, dass dem Beschwerdeführer das Erlebnis im März 2003 (von dem dabei unterstellt wird, es habe stattgefunden) erspart geblieben wäre, wenn er bereits über eine Urkunde der beschriebenen Art verfügt hätte. Ausgehend davon, wie mit dem Beschwerdeführer bei dieser Gelegenheit (auch bereits Jahre nach dem verfolgungsbegründenden Vorfall) verfahren worden sein soll, hält die Annahme, die einschreitenden Personen hätten sich - allenfalls nach Konsultation eines Geistlichen - wieder entfernt, wenn ihnen der Beschwerdeführer den seinen Bruder betreffenden Bescheid einer österreichischen Asylbehörde vorgehalten hätte, der verwaltungsgerichtlichen Schlüssigkeitsprüfung aber nicht stand.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190078.X00

Im RIS seit

03.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten