TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/24 2006/19/0131

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Veröffentlicht am 24.08.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Theresia Kieleithner, Rechtsanwältin in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 22, gegen den am 14. Jänner 2005 verkündeten und am 2. März 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 241.014/6-II/04/05, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im September 2001 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 18. Februar 2003 und am 3. Juni 2003 gab er an, unmittelbar vor der Flucht im Jänner 2001 von den Taliban inhaftiert und gefoltert worden zu sein. Aus dieser Haft habe er fliehen können. Wegen dieses Vorfalls und im Hinblick auf die Bedrohung durch einen mit der engeren Familie des Beschwerdeführers politisch und privat verfeindeten Onkel habe er das Land verlassen. Von diesem Onkel würde er im Falle seiner Rückkehr "sicher umgebracht".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 15. Juli 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig und erteilte ihm gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Es ging vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus, verneinte aber einen Zusammenhang zwischen seiner Bedrohung durch einen Onkel und den in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen.

In seiner Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, die Streitigkeiten mit seinem Onkel seien "politisch motiviert".

Die belangte Behörde verhandelte über die Berufung am 14. Jänner 2005. In dieser Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer ("BW III", nach Vertagung der anderen beiden Verfahren "BW") - lediglich - folgende Angaben protokolliert:

"BW III trägt vor wie vor dem BAA. Auf Nachfrage des VL stellt BW III klar, dass er selbst niemals politisch tätig gewesen sei.

...

BW betont, seine Angabe, sein Bruder sei im Oktober 2000 in Kabul von einem aus dem Panjir-Tal angereisten Onkel getötet worden, stimme; dieser Onkel habe die gesamte Familie des BW auslöschen wollen. Auf die Nachfrage des VL, welches Motiv der Onkel gehabt habe, erwidert BW, dass dieser Onkel verhindern habe wollen, dass wir Ansprüche auf die Grundstücke erheben."

Davon abgesehen diente die Verhandlung der mündlichen Begutachtung des Falles durch den von der belangten Behörde beigezogenen Gutachter Dr. Klimburg.

Die belangte Behörde verkündete den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abwies. In "sachverhaltsmäßiger Hinsicht" legte sie dieser Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides "hinsichtlich der konkreten Lebensumstände des Berufungswerbers dessen Vorbringen in seiner letzten, in der Berufungsverhandlung präzisierten Fassung, soweit es mit der Beurteilung des zugezogenen Sachverständigen im Einklang steht",

zugrunde, während "hinsichtlich des komplementären Teils ... den

... Darlegungen des Sachverständigen" gefolgt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde stützt sich in ihren Rechtsausführungen auf einen von ihr im Juni 2001 erlassenen, den Fall eines Asylwerbers aus der Volksrepublik China betreffenden Bescheid und auf das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0517, zum Themenbereich "Blutrache". Der Beschwerdeführer sei kein "unbeteiligter Dritter" im Sinne dieses Erkenntnisses, der "lediglich" wegen seiner mit dem Täter - d.h. dem Auslöser des "Rachebeziehung" - gemeinsamen oder von ihm herrührenden Abstammung verfolgt werde, handle es sich bei ihm "doch selbst um einen möglichen Erben und wurzelt die Gefährdung des Berufungswerbers gerade in dieser seiner Eigenschaft".

Mit dieser Argumentation verkennt die belangte Behörde rechtlich wesentliche Unterschiede in den zu beurteilenden Sachverhalten. In dem von ihr zitierten Erkenntnis und dem dort genannten Vorerkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 2000/20/0141, ging es jeweils um die behauptete Gefahr drohender Rache wegen eines vorangegangenen Tötungsdeliktes, wobei in dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis danach differenziert wurde, ob sich die Rache gegen den seinerzeitigen Täter oder - unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu dessen Familie (oder Ethnie) - gegen einen Dritten richte. Eine Grundlage dafür, den Zusammenhang mit dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zur Familie als einer "bestimmten sozialen Gruppe" im Sinne der Flüchtlingskonvention zu verneinen, wenn ein Asylwerber behauptetet, von der beabsichtigten "Auslöschung der gesamten Familie" betroffen zu sein, lässt sich aus diesem Erkenntnis nicht gewinnen.

Die belangte Behörde, die den Beschwerdeführer laut Verhandlungsniederschrift "wie vor dem BAA" vortragen ließ, hat es darüber hinaus verabsäumt, ihn zu den Fluchtgründen einzuvernehmen, dabei auf die zahlreichen Widersprüche in und zwischen den Angaben bei den beiden erstinstanzlichen Einvernahmen einzugehen und auf deren Aufklärung zu dringen und auf dieser Grundlage sowie nach allfälliger sachverständiger Begutachtung der so vervollständigten Ermittlungsergebnisse dem § 60 AVG entsprechende Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen (vgl. zu einem abstrakt bleibenden Begründungsduktus, wie ihn die belangte Behörde auch im vorliegenden Fall verwendet hat, schon das hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0620). Mit der Behauptung, der Beschwerdeführer habe seine vom Sachverständigen "unter Punkt 3/d gewürdigte" Darstellung "allerdings nachfolgend ohnedies im Sinne der Darlegung des Sachverständigen modifiziert", scheint sich die belangte Behörde aber auch in Widerspruch zum Akteninhalt zu setzen. In dem erwähnten Punkt seiner Ausführungen hatte der Sachverständige Behauptungen des Beschwerdeführers über die Wegnahme von Grundstücken im Sinne einer "ordnungsgemäßen Vermögensverteilung" interpretiert und es als "unerklärlich" bezeichnet, wie es die im Panjir-Tal ansässigen Verwandten des Beschwerdeführers "bewerkstelligt haben sollten", noch während der Herrschaft der Taliban den Bruder des Beschwerdeführers in Kabul zu töten. Dass sich der Beschwerdeführer dieser Betrachtungsweise genähert hätte, ist seiner Stellungnahme dazu nicht entnehmbar.

Der angefochtene Bescheid war jedoch - im Hinblick auf den vorrangig aufzugreifenden Rechtsirrtum der belangten Behörde - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190131.X00

Im RIS seit

02.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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