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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Alexander Singer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 2004, Zl. 226.827/0-XIV/39/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im März 2001 - damals 17-jährig - in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Vor dem Bundesasylamt wurde er am 5. April 2001 zunächst zu seinem Aufenthalt in Griechenland befragt. Zum Fluchtgrund gab er bei dieser Gelegenheit an, er sei als Hazara und Verwandter eines Führers der Hezb-e Wahdat sowie wegen seiner Tätigkeit als Kurier für diese gefährdet gewesen.
Nachdem sich keine Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages ergeben hatte, wurde der Beschwerdeführer am 18. September 2001 ergänzend zu den Fluchtgründen befragt. Er begründete seine Gefährdung im Fall einer Rückkehr in das - zu diesem Zeitpunkt noch von den Taliban beherrschte - Herkunftsland u. a. wieder mit seiner Tätigkeit als Kinderkurier für die Hezb-e Wahdat. Die "Verhältnisse in Afghanistan" seien "zur Zeit weltweit bekannt". Dazu, nähere Details seiner Tätigkeit als Kinderkurier oder eine nähere Begründung für seine Annahme, diese Tätigkeit sei bekannt geworden, zu Protokoll zu geben, wurde der Beschwerdeführer in dieser - sehr kurzen - Einvernahme nicht aufgefordert. Ein Bescheid wurde im Anschluss an die Einvernahme zunächst nicht erlassen.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers - ohne vorherige Einräumung des Parteiengehörs zu der dem Bescheid zugrunde gelegten Lageänderung in Afghanistan seit der Einvernahme im September 2001 - gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig. Die Abweisung des Asylantrages begründete es mit textbausteinartigen Ausführungen darüber, dass der Fluchtgrund einer drohenden Verfolgung durch die Taliban "gegenstandslos" geworden sei. "Andere Gründe" habe der Beschwerdeführer "nicht glaubhaft zu machen" vermocht, "bzw." habe er "solche überhaupt nicht geltend" gemacht.
Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages verhandelte die belangte Behörde am 21. Oktober 2004. Der Beschwerdeführer beschrieb Details seiner seinerzeitigen Gefährdung durch die Taliban wegen der Tätigkeit als Kurier für die Hezb-e Wahdat und gab an, zwei mit ihm dabei zusammenarbeitende Mitschüler - darunter ein Paschtune - seien von den Taliban festgenommen worden, woraufhin sich die Familie des Beschwerdeführers zur Flucht entschlossen habe. Nach der Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe der Beschwerdeführer bei einem Versuch, mit seiner zuletzt in Pakistan aufhältigen Familie telefonisch Kontakt aufzunehmen, erfahren, dass der paschtunische Mitschüler von den Taliban getötet worden sei und sich dessen Vater dafür am Beschwerdeführer rächen wolle, weil dieser für die Kuriertätigkeit seines Sohnes und somit für dessen Tod verantwortlich sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie stützte dies in Bezug auf die vom Beschwerdeführer zuletzt erhobenen Behauptungen nicht auf eine Auseinandersetzung mit deren Asylrelevanz unter dem Gesichtspunkt eines Zusammenhanges mit den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen, sondern ausschließlich darauf, dass das erstmals in der Berufungsverhandlung erstattete Vorbringen nicht glaubwürdig sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung lautet - ungekürzt - wie folgt:
"Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Asylwerber, der nach eigenen Angaben eine höhere Schule besucht hat, durchaus in der Lage ist, bereits bei der ersten Einvernahme zu seinem Asylantrag alles vorzubringen, was für die Stellung des Asylantrages wesentlich sein könnte, zumal ihm hiezu durchaus die Möglichkeit gegeben wurde - so auch dokumentiert durch die Frage 'Haben Sie sonst noch etwas zu ergänzen'. Der Berufungswerber ließ jedoch diese Möglichkeit ungenützt und forderte auch der anwesende Vertreter des Jugendamtes keine ergänzenden Sachverhaltsschilderungen ein.
Zumal auch in den schriftlichen Berufungsausführungen weder ein Hinweis auf ein möglicherweise nicht ganz der Wahrheit entsprechendes bisheriges Vorbringen noch ein Hinweis auf die in der Berufungsverhandlung vorgebrachte Darstellung zu entnehmen war, war davon auszugehen, dass der Berufungswerber aufgrund der veränderten Verhältnisse in Afghanistan durch den Sturz der Taliban ein neu konstruiertes, nicht den Tatsachen entsprechendes Vorbringen erstattet hat, um so doch noch einen Erfolg in seinem Asylverfahren herbeizuführen."
Diese Ausführungen sind im vorliegenden Fall nicht geeignet, die Beweiswürdigung der belangten Behörde schlüssig zu begründen. Sie setzen sich nämlich darüber hinweg, dass sich diejenigen Angaben in der Berufungsverhandlung, auf die sich die zuletzt geltend gemachte Furcht vor dem - nach den Behauptungen des Beschwerdeführers jetzt einflussreichen - Vater seines paschtunischen Mitschülers gründete, seinem Vorbringen zufolge auf Informationen stützten, die dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Einvernahme durch das Bundesasylamt noch gar nicht zur Verfügung standen. Zum Zeitpunkt dieser Einvernahme waren darüber hinaus auch die Taliban noch an der Macht. Die Möglichkeit zu einem erstinstanzlichen Vorbringen über allfällige Bedrohungen unter den geänderten Verhältnissen wurde dem Beschwerdeführer durch die Nichteinräumung des Parteiengehörs seitens des Bundesasylamtes genommen, sodass die Vernehmung in der Berufungsverhandlung die erste war, in der er sich dazu äußern konnte. Mit dem Hinweis auf das Fehlen der ergänzenden Behauptungen in der - erkennbar nicht von ihm selbst verfassten - Berufung lässt sich dem nicht schlüssig entgegen treten.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. August 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190112.X00Im RIS seit
02.10.2007