Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Miriam A*****, geboren am 30. Dezember 1997, und des mj Marc Duncan A*****, geboren am 2. Juli 2002, über den Revisionsrekurs des Vaters Bülent A*****, vertreten durch Dr. Harald Bösch, Rechtsanwalt in Bregenz, als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 13. Juni 2005, GZ 1 R 141/05a-39, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 5. April 2005, GZ 2 P 123/03k-34, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Kinder Miriam und Marc Duncan stammen aus der Ehe der Sabine M***** und des Bülent A*****, die mit Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 8. 9. 2004 im Einvernehmen geschieden wurde. Der Scheidungsvergleich enthält die Vereinbarung, dass die Obsorge in Hinkunft beiden Elternteilen gemeinsam zukomme und der hauptsächliche Aufenthalt der Kinder bei der Mutter sei. Diese Vereinbarung wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichtes vom 6. 9. 2004 (richtig wohl: 6. 10. 2004) genehmigt.
Am 23. 11. 2004 stellte die Mutter den Antrag, die gemeinsame Obsorge aufzuheben und sie mit der alleinigen Obsorge für die Kinder zu betrauen. Der Vater nehme auf die Pflege und Erziehung der Kinder zu großen Einfluss, weshalb sie mit einer gemeinsamen Obsorge nicht mehr einverstanden sei.
Der Vater äußerte sich zu diesem Antrag ablehnend. Er sei mit den Pflege- und Erziehungsmaßnahmen der Mutter zwar einverstanden, nehme aber das Recht für sich in Anspruch, gelegentlich nachzufragen und damit auch sein Interesse am Wohl der Kinder zu bekunden.
Der Jugendwohlfahrtsträger sah in seiner Stellungnahme zum Antrag der Mutter keinen Anlass für eine Änderung der bestehenden Obsorgeregelung. Er empfahl dem Erstgericht, die Eltern zu einer Konfliktlösung mit Hilfe einer Mediation zu motivieren.
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter ab. Es stellte zusammengefasst folgenden Sachverhalt fest:
Die Mutter wohnt mit den Kindern im Haus ihrer Eltern, in dessen zweiten Stock ihnen eine Zweizimmer-Wohnung zur Verfügung steht. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin und verdient monatlich EUR 600,--. Dazu kommen die Familienbeihilfe und die monatlichen Unterhaltszahlungen des Vaters von monatlich EUR 1.200,--. Der Vater wohnt in Wiesbaden (Deutschland). Er bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 3.500,-- und ist in seinem Beruf als Geschäftsführer eines Handballvereins sehr gefordert. Er besucht einmal im Monat, von Freitag bis Sonntag, seine Kinder in Vorarlberg. Die Mutter fühlt sich vom Vater unter Druck gesetzt und möchte sich ihm gegenüber nicht länger in alltäglichen Dingen rechtfertigen müssen. Der Vater fürchtet, dass ihn die Mutter aus seiner Vaterrolle drängen will. Die Mutter nimmt die Pflege und Betreuung ihrer Kinder überwiegend selbst wahr. Während sie arbeitet, wird Marc von seiner Großmutter betreut; Miriam ist zu diesen Zeiten in der Schule. Miriam hängt sehr am Vater, beide Kinder haben zu ihm einen regelmäßigen Kontakt. Die bisherige Besuchsrechtsregelung funktioniert - auch was die hiefür erforderliche Kommunikation der Eltern anlangt - gut. In anderen Bereichen führen die Eltern hingegen ihre Differenzen fort. Von einer neuen Obsorgeregelung ist eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Kinder nicht zu erwarten. Eine Gefährdung des Kindeswohles ist weder im Falle der Beibehaltung noch in jenem der - von der Mutter gegen den Willen des Vaters angestrebten - Änderung des Familiennamens der Kinder zu befürchten.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, die im Scheidungsvergleich getroffene Vereinbarung sei nicht unabänderlich. Es bestehe für jeden Elternteil die Möglichkeit, die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge zu beantragen. Allerdings sei die Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechtes vom Kindeswohl abhängig und könne nur dann erfolgen, wenn die gemeinsame Obsorge dem Kindeswohl nicht mehr entspreche bzw die alleinige Obsorge eines Elternteiles wegen Vorliegens wichtiger Gründe im Interesse der Kinder dringend geboten erscheine. Da sich aus der alleinigen Obsorge der Mutter für die Kinder keine Änderung ergeben würde, liege die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge in deren Interesse.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass es die gemeinsame Obsorge der Eltern aufhob und die Mutter mit der alleinigen Obsorge für die Kinder betraute. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, das Gericht habe gemäß § 177a Abs 2 ABGB die Zuteilung der alleinigen Obsorge vorzunehmen, wenn auch nur ein Elternteil die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge beantrage. Ein solcher Antrag könne jederzeit ohne Angabe von Gründen gestellt werden. Da der im Gesetz vorgesehene Versuch einer gütlichen Einigung gescheitert sei, sei die beidseitige Obsorge aufzuheben und ein Elternteil mit der Obsorge zu betrauen. Maßstab für diese Entscheidung sei ausschließlich das Kindeswohl, welches durch die Herausnahme der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung gefährdet wäre. Dies habe zur Folge, dass die Mutter mit der alleinigen Obsorge zu betrauen sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, ob die dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Obsorge der Eltern gegen den Willen eines Elternteiles aufrechterhalten werden könne, noch nicht existiere.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Abweisung des Antrages der Mutter abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Mutter beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel des Vaters zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig.
Er ist entgegen der Aktenlage auch rechtzeitig, weil das Rechtsmittel nicht, wie sich aus dem unter dem Eingangsvermerk des Erstgerichtes angebrachten Hinweis ergibt, am 3. 10. 2005 überreicht, sondern, wie der Rechtsmittelwerber durch Vorlage des Postaufgabescheines nachweisen konnte, bereits am 30. 9. 2005 und damit am letzten Tag der 14-tägigen Frist für den Revisionsrekurs (§ 65 Abs 1 AußStrG) zur Post gegeben wurde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Die gerügte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).
In seiner Rechtsrüge vertritt der Vater den Standpunkt, die Wendung „nach Maßgabe des Kindeswohles" in § 177a Abs 2 ABGB könne bei verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung nur dahin verstanden werden, dass eine Aufhebung der gemeinsamen Obsorge nur möglich sei, wenn diese Maßnahme dem Kindeswohl entspricht. Die grundlose Änderung der Obsorgeverhältnisse würde hingegen „automatisch" zu einer Diskriminierung eines Elternteiles und damit zu einem Eingriff in dessen durch Art 8 EMRK geschütztes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens führen.
Hiezu wurde erwogen:
Durch das KindRÄG 2001 wurde die Obsorge der Eltern eines ehelichen Kindes nach gerichtlicher Auflösung der Ehe neu geregelt. Danach bleibt gemäß § 177 ABGB die Obsorge beider Eltern für ihre minderjährigen ehelichen Kinder aufrecht, wenn die Ehe geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt wird. Sie können jedoch dem Gericht - auch in Abänderung einer bestehenden Regelung - eine Vereinbarung über die Betrauung mit der Obsorge vorlegen, wobei die Betrauung eines Elternteiles allein oder beider Eltern vereinbart werden kann. Im Fall der Obsorge beider Eltern kann diejenige eines Elternteiles auf bestimmte Angelegenheiten beschränkt sein (Abs 1). In jedem Fall einer gemeinsamen Obsorge haben die Eltern dem Gericht eine Vereinbarung darüber vorzulegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll. Dieser Elternteil muss immer mit der gesamten Obsorge betraut sein (Abs 2). Das Gericht hat die Vereinbarung der Eltern zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entspricht (Abs 3).
§ 177a Abs 2 ABGB lautet:
„Sind beide Eltern gemäß § 177 ABGB nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung ihrer Ehe mit der Obsorge betraut und beantragt ein Elternteil die Aufhebung dieser Obsorge, so hat das Gericht, wenn es nicht gelingt eine gütliche Einigung herbeizuführen, nach Maßgabe des Kindeswohles einen Elternteil allein mit der Obsorge zu betrauen."
Die Materialien führen dazu aus, dass für die von einem Elternteil beantragte Aufhebung der Obsorge beider Eltern neben dem Wegfall des vorhanden gewesenen Einvernehmens im Sinne eines „Könnens und Wollens" beider Streitteile und dem Versuch einer gütlichen Einigung keine weitere Voraussetzung gefordert wird (Erl RV 296 BlgNR 21. GP 67). In der Fassung der Regierungsvorlage hatte § 177a Abs 2 ABGB überdies noch vorgesehen, bei Scheitern des Versuchs einer gütlichen Einigung „jenen Elternteil mit der Obsorge allein zu betrauen, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält". Dieser Vorschlag, der nur in den Erläuterungen die Einschränkung enthielt, dass dies dann nicht gelte, wenn der Betrauung dieses Elternteiles Umstände iSd § 176 ABGB entgegenstehen sollten, und der mit der Sicherstellung des „Heims erster Ordnung" und der Wahrung des Grundsatzes der Kontinuität begründet wurde (Erl RV 296 BlgNR 21. GP 4 f und 67), fand im Justizausschuss keine Zustimmung. § 177a Abs 2 ABGB erhielt seine endgültige Fassung, indem „anstelle einer geradezu automatischen und ohne die jeweilige Lage des Kindes berücksichtigenden Regelung" (JAB 366 BlgNR 21. GP 2) das Kindeswohl als allein maßgebendes, mit der im Revisionsrekurs hervorgehobenen Wortfolge in den Gesetzestext eingeflossenes Kriterium für die Lösung der Frage, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen ist, trat (zur Entstehungsgeschichte zB Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 § 177a Rz 11).Die Materialien führen dazu aus, dass für die von einem Elternteil beantragte Aufhebung der Obsorge beider Eltern neben dem Wegfall des vorhanden gewesenen Einvernehmens im Sinne eines „Könnens und Wollens" beider Streitteile und dem Versuch einer gütlichen Einigung keine weitere Voraussetzung gefordert wird (Erl Regierungsvorlage 296 BlgNR 21. Gesetzgebungsperiode 67). In der Fassung der Regierungsvorlage hatte § 177a Abs 2 ABGB überdies noch vorgesehen, bei Scheitern des Versuchs einer gütlichen Einigung „jenen Elternteil mit der Obsorge allein zu betrauen, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält". Dieser Vorschlag, der nur in den Erläuterungen die Einschränkung enthielt, dass dies dann nicht gelte, wenn der Betrauung dieses Elternteiles Umstände iSd § 176 ABGB entgegenstehen sollten, und der mit der Sicherstellung des „Heims erster Ordnung" und der Wahrung des Grundsatzes der Kontinuität begründet wurde (Erl Regierungsvorlage 296 BlgNR 21. Gesetzgebungsperiode 4 f und 67), fand im Justizausschuss keine Zustimmung. § 177a Abs 2 ABGB erhielt seine endgültige Fassung, indem „anstelle einer geradezu automatischen und ohne die jeweilige Lage des Kindes berücksichtigenden Regelung" (JAB 366 BlgNR 21. Gesetzgebungsperiode 2) das Kindeswohl als allein maßgebendes, mit der im Revisionsrekurs hervorgehobenen Wortfolge in den Gesetzestext eingeflossenes Kriterium für die Lösung der Frage, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen ist, trat (zur Entstehungsgeschichte zB Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 § 177a Rz 11).
Im Schrifttum wird (nahezu) einhellig die Auffassung vertreten, dass eine Aufrechterhaltung der Obsorge beider Eltern (auch nur in einem Teilbereich) gegen den Willen eines Elternteiles ausgeschlossen sei. Ein auf die Aufhebung dieser Obsorge gerichteter Antrag eines Elternteiles bedürfe daher keiner Begründung; es genüge der durch die Antragstellung zum Ausdruck gebrachte Wegfall des Willens eines Elternteiles zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Obsorge. Hingegen hänge die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen ist - wie bisher - allein vom Kindeswohl ab (Weitzenböck aaO vor § 177 Rz 4 und § 177a Rz 10; Stabentheiner in Rummel, ABGB3 1.ErgBd §§ 177 bis 177b Rz 12; Hopf in KBB, § 176 ABGB Rz 5 und §§ 177 bis 177a ABGB Rz 7; Ferrari, Die Obsorge bei Trennung und Scheidung der Eltern nach dem KindRÄG 2001, in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts, 64; Gründler, Die gemeinsame Obsorge nach dem KindRÄG 2001, ÖJZ 2001, 709; aA offenbar Wilhelm, ecolex 2000, 845, der in der Wendung „nach Maßgabe des Kindeswohles" die Möglichkeit der Beibehaltung gemeinsamer Obsorge gegen den Willen des antragstellenden Elternteiles zu sehen scheint).
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung der überwiegenden Lehre an, deren Auslegung des § 177a Abs 2 ABGB den dargelegten Intentionen des Gesetzgebers entspricht. Er teilt auch nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Vaters, denen schon Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entgegensteht. Nach dem bis zum Inkrafttreten des KindRÄG 2001 am 1. 7. 2001 geltenden § 177 Abs 1 ABGB aF konnten die Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes nach gerichtlicher Auflösung ihrer Ehe oder im Falle einer nicht bloß vorübergehenden Trennung dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten, wem von ihnen künftig die Obsorge für das Kind allein zukommen solle. Das Gericht hatte die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entsprach. Mit den Erkenntnissen vom 22. 6. 1989, G 142/88, G 168/88 (VfSlg 12.103), und vom 10. 10. 1995, G 154/93, G 171/94 (VfSlg 14.301), hatte der Verfassungsgerichtshof die wegen Verfassungswidrigkeit beantragte Aufhebung des Wortes „allein" in § 177 Abs 1 ABGB mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, dass ein dem Gebot der Verhältnismäßigkeit widersprechender Eingriff in das durch Art 8 Abs 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens nicht vorliege. Einem Gesetzgeber, der auf das Wohl des Kindes aus einer geschiedenen Ehe bedacht sei, könne nicht entgegengetreten werden, wenn er einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermögliche, aber dennoch sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebe, wer Entscheidungen über das Kind zu treffen hat, falls ein - in der faktischen Ausübung der Obsorge ohnedies auch weiterhin mögliches - Einvernehmen zwischen den Eltern nicht (mehr) besteht (vgl auch JBl 1993, 699 [Pichler]; JBl 1994, 114 [Pichler]; 1 Ob 316/99y; RIS-Justiz RS0048911, RS0048922, RS0048924). Auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes und des Art 5 des 7. ZPMRK, in dem der Grundsatz der Gleichheit (der Rechte und Pflichten) von Mann und Frau in den familienrechtlichen Beziehungen - auch für die Zeit nach Auflösung der Ehe - verankert ist, wurde die Regelung des § 177 Abs 1 ABGB aF als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (VfSlg 14.301; JBl 1994, 114 [Pichler]; RIS-Justiz RS0048920).Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung der überwiegenden Lehre an, deren Auslegung des § 177a Abs 2 ABGB den dargelegten Intentionen des Gesetzgebers entspricht. Er teilt auch nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Vaters, denen schon Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entgegensteht. Nach dem bis zum Inkrafttreten des KindRÄG 2001 am 1. 7. 2001 geltenden § 177 Abs 1 ABGB aF konnten die Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes nach gerichtlicher Auflösung ihrer Ehe oder im Falle einer nicht bloß vorübergehenden Trennung dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten, wem von ihnen künftig die Obsorge für das Kind allein zukommen solle. Das Gericht hatte die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entsprach. Mit den Erkenntnissen vom 22. 6. 1989, G 142/88, G 168/88 (VfSlg 12.103), und vom 10. 10. 1995, G 154/93, G 171/94 (VfSlg 14.301), hatte der Verfassungsgerichtshof die wegen Verfassungswidrigkeit beantragte Aufhebung des Wortes „allein" in § 177 Abs 1 ABGB mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, dass ein dem Gebot der Verhältnismäßigkeit widersprechender Eingriff in das durch Art 8 Abs 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens nicht vorliege. Einem Gesetzgeber, der auf das Wohl des Kindes aus einer geschiedenen Ehe bedacht sei, könne nicht entgegengetreten werden, wenn er einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermögliche, aber dennoch sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebe, wer Entscheidungen über das Kind zu treffen hat, falls ein - in der faktischen Ausübung der Obsorge ohnedies auch weiterhin mögliches - Einvernehmen zwischen den Eltern nicht (mehr) besteht vergleiche auch JBl 1993, 699 [Pichler]; JBl 1994, 114 [Pichler]; 1 Ob 316/99y; RIS-Justiz RS0048911, RS0048922, RS0048924). Auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes und des Artikel 5, des 7. ZPMRK, in dem der Grundsatz der Gleichheit (der Rechte und Pflichten) von Mann und Frau in den familienrechtlichen Beziehungen - auch für die Zeit nach Auflösung der Ehe - verankert ist, wurde die Regelung des § 177 Abs 1 ABGB aF als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (VfSlg 14.301; JBl 1994, 114 [Pichler]; RIS-Justiz RS0048920).
Standen daher schon der die Vereinbarung der gemeinsamen Obsorge geschiedener Eltern gar nicht erst ermöglichenden Bestimmung des § 177 Abs 1 ABGB aF keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen, so sind solche umso weniger gegen die nunmehrige gesetzliche Regelung angebracht, nach der einem Elternteil die alleinige Obsorge erst nach dem Wegfall des die gemeinsame Obsorge tragenden Einvernehmens der Eltern zuzuteilen ist. Entgegen der im Revisionsrekurs des Vaters vertretenen Ansicht werden die Obsorgeverhältnisse auch keineswegs „grundlos" geändert, weil der Grund für die gerichtliche Entscheidung eben im Verlust des Einvernehmens der Eltern über die gemeinsame Obsorge liegt.
Dem die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge anstrebenden Revisionsrekurs des Vaters kann daher kein Erfolg beschieden sein.
Gemäß § 107 Abs 3 AußStrG findet im Verfahren über die Obsorge ein Kostenersatz nicht statt. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten des Revisionsrekurses war daher abzuweisen.
Textnummer
E79185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2005:0020OB00266.05I.1201.000Im RIS seit
31.12.2005Zuletzt aktualisiert am
09.03.2011