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27 RechtspflegeNorm
StGG Art5 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch Vorschreibung von Gerichtsgebühren für einen Zwischenfeststellungsantrag infolge grober Verkennung der Rechtslage; keine gesetzliche Grundlage für eine solche VorschreibungSpruch
Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, den beschwerdeführenden Gesellschaften zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.339,88 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die beschwerdeführenden Gesellschaften - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und eine Kommanditgesellschaft - waren Klägerinnen in einem Zivilprozeß, der ab 1992 vor dem Landesgericht Feldkirch anhängig war. Die Klage war auf S 9,123.000,-
sA gerichtet; die Beschwerdeführerinnen hatten die dafür vorgesehenen Gerichtsgebühren nach Tarifpost (TP) 1 des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. 501/1984 (in der Folge: GGG), von S 115.596,- entrichtet.
In der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 1992 stellte die beklagte Partei einen Zwischenantrag auf Feststellung (§§236, 259 Abs2 ZPO), dessen Streitgegenstand - es ging um die Rechtsgültigkeit eines Vertrages - sie mit S 1 Mio. bewertete. Aufgrund einer Streitwertbemängelung durch die beschwerdeführenden Parteien setzte das Gericht mit Beschluß vom 7. August 1992 den Streitwert des Zwischenantrags gemäß §7 Rechtsanwaltstarifgesetz (in der Folge: RATG) mit S 50 Mio. fest.
1.2. Mit Zahlungsauftrag vom 22. Dezember 1998 schrieb die Kostenbeamtin den beschwerdeführenden Gesellschaften, ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von insgesamt
S 59,123.000,-, eine restliche Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG von
S 599.920,- und eine Einhebungsgebühr von S 100,- vor.
Gegen diesen Zahlungsauftrag brachten die beschwerdeführenden Gesellschaften einen Berichtigungsantrag ein, in dem sie primär begehrten, den Zahlungsauftrag ersatzlos aufzuheben; in eventu beantragten sie, die beklagte Partei als zahlungspflichtig zu bezeichnen.
Mit Bescheid vom 6. Juli 1999 wies der Präsident des Landesgerichtes Feldkirch diesen Berichtigungsantrag ab; mit Spruchpunkt 2 dieses Bescheides wurde auch der Eventualantrag ausdrücklich abgewiesen. Die Behörde führte aus, gemäß §18 Abs2 Z1 GGG bilde dann, wenn der Streitwert gemäß §7 RATG geändert werde, der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage auch für die Gerichtsgebühren. Werde ein Zwischenantrag auf Feststellung gestellt, so seien die Streitwerte der Klage und des Zwischenantrags zusammenzurechnen. Zwischenfeststellungsanträge könnten nicht ein verschiedenes Schicksal haben, je nachdem, ob sie vom Kläger oder vom Beklagten gestellt worden seien (Hinweis auf OGH, EvBl. 1957/206 = JBl. 1957, 295). Die Streitwerte dürften jedoch nur zusammengerechnet werden, wenn das Gericht einen Beschluß iSd §7 RATG gefaßt habe (Hinweis auf VwGH 6.10.1994, 93/16/0137). Die Zahlungspflicht treffe gemäß §7 Abs1 Z1 GGG auch bei einem Zwischenantrag der beklagten Partei den Kläger (nochmals Hinweis auf VwGH 6.10.1994, 93/16/0137).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, hilfsweise die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens und des zivilgerichtlichen Verfahrens vorgelegt, jedoch davon abgesehen, eine Gegenschrift zu erstatten.
3. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:
3.1.1. Abs1 des mit "Eingaben" überschriebenen §3 GGG lautet:
"In zivilgerichtlichen Verfahren und Exekutionsverfahren ist die Pauschalgebühr nur einmal zu entrichten, gleichgültig, ob die Klage (der Exekutionsantrag) mehrere Anträge enthält oder ob sich die Eingabe auf mehrere Personen bezieht. Das gleiche gilt für alle anderen Eingaben und Schriften, sofern in der Folge nicht etwas anderes bestimmt ist."
3.1.2. Abs1 Einleitungssatz und Z1 des mit "Zahlungspflicht" überschriebenen §7 GGG lauten:
"Zahlungspflichtig sind, soweit für die einzelnen Verfahrensarten nicht besondere Bestimmungen bestehen:
1. bei zivilgerichtlichen Verfahren und Exekutionsverfahren der Antragsteller (Kläger, Rechtsmittelwerber, betreibender Gläubiger); bei prätorischen Vergleichen (§433 ZPO) und Vereinbarungen nach §55a Abs2 EheG jedoch beide vertragschließenden Parteien ohne Rücksicht auf entgegenstehende Abreden;"
Diese Fassung hat §7 Abs1 Z1 GGG durch ArtI Z4 GGGNov. 1991 BGBl. 644 erhalten; der Einleitungssatz gilt noch in der Stammfassung.
3.1.3. Der mit "Wertänderungen" überschriebene §18 GGG lautet auszugsweise:
"(1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.
(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:
1. Wird der Streitwert gemäß §7 RATG geändert, so bildet - unbeschadet des §16 - der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.
2. - 4. ...
(3) ..."
3.2. §7 RATG lautet:
"Findet der Beklagte die Bewertung des Streitgegenstandes nach den §§56 oder 59 der Jurisdiktionsnorm durch den Kläger zu hoch oder zu niedrig, so kann er spätestens bei der ersten zur mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung die Bewertung bemängeln. Das Gericht hat mangels einer Einigung der Parteien, möglichst ohne weitere Erhebungen und ohne die Erledigung wesentlich zu verzögern oder Kosten zu verursachen, den Streitgegenstand für die Anwendung dieses Bundesgesetzes im Rahmen der von den Parteien behaupteten Beträge zu bewerten. Dieser Beschluß kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10337/1985, 10362/1985, 11470/1987) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2.1. Das GGG erwähnt den Zwischenantrag auf Feststellung nicht. In der Literatur wurde daraus der Schluß gezogen, daß Zwischenanträge - ob sie nun vom Kläger oder vom Beklagten gestellt werden - keine Pauschalgebührenpflicht auslösen (Arnold, Das neue Gerichtsgebührengesetz, AnwBl. 1985, 3 [4]; ders., Entscheidungsglosse, AnwBl. 1995, 214; vgl. auch Tschugguel/Pötscher,
Die Gerichtsgebühren6 [1999] Anm. 9 zu TP1: "Die in den Anm. 1 und 2 [zu TP1] nicht angeführten Schriftsätze - ausgenommen die in §2 Z1 litb (Erweiterung des Klagebegehrens) angeführten - sind gebührenfrei."); dabei wurde auch auf Anm. 4 zu TP1 GGG verwiesen, wonach neben der Pauschalgebühr nach TP1 in Verfahren erster Instanz keine weiteren Gerichtsgebühren zu entrichten sind (Arnold, AnwBl. 1995, 214).
Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Ansicht. Gemäß §3 Abs1 GGG ist die Pauschalgebühr nur einmal zu entrichten, auch wenn die Klage mehrere Anträge enthält; das Gleiche gilt "für alle anderen Eingaben und Schriften, sofern in der Folge nicht etwas anderes bestimmt ist". Obwohl §3 Abs1 GGG nur die schriftlich eingebrachte Klage im Auge hat, gilt er auch für Protokollarklagen, die jedenfalls gebührenpflichtig sind (§2 Abs1 lita GGG). Dementsprechend sind von den "anderen Eingaben und Schriften" auch zu Protokoll gegebene Anträge miterfaßt. Zwischenanträge auf Feststellung - wie der im Beschwerdefall während der mündlichen Streitverhandlung gestellte Antrag - lösen daher keine Gebührenpflicht aus, denn das GGG bestimmt an keiner Stelle "etwas anderes". Hätte der Gesetzgeber den Zwischenantrag als gebührenauslösenden Tatbestand normieren wollen, so hätte er dies angesichts des von ihm gewählten Regelungssystems ausdrücklich getan. Eine Reihe weiterer Anträge ist nämlich im GGG ausdrücklich angeführt: Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte gemäß ArtXXIII EGZPO, Anträge in Bestandverfahren und Beweissicherungsanträge. Alle diese Anträge werden in Anm. 1 zu TP1 GGG (über Pauschalgebühren in zivilgerichtlichen Verfahren erster Instanz) genannt, darauf bezieht sich - bezüglich des Beweissicherungsantrags - auch §2 Z1 lita GGG (zur Entstehung der Gebührenpflicht). Anm. 2 zu TP1 und §2 Z1 litd GGG nennen ferner einstweilige Verfügungen außerhalb eines Zivilprozesses.
2.2. Die Argumente der belangten Behörde verfangen dagegen nicht:
Sie stützt sich auf das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Oktober 1994, 93/16/0137 (ÖStZB 1995, 532 = AnwBl. 1995/4997), und - ebenso wie dieses - auf den Plenissimarbeschluß des Obersten Gerichtshofs vom 24. November 1956, JBl. 1957, 295 (= EvBl. 1957/206), das ist das Judikat 65 neu.
Das Judikat 65 neu beschäftigt sich mit der Frage nach der Rechtsmittelzulässigkeit bei Klagen und Zwischenfeststellungsanträgen. Es lautet in seinem Spruch: "Die Streitwerte der Klage und des vom Kläger oder vom Beklagten gestellten Zwischenantrages auf Feststellung sind zusammenzurechnen."
Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, daß sich daraus etwas für die Frage ableiten ließe, ob für einen Zwischenantrag Gerichtsgebühren zu entrichten sind.
Das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes bezieht sich zunächst auf das Judikat 65 neu und folgert dann aus "der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Bestimmungen des §7 RATG über die Änderung der Bewertung des Streitgegenstandes" in §18 Abs2 Z1 GGG, für den Streitwert könne auch hinsichtlich der Bemessung der Gerichtsgebühren nichts anderes gelten. Weiters nimmt der Verwaltungsgerichtshof "die taxative Aufzählung der als Zahlungspflichtige anzusehenden Personen" in §7 Abs1 Z1 GGG an; es komme daher auch bei einem Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten nur der Kläger als Gebührenschuldner in Betracht.
Diese Behauptungen setzen bereits voraus, daß aufgrund eines Zwischenantrags Gerichtsgebühren zu zahlen sind; begründet wird diese Voraussetzung damit jedoch nicht. Vielmehr ist nach dem Gesagten davon auszugehen, daß zwar die Bestimmungen der ZPO über die Rechtsmittelzulässigkeiten an den - entsprechend dem Judikat 65 neu zu berechnenden - Streitwert anknüpfen (vgl. Gitschthaler in Fasching [Hg.], Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen I2 [2000] Rz 25 zu §55 JN), nicht aber das GGG.
Auch aus §15 Abs2 GGG, auf den sich die belangte Behörde ebenfalls bezieht, läßt sich dies nicht ableiten. Danach sind mehrere in einem zivilgerichtlichen Verfahren von einer einzelnen Partei oder von Streitgenossen geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen. Für die behauptete Zahlungspflicht bei einem Zwischenfeststellungsantrag läßt sich daraus offenkundig nichts gewinnen.
2.3. Indem die belangte Behörde den Beschwerdeführerinnen Gebühren für einen Zwischenfeststellungsantrag (des Beklagten) vorschrieb, verkannte sie den Inhalt der Bestimmungen des GGG grob. Sie wandte damit das Gesetz denkunmöglich an und verletzte dadurch die beschwerdeführenden Gesellschaften in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums.
3.1. Der Bescheid war daher aufzuheben. Auf das weitere Beschwerdevorbringen brauchte nicht eingegangen zu werden.
Mit Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde einen Eventualantrag der beschwerdeführenden Gesellschaften abgewiesen. Über diesen Antrag konnte sie nur deshalb absprechen, weil sie den Primärantrag der Beschwerdeführerinnen abwies und ihm nicht - wozu sie nach dem Gesagten verpflichtet war - stattgab. Da der Abspruch in Spruchpunkt 2 somit nur die Folge der unzutreffenden Erledigung des Primärantrags war, mußte der Bescheid auch insoweit der Aufhebung verfallen. Ob ein (Eventual-)Antrag dieses Inhalts (Ausspruch der Zahlungspflicht einer anderen Partei) und somit auch seine meritorische Erledigung zulässig sind, brauchte daher nicht erörtert zu werden.
3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 359,70 sowie der Ersatz der entrichteten Gebühr gemäß §17a VfGG von € 181,68 enthalten. Die Beschwerdeführerinnen haben zwar den doppelten Betrag (S 5.000,-) an Gebühren entrichtet, dies offenbar deshalb, weil die Beschwerde von zwei beschwerdeführenden Gesellschaften eingebracht worden ist. §17a VfGG sieht jedoch auch für diesen Fall nur eine Gebühr von (damals) S 2.500,- vor (vgl. den Bericht des Verfassungsausschusses, 784 BlgNR 20. GP 1).
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Bescheid Trennbarkeit, Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, VfGH / Kosten, ZivilprozeßEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1228.1999Dokumentnummer
JFT_09978798_99B01228_00